Читать книгу Einführung in die allgemeine Ethik - Michael Quante - Страница 17
3. Das Gute: der grundlegende Wertbegriff
Оглавление„gut“ als fundamentaler Wertbegriff
Es gibt viele Wertbegriffe, aber unbestritten stellt „gut“ den fundamentalsten von ihnen dar. Daher werden wir uns auf diesen Begriff beschränken und versuchen, die Untersuchung möglichst parallel zu den deontischen Grundbegriffen zu halten. Wie dort müssen wir auch hier zwischen einem weiten Begriff des Guten und einem engen Begriff im Sinne des ethisch Guten unterscheiden. So wie der Begriff des Wertes umfassender ist als der des ethischen Wertes, so umfasst „gut“ mehr als nur das ethisch Gute. Wie sich zeigen wird, lässt sich das ethisch Gute jedoch nicht allein aufgrund metaethischer Kriterien vom außerethisch Guten abgrenzen. Vielmehr bedarf es hierzu inhaltlicher Überlegungen, worin das ethisch Gute besteht. Da wir uns in diesem Kapitel jedoch nicht auf diese Fragen einlassen werden, halten wir uns in der Analyse primär an den weiten Begriff des Guten.
Im Gegensatz zu der weit verbreiteten Einschränkung des Bereichs von „geboten“ auf Handlungen bzw. Handlungsweisen zeichnet sich „gut“ dadurch aus, dass es von Handlungen, Handlungsweisen, Absichten, Dingen oder Sachverhalten gleichermaßen ausgesagt wird. Wenn wir im Folgenden davon sprechen, dass ein Gegenstand als „gut“ klassifiziert wird, dann soll „Gegenstand“ in einem weiten Sinn verwendet werden, unter den die gerade genannten Arten von Entitäten fallen.
a) Die verschiedenen Verwendungsarten von „gut”
Verwendungsarten
Zu unterscheiden ist erstens zwischen der klassifikatorischen, der komparativen und der metrischen Verwendung des Wertbegriffs „gut“ (vergleiche dazu auch die Darstellung in [II-5], S. 10–20). In der klassifikatorischen Verwendung wird ein Gegenstand als gut, als schlecht oder als indifferent charakterisiert. „A ist schlecht“ lässt sich definieren als „non-A ist gut“, und „A ist indifferent“ lässt sich definieren als „Es ist nicht der Fall, dass A gut ist, und es ist nicht der Fall, dass non-A gut ist“. Daher können wir „gut“ als einzigen Grundbegriff der klassifikatorischen Verwendung von „gut“ ansetzen. In der komparativen Verwendung des Wertbegriffs „gut“ werden Vergleiche angestellt, indem ein Gegenstand als besser, schlechter oder als ebenso gut wie ein anderer Gegenstand bestimmt wird. In einem metrischen Sinne verwendet man den Wertbegriff „gut“ dann, wenn man die Güte eines Gegenstands quantitativ, d.h. durch die Zuordnung von Zahlen, zum Ausdruck bringt. Wir beschränken unsere weitere Analyse auf die klassifikatorische Verwendung von „gut“, den wir damit als Grundbegriff der klassifikatorischen Wertbegriffe ansetzen. Doch auch innerhalb dieses Bereichs lassen sich noch weitere Verwendungsarten unterscheiden.
Auf der grammatischen Ebene lässt sich die Verwendungsvielfalt von „gut“ durch die folgenden Aussagen verdeutlichen:
(17) Gesundheit ist ein hohes Gut.
(18) Dorothee spielt gut Klavier.
(19) Dies ist ein gutes Fahrrad.
In (17) wird „gut“ im substantivischen Sinne gebraucht; ein Gegenstand wird damit als ein Gut bezeichnet. In (18) wird „gut“ im adverbialen Sinn, d.h. zur näheren Qualifikation einer Tätigkeit, verwendet. In (19) wird „gut“ dagegen im adjektivischen Sinn gebraucht.
Gemeinsam ist diesen Aussagen, dass „gut“ verwendet wird, um einen Gegenstand zu empfehlen, eine Handlungsweise positiv zu charakterisieren oder eine Handlung zu loben. Eine solche Empfehlung ist, weil wir in diesem Kapitel den ethischen Kognitivismus voraussetzen, nicht mit der Expression einer Emotion (z.B. „Ah, ist das angenehm!”) gleichzusetzen. Empfehlungen verweisen, anders als Expressionen von Emotionen, auf Gründe im Sinne von Begründungen (vgl. dazu Kapitel IX). Ein Gegenstand wird empfohlen, weil er gut ist. Seine Güte dient als Rechtfertigung für die Empfehlung, nicht die Empfehlung als Erklärung für seine Güte.
In diesem Begründungsverhältnis liegt auch der sachliche Grund dafür, dass man zwischen „ist gut“ und „wird für gut gehalten“ überhaupt unterscheiden kann. Denn diese Unterscheidung setzt voraus, dass Irrtum möglich ist, also ein Subjekt etwas für gut hält, obwohl es nicht gut ist. Dies ist aber nur denkbar, wenn es Kriterien der intersubjektiven Begründbarkeit unserer Wertaussagen gibt, auf deren Grundlage man einen Irrtum erkennen und nachweisen kann. Bevor wir uns jedoch den verschiedenen Arten von Gründen, aufgrund derer ein mit „gut“ operierendes Werturteil ausgesprochen werden kann, zuwenden können, müssen wir uns erst noch mit einer zentralen Unterscheidung vertraut machen.
Attributive versus prädikative Adjektive
Im adjektivischen Sinn wird „gut“ als Attribut gebraucht. Hier muss man allerdings zwischen prädikativen und attributiven Adjektiven unterscheiden. Die damit gemeinte Differenz lässt sich verdeutlichen, wenn wir die folgenden beiden Aussagen miteinander vergleichen:
(19) Dies ist ein gutes Fahrrad.
(20) Dies ist ein grüner Apfel.
An der Oberfläche haben beide Sätze die gleiche Struktur. Bei näherem Hinsehen könnte hier allerdings ein gravierender Unterschied vorliegen (siehe dazu [II-8]). Der Satz (20) lässt sich problemlos in eine Konjunktion zweier Aussagen zerlegen:
(20*) (i) Dies ist ein Apfel. & (ii) Dies ist grün.
Versucht man dasselbe auch mit (19), dann erhält man
(19*) (i) Dies ist ein Fahrrad. & (ii) Dies ist gut.
Prädikate wie „grün“, bei denen eine solche Zerlegung zulässig ist, werden prädikative Adjektive genannt; solche Prädikate, bei denen das nicht geht, heißen attributive Adjektive. Nach der Zerlegung von (19) steht „gut“ auf einmal alleine als grammatisches Prädikat da, d.h., es wird prädikativ verwendet, indem es mit der Kopula „sein“ das Prädikat des Satzes bildet.
„gut“ als prädikatives Adjektiv?
Unter Philosophen ist strittig, ob die prädikative Verwendung von „gut“ in einigen Fällen Sinn macht (dies wird z.B. vertreten in [II-5], S. 11), oder ob sie stets zurückzuweisen ist. Viele gehen davon aus, dass eine prädikative Verwendung von „gut“ unzulässig ist, weil „gut“ niemals als alleiniges grammatisches Prädikat vorkommen kann (diese Behauptung findet sich z.B. in [II-4], S. 55). Der für diese Behauptung zumeist angeführte Grund ist, dass wir über keine Kriterien zur Anwendung (und damit zur Rechtfertigung unseres Urteils) verfügen. Aussagen der Art
(21) X ist gut.
sind unter dieser Voraussetzung unsinnig. Andere Philosophen dagegen verwenden diese Differenz der prädikativen und attributiven Verwendung von „gut“ als Merkmal, um den ethischen vom nichtethischen Gebrauch von „gut“ zu unterscheiden. Bei den attributiven Verwendungen von „gut“, die sich nicht prädikativ deuten lassen, ergeben sich die Kriterien der Anwendung aus dem zugehörigen Gegenstand (also z.B. dem Fahrrad in (19)). Die Kriterien, aufgrund derer ein Fahrrad als gut bezeichnet werden kann, unterscheiden sich ganz offensichtlich von denjenigen, aufgrund derer z.B. ein Gedicht als „gut“ zu beurteilen ist. Wenn man für die Ethik verlangt, dass ihre Grundbegriffe nicht in diesem Sinne abhängig oder kontextsensitiv sind, dann zeichnet sich die ethische vor der außerethischen Verwendung von „gut“ gerade dadurch aus, dass „gut“ als prädikatives Attribut bestimmt wird.
Grenzen metaethischer Analysen
An dieser Stelle wird deutlich, dass eine rein metaethische Analyse unabhängig von weiter gehenden Annahmen für die Ethik nicht ausreichend sein kann. Denn man sieht es dem Satz (21) nicht an, dass er irgendwie defekt ist. Moore hat ihn im Gegenteil sogar für den basalsten Satz der Ethik überhaupt gehalten. Ihm zufolge funktioniert „ist gut“ ganz parallel zu „ist gelb“. Beide schreiben einem Gegenstand eine Eigenschaft zu, die selbst nicht mehr weiter zerlegbar ist. Nur dass es sich bei „gelb“ um eine natürliche, bei „gut“ dagegen um eine nichtnatürliche Eigenschaft handelt. Kritiker seiner Position behaupten dagegen, dass wir für die Zuschreibung von „ist gut“, d.h. für die prädikativ-adjektivische Verwendung keine Anwendungskriterien haben, sodass wir über „ist gut“ in diesem Sinne nicht kontrolliert verfügen können. Zumeist übersieht dieser Einwand jedoch, dass wir es in der Ethik nicht nur mit Begründung, sondern eben auch mit Wahrnehmung zu tun haben. Wie wir in späteren Kapiteln noch sehen werden, beruht die gerade erwähnte Kritik an Moore in der Regel auf der Ablehnung des ethischen Realismus. Umgekehrt ist Moores Schluss auf die Existenz einer nichtnatürlichen Eigenschaft „gut“ nicht zwingend, da er den Unterschied zwischen der attributiv- und der prädikativ-adjektivischen Verwendung übersehen hat. Deshalb konnte er sich gegen den obigen Einwand auch nicht absichern. Allerdings ist mit der bloßen Einführung dieser Unterscheidung allein noch nicht gezeigt, dass „gut“ kein prädikatives Adjektiv sein kann und „ist gut“ kein sinnvoller Ausdruck ist. Um dies zu begründen, muss man auf weitere Annahmen zurückgreifen. Auf der Ebene der Metaethik allein wird sich diese Frage nicht beantworten lassen.
b) Kriterien der Anwendung
Vielfalt der Gutheit
Nicht nur auf der grammatischen, sondern auch auf der inhaltlichen Ebene zeichnet sich „gut“ durch eine enorme Verwendungsbreite aus. Georg H. von Wright (1916–2003) hat deshalb von einer Vielfalt der Gutheit gesprochen. Es kann allgemein als Konsens unter Philosophen angesehen werden, dass sich hinter „gut“ eine komplexe Vielfalt verschiedener inhaltlicher Verwendungen verbirgt. Dies erkennt man z.B. schon daran, durch welche alternativen Ausdrücke sich „gut“ in den verschiedenen Kontexten ersetzen lässt. Wenn man davon spricht, dass etwas gut riecht, dann kann man „gut“ problemlos durch „angenehm“ ersetzen, in dem Ausdruck „gute Klausur“ dagegen nicht. Die unterschiedlichen Versuche, eine Ordnung in diese Vielfalt zu bringen, lassen sich in zwei Gruppen einordnen. Die einen orientieren sich primär an den inhaltlichen Verwendungskontexten, die anderen versuchen, allgemeinere Bestimmungen als Klassifikationskriterien heranzuziehen.
In seiner philosophischen Analyse dieser Vielfalt unterscheidet von Wright die verschiedenen Verwendungsarten nach den inhaltlichen Kontexten, in denen „gut“ gebraucht wird (vergleiche [II-9], S. 8–12). Instrumentelle Güte („ein gutes Auto”) bezeichnet z.B. die Geeignetheit eines Artefakts zur Erfüllung bestimmter Zwecke. Technische Güte („gutes Klavierspielen“) besteht darin, dass eine Tätigkeit in ausgezeichneter Weise ausgeführt wird. Mit der medizinischen Güte liegt ein Sonderfall vor, der auf die richtige Funktionsweise von Organen als Beitrag zur Gesundheit (im negativen Fall: zur Krankheit) abhebt. Generalisiert erhält man Güte im Sinne des Wohlergehens, womit in der Regel der gute Gesamtzustand eines Lebewesens gemeint ist. Allgemeiner kann man dann Güte im Sinne des Förderlichen gebrauchen (z.B. „Frische Luft ist gut.“). Noch allgemeiner wird „gut“ verwendet, wenn es die Nützlichkeit eines Gegenstandes bezeichnet, als geeignetes Mittel zu einem Zweck eingesetzt werden zu können. Eine in der Geschichte der Ethik besonders relevante Art der Güte ist das hedonisch Gute, welches sich auf die angenehmen (oder unangenehmen) Empfindungen bezieht, die ein Gegenstand in einem Subjekt hervorrufen kann (z.B. „Schokoladeneis ist gut.”). Wenn man es nicht auf eine der anderen Formen des Guten reduzieren kann, dann ist schließlich auch noch das ethisch Gute als gesonderter Fall von „gut“ zu betrachten (ob eine solche Reduktion des ethisch Guten auf eine der anderen Arten von Güte möglich ist, wird uns in den nächsten Kapiteln noch beschäftigen).
Neben dieser auf inhaltliche Kontexte ausgerichteten Auflistung der unterschiedlichen Verwendungsweisen von „gut“ findet man in der Philosophiegeschichte auch zahlreiche Versuche, diese Vielfalt durch ein abstrakteres Klassifikationssystem zu ordnen. William K. Frankena (*1908) hat die Hauptunterscheidungen, die dabei entwickelt worden sind, repräsentativ zusammengefasst. Er führt mit dem inhärenten Wert, der von Wrights hedonischem Guten entspricht, und dem moralischen Wert auch zwei inhaltliche Kategorien an, die wir an dieser Stelle ignorieren können (vergleiche [II-10], S. 100). So bereinigt ergibt sich folgende Liste:
– Gebrauchswert; – instrumenteller Wert;
– Intrinsischer Wert;
– Wert im Bestandteilsinn;
– Endwert.
Der Gebrauchswert bezeichnet den Nutzen eines Gegenstands für die Realisierung eines gegebenen Zwecks, und mit dem instrumentellen Wert ist gemeint, dass ein Gegenstand als Mittel zu etwas geeignet ist. Der intrinsische Wert steht für den Wert, der einem Gegenstand aus sich heraus zukommt. Damit ist gemeint, dass die Güte dieses Gegenstandes nicht abhängt von irgendwelchen anderen Gegenständen (z.B. äußeren Zwecken, Interessen). Im Bestandteilsinn ist ein Gegenstand gut, weil er Bestandteil eines anderen guten Gegenstandes ist. Wenn z.B. die Beschäftigung mit philosophischer Ethik ein wesentlicher Bestandteil eines guten Lebens ist, dann kommt dieser Beschäftigung Wert im Bestandteilsinn zu. Unter dem Endwert versteht man dann die Güte, die einem Gegenstand unter Einbeziehung aller Aspekte, Eigenschaften und Umstände zukommt. Denn es kann sein, dass etwas in sich inhärent negativ zu bewerten ist, im Blick auf seine Folgen aber einen positiven Endwert zugesprochen bekommt (z.B. eine schmerzhafte Zahnoperation, die insgesamt der Gesundheit dient).
Verschiedene Bedeutungen von „gut“ nicht exklusiv
Das letzte Beispiel verdeutlicht bereits, dass eine Systematisierung der verschiedenen Arten des Gutseins schwierig ist. Erstens gibt es diese große Vielzahl der möglichen Bedeutungen von „gut“ und der möglichen Hinsichten bzw. Kriterien, aufgrund derer die Charakterisierung eines Gegenstands als gut gerechtfertigt werden kann. Erschwerend kommt zweitens hinzu, dass ein Gegenstand gleichzeitig gut in mehreren dieser Bedeutungen sein kann. Ohne weiter gehende Argumente schließt nichts aus, dass z.B. maßvolles Joggen sowohl instrumentell gut ist, weil es zur Gesundheit beiträgt, als zugleich auch inhärent gut ist, weil es positive Empfindungen verursacht. Wissenserwerb ist möglicherweise sogar ein Gut in allen oben angeführten Bedeutungen. Drittens ist diese Kriterienvielfalt deshalb problematisch, weil unter den Philosophen nahezu zwangsläufig Streit darüber entstanden ist, ob sich wirklich alle Unterscheidungen halten lassen. Manche lassen die Trennung von instrumentellem Wert und Endwert nicht gelten, andere führen Einwände gegen die These an, es gebe intrinsische Werte. Zentral für die gesamte Analyse der ethischen Begrifflichkeit ist dabei, ob man wie z.B. von Wright (vergleiche [II-9], S. 17f.) von der Annahme ausgeht, dass der Begriff des ethisch Guten nur im Kontext der nichtethischen Verwendungen von „gut“ inhaltlich bestimmt werden kann, oder ob man die Prämisse voraussetzt, dass sich die grundlegenden Wertbegriffe der Ethik ohne eine solche Einbindung aus sich selbst heraus analysieren lassen. Die eine oder andere dieser Streitigkeiten, die allesamt nicht rein metaethischer Natur sind, wird uns im Laufe dieser Einführung noch beschäftigen. In diesem Kapitel ging es aber nur darum, einen Überblick über die Vielfalt der Verwendungsarten von „gut“ und die unterschiedlichen Arten ihrer Begründung zu gewinnen.