Читать книгу Einführung in die allgemeine Ethik - Michael Quante - Страница 9
1. Einleitung
ОглавлениеEthik ist gegenwärtig in aller Munde. Sie füllt Feuilletons, Talk Shows und gelehrte Abhandlungen, ruft Ethik-Kommissionen und Ethik-Beiräte hervor. Die drängenden Probleme der Zeit – sei es die wieder aktuelle Frage nach gerechten oder zumindest gerechtfertigten Kriegen, seien es die vielfältigen Probleme der Medizin und Biotechnologien – bringen einen tiefgreifenden ethischen Orientierungsbedarf mit sich. Ethik scheint etwas für Experten zu sein, eine schwierige Sache, bei der zu befürchten steht, dass sie trotz ihrer Komplexität nicht in der Lage ist, die anstehenden Probleme in den Griff zu bekommen. Ethik scheint daher mit schwierigen Fällen oder extremen Problemen befasst zu sein. Sie scheint sowohl von ihrem Gegenstand wie auch von ihrer Methodik her eine Spezialdisziplin zu sein, die uns zwar alle mehr oder weniger direkt betrifft, aber doch an Experten delegiert wird.
Ethik ist jedoch auch alltäglich. Jeder von uns reagiert mit Empörung auf manches, was ihm angetan wird, oder auf Berichte darüber, was anderen widerfahren ist. Wir loben den selbstlosen Einsatz für eine gute Sache genauso wie die umsichtige Sorge für Freunde oder Verwandte. Die meisten von uns fragen sich gelegentlich, ob sie ihrem Leben diese oder jene Wendung geben, ob sie dies tun oder jenes lassen sollten. Manchmal fragen wir uns, ob wir das Richtige getan haben, ob wir in der Lage sind, unsere Entscheidungen und Handlungen vor uns selbst und vor allem auch vor anderen zu begründen.
Wir verlangen von anderen, dass sie uns gerecht behandeln, dass sie die Regeln der Höflichkeit einhalten und uns Respekt entgegenbringen. Geschieht dies nicht, fordern wir die Einhaltung der entsprechenden Regeln und Verhaltensnormen ein, durch die uns eine angemessene Behandlung zuteil werden kann. Wir verstehen, wenn andere unser Verhalten als ethisch falsch oder ungerecht kritisieren. Zumeist versuchen wir dann, entweder eine Rechtfertigung oder zumindest eine Entschuldigung vorzubringen. Oder wir sehen, wenn auch vielleicht nur insgeheim, ein, dass wir einen Fehler gemacht haben. Aber nicht nur Handeln gegenüber anderen bewerten wir auf diese Weise. Wir kritisieren auch, wenn jemand sein Talent verschwendet, mit seiner Gesundheit oder seiner beruflichen Zukunft verantwortungslos umgeht. Zumeist verstehen wir auch sehr gut, wenn andere unsere eigene Lebensführung unter dieser Perspektive kritisieren. Man kann Rauchern vorhalten, dass sie die Gesundheit anderer schädigen. Man kann Rasern im Straßenverkehr vorhalten, dass Sie andere gefährden. Man wird ihnen aber auch dann, wenn sie nur sich selbst schaden oder sich selbst leichtsinnig gefährden, Vorwürfe machen.
Wir sind, mit anderen Worten, Sender und Empfänger ethischer Bewertungen wie Lob und Tadel; wir sind Subjekte und Objekte ethischer Einstellungen. Ethik ist, so betrachtet, etwas Alltägliches und Vertrautes: eine, nein, unsere Lebensform. Und dennoch: Kommt es zur Frage nach der Möglichkeit von Ethik, dann sind viele skeptisch. Gerade die Betrachtung der Früchte, die der eingangs erwähnte Ethikboom mit sich bringt, nährt diese Skepsis. Ethische Orientierung in diesen Zeiten ist schwer, die Begründung ethischer Ansprüche scheint vielen sogar unmöglich zu sein.
Ziel des Buches
Mit dieser Einführung soll ein Überblick über die Schwierigkeiten und Möglichkeiten der philosophischen Ethik gegeben werden. Die Gründe für die weit verbreitete Skepsis gegenüber der Ethik sollen ermittelt und, soweit möglich, entkräftet werden. Natürlich kann eine philosophische Einführung nicht alle Fragen beantworten. Vermutlich wird sie sogar im Endeffekt mehr Fragen aufwerfen, als sie zu beantworten vermag. Aber sie kann helfen, das eigene Denken über die wichtigsten Probleme zu klären, die wichtigsten theoretischen Weichenstellungen kennen zu lernen und die Fragen in der richtigen Weise zu stellen. Sie kann Orientierung bieten und eine Plattform, von der aus man dann gezielt weiter fragen und forschen kann.