Читать книгу Die Pferdelords 01 - Der Sturm der Orks - Michael Schenk - Страница 10
Kapitel 8
ОглавлениеDas Haus Elodarion zählte zu den ältesten des Elfenvolkes, und man
behauptete sogar, dass es seine Linie bis ganz zu den Anfängen elfischen
Lebens zurückverfolgen konnte. Von Anbeginn an hatte es die Geschichte des
Menschenvolkes begleitet. Manchmal kritisch und skeptisch, manchmal
amüsiert und hoffnungsvoll hatte es das wachsende Geschick der
Menschenwesen beobachtet.
Die Menschenwesen wuchsen unglaublich rasch heran, und ebenso
vermehrten sie sich auf unvorstellbare Weise. Doch zugleich waren sie
schrecklich vergänglich. Elodarion selbst hatte ungezählte Generationen von
Menschenwesen erblühen und vergehen sehen. Manche Menschen hatten
dabei sein besonderes Interesse erweckt, und er hatte ihren Weg so lange
begleitet, bis sie verwelkt waren. Er hatte dies meist aus der Ferne getan, denn
das elfische Volk mied die Nähe der Menschenwesen – nicht aus
Überheblichkeit, sondern aus Trauer darüber, wie rasch ein Lebewesen
verging, das man schätzte. Der Verlust eines Lebens war für das elfische Volk
stets mit tiefer Trauer verbunden, denn alles Leben war ihnen unendlich
kostbar.
Das elfische Volk selbst war unsterblich und unvergänglich, es sammelte
Wissen, widmete sich den geistigen Fähigkeiten und hatte ein tiefes
Empfinden für Harmonie und Schönheit entwickelt. Seine Fertigkeiten in
allen Künsten waren legendär, wenn auch nur wenige Menschenwesen jemals
ihre Werke zu Gesicht bekommen hatten. Denn jene Menschenwesen, mit
denen die Elfen Freundschaft schlossen, empfanden in der Nähe ihres eigenen
Todes Neid angesichts der Unsterblichkeit des Elfenvolkes. Sie begehrten das
ewige Leben, ohne zu wissen, welcher Fluch damit verbunden war.
Die Unsterblichkeit war für die Elfen mit zwei Flüchen belegt, die ihnen
ein hoher Preis für ihr ewiges Leben zu sein schienen: die geringe
Geburtenzahl ihres Volkes und die Erinnerungen, die mit einem unendlichen
Leben verbunden waren.
Nichts wurde wirklich vergessen. Weder die Freuden von Tausenden von
Jahren noch das Leid, das sich während dieser Zeit angesammelt hatte. Ihre
Erinnerungen hätten die Elfen erdrückt, hätten sie im Laufe der Zeit nicht die
Fähigkeit der Schröpfung entwickelt. Denn so hoch die Fähigkeiten eines
elfischen Gehirns auch entwickelt sein mochten, waren seinen Möglichkeiten
dennoch Grenzen gesetzt. In der Zeit seiner Schröpfung brachte ein Elf all
seine Erinnerungen zu Papier, damit nichts Wesentliches verloren ging, und
die fein gebundenen und gemalten Bücher des Elfenvolkes füllten zahllose
Längen von Regalen und Schränken. Eine Schröpfung währte viele
Vollmonde, und sie wurde von anderen Elfen begleitet, damit jede Gefahr
ausgeschlossen war, dass ein schröpfender Elf all sein Wissen einbüßte. Denn
hatte er erst einmal sein Wissen zu Papier gebracht, wurde er erneuert und das
bisherige Wissen zu wesentlichen Teilen aus seinem Gehirn gelöscht. Aus
diesem Grund wusste ein einzelner Elf niemals alles, doch das Volk der Elfen
insgesamt verfügte über das Wissen von Jahrtausenden.
Die Geburt eines elfischen Kindes war ein Geschenk an das ganze Volk,
welches dieses Glücksgefühl jedoch nur selten empfinden konnte, weshalb
ihm auch das Leben jedes Einzelnen so wertvoll war. Trotz des ewigen
Lebens war der Tod eines Elfen etwas Unwiderrufliches, und der Tod konnte
einen Elfen auf vielfache Weise ereilen. Das Volk kannte Unfälle und
Krankheiten wie auch den gewaltsamen Tod im Kampf. Denn die Elfen
waren ein wehrhaftes Volk, auch wenn sie sich scheuten, eigenes oder
fremdes Blut zu vergießen.
Schon oft hatten sie ihre Gründe gegen Feinde schützen müssen, und die
elfischen Männer waren geübt im Umgang mit der blanken Klinge und dem
Bogen, der in Verbindung mit den schnellen Reflexen und guten Augen eines
Elfen zu einer unübertrefflichen Waffe wurde. Es gab kein Wesen, das weiter,
schneller und treffsicherer schoss als ein Elf, und der Ruf der Elfenmänner als
Krieger war legendär. Ja, das Leben eines Elfen war kostbar, doch war das
gesamte Volk bedroht, setzten die Elfen ihr Leben rücksichtslos ein, um das
Überleben ihrer Häuser zu sichern. Der Kampf war die Domäne der elfischen
Männer, während es die Aufgabe der elfischen Frauen war, Leben zu
schenken und zu bewahren.
All diese Tugenden und Fertigkeiten vereinten Lotaras und Leoryn, Bruder
und Schwester aus dem Hause Elodarions, auf vollkommene Art und Weise,
und so waren sie mit einer Botschaft ins Land der Menschenwesen entsandt
worden. Denn Gefahr drohte dem Elfenvolk und den Menschenwesen, eine
Gefahr, die alles freie Leben auf der Welt bedrohte. Und so hatte der weise
Rat der Elfen beschlossen, die Waffen erneut zu erheben und einer Gefahr
entgegenzutreten, der sie vor so langer Zeit schon einmal begegnet waren.
Damals hatte es den Bund zwischen dem elfischen Volk und den Völkern
der Menschenwesen gegeben. Gemeinsam war man gegen die Horden des
Schwarzen Lords marschiert und hatte sie besiegt
Doch schon bald hatten sich die Menschenwesen als schwach erwiesen.
Der Bund war zerfallen, und über die Menschenwesen waren Machtgier und
Verrat gekommen. Ihre Völker hatten sich zu bekriegen begonnen und waren
zerfallen, und das Volk der Elfen hatte sich aus dem Bündnis gelöst. Danach
hatte sich das Bild der Welt unter den Händen der Menschenwesen geändert,
und die Elfen hatten in ihrer Weisheit erkannt, dass sie der wachsenden Macht
der Menschen weichen mussten.
Seit Langem schon war die große Reise an die fernen Küsten vorbereitet
worden, und viele Häuser des Elfenvolkes hatten ihre Heimstätten bereits
verlassen. Nun aber hatte die Dunkle Macht erneut ihr Haupt erhoben. Lange
Zeit hatte der weise Rat mit dem Entschluss gerungen, ob man den
Menschenwesen erneut beistehen oder ob man sie aber der Macht des
Dunklen überlassen und sich in die fernen Lande zurückziehen sollte. Aber
der Rat wusste, dass dies nur einen zeitlichen Aufschub mit sich brachte und
dass irgendwann, in Tausenden von Generationen, die Dunkle Macht auch
über die Meere reichen würde, wenn man sie jetzt nicht endgültig bezwingen
würde. So gab es für die verbliebenen Häuser des elfischen Volkes nur einen
Weg.
Der Bund zwischen Elfen und Menschen musste erneuert werden.
Lotaras und Leoryn aus dem Hause Elodarions hatten dem König der
Pferdelords diese Botschaft überbringen sollen. Doch die Dunkle Macht war
ihnen bereits zuvorgekommen. Die Marken des Pferdekönigs hallten wider
vom Kampfgeschrei der Horden und dem Marschtritt ihrer Legionen und
Kohorten. Gehöfte und Weiler brannten, und eine gewaltige Streitmacht der
Orks bewegte sich zwischen den Elfen und ihrem Ziel, der Stadt des
Pferdekönigs.
Der Anführer der Bogenschützen, welche die Geschwister auf ihrem Weg
begleiteten, hatte sich mit Lotaras und Leoryn beraten, dann stand sein
Entschluss rasch fest. »Der König der Pferdelords ist kein Narr. Schon oft
wurde sein Land bedroht, und jedes Mal hat er sein Volk in der Bergfestung
versammelt und dem Feind dort standgehalten. Auch dieses Mal wird der
Pferdekönig wieder in die Feste marschieren, damit sein Volk überleben
kann. Wir werden uns dorthin begeben, um den Bund mit ihm zu erneuern.
Ihr jedoch habt eine andere Aufgabe. Wendet euch nun nach Norden und
sucht dort das verborgene Haus.«
Alsdann trennten sich die Wege der Geschwister und der elfischen
Bogenschützen.
Die Kolonne der elfischen Schützen kam gut voran, denn sie verfügten alle
über die sprichwörtliche Ausdauer des elfischen Volkes und scheuten den
anstrengenden Marsch nicht, der sie durch das große Gebirge führte. Die
Bergfestung des Pferdekönigs war ihnen gut bekannt, und wer von ihnen sie
nicht persönlich gesehen hatte, kannte sie zumindest anhand der Erinnerungen
seines Volkes. Die Truppe der dreihundert Bogen durchquerte gerade ein
schmales Tal, als der Anführer vor ihnen plötzlich eine Staubwolke
ausmachte, die schnell näher kam. Rasch schätzte er die Breite des kleinen
Tales ein und befahl dann seiner Truppe kehrtzumachen und zu einer
besonders schmalen Stelle zurückzueilen. Die elfischen Schützen hasteten zu
der Engstelle, in der kaum mehr als achtzig Männer nebeneinander Platz
fanden, und stellten sich entsprechend den Anweisungen ihres Führers in vier
hintereinander gestaffelte Reihen auf. Zwei elfische Kundschafter eilten
außerdem die steilen Hänge hinauf, damit die Truppe nicht von hinten
überrascht werden konnte, dann warteten die dreihundert Elfen ab.
Sie führten alle den überlangen Bogen der Elfen mit sich, der eine
besondere Reichweite und Durchschlagskraft hatte. Ihre langen blauen
Umhänge bewegten sich leicht im steten Wind, der durch das Tal strich, und
an ihren hohen Helmen funkelten die goldenen Embleme ihrer Häuser. So
waren neben der aufragenden Lilie des Hauses Elodarion dort auch Farne,
Rosen, Vogelschwingen und andere Zeichen zu sehen, welche die Macht des
Elfenvolkes symbolisierten.
Einer der elfischen Kundschafter legte die Hand vor den Mund. »Ein
orkscher Trupp. Drei Kohorten stark.«
Der Anführer nickte. Er stand mit gezogenem Schwert an der äußersten
linken Flanke seiner Schützen. Über ihm, an einer goldenen Lanze, wehte ein
rundes Banner in der Form eines zartblauen Schildes aus. »Sollen sie nur
kommen.«
Er musste keine gesonderten Anweisungen geben. Seit unendlichen Zeiten
kannten die Elfen den Kampf, und auch wenn sie ihn nicht suchten,
verstanden sie sich doch bestens in der Kunst, ihn mit einer Erfahrung und
Treffsicherheit auszufechten, die keinen Vergleich fand.
Der Staub kam immer näher, bis schließlich die ersten dunklen Gestalten
sichtbar wurden. Die Elfen warteten, den Bogen zu ihrer Rechten auf den
Boden gesetzt, den Pfeilköcher gleich an ihrer rechten Hüfte. Die Kohorten
der Orks erkannten nun, dass die Elfen den Pass vor ihnen versperrten, und
waren dumm genug anzugreifen. Vielleicht fühlten sie sich mit sechshundert
Schädeln dem halb so starken Feind überlegen, auch hatten sie wohl noch
niemals gegen Elfen gestanden. Also stürmten sie los.
In einer Distanz von drei Hundertlängen lösten die Elfen die ersten Pfeile.
Zwei Minuten würde die kleine Horde der Orks benötigen, um die Elfen zu
erreichen, und zwanzig Pfeile konnte jeder der Bogenschützen in der Minute
auslösen. Das waren sechstausend Pfeile, die in der Minute gegen die Orks
gerichtet werden konnten. Die drei Kohorten schafften nicht einmal die Hälfte
der Distanz. Und nach kaum einer Minute stand kein Ork mehr auf seinen
Füßen.
Elfische Schwerter senkten sich durch die Kehlen verwundeter Bestien,
Pfeile wurden aus den Kadavern gezogen, auf ihre Verwendbarkeit geprüft
und gesäubert in die Köcher zurückgesteckt. Dann marschierte die Kolonne
der dreihundert elfischen Bogenschützen unbeirrt weiter, der Bergfestung des
Pferdevolkes entgegen.
Die Geschwister Leoryn und Lotaras waren der elfischen Truppe mit den
Blicken gefolgt, bis diese endgültig in Richtung des großen Gebirges
verschwunden war. Auch Lotaras trug den hohen Helm mit der aufragenden
goldenen Lilie des Hauses Elodarion und den blauen Umhang des elfischen
Volkes. Doch zum ersten Mal fühlte er sich seltsam allein, und seine
Schwester empfand ebenso. Sie legte ihre Hand in die seine, und beide sahen
sich in stillem Einvernehmen an, bevor sie ihre Pferde nach Norden lenkten.
Sie ritten durch ein Land, das vom Krieg heimgesucht worden war. Die
Spuren waren nicht zu übersehen. Rauchsäulen, deren jede ein Gehöft oder
einen Weiler markierte, standen am Himmel und zerfaserten zu dünnen
Fahnen, die im Wind dahintrieben. Nur oben im Norden waren die Marken
des Pferdekönigs noch unberührt, und es schien, als würde ein finsteres Band
den Süden und den Norden voneinander trennen.
Die elfischen Geschwister trieben ihre Reitpferde nicht zur Eile, denn sie
sollten frisch und ausgeruht sein, falls ihre Kraft für eine rasche Flucht
benötigt wurde.
Überall hatten Kämpfe stattgefunden, die einem Gemetzel gleichkamen:
Frauen und Kinder des Pferdevolkes waren auf der Flucht von den Horden
der Orks einfach erschlagen worden. Nur wenige Männer waren unter ihnen,
und nur einmal fanden sie einen Trupp toter Pferdelords zwischen den
Kadavern von Orks liegen.
»Sie leisten Widerstand«, stellte Lotaras befriedigt fest.
»Ja, aber sie sind überwältigt worden.« Leoryn deutete über den
Schauplatz des Gefechtes.
»Ja, hier wurden sie überwältigt.« Lotaras nickte mit ernstem Gesicht und
deutete über das weite Land. »Die Pferdelords leben verstreut in ihren
Marken. Es sind jeweils wenige Männer auf den einzelnen Gehöften und
Weilern, und es gibt nur wenige größere Ortschaften. Doch diese Gruppe hier
zeigt mir ganz deutlich, dass der Pferdekönig sie einberief und dass die
Männer sich zum Widerstand sammeln. Verstehst du, Leoryn, der König zieht
seine Streitmacht zusammen, und diese Streitmacht wird kämpfen. Die
Pferdelords verstehen sich auf den Umgang mit ihren Waffen. Also besteht
eine gute Chance, dass sie bestehen können.«
»In ihrer Bergfestung.«
»Dorthin wird der König sie rufen.« Lotaras nickte unbewusst. »Und
dorthin werden sie kommen, wenn die Horden ihnen nicht den Weg
versperren. Wir sind nun an der Grenze zwischen der Reitermark und der
Nordmark der Pferdelords. Dort im Westen erhebt sich der Turm des Weißen
Zauberers, er wird den Menschenwesen seine Hilfe nicht verwehren. Doch
unser Weg führt nun weiter nach Norden. Jenseits der versteinerten Wälder
muss sich das verborgene Haus befinden.«
»Glaubst du, dass es noch besteht?« Leoryn blickte zweifelnd in nördliche
Richtung. »Schon lange haben wir nichts mehr vom verborgenen Haus
gehört. Vielleicht ist es schon längst von den Dunklen Mächten überwunden
worden.«
»Es gehört zu den ältesten und weisesten Häusern der Elfen.« Lotaras
lächelte. »Und zu seinen stärksten. Deshalb muss es in jedem Fall von der
Erneuerung des Bundes erfahren, wenn es noch besteht.«
»Du hast recht«, seufzte Leoryn. »Doch ich vermisse unsere Wälder. Das
sanfte Wiegen der Blumen und Gräser und das Murmeln der Bäche.«
»Auch ich vermisse unser elfisches Land.« Lotaras sah sie ermutigend an.
»Doch nun lass uns reiten, meine Schwester. Denn je eher wir das verborgene
Haus gefunden und unsere Botschaft übermittelt haben, desto eher werden wir
auch das Haus Elodarions wiedersehen.«
Die Pferde des Elfenvolkes waren edle Tiere, die über Generationen
hinweg zu schnellen und ausdauernden Läufern herangezüchtet worden
waren. Ein wenig höher und langbeiniger als die Pferde der Menschenwesen,
waren sie außerdem ausdauernder, aber nicht so kraftvoll wie die Tiere des
Pferdevolkes. Es gab nicht viele Pferde bei den Elfen, denn die meisten der
Häuser bestanden im Wald und an der Küste, wo es nicht viel Verwendung
für Pferde gab. Das Haus Elodarions hatte sich allerdings schon lange der
Pferdezucht gewidmet, und die beiden Tiere trugen die Geschwister nun rasch
in die Nordmark des Pferdekönigs, in der sie auf die erste Schar von
Pferdelords stießen.
Es war nur ein kleiner Trupp von circa fünfundzwanzig Reitern. Die
Männer trugen die grünen Umhänge mit dem schmalen goldenen Saum der
Königsmark, und der Wimpel des Scharführers zeigte neben dem
galoppierenden weißen Pferd auch die weiße Halbsonne. Den letzten
unzweifelhaften Hinweis lieferten jedoch die Helme der Männer, an deren
jedem der goldene Rosshaarschweif der königlichen Wache wehte. Die Schar
galoppierte zunächst ein Stück weit von den Elfen entfernt, doch als sie die
beiden anderen Reiter bemerkte, schwenkte der Trupp sofort ein und näherte
sich Lotaras und Leoryn in Linie. Kurz vor ihnen zügelten die Pferdelords
ihre Tiere. Die Lanzen der Männer waren halb gesenkt, gleichermaßen wie
zum Gruß wie auch zum Hinweis auf ihre Kampfbereitschaft. Menschen wie
Elfen schwiegen zunächst eine ganze Weile, in der sie einander beobachteten.
Lotaras und Leoryn hatten noch nie zuvor lebende Menschenwesen aus dieser
Nähe gesehen, und die Reiter wiederum noch nie zuvor Angehörige des
Elfenvolkes.
Der Scharführer lenkte sein Pferd näher und betrachtete verwirrt und
gleichermaßen forschend die schlanken Gestalten und die spitzen Ohren
seiner Gegenüber. Zögernd machte er schließlich ein Zeichen mit seiner
Hand, und die anderen Männer hoben die Spitzen ihrer Lanzen senkrecht in
den Himmel. Der Mann musterte die Kleidung der Geschwister, bis Leoryn
ihn sanft anlächelte. Die Anmut ihres Lächelns schien den Anführer endgültig
von der Harmlosigkeit der beiden Reiter zu überzeugen.
Er reckte sich im Sattel und räusperte sich nervös. »Ich bin Beomunt,
Schwertmann der Wache, vom Hofe des Königs des Pferdevolkes.«
»Ich bin Lotaras, aus dem Hause Elodarions«, erwiderte der Elfenmann
und deutete eine Verbeugung an. Dann wies er auf seine Schwester. »Und
dies ist Leoryn, ebenfalls aus dem Hause Elodarions.«
»Ihr seid Elfen, nicht wahr?« Der Mann leckte sich nervös über die
Lippen. »Verzeiht, aber ich habe nie zuvor Elfen gesehen. Ich meine, ich habe
natürlich von Eurem Volk gehört, doch, offen gesagt, erwartete ich nicht,
jemals Angehörigen Eures Volkes zu begegnen. Ihr Elfen kommt zu einem
gefährlichen Augenblick. Der Tod zieht über unser Land, in Form von
Barbaren und orkischen Horden. Was führt Euch ausgerechnet zu dieser Zeit
in die Marken des Pferdekönigs?«
»Ebendiese Gefahr, Pferdelord.« Lotaras machte eine ausholende Geste
über das Land. »Wir fanden Tod und Untergang, und wir wissen um die
Macht, die neu erwacht ist.«
Beomunt beugte sich zur Seite und nahm eine hölzerne Flasche vom Sattel.
Er bot Lotaras und Leoryn Wasser an, das die beiden Elfen gerne annahmen,
wenn auch mehr aus Höflichkeit als aus Durst. Zuletzt trank der Scharführer
selbst, verschloss die Flasche sorgsam und hängte sie zurück. Er schien die
Zeit zu benötigen, um seine Gedanken ordnen und zu einem Entschluss
kommen zu können. Schließlich zuckte der Mann mit den Schultern.
»Wenn es die Gefahr war, die Euch hierherlockte, Hoher Herr Elf, so frage
ich mich nach Eurem Begehr. Sucht Ihr das Abenteuer, um ihm zu begegnen,
oder wollt Ihr einfach nur sehen, was sich ereignen wird?«
Leoryn spürte das Misstrauen in dem Menschenwesen und schüttelte ruhig
ihren Kopf. »Vor vielen Jahren und Menschenaltern bedrohte die Dunkle
Macht des Schwarzen Lords schon einmal die Häuser der Elfen und der
Menschenwesen. Damals standen Menschen und Elfen im Bund zusammen,
um der Gefahr zu begegnen und sie zu besiegen. Nun ziehen erneut die
Dunklen Horden über das Land, und der Rat der Elfen hat beschlossen, den
einstigen Bund zu erneuern.«
Beomunt sah sie überrascht an.
Lotaras nickte bekräftigend zu den Worten seiner Schwester. »Es ist wahr,
Pferdelord. Wenn Ihr von unserem Volke gehört habt, so wisst Ihr auch, dass
eine elfische Zunge stets die Wahrheit spricht.«
»Davon hörte ich in der Tat«, bestätigte der Scharführer und kratzte sich
verwirrt im Nacken. »Verzeiht meine Überraschung. Der Bund, er ist eine
Legende. Das Volk der Pferdelords steht allein.«
»Nun nicht mehr, Freund Pferdelord.« Lotaras wies hinter sich. »Wir
waren auf dem Weg zum König der Pferdelords, um ihm diese Kunde zu
bringen, doch die Horden der Orks drängten uns von unserem Weg ab. Wir
waren in Begleitung unserer Bogenschützen und haben danach beschlossen,
uns zu trennen. Unsere Kämpfer ziehen den Weg zu Eurer Bergfestung,
Pferdelord Beomunt, denn wir vermuten, dass Euer König dort sein Volk
versammeln wird.«
»Ihr kennt die Festung?«
»Unser Volk kennt sie. Viele haben sie einst schon gesehen, Pferdelord
Beomunt.«
Der Schwertmann der königlichen Wache sah seine Männer unschlüssig
an. »Wir sind auf dem Weg, um die Nordmark zu warnen und die Männer
dort zu den Waffen zu rufen. Obwohl ich nicht glaube, dass sie noch einer
gesonderten Warnung bedürfen werden.« Er wies über das Land im Süden.
»Die Rauchsäulen sind schwerlich zu übersehen.« Beomunt seufzte
vernehmlich. »Doch der Norden scheint mir noch nicht betroffen zu sein. Das
gibt mir Hoffnung.« Er sah sie forschend an. »Ich vermag Euch Geleit
anzubieten, sollte Euch Euer Weg nach Norden führen. Doch warum seid Ihr
nicht mit euren elfischen Schützen gegangen?«
»Jenseits des versteinerten Waldes gibt es ein sehr altes Haus unseres
Volkes, Pferdelord. Es könnte eine starke Kraft sein, die dem neuen Bündnis
hilfreich wäre.«
»Aber ihr wisst es nicht«, stellte Beomunt fest. »Ihr habt keinen Kontakt
mehr zu diesem, äh, Haus und befürchtet, dass es nicht mehr existiert, nicht
wahr?«
»Ja, das ist wahr«, bestätigte Lotaras. »Vor einer sehr langen Zeit, lang
auch nach unseren Begriffen, gab es auch im Osten noch eine größere Anzahl
unserer Häuser. Als wir weiter nach Westen wanderten, blieb nur noch eines
von ihnen an seinem alten Ort zurück. Es war einst ein mächtiges Haus, und
es mag noch Bestand haben.« Lotaras machte eine unbestimmte Geste.
»Unsere Häuser sind sehr eigenständig und haben wenig Kontakt
untereinander, müsst Ihr wissen. Nur zu besonderen Zeiten wird der Hohe Rat
der Weisen einberaumt.«
»Nun, wenn Ihr wollt, so mag uns unser Weg nun gemeinsam nach Norden
führen.« Beomunt wandte sich seinen Männern zu. »Wir reiten nach Eodan,
der Stadt der Nordmark. Folgt uns nun, ihr Pferdelords des Königs.«
Augenblicke später galoppierte die Schar der Pferdelords mit Lotaras und
Leoryn nach Norden.