Читать книгу Einführung in die allgemeine Ethik - Michael Quante - Страница 11
3. Zwei zentrale Unterscheidungen
ОглавлениеMan bringt, so lautet ein bekanntes und durchaus zutreffendes Bonmot, zwei Philosophen eher dazu, gemeinsam eine Zahnbürste zu benutzen, als dazu, die gleiche Begrifflichkeit zu verwenden. Damit verbunden werden in den unterschiedlichen philosophischen Theorien voneinander abweichende Differenzierungs- und Einteilungsvorschläge gemacht. Viele sind ineinander übersetzbar und werfen daher keine prinzipiellen Probleme auf. Andere dagegen haben inhaltliche Konsequenzen und können deshalb nur in Verbindung mit den materialen Aussagen der jeweiligen philosophischen Ethik betrachtet werden. Besonders misslich ist mit Bezug auf unseren Gegenstand zudem, dass manche der zentralen Begriffe der philosophischen Ethik auch in der Alltagssprache verwendet werden, dort aber eine andere Bedeutung haben.
Da es aussichtslos ist, eine Terminologie zu finden, die mit allen anderen, die im Gebrauch sind, in Einklang gebracht werden kann, besteht unsere einzige Möglichkeit darin, eine Begrifflichkeit festzulegen und sie konsequent zu verwenden. Wo immer dies im Laufe dieser Einführung notwendig wird, werden wir solche Festlegungen vornehmen. Zwei Unterscheidungen sind für unsere Überlegungen von Beginn an zentral; es handelt sich erstens um eine Ebenen- und zweitens um eine Perspektivenunterscheidung.
a) Die drei Ebenen der philosophischen Ethik
Ebenen
Auch wenn über das genaue Verhältnis der Ebenen zueinander gestritten wird, hat sich die Unterscheidung dreier Ebenen eingebürgert (vergleiche [I-2], S. 39–43). Man unterscheidet voneinander. Notwendig wird diese Unterscheidung, weil sich auf diesen drei Ebenen verschiedene Typen von Aussagen finden.
– die deskriptive Ethik
– die normative Ethik
– die Metaethik
Deskriptive Ethik
Beschreibt beispielsweise ein Historiker, welche Sitten im Römischen Reich galten, dann stellt er selbst keine normativen Behauptungen auf. Wer feststellt, dass es in einer Gesellschaft verboten ist, Schweinefleisch zu essen, der formuliert eine empirische Aussage, behauptet aber selbst nicht, dass man kein Schweinefleisch essen sollte. Gleiches gilt, wenn jemand behauptet, dass der Suizid nach christlicher Vorstellung eine Todsünde darstellt. Oder wenn darauf hingewiesen wird, dass die Freiheit von Forschung und Lehre in der Bundesrepublik Deutschland verfassungsrechtlich geschützt ist. In keinem dieser Fälle liegt eine normative Aussage vor.
Empirische Untersuchungen dieser Art werden in der Literatur zumeist deskriptive Ethik genannt. Aussagen aus diesem Bereich spielen in der philosophischen Ethik zwar auch eine Rolle. Aber im Grunde handelt es sich hierbei erstens nicht um eine philosophische, sondern eben um eine empirische Disziplin (z.B. die Ethnologie, die Soziologie oder die Geschichtswissenschaft). Zweitens geht es auf dieser Ebene nicht um normative Fragen, Behauptungen oder Begründungen. Ich möchte daher für diese Ebene den Begriff der Ethik gar nicht verwenden, weil die eingangs dieses Kapitels formulierten Grundfragen hier keine Rolle spielen.
Normative Ethik
Auf der Grundlage der bisherigen Charakterisierung von Ethik ist klar, dass die Charakterisierung „normative Ethik“ genauso redundant ist wie die Charakterisierung „unverheirateter Junggeselle“. Ethik hat es per definitionem mit normativen Aussagen zu tun. Sie stellt normative Behauptungen auf, analysiert normative Behauptungen, die wir in unserer alltäglichen ethischen Praxis formulieren oder die in anderen Ethiktheorien aufgestellt werden, und fragt nach den Begründungen für diese Behauptungen (einen Grenzfall stellt hier der ethische Nonkognitivismus dar, mit dem wir uns im dritten Kapitel ausführlich beschäftigen werden). Die Unterscheidung zwischen „deskriptiv“ und „normativ“ ist jedoch auf jeden Fall sinnvoll zur Charakterisierung von Aussagen. Denn natürlich können deskriptive Aussagen auch in der philosophischen Ethik vorkommen. Deshalb wird von nun an stets von Ethik im Sinne einer philosophischen normativen Ethik die Rede sein. Während die Unterscheidung von deskriptiver und normativer Ethik, im Unterschied zur Unterscheidung zwischen normativen und deskriptiven Aussagen, im weiteren Verlauf unserer Überlegungen damit keine Rolle mehr spielt, werde ich gelegentlich den qualifizierenden Zusatz „philosophische“ Ethik weiter verwenden. Dies dient zum einen der Abgrenzung zur alltäglichen Ethik, d.h. zur Betonung des systematisierenden und reflexiven Charakters der philosophischen Ethik als einer normativen Theorie. Zum anderen soll diese Kennzeichnung auch hervorheben, dass es um eine Ethik geht, die eine philosophische Begründung, im Gegensatz etwa zu einer theologischen Begründung, anstrebt. Wenn im Folgenden also der Begriff der Ethik ohne weiteren qualifizierenden Zusatz verwendet wird, dann ist stets die normative Disziplin der philosophischen Ethik gemeint.
Metaethik
Als drittes muss man eine besondere Art von Behauptungen kennzeichnen, in denen Aussagen über die Grundbegriffe und die Begründungsformen der Ethik gemacht werden. Diese Aussagen formulieren auf der einen Seite keine normativen Forderungen, beschreiben auf der anderen Seite jedoch auch keine faktischen Normensysteme. Vielmehr handelt es sich bei diesen Aussagen, die man zur Metaethik zählt, um sprachphilosophische und methodologische Aussagen, die ihrerseits mit weiter gehenden philosophischen Annahmen aus anderen Disziplinen der Philosophie verbunden sind.
Wenn man z.B. über die sprachliche Analyse der verschiedenen Verwendungsweisen von „gut“ oder „richtig“ versucht, der Eigenheit des Ethischen auf die Spur zu kommen, dann betreibt man genauso eine metaethische Untersuchung wie dann, wenn man die spezifische Form ethischer Argumentation ermitteln möchte. Gleiches gilt, wenn man versucht, den sprachlichen Charakter einer normativen ethischen Aussage philosophisch zu bestimmen. Nehmen wir die Aussage „Es ist ethisch falsch, einen unschuldigen Menschen gegen seinen Willen zu töten“. Es gibt einen metaethischen Streit darüber, ob es sich hierbei wirklich um eine behauptende Aussage handelt, mit welcher der Anspruch auf Wahrheit erhoben wird. In dieser Auseinandersetzung haben manche Philosophen die These vertreten, dass es sich bei dieser Aussage nur der Oberflächenstruktur nach um eine Behauptung handelt. In Wirklichkeit müsse man diesen Sprechakt als eine Empfehlung, als Ausdruck eines Gefühls oder als Imperativ verstehen. Ich möchte auf diese Diskussion, die uns im dritten Kapitel noch ausführlich beschäftigen wird, jetzt nicht näher eingehen. Aber sie verdeutlicht zweierlei: Erstens können sich aus Antworten auf metaethische Fragen weit reichende inhaltliche Konsequenzen ergeben. Denn ganz offensichtlich lassen sich ethische Aussagen nur dann begründen, wenn mit ihnen Wahrheitsansprüche erhoben werden. Zweitens sind diese metaethischen Aussagen selbst weder normative Aussagen noch bloße Beschreibungen faktisch akzeptierter Normensysteme.
Interdependenz von Ethik und Metaethik
Metaethische Aussagen sind daher aufgrund ihres Aussagetyps von ethischen Aussagen zu unterscheiden. Dies sollte uns jedoch nicht zu der Annahme verführen, die Ebenen der Ethik und der Metaethik wären vollkommen unabhängig voneinander. Es ist zwar richtig, dass bestimmte metaethische Annahmen einen Philosophen nicht zwangsläufig auf einen bestimmten Typ philosophischer Ethik festlegen. Viele metaethische Befunde lassen sich in unterschiedliche Ethiktypen integrieren. Andererseits legen metaethische Annahmen einen allgemeinen Rahmen für die philosophische Ethik fest, sodass die Metaethik gegenüber der philosophischen Ethik nicht vollkommen neutral ist. Die Metaethik hat Auswirkungen auf die Beantwortung der materialen Fragen der philosophischen Ethik. Die Abhängigkeit gilt dabei, und das wird zumeist zu wenig beachtet, auch in die andere Richtung. Es kann nicht sein, dass ein metaethischer Analysevorschlag, der mit den materialen Überzeugungen der (philosophischen) Ethik unverträglich ist, in jedem Fall als verbindlicher Rahmen angesehen werden muss. Ein Widerspruch zwischen Ethik und Metaethik muss nicht automatisch zugunsten der Metaethik aufgelöst werden. Dies würde nur gelten, wenn metaethische Aussagen den gleichen Status hätten wie logische Aussagen. Da die Metaethik aber, anders als die Logik, inhaltlich nicht neutral ist, muss im Konfliktfall jeweils überlegt werden, auf welcher Ebene Korrekturen vorzunehmen sind.
Weil die philosophische Ethik, anders als die alltägliche Ethik, den Anspruch einer Systematisierung und theoretischen Durchdringung hat, kann sie auf die Metaethik nicht verzichten. Deshalb wurde vorhin die Frage nach der Beschaffenheit unserer ethischen Grundbegriffe und Begründungen als dritte Grundfrage der philosophischen Ethik angeführt. Es wird sich im weiteren Verlauf unserer Überlegungen zeigen, dass es zu einem großen Teil divergierende metaethische Überzeugungen sind, aufgrund derer sich die unterschiedlichen philosophischen Theorien voneinander unterscheiden. Vor allem im zwanzigsten Jahrhundert haben die metaethischen Auseinandersetzungen die Hauptrolle gespielt bei der Ausdifferenzierung unterschiedlicher philosophischer Ethiken.
b) Zwei Perspektiven
Perspektiven
Damit kommen wir zur Unterscheidung zweier Perspektiven, die für unsere weiteren Überlegungen relevant werden wird. Es handelt sich um die Unterscheidung zwischen einer internen und einer externen Perspektive auf die Ethik. Leider wird die Intern-Extern-Unterscheidung ebenfalls in verschiedenen Bedeutungen verwendet. Oben war bereits in Bezug auf das Begründungsproblem von einer externen Begründung im Sinne einer Begründung der Ethik ohne Rückgriff auf ethische Begriffe oder ethische Annahmen die Rede. Ganz generell kann man zwischen einer internen und einer externen Perspektive auf die Ethik als einer Lebensform unterscheiden.
Eine interne Perspektive wird immer dann eingenommen, wenn einzelne Handlungen oder ethische Aussagen unter Rückgriff auf andere ethische Annahmen begründet oder gerechtfertigt werden. Diese Perspektive löst sich nur dann auf, wenn man für die gesamte ethische Begrifflichkeit auf der Ebene der Metaethik eine naturalistische Analyse vorschlägt. Ob sich eine solche naturalistische Konzeption plausibel machen lässt, wird später zu erörtern sein (vgl. Kap. VII).
Eine externe Perspektive beruht demgegenüber darauf, eine Erklärung oder Begründung ethischer Einstellungen, Handlungen oder sozialer Praktiken zu geben, die selbst nicht mehr im Rahmen der Ethik formuliert wird. Auch diese Charakterisierung gilt nur unter der Voraussetzung, dass sich die ethische Begrifflichkeit nicht naturalisieren lässt.
Prominente Beispiele für eine solche externe Perspektive sind zum einen ideologiekritische Entlarvungsargumente des Typs: Ein ethischer Diskurs ist nur die Verschleierung der wahren ökonomischen Interessen. Ethische Argumente und Begründungen sind, selbst wenn die Individuen daran glauben, nicht wahr, weil die eigentliche Motivation durch die ökonomischen Interessen bestimmt wird. Zum anderen stellt die evolutionäre Ethik – zumindest in einer Lesart (vgl. Kap. VII, 2 und 3) – ein Musterbeispiel für die externe Perspektive dar. Hier werden die ethischen Einstellungen und Überzeugungen sowie die ethische soziale Praxis als evolutionäre Strategie gedeutet. Die Ethik als individuelle Verhaltensweise oder als kollektive Strategie ist deshalb sinnvoll und begründbar, weil sie insgesamt der Verbreitung der eigenen Gene oder der Arterhaltung dienen. Eine dritte Ethikkonzeption, in der unsere Unterscheidung von interner und externer Perspektive hinfällig wird, beruht auf der Annahme, dass sich ethische Anforderungen explizieren lassen in Begriffen einer moralfreien Rationalität, die auf das Eigeninteresse des Handelnden ausgerichtet ist (vgl. dazu Kapitel IV). In einer solchen Konzeption gibt es eine Reduktion des Ethischen auf ethikfreie aufgeklärte Rationalität, sodass sich die Grundfragen der Ethik in einer Begrifflichkeit beantworten lassen, die selbst nicht Teil der Ethik ist. Zwar stellt diese Konzeption keinen ethischen Naturalismus dar, weil sich der Begriff der Rationalität nicht naturwissenschaftlich fassen lässt. Zugleich steckt in dem Reduktionsprogramm jedoch die Vorstellung, die Ethik insgesamt in der externen Perspektive zu erfassen.
Wir können an dieser Stelle über den Sinn und Unsinn dieser Ansätze nicht diskutieren. Vielleicht sind die ersten beiden Forschungsprojekte unplausibel, vielleicht lassen sich auf diese Weise aber auch bedeutsame Einsichten gewinnen. Wichtig ist für den Augenblick nur, dass es sich bei ihnen klarerweise um eine externe Perspektive handelt. Dies wird schon daran deutlich, dass sie die erste Grundfrage der philosophischen Ethik gar nicht behandeln können. Wer wissen möchte, ob die Handlung A oder die Handlung B ethisch richtig ist, dem helfen ideologiekritische oder evolutionsbiologische Erklärungen seiner ethischen Grundeinstellung nicht weiter. Sie können höchstens dazu führen, dass der Betreffende aufhört, seine Frage zu stellen. Wer danach fragt, welche Handlung ethisch richtig ist, und wer nach einer ethischen Begründung fragt, der setzt klarerweise die interne Perspektive voraus und erwartet damit auch eine Antwort innerhalb der Ethik, keine Erklärung für die Ethik von außen. Die externe Perspektive auf die Ethik als ganze ist damit ungeeignet, die konkreten Grundfragen der Ethik zu beantworten. Dies gilt für den dritten Weg einer Reduktion des Ethischen auf das aufgeklärte Eigeninteresse nicht in dieser Form, weil hier ja eine Übersetzung unserer ethischen Begrifflichkeit in eine andere normative Begrifflichkeit vorgeschlagen wird. Da wir von unserem Vorverständnis aus jedoch zwischen unserem Eigeninteresse und den Anforderungen der Ethik an uns einen Unterschied machen, ist die Antwort dieser Ethikkonzeption auf die ersten beiden Grundfragen der Ethik zumindest überraschend.
Weil die Diskussion der Konzeption des aufgeklärten Eigeninteresses (in Kapitel IV) und des ethischen Naturalismus (in Kapitel VII) noch aussteht, bleibt an dieser Stelle dreierlei festzuhalten. Erstens ist die Unterscheidung zwischen einer internen und einer externen Perspektive heuristischer Natur, da sie sich nur dann sinnvoll aufrecht erhalten lässt, wenn die diversen Reduktionsstrategien, in denen unsere ethische Begrifflichkeit auf etwas Außerethisches zurückgeführt wird, mit guten Gründen zurückgewiesen werden können. Daraus ergibt sich zweitens, dass die argumentative Inanspruchnahme dieser Unterscheidung zwischen einer internen und einer externen Perspektive inhaltlich keine neutrale Differenzierung ist (sie ist damit ein Beispiel für die inhaltliche Bedeutsamkeit metaethischer Überlegungen). Schließlich ist diese heuristische Unterscheidung drittens dadurch gerechtfertigt, dass sie eine Differenz artikuliert, die wir in unserem alltäglichen ethischen Selbstverständnis in der Regel voraussetzen.