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1 Ein Aussichtsbalkon in den Ammergauer Alpen

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Was für ein Gipfelname: Rosengarten

Naturfreunde, denen die Alpen näher sind als das Watt, bekommen glänzende Augen, wenn vom Rosengarten die Rede ist: das Felstrio der Vajolettürme, Tita Piaz, die Rotwand … Aber ein Rosengarten in den bayerischen Bergen? Der ist nur gerade halb so hoch wie die Rosengartenspitze in den Dolomiten und von eher unscheinbarer Gestalt, tarnt sich auch noch mit viel Wald- und Wiesengrün.

Anforderung/Schwierigkeit

Mittel

Tourencharakter

Gipfelüberschreitung in überwiegend bewaldetem Gelände, teilweise weglos, unmarkiert. Von der Blöße am Rosengarten hübsche Aussicht

Ausgangspunkt/Endpunkt

Parkplatz (ca. 880 m) am Eingang ins Tal der Schleifmühlenlaine; Zufahrt von der B 23 (Unterammergau)

Höchster Punkt

Rosengarten (1425 m)

Länge

560 Hm auf/560 Hm ab/7 km

Dauer

Parkplatz – Schartenköpfel (1370 m) 1.30 Std. – Rosengarten 0.30 Std., Abstieg 1 Std. Gesamt 3 Std.

Einkehr/Übernachtung

Gasthof Schleifmühle, www.gasthof-schleifmuehle.de

Wetzsteinmuseum

Wissenswertes über die Wetzsteinherstellung und ihre Geschichte vermittelt das kleine Museum direkt neben dem Gasthof Schleifmühle. In Unterammergau, am Dorfplatz, steht das Dorf- und Wetzstoa-Museum; im Freilichtmuseum Glentleiten ist eine historische Wetzsteinmühle zu besichtigen (19. Jh.).

Für die Unterammergauer ist ihr Rosengarten allerdings seit Jahrhunderten ein ganz besonderer Berg. Denn an seiner Nordostflanke, an den Hängen des Schartenköpfels, ist kieselsäurehaltiges Kalkgestein aufgeschlossen, und das eignet sich hervorragend zur Herstellung von Wetzsteinen. Die findigen Bauern machten daraus ein rentables Geschäft. Der gebrochene Stein wurde geschliffen, bis 1840 von Hand, später mit wasserbetriebenen Mühlen. Die Wetzsteine entwickelten sich bald zu einem echten Exportschlager; sie fanden nicht nur in der Region Abnehmer, sondern wurden auch in die Donauländer verkauft. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts lebten in Unterammergau noch über 40 Familien neben der Landwirtschaft von der Wetzsteinschleiferei. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Produktion eingestellt: Industrielle Fertigung schlägt Handwerk.

Der RosengartenAlso auf zum Rosengarten, dem bayerischen! Der Frühlingstag verspricht viel Sonne und angenehme Temperaturen. Die 25 000er AV-Karte, Ausgabe 2009, zeigt an dem Bergstock viel Wald, wenig Fels, ein paar Forstpisten und einen Fußweg, dessen wildes Auf und Ab einiges an Spannung verheißt, aber auch Raum zum Nachdenken lässt. Zum Beispiel über den Bergwald. Der hat ja mehr als nur eine Funktion, bietet den Dörfern im Tal im Winter Schutz vor Lawinen, er liefert Brenn- und Bauholz und ist ein artenreicher Lebensraum. Hier sind nicht nur Reh und Hirsch, Birkhuhn und Wiesel zu Hause, es wimmelt buchstäblich von Leben, auch dem winzigsten. Ein toter Baum, verrottend, ernährt vielerlei Insekten; in seinem Wurzelwerk legt der selten gewordene Hirschkäfer seine Eier ab. Das Millionenheer der Ameisen ist am Waldboden und an den Bäumen unterwegs: Allesfresser und unermüdliche Arbeiterinnen. Schmetterlinge gaukeln über Waldlichtungen, der Kuckuck zählt bis dreizehn und irgendwo klopft ein Specht. Er hat es auf Borkenkäfer abgesehen, die ihre Brutgänge zwischen Holz und Rinde, zwischen Baum und Borke, anlegen.

Anfängliche WegsucheStart: Parkplatz – 100 Meter: rechts weg von der Pürschlingstraße – 200 Meter: rechts ab von der Straße in die Schleifmühlenklamm. Wir schließen das Weidegatter – und sind zu zweit allein. Bis zum Gipfel werden uns gerade mal zwei Wanderer begegnen. Und die fragen nach dem Weg, weil sie sich total verlaufen haben … Das soll den Leserinnen und Lesern dieses Buches nicht passieren, deshalb die penible Beschreibung des Einstiegs. Den Weiterweg kann man nicht verfehlen – immer der Fahrspur nach, einen Schlepplift querend und im Wald am Hang hinauf zu einer komfortablen Forstpiste. Mit ihr weiter bergan über eine Rechtskehre zur Schartenkapelle (Bildstöckl) in einer Wiesensenke. Wie weiter? Nach kurzem Suchen entdecken wir eine gute Spur, die den Nordhang des Schartenköpfels nach rechts hin zur nordwestseitigen Geländekante schneidet. Hier verlässt man sie nach links und steigt weglos über den breiten Waldrücken an. Das Gelände ist gut begehbar, wiederholt muss man allerdings umgestürzten Bäumen ausweichen.



Oben u. unten: Leben und Sterben am Berg: Wind und Wetter haben den Bäumen am Gipfelrücken des Rosengartens schwer zugesetzt.

Das Große im KleinenHildegard entdeckt am Wegesrand eine Weinbergschnecke, die gerade dabei ist, im Zeitlupentempo einen kleinen Felsen zu ersteigen. Sie trägt ein fein gezeichnetes Gehäuse in der Form einer rechtsgängigen Spirale und wird sich bald übers Grünzeug hermachen und es mit ihrer Raspelzunge abernten. Ein Eichhörnchen turnt im Geäst hoch über uns und ganz schwindelfrei, irgendwo krächzt ein Rabe, und unter meinen Füßen, im dicken Humusboden, krabbelt, frisst und stirbt es gerade millionenfach. Waldleben. »Vorsicht!«, mahnt Hildegard, weil ich, meinen Gedanken nachhängend, fast über einen Ast gestolpert wäre. Der finale Aufstieg zum Schartenköpfel ist nicht nur weglos, hier liegt auch reichlich Totholz, dazu sind ein paar kleine Felsen zu übersteigen. Dann taucht recht unvermittelt das Gipfelkreuz auf, mit Buch, aber ganz ohne Aussicht. Dafür gibt’s eine nicht zu übersehende Wegspur, die kurz hinabläuft in die moorige Senke vor dem Rosengarten und anschließend über den Nordrücken unseres Wanderziels zum Gipfel ansteigt. Noch ein Kreuz, diesmal allerdings mit Aussicht. Der »Gipfel« entpuppt sich als ein nach Süden gerichteter, weitgehend baumfreier Hang. Das war nicht immer so, wie die zahlreichen Baumleichen beweisen. Sie tragen einen Hauch von Melancholie in das schöne Landschaftsbild, machen nachdenklich. Bäume sterben halt auch, wie wir Menschen. Und sie altern wie wir, in ihrer Jugend schlank und gerade gewachsen, bilden sich mit der Zeit Runzeln auf ihrer Haut, manche werden dick oder krumm, ihre Kronen lichten sich. Dafür entwickeln sie Persönlichkeit, jeder alte Baum ist ein Unikat, keiner wie der andere, in die Ringe ist sein Leben eingeschrieben, sind Trockenzeiten und feuchte Sommer gespeichert. Jetzt liegt der Baum am Boden, abgerissen die dicken Äste, die Borke geplatzt. Seine Nadeln hat er längst verloren. Dafür grünt es gleich daneben; ein zierliches Bäumchen, keinen halben Meter hoch, macht sich auf den Weg durchs Leben. Ewiger Kreislauf.

Abstieg ins TalDas Panorama vom bayerischen Rosengarten ist typisch für Alpenrandberge: viel Baumgrün rundum, am südlichen Horizont Felsgrau. Ein Blickfang ist der Teufelstättkopf, gerade mal zwei Kilometer weg. Er gibt in etwa die Abstiegsrichtung vor. Bald kommt ein steiniger Ziehweg in Sicht. Er läuft hinab in den Graben der Kurztallaine und mündet wenig später in die Pürschlingstraße. Den Abschluss der Runde bildet der Gang durch die Schleifmühlklamm. Es gischtet und stiebt ordentlich. Dazu passt das frisch gezapfte Bier im Gasthof Schleifmühle. Das kleine Wetzsteinmuseum nebenan besuchen wir ein andermal – versprochen.

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