Читать книгу Vergessene Berge - Michael Pröttel - Страница 18
4 Ein Grenzgang der besonderen Art
ОглавлениеVom Reitstein zur Königsalm
Viel Wald, unzugängliche Gräben, Felsen, ein paar Forstpisten – das zeigt uns die 25 000er Karte des Alpenvereins westlich vom Blaubergkamm. Aber keine markierten Wanderwege. Das macht neugierig, dürften hier doch früher Jäger (auch als gesetzlose) unterwegs gewesen sein. Also auf zur Pirsch, aber unbewaffnet!
Anforderung/Schwierigkeit
Mittel
Tourencharakter
Abwechslungsreiche Kammwanderung an der Grenze Bayerns zu Tirol, weitgehend unmarkiert. Orientierungsvermögen und Trittsicherheit unerlässlich, auch eine ordentliche Kondition. Bei Nässe nicht ratsam
Ausgangspunkt/Endpunkt
Parkplatz (830 m) an der Weißach, nahe der Abzweigung zur Königsalm
Höchster Punkt
Plattenalm (1582 m)
Länge
900 Hm auf/900 Hm ab/16 km
Dauer
Parkplatz – Mündung Albertsbach 0.30 Std. – Bodigbergalm (1214 m) 1.15 Std. – Reitstein (1516 m), 1 Std. – Plattenalm – 1 Std. Königsalm (1144 m) – Parkplatz 0.45 Std.
Gesamt 5.45 Std.
Einkehr/Übernachtung
Königsalm, im Sommer bewirtschaftet
Das Hoch Lukas sorgt für sattes Himmelblau, der Wald prunkt mit vielen Farben. Auf dem staubigen Fahrweg, der parallel zur Weißach verläuft, liegen bunte Blätter. Ich hebe eins auf, golden mit oranger Musterung. »Von einem Bergahorn«, weiß Hildegard. Die knorrigen Bäume stehen nicht nur in der Eng, sie sind in den Alpen Bayerns weit verbreitet. Dazu sehr robust, auch klimatolerant. Als Tiefenwurzler besiedeln sie problemlos Steilhänge, sogar Geröllpartien.
Jenseits der Weißach zeigt sich kurz die Trifthütte. »Erinnerst du dich noch?«, frage ich. Natürlich, früher gab es dort weit und breit die besten Bratwürste. Vor ein paar Jahren war dann Schluss – schade.
Almruhe am BodigbergEin paar Schritte weiter öffnet sich von links der Graben des Albertsbachs. Eine breite Forstpiste führt taleinwärts, beginnt bald anzusteigen. Nach den ersten paar Kurven wird der Blick in die verästelte Schluchtenlandschaft unter dem Reitstein frei: ungangbar. Wir bleiben brav auf der Sandstraße, die in den Bodigberggraben einbiegt. Wer im Hochsommer unterwegs ist, wird bei der schattig gelegenen Forsthütte samt Bank, Brunnen und Fischteich gern eine Pause einlegen. Wir verschieben unsere Rast um zwanzig Minuten weiter bergwärts. An der Bodigbergalm kann man einfach nicht vorbeigehen – zu schön ist der Platz: Bergesruh’, nicht einmal zwei Kilometer Luftlinie von der vielbefahrenen Achenpassstraße entfernt, aber ganz ohne das Dröhnen hochgetunter Zweiräder!
Auf schmalem PfadDer Reitstein ist von der Bodigbergalm noch nicht zu sehen; er versteckt sich hinter seinem felsigen Vorbau, dem Stacheleck. Das kann man wahlweise links oder rechts umgehen. Wir entscheiden uns für den westseitigen Weg, der – von der Alm aus gut einsehbar – aus der Wiesensenke diagonal ansteigt. Im Rücken des Stachelecks treffen beide Zustiege wieder zusammen. Eine gute Viertelstunde später hocken wir im Gras unter dem Gipfelkreuz des Reitsteins und genießen die Aussicht zum Achensee. Die fernen Dreitausender des Alpenhauptkamms geben sich heute bedeckt: kein Großvenediger und kein Großglockner. Nicht zu übersehen ist dagegen der Guffert, eine elegante Felspyramide und keine zehn Kilometer entfernt. Auf seinem Gipfel dürften sich deutlich mehr Leute treffen als auf unserem kleinen Stein …
Weiter führt der Weg zunächst über einen steilen Wiesenhang abwärts, dann wieder bergauf. Orientierungsprobleme gibt es nicht, ist unsere Route doch optimal markiert – mit Grenzsteinen. Sie leiten zuverlässig über den nur licht bewaldeten Kammrücken, der Bayern von Tirol trennt. Als Schweizer versuche ich natürlich, mich neutral zu verhalten: ein Fuß in Deutschland, der andere in Österreich – und beide in der EU. Der Grenzgang endet an der Geländeschulter wenig oberhalb der (bayerischen) Plattenalm: noch so ein formidabler Aussichts- und Rastplatz. Hildegard teilt ihren Apfel mit ein paar Bergdohlen, ich halte Ausschau nach putzigen Nagern. Eine Murmeltierfamilie hat sich nämlich unter der Almhütte eingenistet. Nichts zu sehen, auch kein Pfiff zu hören – Winterschlaf.