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Kapitel 11

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Der Horngrundweiler verdankte seinen Namen der Tatsache, dass Garodems

Männer bei der Besiedlung des Tales ein Horn im Boden gefunden hatten,

wie es noch nie zuvor von irgendjemandem gesehen worden war. Es war

konisch geformt und so gerade wie eine Lanze, dabei aber in sich gedreht wie

das Gehäuse einer Schnecke. Es maß eine halbe Länge und war aus

demselben Material, aus dem auch die Hörner der Wolltierböcke waren. Doch

keiner aus dem Volk der Pferdelords hätte zu sagen vermocht, welches Tier

wohl solch ein Horn tragen mochte. Das Horn war sehr alt und rissig, und die

Männer und Frauen des Tales, die den Weiler gründeten, hielten es in Ehren

und hatten ihre Siedlung nach ihm benannt.


Es gab nur noch zwei weitere Weiler in der Hochmark, wenn man von

Eternas einmal absah, das aber schon eine richtige Stadt war. Weiler

entstanden stets aus dem Zusammenschluss mehrerer Gehöfte, die zusammen

eine Gemeinschaft bildeten, um den Frauen Gelegenheit zu geben, sich

gleichzeitig um ihre Kinder und um den Haushalt zu kümmern und außerdem

auch noch einige Felder mit Früchten oder Gemüse zu pflegen. Die Männer

wiederum waren dadurch zahlreich genug, um gemeinsam größere Herden

heranzuziehen und zu beaufsichtigen. Was der Weiler einbrachte, gehörte

allen zu gleichen Teilen.


Der Horngrundweiler lag in einem der westlichen Seitentäler der

Hochmark und bot fast hundert Menschen und der wohl dreifachen Anzahl

von Pferden und Wolltieren eine Heimat. Kratzläufer rannten in ihren

abgesperrten Gelegen herum, scharrten im Boden und pickten dort nach den

Samen oder Getreidekörnern, mit denen sie gefüttert wurden. Dafür erhielten

die Bewohner des Weilers zum Ausgleich Eier, mit denen sie einen

gewinnbringenden Tauschhandel durchführen konnten, zumindest mit jenen,

die nicht dem eigenen Appetit zum Opfer fielen, denn besonders der gelbe

Dotter wurde allgemein als wohlschmeckend empfunden. Und einige der

Frauen schworen auch darauf, dass der Dotter ihrem Haar einen besonderen

Glanz verleihen würde.


Holger, Honars Sohn, bevorzugte die innere Anwendung des gelben

Dotters und lachte gutmütig, als seine Frau mit einigen der Eiern zu dem nahe

gelegenen Bachlauf hinüberging, um dort ihr Haar zu waschen. Holger reckte

sich im Sattel und blickte über den Horngrundweiler. Zwischen den

steinernen Häusern und auf dem kleinen Platz in ihrer Mitte herrschte

hektischer Betrieb, denn einige Bewohner des Weilers wollten noch heute mit

Tauschwaren nach Eternas fahren. Gute vier Tage würden sie unterwegs sein,

und dies bedeutete für Holger und die anderen zusätzliche Arbeit, denn es galt

weiterhin die Herden zu hüten. Und sobald die kleine Gruppe dann wieder aus

Eternas zurück wäre, würde die Wolltierschur beginnen. Die Wolltiere der

Hochmark brachten gute Wolle hervor, denn der stete Wind und die große

Winterkälte sorgten für einen dichten Fellwuchs der Tiere. Dicht und stark

war die Wolle, welche die Frauen des Weilers zu Fäden sponnen. Und die

gesponnenen Wollfäden brachten in Eternas wiederum einen höheren Wert

ein als die ungesponnene Wolle, welche von den Einzelgehöften geliefert

wurde. Auch das war ein Vorteil eines Weilers, dass es Hände gab, die sich

der zusätzlichen Tätigkeit des Spinnens widmen konnten.


Zwischen den Hügeln hinter dem Weiler stieg eine dünne Staubfahne auf.

Holger richtete sich im Sattel auf und beschattete seine Augen. Dort, in jener

Richtung, lag Eternas, und der sich nähernde Reiter musste gerade durch das

daran angrenzende Tal geritten kommen, denn dieses war als einziges nicht

mit dichtem Gras bedeckt, weshalb sein trockener Boden rasch Staub

aufwirbeln ließ. Holger warf einen Blick auf seine Frau, die gerade ein Ei

öffnete, und wies über die kleine Ortschaft hinweg auf die Gestalt.


»Ein Reiter kommt zu uns«, rief er ihr zu. »Er kommt sehr schnell.«


Seine Frau blickte zum Horngrund hinüber. »Der Heiler? Aber es ist doch

niemand erkrankt oder verletzt, nicht wahr, Holger?«


»Nicht, dass ich wüsste«, erwiderte dieser geistesabwesend. Der Reiter

dort ritt wirklich schnell und musste es sehr eilig haben. Aber für Eile gab es

stets einen triftigen Grund. »Warte besser noch mit dem Schlagen der Eier«,

riet er seiner Frau und trieb dann sein Pferd dem Ort entgegen.


»Es ist schon offen«, erwiderte sie unsicher.


»So trink es aus«, rief er über die Schulter zurück.


Der Mann, der aus dem angrenzenden Tal herübergeritten kam, trug den

grünen Umhang der Pferdelords, und an seinem Helm war der blaue

Rosshaarschweif der Wache zu erkennen. Neben dem Pferd, auf dem er ritt,

führte er ein zweites mit sich, das sogenannte Handpferd, welches einem

Reiter erlaubte, die Pferde zu wechseln, sodass sich eines von beiden während

des Ritts stets wieder ein wenig erholen konnte. Holger stieß einen grimmigen

Fluch aus. Ein Mann der Wache Eternas’. Ein solcher Pferdelord trieb sein

Pferd wahrlich nicht ohne triftigen Grund an.


Holger ritt gerade in den Horngrundweiler ein, als der Pferdelord der

Wache sein staubbedecktes Tier am Weilerplatz zügelte, absaß und seine

Pferde an die Tränke führte. »Den Eid gilt es zu erfüllen«, hörte er den Mann

rufen. »So eilt nun, ihr Pferdelords, denn der Pferdefürst ruft euch zu den

Waffen!«


Die Männer, Frauen und Kinder auf dem Platz des Weilers hatten ihre

Tätigkeiten unterbrochen und traten nun neugierig heran. Die Ankunft des

Boten, denn um einen solchen handelte es sich offensichtlich, rief Unruhe

hervor. Auch aus den umliegenden Häusern traten nun weitere Bewohner des

Horngrundweilers hervor.


»Sind Plünderer oder Ausgestoßene in die Mark eingefallen?«, fragte eine

junge Frau erregt. »Sagt schon, Schwertmann, was ist los in der Mark?«


Der Reiter aus Eternas nahm kurz seinen Helm ab, wischte sich den

Schweiß von der Stirn und nahm dann dankbar einen Becher Wasser

entgegen. Er trank durstig und setzte sich danach den Helm sofort wieder auf.


»Der Pferdefürst lässt alle Gehöfte und Weiler evakuieren«, rief er den

Bewohnern zu. Weitere Menschen traten aus den Häusern heran. »Nehmt

nicht mehr als eure Tiere mit und eilt nach Eternas, und jene von euch, die

den Umhang des Pferdelords tragen, jene erinnere ich an das Gebot. Erfüllt

nun den Eid in Eile. Ich selbst muss jetzt weiter.«


Der Mann nickte der Menge noch einmal kurz zu, saß auf und trieb sein

Pferd erneut an.


Die Bewohner des Horngrundweilers waren noch immer ganz verblüfft

und starrten dem entschwindenden Reiter nach. Da hob der Älteste des

Weilers Achtung gebietend den Arm. »Ihr habt es gehört, ihr Männer und

Frauen. Nehmt Kind und Huf, nehmt nur das Notwendigste. Die Knaben und

Jungmänner, die den Eid noch nicht geleistet haben, begleiten die anderen zur

Stadt. Jene aber, die den Eid abgelegt haben, mögen sich rüsten und den Eid

erfüllen.«


Holger zögerte nicht und ritt an seiner verwirrten Frau vorbei zu seinem

Haus. Sein Pferd war gut ausgebildet, und so ließ er ihm die Zügel frei und

band es nicht erst an, als er angekommen war und schnellen Schrittes an

seinem Sohn vorbei ins Haus eilte. Er öffnete die schwere Holztruhe, holte

sein Kettenhemd und den leichten Brustharnisch hervor, zog sich beides über

und legte dann die restliche Rüstung an. Zuletzt schwang er sich den grünen

Umhang um die Schultern und verschloss ihn vor seiner Brust.


Sein Sohn sah ihn mit großen Augen an. »Ich will mit, Vater«, sagte der

Zehnjährige automatisch.


Holger antwortete zunächst nicht, sondern nahm den runden Helm mit dem

langen Nasenschutz und setzte ihn auf. Der Helm war aus bestem Stahl, mit

braunem Leder bezogen und mit golden blitzendem Messing verziert. Er

schloss den Riemen und strich seinem Sohn kurz über das lockige Haar. »Du

wirst mit deiner Mutter gehen, mein Sohn«, sagte er nach einer Weile

bestimmt, »und an meiner statt auf die Herde achten.«


Seine Frau trat gerade in die Hütte, als Holger die schwere Streitaxt aus

den eisernen Haken über der Tür nahm und den Rundschild vom Boden hob.


»Was soll das bedeuten?«, fragte sie ängstlich. »Noch nie hat der Herr die

Pferdelords einberufen.«


»Jetzt hat er es«, erwiderte Holger und zog sie kurz an sich. »Du weißt,

was nun zu tun ist. Wir haben es schon oft besprochen. Reiche mir eine

Provianttasche mit Nahrung für drei Tage. Und fülle mir die Wasserflasche.

Eile dich, Frau. Nun gilt der Eid.«


Holger prüfte die Streitaxt und seinen Dolch. Doch ihre Schneiden waren

scharf, denn die Waffen wurden in der Hochmark stets in bestem Zustand

bereitgehalten. So verlangte es die Tradition der Pferdelords, auch wenn die

Männer der Hochmark noch nie mobilisiert worden waren. Holger hängte den

großen Rundschild an den Sattel. Das Grün der Pferdelords und in weißer

Farbe darauf gemalt das Horn des Horngrundweilers. Er schwang sich auf

sein Pferd und wartete, bis seine Frau zu ihm geeilt kam, um ihm die

Feldflasche und die Verpflegung zu reichen. Auch an den anderen Häusern

war Bewegung, dort saßen ebenfalls Männer mit grünem Umhang, Rüstung

und Waffen auf ihre Pferde auf. Holger sah die Sorge in den Augen seiner

Frau, küsste sie und lächelte sie ermutigend an. Dann zog er sein Pferd herum

und ritt zu den anderen Lords hinüber.


Achtzehn Pferdelords konnte der Weiler aufbringen, und diese achtzehn

Männer waren nun bereit. Der Älteste von ihnen sah sie kurz an. »Ihr habt

den Boten des Pferdefürsten gehört. Er hat uns zu den Waffen gerufen, um

den Eid zu erfüllen. So lasst uns reiten, ihr Pferdelords. Schneller Ritt …«


»… und scharfer Tod«, erwiderten sie.


Gleich nach ihnen saßen auch die Knaben und nicht wehrfähigen Männer

und Frauen auf, trieben ihre Tiere zusammen und machten sich auf, dem

Gebot des Pferdefürsten zu folgen und nach Eternas zu ziehen. Sie alle waren

besorgt, denn noch nie hatte es in der Hochmark den Ruf des Waffeneides

gegeben. Einige Male zuvor waren zwar schon Plünderer und Ausgestoßene

in die Mark vorgedrungen, doch stets hatten die Pferdelords schnell wieder

Ruhe in der Hochmark hergestellt. Nein, dies hier war etwas anderes, und

Sorge erfüllte die Herzen der Männer und Frauen, die sich auch rasch auf die

Unbeschwertheit der Kinder legte. Nur ungern ließen sie den Weiler hinter

sich, denn keiner von ihnen wusste zu sagen, ob sie ihn wohl jemals

wiedersehen würden.


Währenddessen war der Reiter mit dem Rosshaarschweif des

Schwertmanns schon längst in einem anderen Tal angelangt. Vier andere

Gehöfte und den Horngrundweiler hatte er insgesamt schon benachrichtigt,

nun galt es nur noch, den alten Malenan und seinen Sohn Maredas zu den

Waffen zu rufen. Seine Blicke glitten über die Landschaft und suchten sie

nach Gefahren ab, während er seine Pferde durch das Tal trieb. Vor ihm in

jener Richtung, in der das kleine Gehöft lag, das sein Ziel war, stieg eine

dünne Rauchfahne auf. Die Bewohner dort schienen noch nichts von der

drohenden Gefahr zu wissen, ansonsten hätte Malenan sicher kein Kochfeuer

entfacht oder zumindest darauf geachtet, dass nur trockene Dungfladen zum

Verbrennen genutzt wurden.


Der Bote aus Eternas galoppierte in das kleine Tal hinein. Vor ihm stob

eine Herde Wolltiere auseinander, der Bock blökte protestierend, und der

Reiter schrie auf die Tiere ein, damit sie ihm den Weg schneller freigeben

würden. Das kleine Gehöft lag nun unmittelbar vor ihm, und ein jüngerer

Mann, der aus der Tür trat, schaute neugierig zu ihm herüber. Der Mann hielt

seinen Bogen bereit, stellte ihn aber zur Seite, als er Umhang und

Rosshaarschweif des Reiters erkannte.


»Den Eid gilt es zu erfüllen«, sagte der Reiter, als er sein Pferd vor dem

Haus zügelte. »So eilt nun, ihr Pferdelords, denn der Pferdefürst ruft euch zu

den Waffen!«


Hinter dem jungen Mann trat nun auch ein älterer hervor und sah den

Boten forschend an. Dann nickte er. »So sei es. Ihr habt Eure Pflicht getan,

Pferdelord aus Eternas. So lasst uns nun die unsere tun.«


Der Bote aus Eternas nickte. »Ihr seid die Letzten, denen ich Nachricht

geben muss.«


»Dann schließen wir uns Euch an, Pferdelord aus Eternas.« Der ältere

Mann wandte sich an den jüngeren, der unverkennbar sein Sohn war.

»Maredas, packe Proviant für drei Tage zusammen und hole die Feldflaschen,

ich sattle derweil unsere besten Pferde.« Er sah den Boten bedauernd an.

»Wir werden die Wolltiere zurücklassen müssen. Das wird eine Arbeit werden,

sie später wieder zusammenzutreiben.«


Malenan wählte die beiden besten Reittiere aus, die sie hatten, und begann

sie zu satteln. Danach ging er ins Haus zurück, wo sein Sohn bereits die

Waffentruhe geöffnet hatte. Malenan blickte zu der Kochstelle hinüber, an der

früher immer seine Frau gestanden hatte. Vor drei Jahren war sie an einem

Sturz gestorben, und nach wie vor fehlte sie ihm. Doch in diesem Augenblick

war er froh darüber, nicht in ihr sorgenvolles Gesicht blicken zu müssen.

Malenan zog sich sein Schuppenhemd über und befestigte den Harnisch.

Seinem Sohn stand nur ein Kettenhemd zur Verfügung. Sie setzten ihre

Helme auf, nahmen ihre Waffen und Rundschilde und trugen die Vorräte zu

den wartenden Pferden.


Nur wenige Augenblicke später galoppierten die drei Männer mit den

grünen Umhängen der Pferdelords aus dem Tal. Der Pferdefürst hatte die

Pferdelords gerufen, und sie würden kommen, den Eid zu erfüllen.


Die Pferdelords 01 - Der Sturm der Orks

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