Читать книгу Die Pferdelords 04 - Das verborgene Haus der Elfen - Michael Schenk - Страница 7
Kapitel 5
ОглавлениеHoch über dem Tor der Festung Eternas wehte das Banner des Pferdefürsten
Garodem in der sanften Brise, die durch den Talkessel strich. Der Wind ließ
auch die anderen Wimpel und Tücher flattern, mit denen man die Burg und
die davorliegende Stadt Eternas geschmückt hatte. Selbst an dem mit Steinen
gepflasterten Weg, der Stadt und Wehranlage miteinander verband, hatte man
Lanzen aufgestellt, die mit bunten Stoffstreifen verziert waren. Aber niemand
achtete auf den farbigen Schmuck, denn alle Augen waren auf den Weg
gerichtet, der aus dem vorderen Burghof zur Stadt und durch sie hindurch ins
Tal von Eternas führte.
Tasmund, der Erste Schwertmann der Hochmark, schlug mit der flachen
Hand auf die steinerne Brüstung der Wehrmauer. »Ich setze auf Dorkemunt«,
rief er vergnügt. »Der Bursche ist klein, ein exzellenter Pferdelord, und er
reitet auf seinem zähen Wallach.«
»Unsinn.« Meowyn sah ihn spöttisch an. »Dorkemunts Wallach ist so zäh,
weil er schon so alt ist.«
Tasmund errötete ein wenig und räusperte sich. »Ah, nichts gegen Euren
Nedeam, Hohe Frau Meowyn, gewiss nicht. Auch er ist ein guter Pferdelord,
gar einer der besten.« Tasmund lächelte entschuldigend. »Aber er hat nicht
des guten Herrn Dorkemunts Erfahrung.«
»Dorkemunt hat wohl tatsächlich das bessere Pferd«, warf Larwyn, die
Gemahlin des Pferdefürsten Garodem, ein. Sie deutete nach Süden, zum
Eingang des Tals von Eternas, den man vom erhöhten Standort über dem
Burgtor gerade noch erkennen konnte. »Ich glaube, er liegt vorne.«
»Wie ich es mir dachte.« Tasmund zuckte entschuldigend die Schultern.
»Verzeiht, Hohe Dame Meowyn, doch der gute Herr Dorkemunt wird Euren
Nedeam schlagen.«
»Er hat recht, Hohe Frau Meowyn.« Garodem beschattete seine Augen.
»Der Reiter vorne ist sehr klein.«
»Nedeam wird sich über das Pferd gebeugt haben«, wandte Meowyn ein.
»Das lässt ihn klein erscheinen. Könnt Ihr das Pferd erkennen, Hoher Lord
Garodem?«
Im Augenblick fiel es schwer, zu bestimmen, welcher der Reiter vorne lag.
Eigentlich sah man nur dunkle Schemen, um die herum der Staub aufwirbelte.
Doch die Reiter näherten sich Stadt und Burg in scharfem Ritt, und sehr bald
schon würde man sie voneinander unterscheiden können.
Der Ritt war aus dem freundschaftlichen Wettstreit einiger Pferdelords
entstanden, welche die nun jährlich stattfindenden Wehrübungen als
Gelegenheit sahen, einander wiederzusehen und sich in ihren Fertigkeiten zu
messen. Während die Schwertmänner, die man an ihren mit
Rosshaarschweifen verzierten Helmen erkennen konnte, die ständige
bewaffnete Wache eines Pferdefürsten stellten, bestand die Hauptmacht des
Pferdevolkes aus den einberufenen Pferdelords. Hirten, Handwerker, Bauern
und Händler, die im Falle der Gefahr durch die Losung zu den Waffen
gerufen wurden. Im Gegensatz zu den Schwertmännern, die von Garodem
ausgerüstet wurden, mussten die einfachen Pferdelords selbst für Waffen und
Rüstung sorgen, was dazu führte, dass ihr Erscheinungsbild ausgesprochen
individuell ausfiel. Einheitlich waren nur die grünen Rundschilde, die mit den
Symbolen der Weiler, Gehöfte oder Einzelpersonen bemalt waren, und die
grünen Umhänge, die als Wahrzeichen der Pferdelords galten.
Für den Kampf wurde jeder Pferdelord, zusätzlich zu seinen eigenen
Waffen, mit der langen Stoßlanze aus Garodems Waffenkammer ausgerüstet,
deren Handhabung in der jährlichen Wehrübung ebenso trainiert wurde wie
das Reiten in geschlossener Formation.
Garodem hatte die Pferdelords aus Stadt, Weilern und Gehöften einberufen
und die jährliche Wehrübung abgehalten; er war zufrieden mit dem, was die
Männer an Reit- und Waffenkunst geboten hatten. Selbst der kritische
Tasmund, dem die Ausbildung der Pferdelords oblag, zeigte sich entspannt
und hatte kaum Kritik geübt. Noch vor einigen Jahreswenden war dies anders
gewesen.
Damals hatte die Hochmark in Frieden gelebt, und der Krieg des Ersten
Bundes gegen die Orks und ihren Schwarzen Lord hatte lange zurückgelegen.
Doch dann waren die Legionen des Feindes erneut marschiert, und als die
Reiche der Menschen mit Krieg überzogen wurden, hatten die Orks auch die
Hochmark angegriffen. Erst im letzten Augenblick hatten Beritte aus den
anderen Marken des Pferdevolkes die ersehnte Hilfe gebracht. Der
Überlebenskampf hatte die Menschen der Hochmark daran erinnert, dass der
Frieden nur mit steter Wachsamkeit und Kampfbereitschaft gesichert werden
konnte, zumindest solange die Finsteren Mächte im Osten herrschten. Später
dann hatte man dem Zwergenvolk beigestanden und schließlich noch eine
gefahrvolle Expedition ins Dünenland durchgeführt, die alte Heimat, aus der
die Pferdelords einst vertrieben worden waren. So hatten sie neue Freunde
und alte Feinde gefunden und letztlich auch erkannt, dass die Entscheidung
im Kampf gegen den Schwarzen Lord noch nicht gefallen war.
Die Pferdelords widmeten sich daher den Wehrübungen mit neuem Ernst
und Eifer, doch heute war der Zehntag der Übungen vorüber, und die Zeit der
Entspannung war angebrochen.
»Vor sechs Jahreswenden haben wir die Beritte nach Merdonan geführt«,
sagte Tasmund nachdenklich. »Damals, als die Orks die Grenze bedrohten.«
Garodem nickte. »Ich kann mich gut entsinnen, wie sie versuchten,
Zwietracht in die Versammlung der Pferdefürsten zu tragen. Wie ein Graues
Wesen mordlüstern unter uns wandelte. Ja, sie wollten uns gegeneinander
aufbringen, während ihre Legionen zur gleichen Zeit auf Merdonan
marschierten. Aber der hinterhältige Plan schlug fehl. Wahrhaftig, die Bestien
haben damals nicht damit gerechnet, dass die Pferdefürsten und ihre Beritte,
vereint unter dem Banner des Königs, vor Merdonan erscheinen würden.«
»Es kam nicht einmal zum Kampf. Als ihre Späher die Kolonnen unserer
Beritte entdeckten, gaben sie ihren Plan auf und zogen sich zurück.«
Tasmunds Stimme klang verächtlich, und er spuckte aus. »Selbst der gute
Graue Marnalf konnte in der Stadt keine Bedrohung mehr erkennen und ritt
mit des Königs Pferdelords wieder nach Enderonas zurück.«
»Dennoch dürfen wir uns nicht in Sicherheit wiegen, Tasmund, mein
Freund. Die Orks bedrohen die Grenze noch immer«, stellte Garodem
sachlich fest. »Aber Merdonan selbst ist wieder frei von Gefahr. Die Furcht
wurde von den Menschen genommen, und die alte Ostwache befindet sich in
fester Hand, denn der Pferdefürst der Ostmark ist ein rechter Pferdelord.
Merdonan hat in den letzten sechs Jahreswenden an Stärke gewonnen und
wird einem erneuten Angriff standhalten. Man wird die Grenze schützen, und
sollte die Gefahr zu bedrohlich werden, wird man das Feuer der Ostwache
entzünden.«
Garodem blickte unwillkürlich über die Schulter zurück zum
Hauptgebäude der Festung Eternas, über der sich der hohe Turm mit dem
Signalfeuer erhob. Alle Marken des Pferdevolkes waren über eine Kette
solcher vorbereiteter Feuer miteinander verbunden. Drohte Gefahr, wurden
sie entzündet, worauf sich die Beritte der Pferdelords sammelten.
»Wir werden bereit sein«, stimmte Tasmund zu. »Die Männer sind gut
ausgebildet, und die Hochmark bringt nun rund zehn Beritte in den Sattel.
Eintausend Lanzen, Garodem, mein Fürst.«
Garodem lachte leise. »Darunter eine Keule.«
Die Gruppe über dem Tor verstand die Anspielung und lachte fröhlich auf.
Vor sechs Jahreswenden war Barus, der stämmige Nagerjäger von Eternas, in
die Reihen der Pferdelords aufgenommen worden. Er hatte im Kampf seinen
Mut bewiesen, und niemand mochte ihm seine Ehre als Pferdelord abstreiten,
doch Barus würde nie vom Pferderücken aus mit Lanze, Bogen, Schwert oder
Axt kämpfen. Seine eigenwillige Methode, die lästigen kleinen Nager der
Stadt mit einer massiven Holzkeule zu bekämpfen, behielt er auch in
Auseinandersetzungen mit anderen Gegnern bei. »Seht es mir nach, Ihr guten
Herren«, hatte Barus entschuldigend gesagt und mitten in der Wehrübung die
Lanze abgelegt, »doch mit so einer dünnen Stange vermag ich nicht zu
kämpfen.« Er hatte vielsagend seine schwere Keule in die Handfläche
klatschen lassen. »Ich brauche etwas Handfestes, Ihr guten Herren, Ihr
versteht? Für einen massiven Orkschädel braucht es eine massive Keule.«
Obwohl es nicht der Tradition entsprach, hatte man Barus seinen Willen
gelassen. Unbestreitbar hatte er mit seiner Keule schon so manchen
Orkschädel geknackt, und letzten Endes war es jedem Pferdelord selbst
überlassen, welche Waffe er führen wollte.
Tasmund blickte von der Seite zu Meowyn hinüber. Es war ein offenes
Geheimnis, dass der Erste Schwertmann der Hochmark ein Auge auf die
hübsche blonde Frau geworfen hatte. Meowyn war die Heilerin von Eternas
und zugleich die Mutter Nedeams, der trotz seiner Jugend zu den erfahrensten
Kämpfern der Hochmark gehörte. Tasmund hatte versucht, sich Meowyn zu
erklären und ihr seine Gefühle für sie zu gestehen, doch so geschickt er im
Umgang mit den Waffen war, so sehr fehlten ihm bei ihr die rechten Worte.
Zudem hatte Meowyn erklärt, sie trauere noch immer um Nedeams Vater,
Balwin, der vor Jahreswenden von den Orks getötet worden war.
Tasmund seufzte leise, was nur die neben ihm stehende Larwyn
wahrnahm, die um seine Gefühle wusste. Sie legte ihre Hand flüchtig auf
seine Linke und lächelte ihn ermutigend an. Tasmunds Blick verriet seine
Unsicherheit. Er räusperte sich abermals.
»Dorkemunt wird vorne liegen«, sagte er. »Der bessere Reiter und das
bessere Pferd.«
»Nedeam führt.« Meowyn lachte auf. »Er reitet Stirnfleck, das Pferd seines
Vaters.«
Tasmunds Stirn umwölkte sich, und Larwyn sah ihre Freundin Meowyn
nachdenklich an. Warum überwand die blonde Heilerin den Verlust nicht
endlich? So viele Jahreswenden lag es nun zurück, und es wäre nur richtig,
wenn Meowyn sich erneut verbinden würde. Tasmund wäre der passende
Mann, um mit ihm Zügel und Wasserflasche zu teilen.
Sie ließ den Blick über die Stadt schweifen. Vom südlichen Stadteingang
bis zum Burgtor hin säumten die Bewohner von Eternas die Straße. Diese war
mit Steinen gepflastert, damit die schweren Handelswagen bei jeder
Witterung auf ihr fahren konnten. In den letzten Jahren hatte der Handel
derart zugenommen, dass einige lärmempfindliche Bürger nunmehr Stroh vor
ihre Häuser streuten, um die Geräusche der metallbereiften Räder zu
dämpfen.
Eine Eigenheit Eternas’ war die Hauptstraße. Sie war vollständig
gepflastert, wie die meisten anderen Straßen und Gassen, und breit genug, um
den Warentransport mit den robusten Handelswagen zu ermöglichen. Aber im
Gegensatz zu anderen Siedlungen des Pferdevolkes, in denen die
Hauptstraßen gradlinig auf das Zentrum zuführten, wies diejenige von Eternas
einen ungewöhnlichen Knick auf. Dies hatte schon zu manchem Ärgernis
geführt, besonders wenn sich hier Handelsfuhrwerke begegneten, und so hatte
man ernstlich überlegt, störende Gebäude abzureißen und die durch den
Knick entstandene Engstelle zu entschärfen. Es gab zwei gewichtige Gründe,
dies nicht zu tun.
Der eine bestand im Durst einiger Stadtbewohner und der andere in der
Person des Schankwirtes Malvin, der diesen Durst bereitwillig stillte.
Malvin hatte, wie die Stadt selbst, klein begonnen. Mit seiner Schänke
»Donnerhuf«, die ursprünglich ein Stück die Hauptstraße nach Süden
hinunter zwischen Stadt und Handwerksbetrieben gelegen war. Mit der Stadt
selbst war auch die Anzahl ihrer durstigen Bewohner gewachsen, und zudem
verlangte der aufgekommene Handel nach einer größeren Herberge. Vor einer
halben Jahreswende hatte Malvin daher das alte Gebäude aufgegeben und den
»Donnerhuf« in das größere Gebäude an der Hauptstraße verlegt. Dieses hatte
einen relativ kleinen Grundriss, verfügte allerdings über drei Stockwerke, die
der geschäftstüchtige Wirt gut zu nutzen wusste.
Im Keller lagerte er Blutwein, Gerstensaft und sonstige Vorräte. Das
Erdgeschoss wurde vom Schankraum eingenommen, im Obergeschoss hatte
er einige Kammern eingerichtet, und im Dachgeschoss nächtigte er selbst.
Malvin war einst ein Pferdelord gewesen, auch wenn er nie gegen Orks
gekämpft hatte, aber immerhin hatte er seine Lanze schon einmal gegen
Barbaren und andere Eindringlinge gerichtet. So fühlte er sich noch immer
auf besondere Weise den Männern mit den grünen Umhängen verbunden. Die
beiden metallbeschlagenen Türflügel des Eingangs wurden vom Symbol des
Pferdevolkes geschmückt und wiesen inzwischen die ein oder andere
Schramme auf.
Auf seinen alten hölzernen Tresen war Malvin besonders stolz. Er hatte
das massive Prachtstück aus dem alten »Donnerhuf« mitgenommen, und jede
einzelne Kerbe im Holz wies auf intensive Gespräche unter seinen Gästen
hin, die oft mit Worten begannen und auf handfestere Weise endeten.
Immerhin hatte die polierte Steinplatte auf dem Tresen bislang allen
Anfeindungen widerstanden. Kein Hieb, kein Schädel hatte ihr zugesetzt,
allerdings gab es einige kreisrunde Schäden in ihrer Politur, dort, wo Becher
lange gestanden und dabei offensichtlich Ätzspuren hinterlassen hatten, die
gelegentlich zu spöttischen Bemerkungen unter den Gästen führten. Malvin
störte dies nicht, solange seine Besucher reichlich dem Gerstensaft oder
Blutwein zusprachen. Die neue Lage im Stadtzentrum brachte ihm mehr
Gäste ein, aber auch häufigere Besuche der Schwertmänner Garodems,
welche die Ordnung in der Stadt aufrechterhielten. Die Männer waren
erfahren genug, nicht zu früh in eine Diskussion einzugreifen, wofür Malvin
ihnen dankbar war.
Der Wirt stand nun mit seinen Gästen unter dem Vordach und spähte die
Straße entlang, die hier ihren Knick machte und dann weiter aus der Stadt
hinaus zur Burg führte. Es war ein heißer und trockener Tag, genau nach
Malvins Geschmack, denn das Rennen würde für Gesprächsstoff und durstige
Kehlen sorgen. Er hatte seinen Blutwein vorbereitet, Gerstensaft gebraut und,
da er das Temperament seiner Gäste kannte, die neuen Schemel aus dem
Schankraum durch ältere ersetzt. Ein stimmungsvoller Abend würde nicht
ohne Verluste ablaufen, doch Malvin hatte nichts dagegen, wenn gelegentlich
ein Stuhlbein brach oder ein Zahn abhandenkam. Solche Dinge sorgten stets
für guten Nachdurst, zumindest bei jenen, die dann noch auf den Beinen
waren.
Vor Malvin standen zwei kleine und sehr gedrungen wirkende Gestalten,
deren langes Haar bis auf den Rücken fiel und die üppige Bärte trugen, die zu
je zwei Bartzöpfen geflochten waren. Erst waren Malvin die kleinen Herren
Zwerge ein wenig unheimlich gewesen, zumal sie sich nie von ihren
gefährlich anmutenden Äxten zu trennen schienen. Einer von ihnen nahm
seine Waffen wohl auch zum Schlafen mit ins Bett, denn das Bettzeug war
seine Waffen wohl auch zum Schlafen mit ins Bett, denn das Bettzeug war
bereits arg zerschlissen. Aber Malvin nahm es hin, denn die beiden Herren
Zwerge hatten ihm eine Ware gebracht, auf die er schon lange gewartet hatte
und deren Besitz der Pferdefürst Garodem eigentlich verboten hatte. Doch das
wasserhelle Blor des Zwergenvolkes hatte es Malvin angetan. Nichts trübte
die Sinne eines Mannes schneller als dieses Zeug, das die Herren Zwerge zu
jeder Mahlzeit tranken und wie Wasser durch die Kehlen rinnen ließen.
Inzwischen kannten Malvins Gäste die erstaunliche Standfestigkeit der
Zwerge, und keiner war mehr leichtfertig genug, sich auf ein Wetttrinken mit
ihnen einzulassen.
Natürlich würde Malvin das erstandene Blor nicht unverdünnt ausschenken
können. Jeder gute Pferdelord würde nach zwei Gläsern die Lanze strecken,
das stand fest. Aber Malvin hatte einen Gerstensaft gebraut, dem er einen
Spritzer Blor hinzufügte und den er, den netten Herren Zwergen zur Ehre, auf
den Namen »Zwergenglanz« getauft hatte. Nur für ausgewählte Gäste,
worunter Malvin solche verstand, die trinkfest genug waren und mehrere
Gläser vertrugen. So wie der gute Herr Dorkemunt, der an dem Rennen
teilnahm.
Vom südlichen Eingang der Stadt her ertönte Geschrei, das sich entlang
der Straße fortpflanzte und Malvin dazu brachte, sich vergnügt die Hände zu
reiben. Das Rennen hatte die Stadt erreicht und näherte sich nun seinem Ende.
Bald würde es lange Gespräche und durstige Kehlen geben. Über dem
Geschrei wurde das Schlagen metallbeschlagener Hufe auf dem Pflaster
hörbar. Neben dem Schankwirt nahm eine junge Frau ihren Säugling von der
Brust und zog hastig einen kleinen Knaben an sich, der Anstalten machte,
neugierig auf die Straße zu laufen. Malvin reckte sich wie die anderen vor.
»Wer liegt vorne? Dorkemunt oder Nedeam?«
Er hatte vorsorglich nicht gewettet und behielt seine Meinung für sich.
Dies gab ihm die Möglichkeit, bei einem Meinungsaustausch neutral zu
bleiben, die Scherben zu zählen und weiter auszuschenken.
»Ein langer Dünner«, schrie eine Frau aufgeregt. »Ich glaube, das ist
Lotwin aus dem Quellweiler.«
»Bei den Abgründen«, brummte einer. »Wieso der? Ich habe auf
Dorkemunt gewettet.«
»Dorkemunt? Bist du toll? Nedeam hat das bessere Pferd.«
»Ihr guten Herren.« Malvin hob beschwichtigend die Hände. »Es scheint
wirklich Lotwin zu sein.«
Jetzt konnten sie es alle sehen. Der dürre Pferdelord hatte sich weit
vorgebeugt und trieb sein Pferd mit Hacken und Zügelenden an. Männer und
Frauen jubelten den Reitern zu, denn nun tauchten auch schon die Verfolger
auf, Nedeam und Dorkemunt, praktisch Kopf an Kopf, und dahinter die
anderen. Die Reiter näherten sich dem Knick in der Straße, doch Lotwin
schaffte es nicht, sein Pferd zu beherrschen. Es lag wohl an dem glatten
Straßenpflaster, dass der große Hengst für einen Augenblick rutschte, gerade
genug, um allzu dicht an eines der Vordächer zu geraten. Lotwin, der den
Fehler machte, sich in diesem Moment nach seinen Verfolgern umzusehen,
erkannte die Gefahr zu spät. Im letzten Moment sprang er aus dem Sattel,
während sein Reittier unter dem Vordach hindurchpreschte und die dortigen
Zuschauer mit panischen Sprüngen zur Seite stieben ließ. Lotwin indes
krachte schwer gegen die Kante des hölzernen Daches, ruderte verzweifelt
mit den Armen, um Halt zu finden, und rutschte dann nach unten ab. Mit
einem vernehmlichen Stöhnen stürzte er auf sein Gesäß, während die anderen
Reiter an ihm vorbeipreschten.
»Jetzt ist Dorkemunt vorne«, sagte die Frau lakonisch.
»Genau genommen Lotwins Pferd«, wandte jemand ein, der offensichtlich
auf den dürren Pferdelord des Quellweilers gesetzt hatte.
»Die Pferde zählen nicht«, brummte ein anderer. »Nur die Reiter.«
»Ach ja?« Lotwins Anhänger drehte sich wütend um. »Wie soll denn der
Reiter ohne Pferd ins Ziel kommen? Natürlich zählt das Pferd.«
Malvin lächelte. Hier schien die Grundlage zu einer wundervollen
Diskussion gelegt zu werden. Er legte die Arme um die Schultern der beiden
Männer. »Ach, ich sehe, Ihr guten Herren, hierüber sollte man einmal in Ruhe
sprechen. Am besten bei einem guten Blutwein oder Gerstensaft. Habt Ihr
übrigens schon den wundervollen ›Zwergenglanz‹ gekostet?«
Er schob die Männer in den Schankraum und stellte dabei mit Bedauern
fest, dass die Reiter längst verschwunden waren und er nun gar nicht wusste,
wer vorne lag. Wer würde das Rennen wohl gewinnen?
Darüber waren sich auch Dorkemunt und Nedeam nicht einig.
»Ich liege vorne«, rief Nedeam triumphierend, während sie Seite an Seite
aus der Stadt heraus- und der Burg entgegengaloppierten.
»Ah, allenfalls um eine Lippenlänge«, schrie Dorkemunt vergnügt, »und
das auch nur, weil dein Stirnfleck die Zähne fletscht und seine Lippen
vorstülpt.«
Zunächst war es ihnen gleichgültig gewesen, wer gewinnen würde. Aber
während des Ritts hatte sie der Ehrgeiz gepackt, und nun gaben sie sich
redlich Mühe, als Erster in den Burghof einzureiten. Tatsächlich erwies sich
Nedeams Hengst Stirnfleck auf der Geraden als das kraftvollere und
schnellere Tier. Allmählich schob sich der braune Hengst mit dem großen
weißen Fleck auf der Stirn nach vorne.
»Orks«, brüllte Dorkemunt plötzlich warnend.
Instinktiv wandte Nedeam sich um und zögerte kurz, während Dorkemunt
grinsend an ihm vorbeizog. Er verlor kostbare Augenblicke, die dem
kleinwüchsigen Pferdelord reichten, um als Sieger durch das Burgtor zu
reiten.
Nedeam zog einen Schmollmund, als er hinter seinem Mentor und Freund
in den Burghof einritt, während rundum die Menschen dem Sieger zujubelten
und nach und nach auch die anderen Reiter die Ziellinie überquerten. »Da
waren keine Orks.«
»Natürlich nicht.« Dorkemunt lachte vergnügt und schwang sich aus dem
Sattel, um sein abgehetztes Tier am Zügel zu führen. »Es war eine Kriegslist.
Im Krieg und in der Wette sind alle Listen erlaubt.«
Tasmund und Garodem kamen mit den anderen vom Wehrgang herunter.
»Ein wahrhaft schneller Ritt, Ihr guten Herren«, lobte er aufrichtig und legte
seine Hände an die Schultern Dorkemunts. »Und ein knappes Rennen, wie
mir scheint.«
Meowyn umarmte ihren Sohn Nedeam und strahlte ihn an. »Stirnfleck ist
einfach nicht zu schlagen. Und du bist gut geritten, mein Sohn.«
»Und ich hätte auch gewonnen«, sagte Nedeam und grinste seinen Freund
an. »Aber Dorkemunt hatte die Orks auf seiner Seite.«
Tasmund zuckte kurz zusammen und legte instinktiv seine linke Hand an
den Schwertgriff. Normalerweise wurde die Waffe mit der Rechten geführt,
doch der Erste Schwertmann hatte einst eine schwere Verletzung der rechten
Schulter erlitten, sodass er seitdem mit der linken Hand kämpfen musste.
Doch inzwischen verstand er sich perfekt darauf, die Klinge nur mehr mit ihr
zu führen. Tasmund lächelte unvermittelt und sah Dorkemunt an. »Der alte
Trick, guter Herr Dorkemunt, wie mir scheint?«
Der Sieger zuckte nur die Achseln.
»Dorkemunt hat das Tor als Erster durchritten«, stellte Garodem fest. »So
gebührt ihm auch die Ehre.« Er lächelte und wies auf den Wallach des
Pferdelords. »Aber da er sein Pferd wohl stärker hetzen musste, wird er es
zum Ausgleich auch länger führen dürfen.«
Fröhliches Gelächter erklang, und Meowyn nickte ihrem Sohn stolz zu.
»Heute Abend werden wir Tanz und Musik in der Burg haben. Du wirst doch
kommen? Schließlich muss mich jemand zum Tanz führen.«
Nedeam errötete ein wenig. »Tut mir leid, gute Mutter, aber Barus muss
heute Abend eine Wette einlösen, und wir haben versprochen, ihm
beizustehen.«
Dorkemunt sah Meowyns Enttäuschung und lächelte sie aufmunternd an.
»Ihr wisst, Barus braucht jede Hilfe, die er bekommen kann. Schließlich geht
es um die Ehre der Pferdelords.« Er sah Tasmund an. »Ich denke, der Hohe
Herr Tasmund wird sicherlich bereit sein, Euch Arm und Schild zu sein, Hohe
Frau Meowyn.«
»Das ist nicht dasselbe«, erwiderte sie leise.
Nedeam bemerkte, wie Tasmund schmerzlich zusammenzuckte, versuchte
jedoch, sich nichts anmerken zu lassen.
»Wenn es um die Ehre eines Pferdelords geht, Hohe Frau Meowyn, so
muss das Vergnügen hintenanstehen«, schaltete sich Garodem freundlich ein.
»So mag Euch an diesem Abend mein Arm genügen.«
»Nein, verzeiht, ich war unhöflich«, sagte die blonde Heilerin und sah
Tasmund entschuldigend an. »Selbstverständlich werde ich gerne Arm und
Schild des Hohen Herrn Tasmund in Anspruch nehmen.«
»Nun, so ist das also geklärt.« Die Hohe Dame Larwyn klatschte in die
Hände. »Lasst uns mit den Vorbereitungen für das Fest beginnen. Speise und
Trank müssen bereit sein, und die Musiker auch. Zudem sollten wir uns etwas
festlicher gewanden.« Larwyn ergriff fröhlich den Arm ihrer Freundin
Meowyn und schob sie auf das Haupthaus zu.
Garodem und Tasmund folgten den beiden Frauen, während auf dem
Burghof und in den Gebäuden geschäftiges Treiben einsetzte, um den
ausgelassenen Abend zu einem Erfolg werden zu lassen.
Nedeam und Dorkemunt führten ihre Pferde noch eine Weile, bevor sie sie
absattelten und abrieben. Schließlich waren die Tiere versorgt, und die beiden
Pferdelords entschlossen sich, die Pferde an den Zügeln zur Stadt
hinüberzuführen.
»Sie haben heute genug geleistet«, brummte Dorkemunt, »und ein kurzer
Fußweg hilft auch uns, die Gedanken zu klären.«
»Was ist eigentlich mit Mutter und dem Hohen Herrn Tasmund los?«
Nedeam kratzte sich am Hals und blickte kurz zur Burg zurück. »Sie
benehmen sich seltsam.«
»Nun ja, Nedeam, mein Freund, so ist das eben in der Brunst.«
»Dorkemunt!«
»Ach, reg dich nicht auf. Du bist nun selber alt genug, um ein Weib
besteigen zu können, und wie das geht, habe ich dir ja erklärt, nicht wahr? Ist
wie bei den Pferden.« Dorkemunt seufzte. »Nun ja, fast. Manchmal ist es
auch ein wenig komplizierter. Wenn zwei Menschen nicht begreifen wollen,
dass sie zueinander gehören.«
»Tasmund und meine Mutter?« Nedeam lachte auf. »Niemals. Eher kratzt
sie ihm die Augen aus.« Sein Gesichtsausdruck wurde verlegen. »Ich meine,
nicht dass der Hohe Herr eine schlechte Wahl wäre. Aber ich glaube kaum,
dass meine Mutter ihm zugetan ist.«
»Das ist ja das Problem«, seufzte der alte Pferdelord. »Glaube mir, mein
Junge, wenn ich etwas jünger an Jahren wäre … Ich meine, ich kann Pferd
und Weib sehr wohl noch besteigen … Aber ich müsste wohl etwas jünger
sein, um deiner Mutter noch das Gehöft zu machen.«
»Du?«
»Warum nicht? Sie ist ein gutes Weib und ich bin ein guter Pferdelord.
Selbst dich habe ich im Rennen noch geschlagen.«
»Nur mit einer List. Orks!« Nedeam ahmte Dorkemunts Warnschrei nach.
Der kleinwüchsige Pferdelord seufzte. »Nun ja, das mag schon stimmen.
Bei Meowyn kann ich eine solche List wohl schwerlich anwenden.« Er
seufzte erneut. »Zudem ist der Hohe Herr Tasmund ein wenig jünger an
Jahren. Außerdem«, er schlug Nedeam freundschaftlich an die Schulter, »ist
sie dem Hohen Herrn ebenfalls zugetan.«
»Verzeih, aber du redest Unsinn.«
»Glaube mir, mein Junge, ich habe schon so manches Weib bestiegen, und
ich kenne diesen Blick. Ha, ich wette mit dir, mein Freund, sie ist ihm
zugetan. Sie weiß es nur noch nicht. Aber vertraue mir, es kommt der Tag, an
dem sie das erkennen wird.«
Nedeam stieß ein leises Schnauben aus, was Stirnfleck dazu veranlasste,
ihn mit animalischer Verwunderung anzusehen. Er strich seinem Reittier über
die Nüstern und tätschelte ihm dann die Flanke.
Für einen Moment führten sie die Pferde schweigend und nickten
bisweilen ein paar Stadtbewohnern zu, die sie zu ihrem Ritt
beglückwünschten. Schließlich sah Dorkemunt seinen jungen Freund
grinsend an. »Für dich wird es auch langsam Zeit, Nedeam, mein Freund. Ich
kenne etliche Weiber, die ihre Hälse nach dir langmachen.«
»Unsinn.«
Das Thema war Nedeam unangenehm, und Dorkemunt, der dies bemerkte,
lächelte still. Früher oder später würde auch sein Freund Nedeam das Feuer
der Liebe verspüren. Das ging allen Menschenwesen so. Hoffentlich
verbrannte er sich dann nicht die Finger. Frauen waren ein wunderliches
Ding. Das hatte der alte Pferdelord oft genug erfahren müssen.
»Ich denke, wir sollten uns beeilen.« Dorkemunt wies auf die Gebäude der
Stadt. »Barus wird schon im ›Donnerhuf‹ sein, und wir sollten ihn nicht allein
der Gefahr aussetzen.«
»Esyne«, seufzte Nedeam.
»Ja, Nedeam, mein junger Freund, Frauen können ein Quell des Glücks
sein«, deklamierte Dorkemunt grinsend, »oder sie heißen Esyne und sind
Schuhmacherin.«
Sie kamen an dem Haus vorbei, dessen Vordach der unglückliche Lotwin
bei seinem Sturz beschädigt hatte. Die Menge hatte sich inzwischen verstreut,
und die meisten der Pferdelords waren der Einladung Garodems in die Burg
gefolgt, mit Ausnahme der Schwertmänner, welche die nächtliche Ordnung
zu sichern hatten. Und jener Pferdelords, die es noch ein wenig früher zum
»Donnerhuf« zog, fast ausschließlich Männer der Hochmark, die den
Nagerjäger kannten und die Wette, auf die er sich eingelassen hatte.
Eigentlich war es ja gar nicht Barus’ Schuld. Wenn man überhaupt von
Schuld sprechen konnte, so traf sie Malvin, den Schankwirt.
Es war einer jener geselligen Abende gewesen, bei dem Blutwein und
Gerstensaft reichlich geflossen waren und ein Wort das andere gab, bis
schließlich ein paar Möbelstücke und Gäste lädiert wurden. Nichts
Ernstliches, was man nicht mit etwas Holzleim oder ein paar Tagen mit
weicher Nahrung hätte beheben können.
Esyne, eine der besten Schuhmacherinnen von Eternas – keiner wagte,
dem zu widersprechen –, war eine blonde, äußerst ansehnliche Frau, die jeden
Mann dazu verführen konnte, in Brunstgetöse auszubrechen und um sie zu
balzen. Doch ihre offensichtlichen körperlichen Vorzüge waren mit einer
scharfen Zunge, spitzen Zähnen und nachhaltiger Schlagfertigkeit gepaart.
Man musste schon wagemutig oder stark betrunken sein, um sich mit Esyne
anzulegen. Dennoch war sie nicht wirklich unbeliebt, denn die Lederwaren,
die sie fertigte, waren von bester Qualität. Zudem hatte sie einen hohen
Unterhaltungswert, zumindest, wenn man nicht der Adressat ihrer Argumente
war.
An jenem Abend hatte Esyne einige ihrer schlagkräftigsten Argumente
vorgebracht und dabei einen stämmigen Händlergehilfen zu Boden geschickt,
was allgemeines Erstaunen hervorrief. Esyne hatte sich jedoch nur
triumphierend umgesehen und behauptet, jeden Mann bezwingen zu können.
Die anderen Gäste hatten auf den am Boden Liegenden gestarrt und keine
Lust verspürt, ihrer Ansicht zu widersprechen. Malvin hingegen hatte die
blonde Schönheit angestrahlt und nur ein einziges Wort in den Schankraum
geworfen. »Barus.«
So waren Barus und Esyne zum Gegenstand einer Wette geworden, ohne
dass der stämmige Nagerjäger hiervon nur eine Ahnung hatte, und als er es
erfuhr, gab es für ihn keine Möglichkeit mehr, sich aus der Falle zu befreien.
Sein einziges Argument, er schlage keine Weiber, wurde von Esyne selbst
ausgehebelt, indem sie den Vorschlag machte, den Wettstreit durch
Armdrücken zu entscheiden.
Seitdem hielt sich hartnäckig das Gerücht in Eternas, die blonde
Schuhmacherin sei dem Nagerjäger zugetan und habe mehr als nur ein Auge
auf ihn geworfen. Das mochte durchaus stimmen, denn Barus gehörte zu den
wenigen Personen, die im Großen und Ganzen von Esynes Temperament
verschont blieben. An diesem Abend jedoch würde es keine Schonung geben,
und die Wetten im »Donnerhuf« gingen hoch.
»Vier zu zwei für Barus«, rief Malvin durch den Schankraum und
zwinkerte Dorkemunt und Nedeam zu, die gerade den Raum betraten. Er
ritzte mit einem Metallstift eine Kerbe in eine weiche Tontafel, um den
Wettstand zu dokumentieren. »Ihr guten Herren und Frauen, noch werden
Wetten in die Tafel geritzt. Wenn Barus und Esyne die Arme kreuzen, ist es
zu spät, dann werden keine mehr angenommen.«
An einem der hinteren Tische erhoben sich zwei kleine und stämmige
Gestalten, und bevor Nedeam und Dorkemunt sich versahen, wurden sie von
kraftvollen Zwergenarmen umschlungen, soweit dies möglich war.
»Unsere bartlosen Axtschläger«, rief einer der Zwerge bewegt. »Seid uns
willkommen. Ah, kommt, Ihr guten Herren Pferdelords, setzt Euch hierher, an
unseren Tisch. Lasst uns mit Blor auf diesen Augenblick anstoßen.«
Bevor die beiden Pferdelords sich versahen, zogen die Zwergenmänner sie
an ihren Tisch und zupften freudig an Dorkemunts Bart, während sie den glatt
rasierten Nedeam etwas ratlos ansahen.
»Ihr guten Herren Zwerge«, sagte Nedeam freudig überrascht. Beim
Rennen waren ihm die beiden Männer nicht aufgefallen, doch nun freute es
ihn, zwei der Zwerge zu sehen. »Was führt Euch ins Land des Pferdevolkes?«
»Der bartlose Herr Nedeam, ich mag es kaum fassen«, seufzte der eine
Zwerg. »Ach, ich vergesse es nie, wie Ihr in den Schacht geklettert seid, um
an die Oberfläche zu gelangen.« Er beugte sich vor. »Ihr solltet Nal’t’rund
jetzt einmal sehen. Die Kuppel erstrahlt in bestem Grünkristall. Ich soll Euch
gute Herren übrigens von Balruk, unserem Höchsten Herrn König grüßen,
und … Ah, bevor ich es vergesse, die gute Frau Hegmarukona hat uns einen
Krug besten Blors für Euch mitgegeben.«
»Du bist unhöflich«, brummte der andere Zwerg. »Bei aller Freude gilt es
doch, die Form zu wahren. Ich bin Olruk, und mein Freund hier ist Beramuk.
Wir sind Axtschläger der grünen Kristallstadt Nal’t’rund.«
»Unverkennbar«, stimmte Dorkemunt zu. »Eure stolzen Bartzöpfe und
scharfen Äxte lassen keinen Zweifel. Doch sprecht, Ihr guten Herren Zwerge,
was führt Euch in die Hochmark?«
»Getreide, guter Herr Dorkemunt.« Olruk beugte sich verschwörerisch vor.
»Immer nur Pilzbrei … Ach, er ist nahrhaft und gut, aber der Geschmack von
frischem Brot … Köstlich. Wir sind hier, um ein paar Ladungen Getreide
gegen guten Kristall einzutauschen.«
»Da werdet Ihr wohl noch zwei oder drei Zehntage warten müssen, bis die
Ernte eingebracht ist«, sagte Nedeam lakonisch. Er blickte neugierig zum
Tresen hinüber, wo es inzwischen hoch herging und Malvin die Wetten in die
Höhe trieb.
»Das macht nichts«, versicherte Olruk. »Auch wenn wir die Pracht von
Nal’t’rund und unsere Hüpflinge vermissen, so hat Eure Stadt Eternas uns
doch Erstaunliches zu bieten.«
»Ja«, bestätigte Beramuk. »Diese rennenden Pferde, zum Beispiel.«
Olruk nickte. »Es ist für mich doch sehr beruhigend, dass auch ein
Pferdelord vom Pferd fallen kann.«
Beramuk grinste breit und zupfte sich belustigt an den Bartzöpfen. »Olruk
hat gestern versucht, einen Pferderücken zu bedecken, und ist mehrmals
heruntergefallen.«
Beramuk lachte dröhnend, während Olruk ihn zunächst pikiert ansah, dann
aber in das Lachen einstimmte.
Dorkemunt kratzte sich am Bart. »Seid gewiss, Ihr guten Herren Zwerge,
die meisten Pferdelords fallen einmal vom Pferd, bevor sie das Reiten richtig
beherrschen.«
Am Tresen wurde es noch lauter, und die Zwerge blickten hinüber. »Was
geht dort vor sich?«
»Es wird einen Wettstreit geben.« Nedeam bemerkte das Interesse der
Zwergenmänner.
»Axtschlagen? Lanzenwurf?« Olruk grinste. »Hat es mit Blor zu tun?«
»Nein, nein, nichts dergleichen. Nur ein wenig Armdrücken.« Nedeam
erklärte den Zwergen, was damit gemeint war.
Am Tresen ertönte nun ein polterndes Geräusch.
»Geht es schon los?«, fragte Olruk begierig.
Nedeam suchte den Tresen ab. »Nein«, sagte er seufzend. »Das war Toslot.
Einer der Bauern. Er verträgt nicht viel und ist gerade vom Schemel
gefallen.«
»Zwei Gerstensaft und der Schaum vom dritten«, bestätigte Dorkemunt. Er
wies auf Barus, der neben dem Tresen stand und sich nun reckte. »Das dort ist
Barus, unser Nagerjäger.«
»Er wird also kämpfen?«
»Ja, das wird er.«
»Und gegen wen? Dieser Barus ist ziemlich groß und sicherlich sehr
stark.«
»Gegen die da.« Nedeam wies auf Esyne.
Die beiden Zwerge sahen zunächst die Pferdelords an, bevor sie dröhnend
auflachten. »Ein guter Scherz«, Olruk raufte sich vergnügt die Bartzöpfe.
»Ah, Ihr Pferdemenschen, Euer Humor ist köstlich.«
»Ihr kennt Esyne nicht«, brummte Dorkemunt.
»Nein, Ihr kennt sie nicht«, stimmte Nedeam ihm zu.
Die beiden Zwergenmänner blickten verwirrt zu Barus und Esyne hinüber.
Man hatte in der Mitte der Schänke einen freien Raum geschaffen, und einer
der anwesenden Pferdelords nahm nun von Malvin einen Weißstein entgegen,
mit dem er auf dem Boden einen deutlich sichtbaren Kreis von etwa einer
Länge Durchmesser zog.
Unter den anfeuernden Rufen der Gäste traten Esyne und Barus in den
Ring. Der Pferdelord mit dem Weißstein sah die beiden gewichtig an. »Wer
aus dem Kreis gestoßen wird, hat verloren. Ihr drückt Arm gegen Arm.
Schläge und Stöße mit dem anderen Arm oder Tritte sind verboten.« Er sah
Esyne kurz an. »Kratzen und Beißen ebenfalls.«
Esyne warf dem Mann ein schmelzendes Lächeln zu und reckte sich. Ihre
Brüste schienen die geschnürte Bluse fast zu sprengen, was anerkennende
Rufe aus dem Publikum hervorrief. Die blonde Schuhmacherin musterte
einen besonders begeisterten Zuschauer. »Was ist? Seid Ihr jetzt brünstig?
Wollt Ihr Euch den Speichel vom Mund wischen oder selber antreten?«
»Das ist nur Schaum vom Gerstensaft«, beteuerte der Mann hastig.
»Genug jetzt«, brummte der Pferdelord, der den Schiedsrichter machte.
»Arm an Arm. Gut so. Und nun … kämpft!«
Jeder rechnete damit, dass der stämmige Barus keine Mühe haben würde,
die zierliche Schuhmacherin zu bezwingen. An Größe und Masse war er ihr
eindeutig überlegen. Vielleicht war Esyne flinker, aber in dem Ring war kaum
Gelegenheit, vor Barus auszuweichen. Die beiden Kontrahenten standen
seitlich versetzt, ihre rechten Unterarme gegeneinandergelegt, und als das
Kommando kam, spannte Barus seine Muskeln an, um Esyne kurzerhand aus
dem Ring zu drücken.
Esyne sah Barus seltsam spöttisch an, und gerade als dieser seine gesamte
Kraft einsetzen wollte, tat die blonde Frau etwas völlig Unerwartetes. Sie
streckte die freie Hand aus, schob sie in Barus’ Achselhöhle und kitzelte ihn.
Völlig verblüfft registrierten die Zuschauer, wie der stämmige Nagerjäger
ein brüllendes Lachen ausstieß und ins Taumeln geriet. Während Esyne ihn
lächelnd weiterkitzelte, verließen ihn nun vollends die Kräfte. Von lautem
Lachen geschüttelt, sackte Barus auf die Knie und stürzte vornüber aus dem
Ring, während Esynes Hand noch immer in seiner Achselhöhle lag und ihn
weiter reizte. Die anderen starrten schweigend auf die Szene, dann zog Esyne
endlich ihre Hand zurück und ließ einen keuchend nach Atem ringenden
Barus zurück, der, die Augen von Tränen angefüllt, immer wieder von
Lachanfällen erschüttert wurde.
Die zustimmenden Bemerkungen einiger weniger Gäste, die auf die blonde
Schuhmacherin gewettet hatten, gingen in dem anschwellenden Gemurmel
der anderen unter.
»Das war nicht recht, gute Frau Esyne«, sagte einer der Männer
schließlich. »Ihr habt auch die andere Hand eingesetzt, das widerspricht der
Regel.«
»Ich habe mit ihr weder geschlagen noch gestoßen«, korrigierte die blonde
Frau und stemmte die Arme in die Hüften, »sondern Barus damit lediglich ein
wenig geneckt und gekitzelt. Das ist nicht verboten. Es ist nicht meine
Schuld, dass ihn die Kraft verließ.«
Bevor die Verlierer der Wette ihre Meinung kundtun konnten, wurde die
Tür des »Donnerhufs« aufgestoßen. Die beiden eintretenden Wesen ließen die
Anwesenden sofort verstummen. Ihre schlanken, hochgewachsenen Gestalten,
die spitzen Ohren und die langen weißblonden Haare waren unverkennbar
elfischen Ursprungs, und die meisten der Anwesenden kannten auch ihre
Gesichter.
»Lotaras und Leoryn«, rief Nedeam überrascht.
Unverwechselbar waren es die Geschwister aus dem elfischen Haus
Elodarion in ihren langen, weich fließenden Gewändern. Am Stirnreif
Leoryns und an Lotaras hohem Helm schimmerte die fein gearbeitete Lilie,
das Symbol ihres Hauses.
Nedeam starrte die Freunde noch immer mit offenem Mund an, während
Dorkemunt nickte und an den beiden Elfen vorbei auf die Straße blickte.
»Und sie sind nicht allein.«
Nedeams Kiefer sackte noch weiter nach unten, denn auf der Hauptstraße
von Eternas stand eine Hundertschaft elfischer Krieger in voller
Kampfrüstung.