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Kapitel 1
Die Zerschlagung der Moderne

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Nach ihrer Machtübernahme am 30. Januar 1933 gingen die Nationalsozialisten überall in Deutschland systematisch daran, der Kunst die Moderne auszutreiben. Sie wollten Platz für ihre eigene Art von Kultur schaffen. Geplant hatten sie dies schon seit Jahren. Sie wünschten sich eine deutsche Kultur, in der sich die zentralen Werte der NS-Ideologie niederschlagen sollten: gegenständlich, nicht abstrakt, klar und sauber, nicht krumm und schief, inspiriert von den vermeintlichen Tugenden der »nordischen Rasse«. Die natürliche Schönheit der Landschaft war rühmend hervorzuheben gegen die Hässlichkeit von Industriestädten; die Kultur sollte Stärke und Selbstvertrauen eines »reinrassigen« germanischen Volkes verströmen, scharf abgegrenzt gegen fremde und insbesondere jüdische Einflüsse. Diese Kultur galt es größtenteils neu zu erschaffen; was in der Vergangenheit als nützlich sich erwiesen hatte, mochte geschickt integriert werden, sofern die Traditionen der Vorfahren für die aufstrebende Generation als dienlich erachtet wurden.

Doch zunächst musste jene moderne Kunst getilgt werden, die für das kulturelle Leben der Weimarer Republik (1918–1933) charakteristisch war, auch wenn deren Schöpfer nur eine Minderheit darstellten. Ihre oft kühnen Bestrebungen ließen sich nicht zuletzt als Reaktion auf die Schrecken des Ersten Weltkriegs verstehen, für den die alte Ordnung unter Kaiser Wilhelm II. und den spießbürgerlichen Eliten verantwortlich gemacht wurde. Parallel zur modernen Kunst entstand daher auf politischer Ebene eine demokratische Republik, die in gewissem Sinne ebenso ein Experiment war wie die Kultur. Manche modernen Kunstformen wie der Expressionismus in der Malerei oder die Opern Elektra und Salome eines Richard Strauss stammten allerdings schon aus der Vorkriegszeit, und längst nicht alle Vertreter der Moderne waren republikanisch oder politisch links eingestellt.1 Umgekehrt setzten auch der Konvention verpflichtete Künstler durchaus Vertrauen in eine neue, demokratische Regierungsform.

Nach dem Waffenstillstand vom November 1918 waren, so Peter Gay, »alle oder doch fast alle Künstler von dem quasi-religiösen Eifer ergriffen, alles neu zu machen«.2 Waghalsige Experimente sollte es geben, mit neuen Formen und Inhalten, sei es bezogen auf Kunstobjekte oder Verfahrensweisen. Künstler wie Bertolt Brecht, Kurt Weill, Alban Berg, Paul Hindemith und Walter Gropius fanden in der »Novembergruppe« zusammen und verkündeten im Dezember 1918: »Die Zukunft der Kunst und der Ernst der jetzigen Stunde zwingt uns Revolutionäre des Geistes (Expressionisten, Kubisten, Futuristen) zu Einigung und engem Zusammenschluss.«3

Im Gefolge kam es schon kurz nach Ausrufung der Republik 1918 zur künstlerischen Herrschaft der Bauhaus-Bewegung. Die Kunstschule sollte der Weimarer Ära in kultureller Hinsicht ihren Stempel aufdrücken. Unter der Leitung von Walter Gropius konzentrierten sich die Künstler und Künstlerinnen am Bauhaus auf neue Formen in Gestaltung und Malerei, zunächst ab April 1919 in Weimar selbst, dann ab 1925 in Dessau, wo die Architektur in den Mittelpunkt rückte. Das dort errichtete Schulgebäude verkörperte mit seinen klaren, rechtwinkligen Linien und dem Flachdach geradezu lehrbuchhaft Gropius’ Ideen.4

Im Spätsommer 1923, noch in Weimar, veranstaltete das Bauhaus eine Ausstellung mit Vertretern praktisch jeder wichtigen künstlerischen Disziplin. Die Musik und journalistische Musikkritik repräsentierte Hans Heinz Stuckenschmidt, ein Anhänger der Zwölftonmusik, die zu jener Zeit mit Arnold Schönberg als ihrem Pionier entstand. Stuckenschmidt beteiligte sich in Weimar an einem »Musikalischen Cabaret«, für das er eine von Dada inspirierte, avantgardistische Partitur geschrieben hatte. Hermann Scherchen, der neben Otto Klemperer progressivste Dirigent der Weimarer Zeit, leistete ebenso einen Beitrag dazuwie Paul Hindemith, der seinen kurz zuvor komponierten Liedzyklus Marienleben – Ausdruck seiner neuen Vorliebe für die Polyphonie – zur Erstaufführung brachte. Auch Ernst Krenek, dessen Jazzoper Jonny spielt auf 1927 die deutschen Opernbühnen erobern sollte, ließ sich sehen.5

Das Bauhaus hatte eine eigene Jazzkapelle, und Jazz, der, aus den USA kommend, bereits in England und Frankreich Furore gemacht hatte, wurde auch in Deutschland ein Hit. Dass das – für dieses Land – typisch überbetonte Schlagzeugspiel an Marschmusik erinnerte, änderte daran nichts. Gespielt wurde Jazz in den Zwanzigern in den Großstädten, hauptsächlich in Berlin, von deutschen Combos in darauf spezialisierten Klubs wie dem Rio Rita oder dem Moka Efti, aber auch in großen Musik- und Varieté-Theatern wie der Scala oder dem Wintergarten, die Adolf Hitler und sein Propagandafachmann Joseph Goebbels bisweilen ebenfalls aufsuchten (allerdings wegen der Operetten, die dort zur Aufführung kamen). Schließlich gab es Jazz in Cabarets, wo Stars und Sternchen aus Film und Operette, etwa die junge Trude Hesterberg, auftraten. Auch im Film konnte man Jazz hören, so zum Beispiel im ersten bedeutenden deutschen Tonfilm Der blaue Engel (1930), für den der Jazzpianist Friedrich Hollaender die Musik geschrieben hatte. Hollaender sollte später in Hollywood Karriere machen; Marlene Dietrich wiederum, die mit diesem Film berühmt wurde, hatte in Weimar Geige studiert, als das Bauhaus dort seinen Anfang nahm.6

Filmschaffende als solche waren zwar nicht auf der Bauhaus-Ausstellung von 1923 vertreten, aber einige der Künstler waren an Film oder Fotografie interessiert, etwa der Maler und Designer László Moholy-Nagy, zu dessen neu entwickelten Techniken die Herstellung von Fotogrammen gehörte, die entstehen, wenn man Objekte direkt auf einem unbelichteten Film platziert, der dann belichtet wird. Drei herausragende Filme aus der Zeit der Weimarer Republik sind bis heute als Großkunstwerke der Avantgarde berühmt: Das Cabinet des Dr. Caligari (1920), Metropolis (1927) und Mädchen in Uniform (1931). Die Handlung im Cabinet des Dr. Caligari spielte in Räumen mit verzerrter Optik: Der Hintergrund war verwinkelt, es gab schräge Wände und schiefe Decken. Die Protagonisten wirkten zwielichtig, waren moralisch gut oder böse oder beides zugleich; der Zuschauer war verwirrt, überall lauerte der Horror. Auch in Fritz Langs Metropolis spielte der Gegensatz von Gut und Böse eine wichtige Rolle; hier schlüpfte ein böser Roboter namens Maria in die Rolle eines an Körper und Seele schönen Mädchens, das ebenfalls Maria hieß. Die Handlung von Mädchen in Uniform enthält Andeutungen lesbischer Liebe, ein Zeugnis für die vergleichsweise tolerante Haltung der Republik in Fragen der Sexualität. Zugleich kritisiert der Film kaum verhohlen die autoritär-hierarchischen Verhältnisse an Privatschulen als hartnäckige Überbleibsel einer vergangenen Zeit.7

Unter den Malern, die an der Ausstellung von 1923 teilnahmen, waren auch die Bauhaus-Künstler Wassily Kandinsky und Paul Klee. Kandinsky hatte schon um 1910 die ersten abstrakten Bilder gemalt und schuf in Weimar 1923 unter anderem ein Ölgemälde mit dem Titel Auf Weiß II: Vor einem abstrakten Hintergrund aus gelben und rötlichen Dreiecken, einem schwarzen Kreis und weiteren geometrischen Gebilden auf weißer Leinwand kreuzen sich zwei schwarze, lanzenförmige Spitzen. Klee malte etwas weniger geometrisch und abstrakt, aber häufig kleinformatig. Sein 1921 entstandenes Bild Der Angler ist fein ziseliert; die Figur steht auf einem dünnen Brett über dem Wasser und handhabt, vor einem zartblauen und weißen Hintergrund, elegant eine Angelschnur.8

Ein früher Theaterfachmann am Bauhaus war Lothar Schreyer. Der vielseitige Gelehrte, der nicht nur malte, Prosa verfasste und eine Kunstzeitschrift herausgab, sondern zudem an der Universität Heidelberg in Jura promoviert hatte, schrieb und inszenierte ein Mondspiel, das Anfang der zwanziger Jahre in Weimar auf die Bühne kam, aber leider nur wenig Aufmerksamkeit erregte. Oskar Schlemmers Triadischem Ballett war später mehr Erfolg beschieden. (Schlemmer war, wie Klee und Kandinsky, Maler am Bauhaus.) In Berlin spielte nach wie vor Max Reinhardt eine wichtige Rolle, obwohl er als Theaterdirektor bereits vor dem Weltkrieg den ersten Höhepunkt erreicht hatte. Nun war er vorwiegend als Lehrer tätig. Seine berühmtesten Kollegen als Dramaturgen waren Leopold Jessner und Erwin Piscator, beides entschiedene Sozialisten, die wie der marxistische Stückeschreiber Bertolt Brecht die Notwendigkeit betonten, dass das Theater den Massen – und damit der Gesellschaft – dienen müsse.9 Als Schauspieler machte Mitte der zwanziger Jahre Gustaf Gründgens von sich reden. Androgyn und bisexuell, war er kurzzeitig mit der gleichfalls bisexuellen Erika Mann verheiratet. Die Tochter Thomas Manns verhalf ihm zu Auftritten im Kabarett, während er als Bühnenschauspieler lautstark für das revolutionäre Theater eintrat. Er brillierte als Mephisto in Goethes Faust sowie in Stücken der neuen expressionistischen Dramatiker Frank Wedekind, Carl Sternheim und Georg Kaiser. 1928 sollte Max Reinhardt Gründgens nach Berlin holen.10

Zwar gab es unter den Multitalenten am Bauhaus einige, die Lyrik und Prosa verfassten, doch die herausragendsten Schriftsteller der Weimarer Republik waren Gerhart Hauptmann und Thomas Mann. Dem neuen Weimarer »Sturm und Drang« standen beide, da sie intellektuell und ästhetisch eher in der Vorkriegszeit verankert waren, allerdings fern. Typischer für den neuen Geist waren der sozialistisch inspirierte Bertolt Brecht und Alfred Döblin, ein jüdischer Arzt in Berlin, der sich, mit tiefem Verständnis und Mitgefühl für die gesellschaftlich Abgehängten, der Mittellosen annahm. Franz Biberkopf, der Protagonist seines 1929 erschienenen Romans Berlin Alexanderplatz, kommt aus dem Gefängnis mit dem festen Entschluss, nunmehr den geraden Weg zu gehen, gerät aber durch seine Umgebung erneut in Schwierigkeiten. Döblin veranschaulicht in seinem Buch die Notwendigkeit gesellschaftlicher Veränderung ebenso wie jene individueller Anteilnahme. Er warnt aber auch vor dem aufstrebenden Nationalsozialismus.11

An gesellschaftlicher Veränderung, ganz zu schweigen von den damit verbundenen politischen Risiken, waren die Nationalsozialisten in den zwanziger Jahren nicht besonders interessiert. Über eine nennenswerte kulturelle Agenda verfügten sie in der ersten Hälfte des Jahrzehnts erst recht nicht. Noch waren sie vorwiegend damit beschäftigt, sich politisch zu etablieren, was aufgrund ihrer regionalen Beschränktheit – sie waren hauptsächlich in Bayern präsent –, Hitlers fehlgeschlagenem Münchner Putschversuch vom November 1923 und seiner bis Weihnachten 1924 währenden Festungshaft in Landsberg an Grenzen stieß. Nach seiner Freilassung war Hitler vollauf mit dem Aufbau neuer Außenposten in ganz Deutschland beschäftigt und damit, Unterstützung in der Bevölkerung zu finden, beides immer wieder erschwert durch Auftrittsverbote in den deutschen Ländern.

Erst 1927 ließ sich ein erstes Interesse für kulturelle Angelegenheiten erkennen. Auf dem Parteitag im August in Nürnberg verkündete Hitler einige undurchsichtige Richtlinien für eine – aus seiner Sicht – kulturelle Erneuerung.12 Das waren weder Pläne für einen »Kulturstaat«, noch verband sich damit, wie jüngst behauptet wurde, die Ansicht, Politik sei als »höchste Form der Kultur« zu verstehen.13 Dafür gibt es auch in der weiteren Entwicklung bis und nach 1933 keine Anhaltspunkte; die Kultur war der Propaganda untergeordnet und hatte ihr zu dienen; die Formulierung »Politik als Kulturform« ist in diesem Kontext nur ein Ausdruck ohne Bedeutung. Aber Alfred Rosenberg, ein früher Mitstreiter Hitlers aus der Münchner Zeit, der sich zum Chefideologen der Bewegung aufgeschwungen hatte, griff den Hinweis vom Parteitag auf und gründete den Kampfbund für deutsche Kultur (KfdK). Er wurde hauptsächlich von politisch rechtsgerichteten Angehörigen der kulturellen Elite wie dem Münchner Publizisten Hugo Bruckmann und seiner Ehefrau Elsa sowie von Winifred Wagner (Richard Wagners Schwiegertochter) in Bayreuth unterstützt. 1928 folgte die Gründung als Verein, für den im Mai desselben Jahres weitere Gründungsmitglieder geworben wurden. In einem von Alfred Rosenberg verfassten Manifest rief dieser seine Anhänger dazu auf, gegen die zeitgenössische Literatur und die liberale, zumeist großstädtische (jüdische) Presse wie etwa die Frankfurter Zeitung vorzugehen. Implizit wurden auch die moderne Musik, Architektur, Malerei und Plastik als Ausdrucksformen des Expressionismus in diesen Angriff eingeschlossen.14 Schon bald gründeten sich Ortsgruppen des Kampfbunds, so auch in der Goethe-Stadt Weimar unter Leitung des NSDAP-Mitglieds und völkischen Journalisten Hans Severus Ziegler. In seiner Gründungsansprache machte Ziegler sofort deutlich, wer als einer der Hauptfeinde des Nationalsozialismus zu gelten habe: Sein Vortrag trug den Titel »Der Bolschewismus bedroht die deutsche Kultur«.15

1929 begann der Kampfbund, mit Verleumdungen Front gegen Errungenschaften der Weimarer Republik zu machen. Mittlerweile zeigte sich die Avantgarde auf vielen Gebieten: Da gab es die satirischen Gemälde von George Grosz und Otto Dix, das Bauhaus in Dessau, in Berlin wurde die Dreigroschenoper von Brecht und Weill gegeben, und die Weintraub Syncopators verdrehten der Stadt mit Jazzmusik den Kopf. Einer der bösartigsten Vertreter des Kampfbunds war jetzt der Gropius-Rivale und Architekt Paul Schultze-Naumburg, der für eine traditionelle Architektur eintrat. Er bevorzugte Häuser mit Giebel- statt Flachdach und mit reicher, ornamentaler Innenausstattung wie in den alten Ozeandampfern. Er entwickelte sich zum ersten Verfechter einer völkischen Kunst im nationalsozialistischen Sinne und war viel auf Vortragsreisen unterwegs. 1932 verglich er in einer Broschüre Werke der modernen Malerei mit Erzeugnissen von Psychiatriepatienten. Im selben Jahr organisierte er in München eine öffentliche Ausstellung zu einem ähnlichen Thema.16 Im Frühjahr 1932 geißelte der rechtsnationale Autor Hans Friedrich Blunck außerdem in einem Vortrag vor Universitätsstudenten die vulgäre Erotik, die der modernen Kunst und manierierten Musik der Weimarer Epoche innewohne.17 Als die Republik ihrem Ende entgegenging, hatten die Nationalsozialisten bereits schwarze Listen vorbereitet. Schauspieler, die sie für Juden oder Marxisten hielten – darunter Fritz Kortner, Heinrich George und Gustaf Gründgens – sollten von Intendanten und Filmgesellschaften fortan boykottiert werden.18 Gegen »Jazzband, Niggersong und Negerplastik«, außerdem »fremdrassige Erotik« sowie »bolschewistische Agitation« seien sie in der Weimarer Zeit zu Felde gezogen, fassten rechtsnationale Autoren, darunter Rosenbergs Marionette Walter Stang, ihren Kampf gegen das, was sie als Auswüchse der republikanischen Avantgarde betrachteten, zu Beginn von Hitlers Herrschaft zusammen.19

Schon im Januar 1930 waren die Nationalsozialisten nach Landtagswahlen in Thüringen mit seiner Hauptstadt Weimar in einer Koalitionsregierung an die Macht gekommen. Hitler gelang es, einem seiner Vertrauten, dem Juristen Wilhelm Frick, mit zwei Ministerposten – Inneres und Volksbildung – im Kabinett eine Vormachtstellung zu sichern. Frick machte sich sofort an eine regelrechte Säuberung der thüringischen Kultureinrichtungen. Nicht zuletzt dank dieser Razzien und weiterer Veränderungen politischer und wirtschaftlicher Art, die die Nationalsozialisten in Thüringen durchsetzen konnten, experimentierten sie hier erstmals mit der Manipulation von Demokratie; denn sie betrachteten sich durchaus zu Recht als die Sieger in einem verfassungsmäßig einwandfreien Wahlvorgang. Das machte sie allerdings nur gefährlicher, weil sie unter dem Deckmantel der Legalität umso unheilvoller wirken konnten. Für die Weimarer Kultur der Moderne lief das auf Zerstörung hinaus. Hans Severus Ziegler, zunächst Ministerialreferent für Theater und Kunst im thüringischen Volksbildungsministerium, wusste seine Befugnisse zu nutzen. 1933 wurde er gar zum Staatskommissar für die Landestheater und zum Generalintendanten des Nationaltheaters Weimar ernannt. Die Inszenierung moderner Stücke war nun ebenso verboten wie die Aufführung von Jazz und atonaler Musik oder der Besuch von Kabaretts und gewagten Varieté-Darbietungen. Als Schultze-Naumburg das, was vom Bauhaus noch übrig war, übernahm, ließ er Wandgemälde und Fresken Oskar Schlemmers im und am Dessauer Werkstattgebäude zerstören. Siebzig expressionistische Gemälde, darunter Werke von Kandinsky und Klee, wurden aus den Ausstellungsräumen des herzoglichen Museums entfernt. Filme wurden vor ihrer Aufführung sämtlich zensiert, insbesondere solche, die auch nur einen Hauch von Erotik enthielten.20

Wer nicht der »Bewegung« angehörte, dem missfielen die Störaktionen und Schändungen durch NSDAP-Anhänger, die sich angesichts wachsender Arbeitslosigkeit in den späten zwanziger Jahren um die Partei scharten und zunehmend radikalisierten. Insbesondere, wer der Moderne aufgeschlossen gegenüberstand und zum Beispiel die Filme von Fritz Lang oder einen klugen Kommentar in einer bürgerlich-liberalen Zeitung schätzte, rümpfte die Nase. Vermutlich wären die nationalsozialistischen Kulturvermittler erfolgreicher gewesen, wenn sie nicht nihilistische Zerstörung betrieben, sondern in Kunst und Kultur Neues hervorgebracht hätten, auf einer Linie mit ihrer Ideologie und unleugbar originell sowie leicht zu konsumieren. Aber das gelang ihnen von Anfang an nicht: Zeugnisse einer eigenen NS-Kultur waren rar gesät und zudem von armseliger Qualität. So gab es keinen von einer NS-nahen Filmgesellschaft produzierten Streifen, der das Heldentum brauner Straßenkämpfer gefeiert hätte, und nur wenige, gegen Ende der Weimarer Republik erschienene Romane schilderten das Erstarken der Partei während dieser Zeit.21 Stattdessen sahen die Nationalsozialisten sich gezwungen, auf traditionelle Kulturprodukte zurückzugreifen. Diese seien, erklärten sie, ungerechtfertigterweise vernachlässigt worden und müssten nun endlich die verdiente Beachtung finden. Verwendbares Material entdeckten sie in der konventionellen deutschen Kunst zumeist des 19. Jahrhunderts, in der Wohlfühlarchitektur à la Schultze-Naumburg und Romanen über deutsche Idole des Ersten Weltkriegs. Da die Nationalsozialisten davon nur wenig als Eigenprodukt ausgeben konnten, behaupteten sie eben, dass jede neue politische Bewegung Vorläufer brauche und dass in ihrem Fall der inhärente Zweck dieser früheren Kulturgüter darin liege, NS-eigenen Hervorbringungen den Weg zu ebnen. Tatsächlich waren die meisten späteren Produkte synkretisch und gründeten auf einer gegenständliche Darstellungsweisen bevorzugenden, reaktionären Kultur.

Für seine anfänglich zumeist aus der konservativen Bildungsschicht stammenden Anhänger stellte der Kampfbund nach und nach ein konventionelles Kulturprogramm auf die Beine. In seiner Zeitschrift, der Deutschen Kultur-Wacht, wurde die Leserschaft mit »einer Mischung aus ernsthaften Beiträgen zum Thema Kultur und völkischen Traktaten« unterhalten.22 Schultze-Naumburg forderte eine »rassische Erneuerung« der Kunst mittels Rückkehr zu völkischen Quellen und organisierte Ausstellungen mit Bildern deutscher Künstler aus dem 19. Jahrhundert (u. a. Wilhelm Leibl, Franz Defregger und Hans Thoma), aber auch mit Werken der deutschen Renaissance.23 Besonders eifrig war der Kampfbund, wenn es um die Unterstützung nationalsozialistisch eingestellter Musiker ging, die aus dem einen oder anderen Grund die Moderne ablehnten. Ein Beispiel ist der Geiger Gustav Havemann, der mit dem international bekannten Havemann-Quartett Schönberg und Hindemith gespielt hatte, 1932 jedoch in die NSDAP eintrat und die Leitung des Kampfbund-Orchesters übernahm. Von da an diente er den Nazis treu ergeben, indem er nur noch traditionelle Werke zur Aufführung brachte.24 Andere Musiker, die nun Karriere machten, waren die Komponisten Max Trapp und Paul Graener, eher unbedeutend in der deutschen Musikwelt, aber einflussreich als Lehrer an der Akademie der Künste und am Stern’schen Konservatorium.25

Streng beobachtet durch die Leiter des Kampfbunds, wo nicht gar durch Hitler und Goebbels selbst, entfalteten sich am äußersten rechten Rand des politischen Spektrums künstlerische Aktivitäten von Film bis Kunstkritik, aber stets der Tradition verhaftet. So drehte etwa der Südtiroler Luis Trenker, Weltkriegsveteran und Skilehrer mit Naturburschen-Charme, gegen Ende der zwanziger Jahre Filme über die Naturschönheit der Alpen, wenn er sich nicht gerade mit einer jungen, bergbesessenen Schauspielerin namens Leni Riefenstahl zum Rendezvous traf. Trenkers Filme appellierten an das deutsche Nationalgefühl: Sie zeigten die Verwurzelung der Menschen in den Gebirgstälern, feierten die Eroberung von Alpengipfeln und beschworen dabei die grenzüberschreitende Einheit von Bayern, österreichischen Tirolern und den deutschsprachigen Anverwandten im italienischen Alto Adige.26 Hier war bereits ein stark nationalistischer, gar chauvinistischer Subtext am Werk. Gegen Ende der Weimarer Republik wurden mehr kitschige Romane über das Landleben als je zuvor veröffentlicht, in denen Deutschland als Heimat einfacher, aber treu-biederer Bauern geschildert wurde.27 Schultze-Naumburg wagte in riskanten Analysen den Vergleich zwischen Kunstwerken der Moderne und einem deutschen Klassiker, dem Bamberger Reiter, einem bei autoritären Nationalisten besonders beliebten Standbild. Hans Friedrich Blunck pries deutschen Volkstanz und deutsches Volkslied und hoffte auf eine Wiedergeburt teutonischer Stammeswerte und darauf, dass sie unter Hitler in eine angemessene Form gegossen werden würden.28

Kultur unterm Hakenkreuz

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