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Kapitel 1

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Michael H. Schenk

Die Pferdelords 4

- Das verborgene Haus der Elfen -

Fantasy-Roman

© Überarbeitete Neuauflage Michael Schenk 2020

Vorwort

Die Leserschaft der Serie „Die Pferdelords“ wird im ersten Roman eine große Nähe zu den Verfilmungen von „Der-Herr-der-Ringe“ feststellen. Dies war eine Bedingung des damaligen Verlages, meine auf zwölf Bände festgelegte Reihe überhaupt zu veröffentlichen, da man sich dadurch einen größeren Umsatz versprach. Ich stand also vor der Wahl, nicht veröffentlicht zu werden oder mich dieser Forderung zu stellen. Ich entschied mich für meine „Pferdelords“ und nahm einen raschen Genozid an ihren ursprünglich gedachten Feinden, den Walven, vor, um diese durch die Orks zu ersetzen. Man möge mir diesen Eigennutz verzeihen, doch damals war dies der einzige Weg, meine Pferdelords in den Sattel zu heben.

Die Pferdelords bieten detailreiche und spannende Abenteuer, in der die Völker mit ihrer jeweils eigenen Geschichte und Kultur zum Leben erweckt werden. Wem die tatsächlichen oder scheinbaren Wiederholungen von Beschreibungen in den Bänden auffallen, der wird feststellen, dass sie die Entwicklung der Völker und ihrer Siedlungen aufgreifen, denn bei den insgesamt zwölf Bänden handelt es sich um eine Chronologie. Im Lauf der Zeit entsteht aus dem Tauschhandel eine Währung, aus dem schlichten Signalfeuer ein kompliziertes optisches Instrument, man entdeckt das Schießpulver und die Dampfmaschine sowie schließlich sogar das Luftschiff. Man begleitet den Knaben Nedeam, der schon bald als Schwertmann und Reiter und schließlich sogar als Pferdefürst an der Seite seiner Freunde steht. Man begleitet den ehrenhaften Orkkrieger Fangschlag und auch dessen hinterlistigen Gegenspieler Einohr.

Meine Leser begegnen alten und neuen Völkern, doch selbst jenen, die man zu kennen glaubt, gewinne ich manche neue Seite ab.

Es erwartet Sie also eine spannende Saga um mein Pferdevolk und ihre Freunde und Feinde.

Die Pferdelords-Reihe:

Pferdelords 01 – Der Sturm der Orks

Pferdelords 02 – Die Kristallstadt der Zwerge

Pferdelords 03 – Die Barbaren des Dünenlandes

Pferdelords 04 – Das verborgene Haus der Elfen

Pferdelords 05 – Die Korsaren von Um´briel

Pferdelords 06 – Die Paladine der toten Stadt

Pferdelords 07 – Das vergangene Reich von Jalanne

Pferdelords 08 – Das Volk der Lederschwingen

Pferdelords 09 – Die Nachtläufer des Todes

Pferdelords 10 – Die Bruderschaft des Kreuzes

Pferdelords 11 – Die Schmieden von Rumak

Pferdelords 12 – Der Ritt zu den goldenen Wolken

Mein Dank gilt dem Verlag WELTBILD, der es mir ermöglichte, die von ihm lektorierten Manuskripte für die weiteren Veröffentlichungen als e-Book zu verwenden und so dazu beitrug, dass diese Serie weiterhin im Handel erhältlich ist.

Die vorliegende Neuauflage der e-Books wurde von mir überarbeitet, ohne deren Inhalte zu verändern. Begriffe wurden vereinheitlicht und die Romane durch überarbeitete oder zusätzliche Karten ergänzt.

Viel Lesevergnügen wünscht Ihnen

Michael H. Schenk

Hinweis:

Kapitel 69: Karte der Völker, der Pferdelords-Reihe

Kapitel 70: Detailkarte "Die versteinerten Wälder und Merdonan"

Kapitel 71: Personenregister

Kapitel 72: Einige Maße und Definitionen

Kapitel 73: Vorschau auf "Die Pferdelords 5 – Die Korsaren von Umbriel"





Vor lange vergangener Zeit…


»Es missfällt mir, an der Seite der Menschenwesen zu stehen. Sie sind

schwach. Vier ihrer Häuser sind schon den Finsteren Mächten erlegen.«

Jalan-olud-Deshay hob den Blick und musterte das Funkeln der Sterne am

nächtlichen Himmel. »Die anderen drei werden bald folgen.«


Sein Freund Theon-olud-Deshay zuckte die Achseln. »Sie sind kurzlebig,

aber nicht schwach, Jalan. Du tust den Menschenwesen unrecht.«


Jalan stieß ein leises Schnauben aus. »Vor vielen Tausend Jahreswenden

streckte der Schwarze Lord mit seinen Orks die Hand erstmals nach den

Reichen der Elfen und Menschen aus. Er wurde bezwungen und in die

Finsternis zurückgeworfen. Es wäre die Zeit für die Menschenreiche gewesen,

zu erstarken, aber der Schwarze Lord machte ihnen Geschenke und verführte

sie. Habgier und Missgunst beherrschen fortan die Herzen der Menschen.

Theon, mein Freund, die menschlichen Königreiche sind dem Untergang

geweiht.«


»Nur wenn sie allein sind.« Theon lächelte sanft. »Damals kämpften Elfen

und Menschen getrennt. Doch nun stehen beide Seite an Seite. So hat es der

Hohe Rat der Häuser beschlossen.«


»Gegen meine Stimme.« Jalan betrachtete die Sternbilder.


Sie standen auf einer gewaltigen Lichtung inmitten des Waldes. Jenes

Waldes, in dem alles seinen Anfang genommen hatte. Zumindest, wenn man

es vom Standpunkt eines elfischen Wesens aus betrachtete.


Der Wald war alt, wohl älter als jedes elfische Leben. An seinen Rändern

wuchsen junge Bäume heran, die zur Mitte des Waldes hin keinen

Lebensraum gefunden hätten, denn dort standen gewaltige Stämme, die auch

zehn Männer nicht zu umfassen vermochten und deren Kronen sich

Hundertlängen über den Boden erhoben, um das notwendige Sonnenlicht

einzufangen. Zwischen diesen Stämmen herrschte oft ein dämmeriges

Zwielicht, da es den Strahlen der Sonne schwerfiel, den Boden zu erreichen,

aber es gab Pilze, die einen sanften Lichtschimmer ausstrahlten, der den

Lebewesen des Waldes genügte. Manche Stellen waren unzugänglich, denn

dort waren alte Stämme zusammengebrochen und moderten von Moos

bewachsen dem endgültigen Verfall entgegen. Ihr Humus gab Farnen,

Kräutern und einer Vielfalt von Blumen und Gräsern Nährstoffe.


Inmitten des Waldes gab es eine Reihe von Lichtungen, über welche sich

die Bäume, aus welchem Grund auch immer, nicht ausgebreitet hatten.

Bachläufe und ein breiter Fluss zogen sich durch das saftige Grün und die

Farbenpracht der Pflanzen. Selbst ein großer See fand hier Raum. Insekten

und Tiere bevölkerten den Wald und nutzten jede Nische, um zu überleben

und sich auszubreiten. Insekten wurden von Nagern gefressen und Nager von

größeren Jägern. Der größte Jäger war jedoch der Elf mit seinen Fähigkeiten,

zu planen und Waffen herzustellen. Dennoch scheuten die Lebewesen des

gewaltigen Waldes nicht vor den Elfen zurück, denn diese nahmen nur, was

sie zum Leben brauchten.


Hier, in diesem Wald, erhob sich das gewaltige Haus des Urbaums, das

elfische Haus Deshay. Das erste, älteste und stärkste Haus des Elfenvolkes.

Von hier waren die Elfen einst ausgezogen und hatten die anderen Häuser des

Waldes und der See gegründet. Mittlerweile gab es viele von ihnen, doch

keines würde je die Größe und Bedeutung des Urhauses Deshay erlangen.


»Du warst nicht da, Jalan, mein Freund, und konntest nicht am Rat

teilnehmen.« Theons Stimme nahm einen leicht erregten Unterton an. »Du

warst an den Neuen Ufern und hast sie gesehen.«


Jalan spürte die Neugier seines Freundes und wandte ihm den Blick zu.

»Zunächst muss der Hohe Rat der Häuser meine Stimme hören. Davor kann

ich nichts sagen, Theon, das weißt du. So ist es das Gesetz der Elfen.«


Jalan stieß ein leises Seufzen aus. Er beugte den Oberkörper leicht vor und

stützte sich dabei gegen den hohen Schild, den er vor sich auf den Boden der

Lichtung gestellt hatte. Im Schein der Sterne funkelten das Gold und Silber

seiner Rüstung. Polierter Stahl, wie ihn nur Hände und Feuer der Elfen zu

schmieden verstanden, und über dem Stahl breite, mit Gold beschichtete

Bänder, welche die Rüstung stark und zugleich flexibel machten. Das

wertlose Gold verlieh dem Körperpanzer zwar einen verräterischen Glanz,

schützte jedoch das darunter befindliche wertvollere Metall vor den

Witterungseinflüssen. Der Panzer bedeckte Ober- und Unterleib und wurde

über dem elfischen Gewand aus feinem Stoff getragen, das bis hinunter zu

den Knöcheln reichte. Der Stoff klaffte ein wenig auseinander und zeigte an

den Beinen Jalans den silbrigen Schimmer der Kettenglieder, aus denen der

Beinschutz bestand. Die Füße steckten in ledernen Stiefeln, deren

Vorderseiten mit Panzerschienen verstärkt waren. Auf dem Kopf trug der Elf

den hohen Helm des Hauses Deshay, der mit dem filigran gearbeiteten

Symbol eines weit verästelten Baumes geschmückt war. Nacken und

Kinnpartie waren durch verzierten Stahl geschützt. Um die Schultern des

Elfen hing der lange blaue Umhang seines Volkes, vor dem Hals mit einer

goldenen Spange verschlossen, die das Symbol des Baumes wiederholte.


Jalan seufzte erneut und legte seine rechte Hand ungeduldig um den Griff

seines leicht geschwungenen Schwertes. »Die Neuen Ufer sind voller Wunder

und Gefahren. Meine Augen haben viel gesehen, und wenn ich dem Hohen

Rat der Häuser berichtet habe, wirst auch du von mir erfahren, wie es um die

Zukunft unserer Häuser bestellt ist.«


Theon nickte und drehte sich um. Obwohl er eine Rüstung trug, machte er

dabei kaum ein Geräusch. So stark die Panzerungen auch waren, wurden sie

von elfischen Händen doch sehr leicht gebaut, wodurch sie wenig wogen und

dem Besitzer jede Bewegung erlaubten. Sie waren derart sorgfältig bearbeitet,

dass ihre Elemente fast miteinander verwoben schienen und nicht den Lärm

menschlicher Rüstungen hervorriefen.


Hinter Theon und Jalan war die große Lichtung von einem Blitzen und

Funkeln erfüllt. Es schien, als sei der Boden aus Gras und Wildblumen unter

einer golden schimmernden Wolke verschwunden, denn fünftausend elfische

Krieger standen hier voll gerüstet und warteten schweigend auf den Feind, der

nun bald kommen musste.


»Enolas ist nervös«, stellte Theon-olud-Deshay lächelnd fest.


»Es wird sein erster wirklicher Kampf.« Jalan blickte nach Osten in den

Wald, dorthin, von wo der Feind kommen musste. »Er zählt kaum hundert

Jahreswenden.«


»Ja, er ist noch jung. Und wir sind ein glückliches Haus.« Theon nickte

zufrieden. »Geburten sind selten geworden in den Häusern der Elfen, Jalan,

mein Freund. Doch unseres scheint davon nicht betroffen. Auch deine

Gemahlin wird uns bald das Geschenk machen, eine Tochter zu gebären.«


»Ja, ein glückliches Haus«, bestätigte Jalan sichtlich zufrieden. »Es scheint

ein seltsamer Fluch mit unserer Unsterblichkeit verbunden zu sein, wo doch

die anderen Häuser so wenige Kinder bekommen. Aber wir sind das Haus

Deshay, das Haus des Urbaums.«


»Hast du schon einen Namen für dein Kind?«


»Wir werden sie Llarana nennen.«


»Der warme Wind des Südens.« Theon blickte unwillkürlich in südliche

Richtung. »Ein kraftvoller Name für ein kraftvolles Jungweib.«


»So gebührt es einem kraftvollen Haus.«


Theon hob eine Hand. »Sie schweigen.«


Die Geräusche des Waldes waren bestimmt vom Rauschen des Windes in

den Blättern und Nadeln, dem Nachgeben verfallenden Holzes und den

Lauten der zahlreichen Tiere. Vor allem die Rufe der Nachtflieger schallten

weit durch den Wald, doch diese Rufe begannen nun zu verstummen.


Jalan-olud-Deshay lächelte. »Sie kommen.«


»Sie werden zahlreich sein.«


»Lass sie zahlreich sein. Sie begegnen dem Haus Deshay und elfischem

Stahl.«


Theon leckte sich über die Lippen. »Der Schwarze Lord soll Hunderte von

Legionen aufgestellt haben. Verfluchte Orkbrut.«


Jalan wandte kurz den Kopf. »Haltet euch bereit, ihr Männer des Hauses

Deshay. Der Feind wird bald da sein.«


Er hatte seine Stimme nicht erhoben, doch seine leisen Worte wanderten

durch die gestaffelten Reihen der elfischen Krieger. Die Gestalten strafften

sich ein wenig, eine Welle schien durch den goldenen Schimmer auf der

Lichtung zu gehen.


»Es werden nicht so viele sein«, mutmaßte Theon. »Die meisten Legionen

der Orks werden sich am Pass sammeln, wo sich auch die Krieger der anderen

Häuser und die der Menschen zum Kampf vereinen. Dort wird die

Entscheidung fallen. Wir sollen nur dafür sorgen, dass die nördliche Grenze

nicht fällt und kein Ork den Truppen des Bundes in den Rücken fallen kann.«


Abermals stieß Jalan ein leises Schnauben aus. »Der Bund. Die Menschen

sind schwach, sagte ich das schon?«


»Ich denke, du hast es erwähnt, mein Freund.« Theon sah aufmerksam

nach Osten. Die Augen der Orks waren lichtempfindlich, und obwohl die

Bestien auch am Tage kämpfen konnten, bevorzugten sie die Nacht. Doch die

würde ihnen diesmal keinen Schutz bieten. »Ich kann sie hören. Das Krachen

berstenden Holzes und das Scheppern ihrer Rüstungen.«


»Sie sind den Wald nicht gewohnt. Sie kennen nur die felsigen Einöden

ihrer Lande. Wir hingegen sickern durch den Wald wie Morgentau zwischen

die Gräser. Dieser Wald ist unsere Heimat, und die werden wir verteidigen.«


Theon vernahm die immer lauter werdenden Geräusche. Die Orks suchten

ihren Weg zwischen den Bäumen hindurch. Ihre Formationen würden nicht

eng geschlossen, sondern aufgerissen sein, wenn sie den Rand der Lichtung

erreichten. Obwohl die Bestien den Wald nicht kannten, würden sie die

Lichtung finden, denn elfische Krieger wiesen ihnen den Weg. Zweihundert

der besten Männer des Hauses Deshay, die den Feind immer wieder mit ihren

Pfeilen angriffen und sich dann zurückzogen, um ihn so näher und näher an

die Lichtung heranzulocken. Die elfischen Kämpfer schienen mit dem Wald

verwachsen, und so würde es den Bestien schwerfallen zu erkennen, wie viele

Gegner sich ihnen entgegenstellten. Die Orks waren nicht dumm, aber sie

waren begierig auf den Kampf und würden dem elfischen Voraustrupp ohne

Zögern folgen, bis sie der Hauptmacht des Hauses Deshay gegenüberstanden.


»Vielleicht hätten wir ein paar Krieger am Haus zurücklassen sollen«,

brummte Theon. »Nur für den Fall, dass sich ein paar Bestien verirren und es

versehentlich entdecken sollten.«


»Unsere Frauen verstehen sich nicht nur darauf, Wunden zu versorgen«,

entgegnete Jalan lakonisch. »Sie vermögen sie auch anderen zuzufügen.

Keine Sorge, Theon, mein Freund, unser Vortrupp wird sie genau zur

Lichtung führen, und hier werden wir ihnen begegnen.«


Huschende Schatten waren im Sternenlicht zwischen den Bäumen zu

erkennen. Elfische Krieger hasteten auf die Lichtung und auf die dort

formierten Reihen zu, die sich kurz öffneten, um sie aufzunehmen.


»Tausende von ihnen«, rief ein Krieger Jalan zu. »Sie sind mindestens

doppelt so stark wie wir.«


Jalan schnaubte erneut. »Ihre Zahl mag groß sein. Doch so bieten sie uns

auch ein komfortables Ziel.«


Jalan freute sich nicht auf den Kampf. Denn wenn er auch nicht

bezweifelte, dass sie die Orks schlagen würden, so wären doch Verluste unter

den Elfen des Hauses Deshay unvermeidbar, und jeder davon würde

schmerzen.


Das Knacken und Brechen von Holz wurde lauter, durchmischt vom

stampfenden Schritt der Orks, deren Rufe ungedämpft durch die Nacht

schallten. Sie verbargen sich nicht, denn das war gegen ihre Art, zumal die

Bestien wussten, dass der Feind vor ihnen lag. Sie waren begierig auf den

Kampf, und von den Elfen würden sie sich holen, was den Legionen des

Schwarzen Lords gebührte.


Nun erschienen die schwarz gepanzerten Gestalten von Rundohren

zwischen den Bäumen, die beim Anblick der golden schimmernden Soldaten

auf der Lichtung zu zögern schienen. Kommandos ertönten, während die

elfischen Krieger wie erstarrt standen und schwiegen. Immer mehr Orks

drängten zwischen den Bäumen hervor und begannen sich zu formieren und

ihre Kohorten zu bilden.


»Wartet«, befahl Jalan-olud-Deshay mit erhobener Stimme und zog die

geschwungene Klinge seines Schwertes blank, während er die Kohorten

beobachtete, die immer zahlreicher wurden.


Es war die typische Formation der Orks. Die gepanzerten Rundohren, groß

und kräftig, in den vorderen Reihen, dahinter die kleineren Spitzohren. Die

Rundohren waren die Nahkämpfer, die sich mit ihren Rüstungen und

Schlagschwertern auf den Feind warfen, während die Spitzohren den Bogen

bevorzugten und im Nahkampf den Schutz ihrer größeren Brüder suchten.


»Ich hätte gedacht, sie stürmen einfach vor, sobald sie uns sehen.« Theon

schätzte die Stärke des Feindes ab. »Zwei Legionen oder drei, was meinst

du?«


»Etliche stecken noch zwischen den Bäumen.« Jalan lächelte kalt.

»Diesmal sind es keine wild stürmenden Horden mehr. Sie haben gelernt und

Disziplin erlangt.« Die in den vorderen Reihen stehenden Orks begannen

rhythmisch an ihre rechteckigen Schilde zu schlagen. »Gut, sie bringen sich in

Stimmung. Dann greifen sie gleich an.« Erneut hob er seine Stimme, und

seine Worte übertönten den Lärm der Orks. »Elfen des Hauses Deshay! Bildet

den Schildwall!«


Die ovalen hohen Schilde der Elfen wiesen an der unteren Seite zwei spitze

Dornen auf, mit denen die Krieger sie nun fest in den Waldboden rammten,

um anschließend dahinter in Deckung zu gehen. Im oberen Bereich der

Schilde befanden sich schmale Schlitze, die einem Pfeil wenig Angriffsfläche

boten, aber genug Ausblick auf den Feind zuließen.


Von den Reihen der Orks her ertönte ein Schwirren, das die Nacht zu

erfüllen schien. Im Licht der sternklaren Nacht erhoben sich Schwärme von

kurzen, schwarz gefiederten Pfeilen, die auf die elfischen Krieger

zuschnellten. Schon war das Klirren der auf die Schilde prallenden Geschosse

zu hören, durchmischt von dem gelegentlichen Schmerzensschrei eines

getroffenen Elfen.


Erneut zischten Pfeile heran, dann verdichteten sie sich zu einem endlos

scheinenden Pfeilhagel. Elfen gingen zu Boden, doch nicht genug von ihnen,

um eine Lücke in ihre Formation zu reißen. Bei den Orks wurde wütendes

Gebrüll laut.


Jalan und Theon kauerten nebeneinander hinter ihren Schilden und

grinsten einander an. »Die feigen Spitzohren würden am liebsten nur ihre

Pfeile abschießen, aber die Rundohren verlieren wohl die Geduld.«


Genau so war es auch, denn ein einzelner Schrei erhob sich nun bei den

Orks, und die Rundohren stießen begeistert ein. Aufbrüllend hasteten sie auf

die wartenden Elfen zu, die nur knapp drei Hundertlängen entfernt standen,

doch mussten sie dabei freies Gelände überwinden, auf dem Gras und Blumen

alles andere als Schutz boten.


»Pfeile«, befahl Jalan.


Aus den hinteren Reihen der Elfen erhoben sich befiederte Geschosse,

zogen über den Nachthimmel und senkten sich wieder. Elfische Stahlspitzen

durchschlugen die Eisenrüstungen von Orks und warfen die Bestien zu

Boden. In der Zeit, welche die hastenden Rundohren für die Strecke

benötigten, löste jeder Bogenschütze des Hauses Deshay fast vierzig Pfeile

und leerte so seinen Köcher.


Als die Rundohren die elfische Formation erreichten, waren ihre Kohorten

bereits geschwächt. Angriffslüstern brüllten die Bestien, erleichtert, den Feind

erreicht zu haben und sich nun nicht mehr dem treffsicheren Pfeilhagel

aussetzen zu müssen.


»Gebt ihnen Stahl«, brüllte Jalan, während er seinen Schwertarm

hochschwang und dabei ein brüllendes Rundohr von unten aufschlitzte.


Im Licht der Sterne schimmerten Rüstungen und Klingen, traf Stahl auf

Eisen, starben Elfen und Orks. Einem Beobachter hätte der Kampf als

seltsamer Tanz von Wesen erscheinen können, die sich umkreisten oder

aufeinander zuwirbelten, denn die Dunkelheit verbarg viel Grauen und gab

dem nächtlichen Tod einen unwirklichen Schein von Anmut.


Das wilde Durcheinander begann sich schließlich zu lichten und machte

einer Gruppe von Gestalten Raum, die auf den Schutz des Waldes zuhasteten,

während elfische Krieger sich unter wenigen Kommandos erneut formierten.


Jalan-olud-Deshay atmete schwer und stieß die Klinge seines Schwertes in

den Waldboden, um sie notdürftig vom dunklen Orkblut zu säubern. »Lasst

sie keinen Atem schöpfen, ihr Männer des Hauses Deshay«, rief er über die

Lichtung. »Formiert euch und jagt die Bestien zurück in die Finsteren

Abgründe, aus denen sie sich erhoben haben.«


Theon trat neben seinen Freund. Er blutete aus einer Schnittwunde am

Arm, wo ein Schlagschwert den Ringpanzer durchdrungen hatte. »Treiben wir

sie aus dem Wald hinaus, mein Freund.«


»Das werden wir«, versicherte Jalan grimmig. Er sah die Orks zwischen

die Bäume fliehen und nahm seinen Schild wieder auf. Verwirrt musste das

Oberhaupt des Hauses Deshay feststellen, dass es ihm schwerfiel, den Riemen

straffzuziehen. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass ihn im Kampf ein

Hieb getroffen hat, und doch musste es so gewesen sein. Ein wenig verärgert

wollte er den Schild senken, er würde auch ohne dessen Schutz kämpfen

können, und zwischen den eng stehenden Bäumen wäre er ohnehin eher

hinderlich.


Doch sein Arm folgte seinem Willen nicht. Ein taubes Gefühl breitete sich

aus, und als Jalan sein Schwert in die Scheide stecken wollte, um seinen

anderen Arm zu Hilfe zu nehmen, spürte er entsetzt, dass auch dieser zu

erstarren begann. Er wollte seinen Freund Theon ansehen, doch sein Blick

blieb unverwandt auf den Rand der Lichtung mit den entschwindenden Orks

gerichtet.


Starre und Taubheit breiteten sich in seinem Körper aus, und Jalan

bemerkte noch, wie ein grauer Schleier seinen Blick zu trüben begann und

sich eine seltsame Dumpfheit über seine Gedanken legte, bevor ihm die Sinne

schwanden.


Überall auf der riesigen Lichtung erstarrten die Elfenkrieger, mitten in

ihren Bewegungen, die sie begonnen hatten und nie mehr zu Ende führen

sollten. Mit der Starre senkte sich Schweigen über die Lichtung, und auch die

Stimmen des Waldes schienen verstummt.


So wich die Nacht dem Tag, und aus dem Tag wurden Jahreswenden, ohne

dass die Starre wich. Nichts schien sich auf der Lichtung zu verändern, nur

der Glanz der Rüstungen verschwand unter einer Schicht von Schmutz, die

sich allmählich über sie legte. Jahreswenden vergingen, formten sich zu

Jahrhundertwenden und ließen Legenden entstehen. Das elfische Haus

Deshay, das mächtige Haus des Urbaums, versank in den Tiefen der Zeit.


Die Pferdelords 04 - Das verborgene Haus der Elfen

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