Читать книгу Die Pferdelords 04 - Das verborgene Haus der Elfen - Michael Schenk - Страница 3
Kapitel 1
ОглавлениеMichael H. Schenk
Die Pferdelords 4
- Das verborgene Haus der Elfen -
Fantasy-Roman
© Überarbeitete Neuauflage Michael Schenk 2020
Vorwort
Die Leserschaft der Serie „Die Pferdelords“ wird im ersten Roman eine große Nähe zu den Verfilmungen von „Der-Herr-der-Ringe“ feststellen. Dies war eine Bedingung des damaligen Verlages, meine auf zwölf Bände festgelegte Reihe überhaupt zu veröffentlichen, da man sich dadurch einen größeren Umsatz versprach. Ich stand also vor der Wahl, nicht veröffentlicht zu werden oder mich dieser Forderung zu stellen. Ich entschied mich für meine „Pferdelords“ und nahm einen raschen Genozid an ihren ursprünglich gedachten Feinden, den Walven, vor, um diese durch die Orks zu ersetzen. Man möge mir diesen Eigennutz verzeihen, doch damals war dies der einzige Weg, meine Pferdelords in den Sattel zu heben.
Die Pferdelords bieten detailreiche und spannende Abenteuer, in der die Völker mit ihrer jeweils eigenen Geschichte und Kultur zum Leben erweckt werden. Wem die tatsächlichen oder scheinbaren Wiederholungen von Beschreibungen in den Bänden auffallen, der wird feststellen, dass sie die Entwicklung der Völker und ihrer Siedlungen aufgreifen, denn bei den insgesamt zwölf Bänden handelt es sich um eine Chronologie. Im Lauf der Zeit entsteht aus dem Tauschhandel eine Währung, aus dem schlichten Signalfeuer ein kompliziertes optisches Instrument, man entdeckt das Schießpulver und die Dampfmaschine sowie schließlich sogar das Luftschiff. Man begleitet den Knaben Nedeam, der schon bald als Schwertmann und Reiter und schließlich sogar als Pferdefürst an der Seite seiner Freunde steht. Man begleitet den ehrenhaften Orkkrieger Fangschlag und auch dessen hinterlistigen Gegenspieler Einohr.
Meine Leser begegnen alten und neuen Völkern, doch selbst jenen, die man zu kennen glaubt, gewinne ich manche neue Seite ab.
Es erwartet Sie also eine spannende Saga um mein Pferdevolk und ihre Freunde und Feinde.
Die Pferdelords-Reihe:
Pferdelords 01 – Der Sturm der Orks
Pferdelords 02 – Die Kristallstadt der Zwerge
Pferdelords 03 – Die Barbaren des Dünenlandes
Pferdelords 04 – Das verborgene Haus der Elfen
Pferdelords 05 – Die Korsaren von Um´briel
Pferdelords 06 – Die Paladine der toten Stadt
Pferdelords 07 – Das vergangene Reich von Jalanne
Pferdelords 08 – Das Volk der Lederschwingen
Pferdelords 09 – Die Nachtläufer des Todes
Pferdelords 10 – Die Bruderschaft des Kreuzes
Pferdelords 11 – Die Schmieden von Rumak
Pferdelords 12 – Der Ritt zu den goldenen Wolken
Mein Dank gilt dem Verlag WELTBILD, der es mir ermöglichte, die von ihm lektorierten Manuskripte für die weiteren Veröffentlichungen als e-Book zu verwenden und so dazu beitrug, dass diese Serie weiterhin im Handel erhältlich ist.
Die vorliegende Neuauflage der e-Books wurde von mir überarbeitet, ohne deren Inhalte zu verändern. Begriffe wurden vereinheitlicht und die Romane durch überarbeitete oder zusätzliche Karten ergänzt.
Viel Lesevergnügen wünscht Ihnen
Michael H. Schenk
Hinweis:
Kapitel 69: Karte der Völker, der Pferdelords-Reihe
Kapitel 70: Detailkarte "Die versteinerten Wälder und Merdonan"
Kapitel 71: Personenregister
Kapitel 72: Einige Maße und Definitionen
Kapitel 73: Vorschau auf "Die Pferdelords 5 – Die Korsaren von Umbriel"
Vor lange vergangener Zeit…
»Es missfällt mir, an der Seite der Menschenwesen zu stehen. Sie sind
schwach. Vier ihrer Häuser sind schon den Finsteren Mächten erlegen.«
Jalan-olud-Deshay hob den Blick und musterte das Funkeln der Sterne am
nächtlichen Himmel. »Die anderen drei werden bald folgen.«
Sein Freund Theon-olud-Deshay zuckte die Achseln. »Sie sind kurzlebig,
aber nicht schwach, Jalan. Du tust den Menschenwesen unrecht.«
Jalan stieß ein leises Schnauben aus. »Vor vielen Tausend Jahreswenden
streckte der Schwarze Lord mit seinen Orks die Hand erstmals nach den
Reichen der Elfen und Menschen aus. Er wurde bezwungen und in die
Finsternis zurückgeworfen. Es wäre die Zeit für die Menschenreiche gewesen,
zu erstarken, aber der Schwarze Lord machte ihnen Geschenke und verführte
sie. Habgier und Missgunst beherrschen fortan die Herzen der Menschen.
Theon, mein Freund, die menschlichen Königreiche sind dem Untergang
geweiht.«
»Nur wenn sie allein sind.« Theon lächelte sanft. »Damals kämpften Elfen
und Menschen getrennt. Doch nun stehen beide Seite an Seite. So hat es der
Hohe Rat der Häuser beschlossen.«
»Gegen meine Stimme.« Jalan betrachtete die Sternbilder.
Sie standen auf einer gewaltigen Lichtung inmitten des Waldes. Jenes
Waldes, in dem alles seinen Anfang genommen hatte. Zumindest, wenn man
es vom Standpunkt eines elfischen Wesens aus betrachtete.
Der Wald war alt, wohl älter als jedes elfische Leben. An seinen Rändern
wuchsen junge Bäume heran, die zur Mitte des Waldes hin keinen
Lebensraum gefunden hätten, denn dort standen gewaltige Stämme, die auch
zehn Männer nicht zu umfassen vermochten und deren Kronen sich
Hundertlängen über den Boden erhoben, um das notwendige Sonnenlicht
einzufangen. Zwischen diesen Stämmen herrschte oft ein dämmeriges
Zwielicht, da es den Strahlen der Sonne schwerfiel, den Boden zu erreichen,
aber es gab Pilze, die einen sanften Lichtschimmer ausstrahlten, der den
Lebewesen des Waldes genügte. Manche Stellen waren unzugänglich, denn
dort waren alte Stämme zusammengebrochen und moderten von Moos
bewachsen dem endgültigen Verfall entgegen. Ihr Humus gab Farnen,
Kräutern und einer Vielfalt von Blumen und Gräsern Nährstoffe.
Inmitten des Waldes gab es eine Reihe von Lichtungen, über welche sich
die Bäume, aus welchem Grund auch immer, nicht ausgebreitet hatten.
Bachläufe und ein breiter Fluss zogen sich durch das saftige Grün und die
Farbenpracht der Pflanzen. Selbst ein großer See fand hier Raum. Insekten
und Tiere bevölkerten den Wald und nutzten jede Nische, um zu überleben
und sich auszubreiten. Insekten wurden von Nagern gefressen und Nager von
größeren Jägern. Der größte Jäger war jedoch der Elf mit seinen Fähigkeiten,
zu planen und Waffen herzustellen. Dennoch scheuten die Lebewesen des
gewaltigen Waldes nicht vor den Elfen zurück, denn diese nahmen nur, was
sie zum Leben brauchten.
Hier, in diesem Wald, erhob sich das gewaltige Haus des Urbaums, das
elfische Haus Deshay. Das erste, älteste und stärkste Haus des Elfenvolkes.
Von hier waren die Elfen einst ausgezogen und hatten die anderen Häuser des
Waldes und der See gegründet. Mittlerweile gab es viele von ihnen, doch
keines würde je die Größe und Bedeutung des Urhauses Deshay erlangen.
»Du warst nicht da, Jalan, mein Freund, und konntest nicht am Rat
teilnehmen.« Theons Stimme nahm einen leicht erregten Unterton an. »Du
warst an den Neuen Ufern und hast sie gesehen.«
Jalan spürte die Neugier seines Freundes und wandte ihm den Blick zu.
»Zunächst muss der Hohe Rat der Häuser meine Stimme hören. Davor kann
ich nichts sagen, Theon, das weißt du. So ist es das Gesetz der Elfen.«
Jalan stieß ein leises Seufzen aus. Er beugte den Oberkörper leicht vor und
stützte sich dabei gegen den hohen Schild, den er vor sich auf den Boden der
Lichtung gestellt hatte. Im Schein der Sterne funkelten das Gold und Silber
seiner Rüstung. Polierter Stahl, wie ihn nur Hände und Feuer der Elfen zu
schmieden verstanden, und über dem Stahl breite, mit Gold beschichtete
Bänder, welche die Rüstung stark und zugleich flexibel machten. Das
wertlose Gold verlieh dem Körperpanzer zwar einen verräterischen Glanz,
schützte jedoch das darunter befindliche wertvollere Metall vor den
Witterungseinflüssen. Der Panzer bedeckte Ober- und Unterleib und wurde
über dem elfischen Gewand aus feinem Stoff getragen, das bis hinunter zu
den Knöcheln reichte. Der Stoff klaffte ein wenig auseinander und zeigte an
den Beinen Jalans den silbrigen Schimmer der Kettenglieder, aus denen der
Beinschutz bestand. Die Füße steckten in ledernen Stiefeln, deren
Vorderseiten mit Panzerschienen verstärkt waren. Auf dem Kopf trug der Elf
den hohen Helm des Hauses Deshay, der mit dem filigran gearbeiteten
Symbol eines weit verästelten Baumes geschmückt war. Nacken und
Kinnpartie waren durch verzierten Stahl geschützt. Um die Schultern des
Elfen hing der lange blaue Umhang seines Volkes, vor dem Hals mit einer
goldenen Spange verschlossen, die das Symbol des Baumes wiederholte.
Jalan seufzte erneut und legte seine rechte Hand ungeduldig um den Griff
seines leicht geschwungenen Schwertes. »Die Neuen Ufer sind voller Wunder
und Gefahren. Meine Augen haben viel gesehen, und wenn ich dem Hohen
Rat der Häuser berichtet habe, wirst auch du von mir erfahren, wie es um die
Zukunft unserer Häuser bestellt ist.«
Theon nickte und drehte sich um. Obwohl er eine Rüstung trug, machte er
dabei kaum ein Geräusch. So stark die Panzerungen auch waren, wurden sie
von elfischen Händen doch sehr leicht gebaut, wodurch sie wenig wogen und
dem Besitzer jede Bewegung erlaubten. Sie waren derart sorgfältig bearbeitet,
dass ihre Elemente fast miteinander verwoben schienen und nicht den Lärm
menschlicher Rüstungen hervorriefen.
Hinter Theon und Jalan war die große Lichtung von einem Blitzen und
Funkeln erfüllt. Es schien, als sei der Boden aus Gras und Wildblumen unter
einer golden schimmernden Wolke verschwunden, denn fünftausend elfische
Krieger standen hier voll gerüstet und warteten schweigend auf den Feind, der
nun bald kommen musste.
»Enolas ist nervös«, stellte Theon-olud-Deshay lächelnd fest.
»Es wird sein erster wirklicher Kampf.« Jalan blickte nach Osten in den
Wald, dorthin, von wo der Feind kommen musste. »Er zählt kaum hundert
Jahreswenden.«
»Ja, er ist noch jung. Und wir sind ein glückliches Haus.« Theon nickte
zufrieden. »Geburten sind selten geworden in den Häusern der Elfen, Jalan,
mein Freund. Doch unseres scheint davon nicht betroffen. Auch deine
Gemahlin wird uns bald das Geschenk machen, eine Tochter zu gebären.«
»Ja, ein glückliches Haus«, bestätigte Jalan sichtlich zufrieden. »Es scheint
ein seltsamer Fluch mit unserer Unsterblichkeit verbunden zu sein, wo doch
die anderen Häuser so wenige Kinder bekommen. Aber wir sind das Haus
Deshay, das Haus des Urbaums.«
»Hast du schon einen Namen für dein Kind?«
»Wir werden sie Llarana nennen.«
»Der warme Wind des Südens.« Theon blickte unwillkürlich in südliche
Richtung. »Ein kraftvoller Name für ein kraftvolles Jungweib.«
»So gebührt es einem kraftvollen Haus.«
Theon hob eine Hand. »Sie schweigen.«
Die Geräusche des Waldes waren bestimmt vom Rauschen des Windes in
den Blättern und Nadeln, dem Nachgeben verfallenden Holzes und den
Lauten der zahlreichen Tiere. Vor allem die Rufe der Nachtflieger schallten
weit durch den Wald, doch diese Rufe begannen nun zu verstummen.
Jalan-olud-Deshay lächelte. »Sie kommen.«
»Sie werden zahlreich sein.«
»Lass sie zahlreich sein. Sie begegnen dem Haus Deshay und elfischem
Stahl.«
Theon leckte sich über die Lippen. »Der Schwarze Lord soll Hunderte von
Legionen aufgestellt haben. Verfluchte Orkbrut.«
Jalan wandte kurz den Kopf. »Haltet euch bereit, ihr Männer des Hauses
Deshay. Der Feind wird bald da sein.«
Er hatte seine Stimme nicht erhoben, doch seine leisen Worte wanderten
durch die gestaffelten Reihen der elfischen Krieger. Die Gestalten strafften
sich ein wenig, eine Welle schien durch den goldenen Schimmer auf der
Lichtung zu gehen.
»Es werden nicht so viele sein«, mutmaßte Theon. »Die meisten Legionen
der Orks werden sich am Pass sammeln, wo sich auch die Krieger der anderen
Häuser und die der Menschen zum Kampf vereinen. Dort wird die
Entscheidung fallen. Wir sollen nur dafür sorgen, dass die nördliche Grenze
nicht fällt und kein Ork den Truppen des Bundes in den Rücken fallen kann.«
Abermals stieß Jalan ein leises Schnauben aus. »Der Bund. Die Menschen
sind schwach, sagte ich das schon?«
»Ich denke, du hast es erwähnt, mein Freund.« Theon sah aufmerksam
nach Osten. Die Augen der Orks waren lichtempfindlich, und obwohl die
Bestien auch am Tage kämpfen konnten, bevorzugten sie die Nacht. Doch die
würde ihnen diesmal keinen Schutz bieten. »Ich kann sie hören. Das Krachen
berstenden Holzes und das Scheppern ihrer Rüstungen.«
»Sie sind den Wald nicht gewohnt. Sie kennen nur die felsigen Einöden
ihrer Lande. Wir hingegen sickern durch den Wald wie Morgentau zwischen
die Gräser. Dieser Wald ist unsere Heimat, und die werden wir verteidigen.«
Theon vernahm die immer lauter werdenden Geräusche. Die Orks suchten
ihren Weg zwischen den Bäumen hindurch. Ihre Formationen würden nicht
eng geschlossen, sondern aufgerissen sein, wenn sie den Rand der Lichtung
erreichten. Obwohl die Bestien den Wald nicht kannten, würden sie die
Lichtung finden, denn elfische Krieger wiesen ihnen den Weg. Zweihundert
der besten Männer des Hauses Deshay, die den Feind immer wieder mit ihren
Pfeilen angriffen und sich dann zurückzogen, um ihn so näher und näher an
die Lichtung heranzulocken. Die elfischen Kämpfer schienen mit dem Wald
verwachsen, und so würde es den Bestien schwerfallen zu erkennen, wie viele
Gegner sich ihnen entgegenstellten. Die Orks waren nicht dumm, aber sie
waren begierig auf den Kampf und würden dem elfischen Voraustrupp ohne
Zögern folgen, bis sie der Hauptmacht des Hauses Deshay gegenüberstanden.
»Vielleicht hätten wir ein paar Krieger am Haus zurücklassen sollen«,
brummte Theon. »Nur für den Fall, dass sich ein paar Bestien verirren und es
versehentlich entdecken sollten.«
»Unsere Frauen verstehen sich nicht nur darauf, Wunden zu versorgen«,
entgegnete Jalan lakonisch. »Sie vermögen sie auch anderen zuzufügen.
Keine Sorge, Theon, mein Freund, unser Vortrupp wird sie genau zur
Lichtung führen, und hier werden wir ihnen begegnen.«
Huschende Schatten waren im Sternenlicht zwischen den Bäumen zu
erkennen. Elfische Krieger hasteten auf die Lichtung und auf die dort
formierten Reihen zu, die sich kurz öffneten, um sie aufzunehmen.
»Tausende von ihnen«, rief ein Krieger Jalan zu. »Sie sind mindestens
doppelt so stark wie wir.«
Jalan schnaubte erneut. »Ihre Zahl mag groß sein. Doch so bieten sie uns
auch ein komfortables Ziel.«
Jalan freute sich nicht auf den Kampf. Denn wenn er auch nicht
bezweifelte, dass sie die Orks schlagen würden, so wären doch Verluste unter
den Elfen des Hauses Deshay unvermeidbar, und jeder davon würde
schmerzen.
Das Knacken und Brechen von Holz wurde lauter, durchmischt vom
stampfenden Schritt der Orks, deren Rufe ungedämpft durch die Nacht
schallten. Sie verbargen sich nicht, denn das war gegen ihre Art, zumal die
Bestien wussten, dass der Feind vor ihnen lag. Sie waren begierig auf den
Kampf, und von den Elfen würden sie sich holen, was den Legionen des
Schwarzen Lords gebührte.
Nun erschienen die schwarz gepanzerten Gestalten von Rundohren
zwischen den Bäumen, die beim Anblick der golden schimmernden Soldaten
auf der Lichtung zu zögern schienen. Kommandos ertönten, während die
elfischen Krieger wie erstarrt standen und schwiegen. Immer mehr Orks
drängten zwischen den Bäumen hervor und begannen sich zu formieren und
ihre Kohorten zu bilden.
»Wartet«, befahl Jalan-olud-Deshay mit erhobener Stimme und zog die
geschwungene Klinge seines Schwertes blank, während er die Kohorten
beobachtete, die immer zahlreicher wurden.
Es war die typische Formation der Orks. Die gepanzerten Rundohren, groß
und kräftig, in den vorderen Reihen, dahinter die kleineren Spitzohren. Die
Rundohren waren die Nahkämpfer, die sich mit ihren Rüstungen und
Schlagschwertern auf den Feind warfen, während die Spitzohren den Bogen
bevorzugten und im Nahkampf den Schutz ihrer größeren Brüder suchten.
»Ich hätte gedacht, sie stürmen einfach vor, sobald sie uns sehen.« Theon
schätzte die Stärke des Feindes ab. »Zwei Legionen oder drei, was meinst
du?«
»Etliche stecken noch zwischen den Bäumen.« Jalan lächelte kalt.
»Diesmal sind es keine wild stürmenden Horden mehr. Sie haben gelernt und
Disziplin erlangt.« Die in den vorderen Reihen stehenden Orks begannen
rhythmisch an ihre rechteckigen Schilde zu schlagen. »Gut, sie bringen sich in
Stimmung. Dann greifen sie gleich an.« Erneut hob er seine Stimme, und
seine Worte übertönten den Lärm der Orks. »Elfen des Hauses Deshay! Bildet
den Schildwall!«
Die ovalen hohen Schilde der Elfen wiesen an der unteren Seite zwei spitze
Dornen auf, mit denen die Krieger sie nun fest in den Waldboden rammten,
um anschließend dahinter in Deckung zu gehen. Im oberen Bereich der
Schilde befanden sich schmale Schlitze, die einem Pfeil wenig Angriffsfläche
boten, aber genug Ausblick auf den Feind zuließen.
Von den Reihen der Orks her ertönte ein Schwirren, das die Nacht zu
erfüllen schien. Im Licht der sternklaren Nacht erhoben sich Schwärme von
kurzen, schwarz gefiederten Pfeilen, die auf die elfischen Krieger
zuschnellten. Schon war das Klirren der auf die Schilde prallenden Geschosse
zu hören, durchmischt von dem gelegentlichen Schmerzensschrei eines
getroffenen Elfen.
Erneut zischten Pfeile heran, dann verdichteten sie sich zu einem endlos
scheinenden Pfeilhagel. Elfen gingen zu Boden, doch nicht genug von ihnen,
um eine Lücke in ihre Formation zu reißen. Bei den Orks wurde wütendes
Gebrüll laut.
Jalan und Theon kauerten nebeneinander hinter ihren Schilden und
grinsten einander an. »Die feigen Spitzohren würden am liebsten nur ihre
Pfeile abschießen, aber die Rundohren verlieren wohl die Geduld.«
Genau so war es auch, denn ein einzelner Schrei erhob sich nun bei den
Orks, und die Rundohren stießen begeistert ein. Aufbrüllend hasteten sie auf
die wartenden Elfen zu, die nur knapp drei Hundertlängen entfernt standen,
doch mussten sie dabei freies Gelände überwinden, auf dem Gras und Blumen
alles andere als Schutz boten.
»Pfeile«, befahl Jalan.
Aus den hinteren Reihen der Elfen erhoben sich befiederte Geschosse,
zogen über den Nachthimmel und senkten sich wieder. Elfische Stahlspitzen
durchschlugen die Eisenrüstungen von Orks und warfen die Bestien zu
Boden. In der Zeit, welche die hastenden Rundohren für die Strecke
benötigten, löste jeder Bogenschütze des Hauses Deshay fast vierzig Pfeile
und leerte so seinen Köcher.
Als die Rundohren die elfische Formation erreichten, waren ihre Kohorten
bereits geschwächt. Angriffslüstern brüllten die Bestien, erleichtert, den Feind
erreicht zu haben und sich nun nicht mehr dem treffsicheren Pfeilhagel
aussetzen zu müssen.
»Gebt ihnen Stahl«, brüllte Jalan, während er seinen Schwertarm
hochschwang und dabei ein brüllendes Rundohr von unten aufschlitzte.
Im Licht der Sterne schimmerten Rüstungen und Klingen, traf Stahl auf
Eisen, starben Elfen und Orks. Einem Beobachter hätte der Kampf als
seltsamer Tanz von Wesen erscheinen können, die sich umkreisten oder
aufeinander zuwirbelten, denn die Dunkelheit verbarg viel Grauen und gab
dem nächtlichen Tod einen unwirklichen Schein von Anmut.
Das wilde Durcheinander begann sich schließlich zu lichten und machte
einer Gruppe von Gestalten Raum, die auf den Schutz des Waldes zuhasteten,
während elfische Krieger sich unter wenigen Kommandos erneut formierten.
Jalan-olud-Deshay atmete schwer und stieß die Klinge seines Schwertes in
den Waldboden, um sie notdürftig vom dunklen Orkblut zu säubern. »Lasst
sie keinen Atem schöpfen, ihr Männer des Hauses Deshay«, rief er über die
Lichtung. »Formiert euch und jagt die Bestien zurück in die Finsteren
Abgründe, aus denen sie sich erhoben haben.«
Theon trat neben seinen Freund. Er blutete aus einer Schnittwunde am
Arm, wo ein Schlagschwert den Ringpanzer durchdrungen hatte. »Treiben wir
sie aus dem Wald hinaus, mein Freund.«
»Das werden wir«, versicherte Jalan grimmig. Er sah die Orks zwischen
die Bäume fliehen und nahm seinen Schild wieder auf. Verwirrt musste das
Oberhaupt des Hauses Deshay feststellen, dass es ihm schwerfiel, den Riemen
straffzuziehen. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass ihn im Kampf ein
Hieb getroffen hat, und doch musste es so gewesen sein. Ein wenig verärgert
wollte er den Schild senken, er würde auch ohne dessen Schutz kämpfen
können, und zwischen den eng stehenden Bäumen wäre er ohnehin eher
hinderlich.
Doch sein Arm folgte seinem Willen nicht. Ein taubes Gefühl breitete sich
aus, und als Jalan sein Schwert in die Scheide stecken wollte, um seinen
anderen Arm zu Hilfe zu nehmen, spürte er entsetzt, dass auch dieser zu
erstarren begann. Er wollte seinen Freund Theon ansehen, doch sein Blick
blieb unverwandt auf den Rand der Lichtung mit den entschwindenden Orks
gerichtet.
Starre und Taubheit breiteten sich in seinem Körper aus, und Jalan
bemerkte noch, wie ein grauer Schleier seinen Blick zu trüben begann und
sich eine seltsame Dumpfheit über seine Gedanken legte, bevor ihm die Sinne
schwanden.
Überall auf der riesigen Lichtung erstarrten die Elfenkrieger, mitten in
ihren Bewegungen, die sie begonnen hatten und nie mehr zu Ende führen
sollten. Mit der Starre senkte sich Schweigen über die Lichtung, und auch die
Stimmen des Waldes schienen verstummt.
So wich die Nacht dem Tag, und aus dem Tag wurden Jahreswenden, ohne
dass die Starre wich. Nichts schien sich auf der Lichtung zu verändern, nur
der Glanz der Rüstungen verschwand unter einer Schicht von Schmutz, die
sich allmählich über sie legte. Jahreswenden vergingen, formten sich zu
Jahrhundertwenden und ließen Legenden entstehen. Das elfische Haus
Deshay, das mächtige Haus des Urbaums, versank in den Tiefen der Zeit.