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2 Der König und sein Komponist
ОглавлениеDer Altlacher Hochkopf
Liebhabern der Wagnerschen Klangwolken, die – aus welchen Gründen auch immer – keine Karten mehr für den »Siegfried« auf dem Grünen Hügel von Bayreuth ergattert haben, empfiehlt sich als Alternative eine Wanderung zum Altlacher Hochkopf. Voraussetzungen: Freude an der Natur und etwas Bergerfahrung.
Anforderung/Schwierigkeit
Mittel
Tourencharakter
Einsamkeit statt Trubel bietet die Klamm-, Höhen- und Gipfelwanderung. Markierte Wege, abschnittsweise auch Sandstraßen. Highlights: Aufstieg durch die Klamm der Eibenlaine, Zugspitzblick
Ausgangspunkt/Endpunkt
Niedernach (802 m) am Ostufer des Walchensees. Anfahrt durch die Jachenau
Höchster Punkt
Hochkopfhütte (1299 m)
Länge
720 Hm auf/720 Hm ab/18 km
Dauer
Niedernach – Sattel (1174 m) 2 Std. – Galgenwurfsattel 1 Std. – Hochkopfhütte 1 Std., Abstieg 1.45 Std.
Gesamt 5.45 Std.
Einkehr/Übernachtung
Waldschänke in Niedernach; unterwegs keine Einkehrmöglichkeit
Von Ludwig II., dem »Kini«, weiß man, dass er nicht nur ein Faible für Monumentalbauten à la Versailles hatte, sondern auch gern in den Bayerischen Bergen weilte, am Schachen etwa oder an den Soiernseen. Und am Altlacher Hochkopf. Da hatte sein Vater, Maximilian II., eine Jagdhütte erbauen lassen, zusammen mit einem komfortablen Reitweg von Altlach herauf. Der hat die Zeitläufe halbwegs unbeschadet überstanden, im Gegensatz zur Originalhütte aus Wittelsbacher Zeit. Von der blieben lediglich ein schwarzer Kachelofen und einige mit Ornamenten verzierte hölzerne Wandverkleidungen erhalten. Ludwig hat der Platz auf jeden Fall sehr gefallen, wie er Richard Wagner 1878 schrieb: »Auf der Höhe des Hochkopfes, der gerade im Mai so wonnig schön ist, und den Sie leider i. J. 65 in so trauervoller Stimmung und überdieß bei heftigem Sturm kennenlernten, hier also feierte ich Ihr theures Geburtsfest.«
Zwei verwandte SeelenWagner weilte auf Einladung des Königs im Sommer 1865 auf der Hochkopfhütte. Das Wetter meinte es nicht gut mit dem Meister; wenigstens kam er mit seinem »Siegfried« ein gutes Stück voran, wie er im Tagebuch notierte: »… habe ich an Siegfried sauber geschrieben; der Zauber ist gelöst.«
Ludwig II. und Richard Wagner lernten sich 1864 kennen: zwei verwandte Seelen, der König ein Fantast, der vom Ritterleben vergangener Zeiten träumte und ihm mit seinen Schlössern Leben einzuhauchen versuchte; das Musikgenie Wagner, das dem Monarchen die dazu passenden Stoffe lieferte, grandios und pathetisch vertont. Eines Königs würdig eben. Was die beiden noch verband neben der Musik: Sie konnten überhaupt nicht mit Geld umgehen.
Einsame Wege zwischen Walchensee und IsartalDa müssen wir uns keine Gedanken machen. Denn auf dieser Tour gibt’s keine Gelegenheit, Geld auszugeben. Die Hochkopfhütte der DAV-Sektion Vierseenland ist nur für Mitglieder zugänglich; den grandiosen Zugspitzblick von der Terrasse aus dürfen dagegen alle genießen, sogar ganz umsonst. Von Altlach am Südufer des Walchensees kommt man über den ehemaligen Reitweg in zwei Stunden leicht zu dem Ausguck mit Promi-Historie. Wir haben uns diesmal eine längere Variante ausgedacht, die einen facettenreicheren Eindruck der Waldlandschaft zwischen Walchensee und Isartal mit ihren Gräben, Buckeln und Hochmooren vermittelt. Ausgangspunkt ist Niedernach am Abfluss des Walchensees. Abfluss? Das Wasser der Jachen ist weggestaut, weil es für den Arbeitseinsatz im Kraftwerk am Kochelsee gebraucht wird. Wie jenes des Rißbachs, das ein paar Meter diesseits der Grenze zu Tirol gefasst und in einem langen Stollen in den Walchensee geleitet wird. Die traurige Hinterlassenschaft: ein riesiges Flussbett, 300 Meter breit, meistens staubtrocken: ein bayerisches Wadi.
Dafür plätschert die Eibenlaine munter der Jachenau entgegen, wo sie gleich ihren Namen ändert. Fast in ihrem ganzen Lauf vom Rücken des Ochsensitzer Berges herab hat sie sich tief ins mürbe Gestein gegraben. Das sorgt für recht spektakuläre Landschaftsbilder und zwingt den Weg, nicht weniger als viermal die Bachseite zu wechseln – auf schmalen, aber stabilen Brücken. Gleich nach der vierten Querung steht man am Fuß des »Turms«, eines schroffen Felsenbugs über der Mündung des Kaltwassers in die Eibenlaine. Da hinauf? Ja, und sogar auf einem ordentlichen, aber eben sehr steilen Weglein. An einem Aufschwung – der Schlüsselstelle! – sind ein paar Eisenkrampen und ein dickes Drahtseil angebracht, an dem man sich gern festhält. Noch ein Fixseil, dann geht’s ungesichert im Zickzack weiter, bis sich der bewaldete Rücken allmählich zurücklegt. Exakt am Ende der Direttissima hat jemand eine Holzbank platziert – wirklich nett! Wir nehmen das Angebot gern an, genießen die freie Sicht auf den Walchensee und einen Schluck Isotonisches. Weiter geht’s auf bequemerem Geläuf, erst auf einem breiten Ziehweg, dann auf einer noch breiteren Forstpiste südwärts zu einer namenlosen Senke über dem Isartal. Hier erteilt ein gelbes Wegschild Auskunft: Galgenwurfsattel. Hinter der Wasserscheide folgen gleich mehrere Verzweigungen in kurzem Abstand, Wegweiser und rot-weiß-rote Markierungen halten uns aber auf der richtigen Spur. Die führt erst von Osten, dann nach Süden umbiegend hinauf zur Hochkopfhütte. Sie steht am Westhang knapp unterhalb des Altlacher Hochkopfs und beglückt mit einem magistralen Blick auf Deutschlands höchsten Berg, die Zugspitze.
Der Meister war auch hier.
Abstieg über die AlmDie Sonne steht schon recht weit im Westen; Zeit, an den Abstieg zu denken. Der alte Reitweg der Herren Richard und Ludwig bietet sich an oder der Pfad Richtung Galgenwurfsattel und hinab zur Unteren Sachenbacher Alm. Hier ertönt Glockengebimmel – Jungvieh genießt die Sommerfrische: würzige Kräuter statt Silage.
Wir wandern talauswärts, folgen einer Waldstraße, die recht brutal in den Hang trassiert wurde. Sie endet im Nirgendwo über dem Zusammenfluss von Alpenbach und Eibenlaine. Ein kleiner, ziemlich ausgewaschener Weg läuft steil hinunter zur Eibenlaine. Eine Hängebrücke führt übers Wasser ans rechte Ufer. In Gedanken bin ich schon weiter, im Biergarten der Niedernacher Waldschänke. Prost!