Читать книгу Die Pferdelords 01 - Der Sturm der Orks - Michael Schenk - Страница 5

Kapitel 3

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Einst hatte Balwin einen großen Baum gefunden. Dieser große Baum hatte

sein Leben verloren, als Balwin den Tragebalken für die Decke seines Hauses

aus ihm gefertigt hatte, und so war aus dem großen Baum ein großes Haus

geworden. Es gab nicht viele große Bäume in der Hochmark, und in der Regel

schon gar keine, die es erlaubten, einen dicken Balken von fünf Längen aus

ihnen herauszuschälen. Die Hochmark war reich an Wolle und Erzen, sogar an üppigen Weiden, doch nicht an Bäumen. Natürlich gab es Bäume, vor

allem an der Südgrenze der Hochmark, doch diese waren meist klein und

wirkten leicht verkrüppelt, denn sie hatten um ihr Leben zu kämpfen.


Nedeam war froh, dass sein Vater ein großes Haus gebaut hatte, denn so

besaß der Zwölfjährige eine eigene Kammer. Wahrscheinlich waren auch

seine Eltern, Balwin und Meowyn, nicht unglücklich über diesen Umstand, da

die eigene Kammer des Sohnes ihnen eine gewisse Bewegungsfreiheit ließ.

Gelegentlich konnte Nedeam dies dem Knarren der Bettstatt seiner Eltern

entnehmen. Er war durchaus schon in einem Alter, in dem er wusste, warum

es Männer und Frauen zueinander zog, und gelegentlich zog es seine Eltern

ganz besonders zueinander hin. Dann stöhnten und seufzten seine Eltern recht

stark, weshalb Nedeam davon ausging, dass beide Schmerzen leiden mussten.

Erblickte er sie dann aber am nächsten Morgen, schienen sie beide

gleichermaßen ein eigenartiges Lächeln im Gesicht zu tragen, und Nedeam

fragte sich, was das wohl für Schmerzen sein mussten, die auch Freude

bereiteten und glücklich machten. Er selbst hatte sich vor einem Jahr einmal

mit dem Hammer auf die Hand geschlagen und dabei trotz der Schmerzen

keinerlei Freude empfunden.


Nedeam hatte nicht gut geschlafen. Nicht nur wegen des Knarrens, sondern

weil er aufgeregt war, denn heute sollte ein besonderer Tag für ihn werden,

das hatte ihm sein Vater angekündigt. So war Nedeam schon in aller Frühe

aufgestanden und hatte sich an den Tisch gesetzt, der im Wohnraum stand.

Der Tisch war alt, und seine massive Platte mit den zahllosen Kratzern

bewies, dass er der Familie seit Langem diente. Eine Scharte war besonders

tief und lang und rührte daher, dass sein Vater einmal mit seinem Schwert in

den Tisch gehauen hatte. Das Schwert war ebenso massiv wie sein Träger

Balwin und Balwin zudem mit einem außergewöhnlichen Temperament

gesegnet. Aber der Tisch hatte gehalten, so wie auch Nedeams Mutter

Meowyn wohlweislich ihren Mund gehalten hatte.


Der große Wohnraum war behaglich eingerichtet. Neben dem großen

Tisch und der Bank standen hier noch drei Schemel aus gutem Holz. Auf dem

gestampften Boden lagen sorgfältig behauene Steinplatten, die im Winter

zwar kalt sein mochten, dafür aber verhinderten, dass sich Nager ihren Weg

durch den Boden zu den Vorräten gruben. Der Boden war im Winter

tatsächlich kühl, aber man gewöhnte sich daran. An einer Wand stand die in

der Hochmark übliche große eisenbeschlagene Familientruhe, in der jede

Familie ihre wertvollen Besitztümer aufbewahrte. In Balwins Fall waren dies

seine Waffen. Nur sein mächtiger Rundschild lehnte neben der Tür an der

Wand, und sein Schwert lag nachts griffbereit in der Kammer, direkt neben

seiner Bettstatt.


In der gemauerten Kochstelle mit der eisernen Abdeckung glimmten noch

die Reste des letzten Feuers, und der Junge ging hinüber und blies prüfend in

die Glut. Sie war noch stark genug, und so legte er schnell einen getrockneten

Dungfladen nach. Wo Holz knapp war, gewöhnte man sich rasch an den

Geruch getrockneten Dungs. Sein verstorbener Großvater Windemir hatte

Nedeam einmal erzählt, wie er sich mit einem Pferdelord aus einer anderen

Mark geschlagen hatte, da dieser behauptet hatte, dass man die Männer der

Hochmark schon an ihrem Geruch erkennen könne. Der aufgelegte Dung fing

erst zu knistern und dann ein wenig zu rauchen an, als die Restfeuchtigkeit

verdampfte, bis er schließlich sanft flackernd zu brennen begann.


Man verschwendete nichts in der Hochmark. Getrockneter Dung wurde

niemals knapp, und das reichlich vorhandene Moos war nicht nur ein gutes

Heilmittel, sondern in getrocknetem Zustand auch ein guter Zunder.


Nedeam ging fröstelnd zur Tür und nahm seinen Umhang vom Haken. Ein

wenig neidisch blickte er dabei auf den grünen Umhang des Vaters, der sich

so sehr von seinem eigenen braunen unterschied. Der Umhang war aus

schwerer grüner Wolle und knöchellang. Sein Saum war mit feinen

Stickereien von dunkelblauer Farbe eingefasst, die verschlungene Muster

zeigten. Der Großvater hatte einmal behauptet, diese Muster seien elfischen

Ursprungs und würden noch aus der Zeit des alten Bundes stammen. Am Hals

wurde der Umhang durch eine Spange geschlossen, die zwei einander

abgewandte Pferdeköpfe zeigte. Diese Pferdeköpfe waren das Symbol des

Volkes der Pferdelords, und der Umhang versinnbildlichte somit all die

Traditionen, für die sein Träger einstand. Doch irgendwann würde auch

Nedeam den Umhang eines Pferdelords tragen dürfen. Reiten konnte er

bereits, wie fast alle in der Hochmark, aber er durfte noch keine Waffen

tragen. Der Dolch, den jeder in der Mark trug, diente ihm lediglich als

Besteck, als Werkzeug und zur Körperpflege. Und nur wenn Nedeam die

kleine Herde hütete, durfte er einen Bogen mit sich führen. Balwin hatte ihm

beigebracht, wie man einen Pfeil ins Ziel brachte, und schließlich sogar

zugeben müssen, dass sein Sohn ein ausgesprochenes Geschick darin besaß,

mit dem Bogen umzugehen. Doch bis Balwin ihn auch im Umgang mit

Schwert oder Axt unterweisen würde, würden noch Jahre vergehen.


Nedeam verspürte ein drängendes Bedürfnis und hob den schweren Riegel

der Tür aus seiner Verankerung. Kalte Luft strömte ihm entgegen, als er sie

öffnete und vor das Haus trat. Das Haus war massiv, wie alle Gebäude in der

Hochmark. Es war niedrig und lang gestreckt, um genügend Raum zu bieten

und zugleich den Stürmen des Winters zu trotzen. Der Mangel an Bauholz

hatte dazu geführt, die Bauten aus Stein und Fels zu errichten, denn auch

daran war die Hochmark reich. Aber die Männer und Frauen hatten aus der

Not eine Tugend entwickelt. Die Steine wurden nicht einfach grob

zusammengefügt, sondern kunstvoll bearbeitet und mit Verzierungen

versehen, die oftmals Motive aus der jeweiligen Familiengeschichte zeigten.

So zeigte Balwins Haus im Türsturz das Bild eines Mannes über einem

getöteten Pelzbeißer. Nedeams Großvater Windemir hatte den pelzigen

Räuber einst mit einem Dolch getötet, und die ganze Familie war stolz darauf,

denn es gab nicht viele, die sich rühmen konnten, ein solches Untier jemals

mit blanker Klinge besiegt zu haben.


Die Tür selbst war aus massiven Bohlen und mit starken Eisenbeschlägen

versehen, die ebenfalls kunstvoll geschmiedet waren. Neben der Tür befanden

sich eiserne Ringe, die in die Hauswand eingelassen waren und es einem

Reiter erlaubten, die Zügel seines Pferdes daran zu befestigen, auch wenn das

Pferd eines richtigen Pferdelords eine solche Vorrichtung gar nicht brauchte,

denn es war darauf trainiert, sich niemals weit von seinem Herrn zu entfernen.

Einige Längen vor dem Haus stand die Tränke, und Nedeam sah eine dünne

Eisschicht auf dem Wasser.


Er schüttelte sich fröstelnd und sah zu dem kleinen Verschlag hinüber, der

ein Stück neben dem Haus stand. In ihm konnte man sich erleichtern, ohne

das Haus im Sommer mit unangenehmen Gerüchen zu erfüllen. Nedeam trat

an den Verschlag heran und schob das Fell am Eingang zur Seite und ließ es

rasch wieder hinter sich zuschlagen. Er mochte die Kälte des frühen Morgens

nicht, vor allem, wenn er sein Gesäß entblößen musste. Der Knabe

vergewisserte sich, dass die gewaschenen Wolltücher bereitlagen, und

widmete sich dann seiner Verrichtung. Sorgsam reinigte er sich, wusch die

Wolltücher in dem bereitgestellten Wassereimer aus und nahm ein weiteres

Tuch, um sein Gesäß zu trocknen. Anschließend reinigte er seine Hände in

einem zweiten Eimer. Seine Mutter legte größten Wert auf diese Reinlichkeit,

obwohl Nedeam sich manchmal dachte, dass seine Hose genauso gut dazu

geeignet war, sich an ihr die Hände zu trocknen. Aber Meowyn war da stur

wie ein rossiger Hengst.


Nedeam verließ den Verschlag und kehrte zum Haus zurück. Noch immer

frierend, schlang er sich seinen braunen Umhang um die Schultern und setzte

sich wieder an den Tisch. Das Licht war trübe, denn die Fettlampe war über

Nacht ausgegangen, und obwohl es draußen bereits hell wurde, ließ das

Fenster nicht viel Licht herein. Balwin hatte dessen hölzernen Rahmen mit

dem Darm eines Wolltieres bespannt und Meowyn hielt ihn regelmäßig sauber,

aber die transparente Haut filterte das Licht trotzdem immer trübe. Nedeam

klopfte unruhig mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte. Heute würde ihm

sein Vater erstmals eine große Verantwortung übertragen. Er würde nach

Eternas reiten und dort die Stadt und die Burg des Pferdefürsten Garodem

sehen, ohne dass seine Eltern ihn mit Argusaugen beobachten konnten.


Der Zwölfjährige hörte ein vernehmliches Gähnen und Schnauben, einen

leisen Fluch, als etwas hörbar gegen die Bettstatt der Eltern stieß, und

schließlich das leise Murmeln seiner Eltern. Kurz darauf wurde das dicke

Wolltierfell zurückgeschlagen, und Balwin trat aus der Schlafkammer in den

Wohnraum. Er runzelte die Stirn, als er seinen Sohn am Tisch sitzen sah, und

grinste dann.


»Eternas ruft, was, mein Sohn?« Balwin lachte gutmütig und blickte zur

Feuerstelle. Er sah den frischen Dungfladen brennen und nickte zufrieden.

»Nun, du solltest dich stärken. Du wirst drei Tage lang fort sein, wenn alles

glatt verläuft.« Balwin erhob seine Stimme. »Meowyn, Weib, erhebe dich.«


So grob und starkknochig sein Vater Balwin wirkte, so zart und zierlich

war Meowyns Gestalt, die kaum zu der ihres Mannes zu passen schien.

Mechanisch glättete sie ihre langen blonden Haare mit ihrem Hornkamm,

während sie das Wolltierfell zur Seite drückte und ihren Kopf in den Raum

schob. »Ja, mein Gebieter«, sagte sie mit leiser Stimme und zwinkerte

Nedeam dabei fröhlich zu.


»Ihr habt wieder geknarrzt«, entschlüpfte es Nedeam.


Meowyn errötete ein wenig, und Balwin sah seinen Sohn stirnrunzelnd an.

Er drohte ihm grinsend mit dem Finger und sah dann seine Frau an.

»Verdammtes Weib. Ich habe dir schon so oft gesagt, dass du dabei nicht

einen solchen Lärm machen sollst.«


»Binde die Bettstatt neu«, erwiderte Meowyn spöttisch. »Oder leichtere

dich.«


»Ich brauche meine Muskeln«, knurrte Balwin mit gespielter Empörung.

»Und eil dich endlich, unserem Jungen etwas Ordentliches aufzutischen. Er

muss heute die Arbeit eines Mannes verrichten und nach Eternas reiten.«


Balwin nahm sich den eisernen Eimer und ging damit zur Tür. »Am besten

wirst du dir nach dem Frühstück Stirnfleck satteln. Er ist ein gutes Pferd, stark

und ausdauernd.«


Nedeam nickte stumm und sah zu, wie sein Vater das Haus verließ, um

Wasser aus dem nahe liegenden Bachlauf holen zu gehen. Meowyn trug noch

immer ein Lächeln ob der vergangenen Nacht in den Augen, als sie den

Kessel auf die Feuerstelle stellte und Brot aus der verzierten Vorratstruhe

nahm, die Nedeam einst auch als Wiege gedient hatte. Im Gegensatz zu

Balwin führte sie eine sanfte Stimme, und Nedeam war sich keineswegs

sicher, wer von seinen Eltern wirklich im Haus gebot. Balwin liebte es, seine

Stimme zu erheben, aber wenn Meowyn ihn anlächelte, beruhigte sich sein

Wesen seltsamerweise sofort.


»Wir werden Salz brauchen«, sagte seine Mutter, während sie das

Frühstück vorbereitete. »Dein Vater wird dir dafür zum Handeln ein paar

Felle und Wolle mitgeben.« Sie lächelte ihren Sohn an. »Vielleicht fällt sogar

etwas Süßwurzel für dich ab.«


Nedeam grinste erfreut. Er liebte Süßwurzeln. Man musste sie zwar

ordentlich kauen, bis sie ihren Saft endlich freigaben, aber danach waren sie

ein köstlicher, wenn auch seltener Genuss. Balwin brachte das Wasser herein

und setzte sich dann zu Nedeam an den Tisch. Er beugte sich ein wenig zu

ihm vor und senkte dabei seine Stimme, damit Meowyn nicht alle seine Worte

verstehen konnte. Was schwer war, denn Nedeam wusste, wie gut seine

Mutter hören konnte. Vor allem jene Dinge, die sie eigentlich nicht hören

sollte.


»Hör zu, mein Sohn, das mit dem Knarrzen … Halte es für dich. Es macht

deine Mutter verlegen, wenn du darüber sprichst.« Balwin bemerkte den

Blick seiner Frau und errötete ein wenig. Verlegen zupfte er an seinem

dunklen Vollbart. »Nun, wie auch immer.« Er räusperte sich. »Du wirst an

meiner Stelle zum Eisenschmied nach Eternas reiten und dort ein neues

Messer für die Wolltierschur besorgen. Guntram ist ein alter Gauner. Er wird

versuchen, dich übers Ohr zu hauen. Aber gib ihm keinesfalls mehr als ein

Fell. Der alte Gauner hat mehr als genug Eisen, und die Arbeit tut ihm nur

gut. Und achte darauf, dass die Klinge des Messers gut geschärft ist.«


»Natürlich, Vater«, sagte Nedeam ernsthaft. »Ich werde darauf achten. Soll

ich auch die alte Schurklinge mitnehmen, damit sie nachgeschmiedet werden

kann?«


Balwin nickte. »Das ist eine gute Idee. Ich schärfe sie zwar regelmäßig,

aber langsam wird sie dünn und schartig. Es wäre tatsächlich besser, wenn

Guntram ihre Schneide neu schlagen würde.« Balwin schlug seinem Sohn

freundlich auf die Schulter, und der Schlag durchfuhr den schmächtigen

Jungen. »Du denkst richtig, Nedeam, und das ist gut so. Denn irgendwann

wirst du ein eigenes Haus gründen, und dazu musst du wissen, wie ein

Herdenhüter denkt.«


»Das hat wohl noch ein wenig Zeit«, wandte Meowyn ein und brachte

Brot, Schmalz und Wolltierkäse zum Tisch.


»Hast recht, Meowyn«, sagte Balwin auflachend. »Pferde mag er schon

besteigen. Das andere hat noch Zeit.« Er lachte, bis seine Frau sich räusperte.


Nedeam spürte, dass da noch etwas anderes im Raum stand, das für ihn

wohl noch ein Geheimnis bleiben sollte, aber er konnte sich schon denken,

dass dies mit dem Knarrzen zu tun hatte, und er lächelte verstohlen. Nedeam

nahm die flachen Schüsseln entgegen und verteilte sie, während sein Vater

große Stücke vom Brot brach.


»Zwei tote Wolltiere bei uns und eines bei Halfar, das gefällt mir nicht«,

brummte Balwin und biss in Brot und Käse. Seine Stimme wurde ein wenig

undeutlich, als er fortfuhr. »Gelegentlich findet eine Raubkralle ihren Weg zu

uns, oder ein Wolltier verendet. Damit müssen wir leben. Aber hier geht es um

drei Wolltiere in einem Zehntag.« Balwin schluckte und nahm einen Becher Wasser zum Nachspülen. »Bald ist Lammzeit, da sind die Herden besonders

schutzlos.«


Meowyn sah ihn ernst an. »Du willst Ausschau halten, nicht wahr? Dich

hat das Jagdfieber gepackt, ich kenne doch diesen Blick bei dir.«


Balwin wischte sich den Mund. »Wir können kein Raubzeug zwischen den

Herden gebrauchen, das weißt du, Meowyn. Und Halfar kann sich nicht

darum kümmern. Seine Frau bekommt bald ihr Kind, und seine Tochter ist

noch zu klein, um die Herde zu hüten.«


Meowyn lächelte. »Also werde ich unsere Herde hüten, und mein großer

und stattlicher Mann wird auf die Jagd gehen.«


»Du denkst wie eine richtige Herdenhüterin«, brummte Balwin. »Wenn da

draußen wirklich eine Raubkralle ist, dann werde ich sie finden und erlegen.«


Nedeam dachte an die tote Raubkralle, die er im Vorjahr gesehen hatte, als

ein Beritt des Pferdefürsten vorbeigekommen war. Es war ein schlankes und

schönes Tier gewesen, etwa groß wie ein Wolltier, doch mit tödlichen Krallen und einem mörderischen Gebiss mit langen Reißzähnen ausgestattet. Es hatte

ein goldgelbes und unglaublich weiches Fell besessen. Schon eine einzelne

Raubkralle war nicht zu unterschätzen, doch meist lebten und jagten sie in

einem Rudel von drei oder vier Tieren.


Balwin spürte die Besorgnis der anderen und lächelte aufmunternd. »Ich

habe einen guten Bogen und scharfe Pfeile. Außerdem einen starken Arm und

eine scharfe Klinge. Es wird schon gut gehen.«


»Jedenfalls solltest du nicht allein gehen«, sagte Meowyn besorgt. »Wenn

es mehrere sind, wirst du rasch in Bedrängnis kommen. Du weißt, dass sie

angreifen, wenn sie sich bedroht fühlen oder hungrig sind.«


Nedeams Vater zuckte die Schultern und strich sich durch den dichten

Bart. »Keine Sorge, Weib, ich werde auf mich achten.« Er sah sie an und

nickte dann. »Das werde ich wirklich.« Plötzlich lachte Balwin dröhnend auf

und schlug vergnügt mit der Faust auf den Tisch. »Was rede ich da von

Raubkrallen, wo doch heute noch etwas viel Gefährlicheres geschieht? Unser

Sohn geht allein in die Stadt, das nenne ich Gefahr.« Er schlug Nedeam

erneut auf die Schulter. »Ah, er wird stumpfe Klingen zu überteuerten Preisen

kaufen«, knurrte er und zwinkerte Nedeam dabei zu. »Er wird nur auf Unsinn

achten und statt guter Messer wertlose Süßwurzeln erstehen, nicht wahr?«


Nedeam sah das besorgte Gesicht seiner Mutter und nickte mechanisch.


Für einen Moment aßen sie schweigend, bis Balwin seine Schüssel von

sich schob und Meowyn auffordernd ansah. »Ich denke, es ist an der Zeit.

Nedeam, du gehst Stirnfleck satteln, das ist deine Aufgabe, deine Mutter wird

dir währenddessen etwas Ordentliches zu essen einpacken.« Und zu Meowyn

gewandt: »Gib ihm etwas von dem getrockneten Pferdefleisch mit, es ist

haltbar und nahrhaft. Ich werde inzwischen die Felle und die Wolle holen.«


»Und die alte Klinge«, erinnerte ihn Nedeam.


Balwin nickte. »Und die alte Klinge, junger Herdenhüter.«


Nedeam folgte ihm nach draußen, während Meowyn den Reiseproviant

packte: Brot, Wolltierkäse und getrocknetes und leicht gesalzenes

Pferdefleisch. Im Land der Pferdelords gehörte Pferdefleisch zu den

Grundnahrungsmitteln, aber kein Pferdelord verzehrte jemals das Fleisch des

eigenen Pferdes. Verstarb ein Tier, so schenkte man das Fleisch dem

Nachbarn.


Ein Stück vom Haus entfernt befand sich die kleine Koppel, in der die

Pferde der Familie standen und in deren einer Ecke ein offenes Mauergeviert

errichtet worden war, das mit Grassoden und Steinen abgedeckt war. Wurde

die Witterung im Winter zu stürmisch oder aber setzten die schweren

Regenstürme ein, die gelegentlich mit Eiskörnern versetzt waren, zogen sich

die Pferde dorthin zurück. Selbst die Tiere in den Tälern suchten dann Schutz

zwischen den Felsen. Doch die Pferde der Hochmark waren bekannt dafür,

dass sie ungewöhnlich zäh und robust waren. Und sie waren Kämpfer, denn

die Männer der Hochmark trainierten ihre Reittiere für den Kampf. Ihr Huf

und ihr Gebiss konnten ebenso tödlich sein wie Pfeil, Lanze oder die blanke

Klinge.


Nedeam trat in die Koppel, sprach mit den Pferden, die ihn freudig

begrüßten und ihre Köpfe an ihm rieben. Doch an diesem Tag interessierte

ihn nur ein einziges Pferd: Stirnfleck. Der große braune Hengst hatte einen

lang gezogenen weißen Fleck an seiner Stirn und war das stärkste ihrer

Reittiere. Normalerweise wurde er nur von Balwin geritten, und so war dieser

Tag für Nedeam in doppelter Hinsicht außergewöhnlich, würde er doch nicht

nur allein nach Eternas reiten, sondern auch noch auf dem Hengst seines

Vaters. Der Hengst tänzelte aufgeregt, als er begriff, dass er nun bald aus der

beengenden Koppel herauskommen würde. Stirnfleck liebte lange Ausritte,

und als ihm Nedeam Satteldecke und Sattel auflegte, verharrte der Hengst

bereitwillig. Nedeam zog den Sattelgurt straff und sah dabei wehmütig auf

den leeren Lanzenschuh am rechten Steigbügel und die leere Halterung für

den Schildriemen. Noch vier lange Jahre würde es dauern, bis er endlich als

Kämpfer geschult werden und den Umhang des Pferdelords erhalten würde.

Vier Jahreswenden!


Nedeam seufzte leise und legte Stirnfleck das Zaumzeug an. Der Hengst

schnaubte leise, als er die großen Tragetaschen über die Kruppe aufgelegt

bekam, denn er mochte die Beengung durch diese Lastbehälter nicht. Zuletzt

befestigte Nedeam die großen Ledertaschen noch am Riemen des Sattels,

sodass sie nicht verrutschen konnten. Dann nahm er Stirnfleck am Zügel und

führte ihn aus der Koppel.


Balwin trat gerade aus dem kleinen Anbau des Hauses und trug gegerbte

Häute und Felle sowie Nedeams Jagdbogen über dem Arm. Sorgfältig schob

er Felle und Häute in die Tragetaschen und band den Bogen zusammen mit

einem Pfeilköcher am Sattel fest. »Biete dem Eisenschmied erst die zweite

Wahl an«, sagte Balwin. »Seine Augen sind nicht mehr besonders, und er

wird ohnehin versuchen, dich zu übervorteilen. Achte auf rostige Stellen an

den Klingen, die er dir bietet. Kratze den Rost sorgfältig ab. Manche sagen,

Guntram biete Klingen an, die beschädigt seien, und überdecke die

Bruchstellen mit Schmutz.« Balwin lächelte. »Ich glaube nicht, dass Guntram

wirklich solch ein Gauner ist, aber er ist immerhin Eisenschmied und ein

elender Feilscher.«


Balwin sah Meowyn mit dem Proviantsack aus dem Haus treten. »Und lass

deiner Mutter etwas von der Süßwurzel übrig, mein Sohn. Das wird sie

freuen.«


Meowyn reichte Nedeam den Proviant, und dieser schwang sich in den

Sattel. Mechanisch schob er den Jagdbogen in die richtige Position und

prüfte, ob die Pfeile richtig im Köcher saßen. Sie durften sich beim Ritt nicht

lösen, mussten aber jederzeit griffbereit sein.


»Wahre die richtige Form, Nedeam«, ermahnte sie ihn. »Das Du ist nur in

der Familie erlaubt, jedem anderen gebührt die höfliche Anrede. Achte stets

darauf, guter Herr oder gute Frau zu sagen, damit man dich nicht für

ungehobelt hält.«


»Ich weiß, Mutter«, versicherte Nedeam.


»Sollte dir der Heiler begegnen, so nenne ihn Hoher Herr.«


»Was auch für den Ersten Schwertmann gilt«, warf Balwin lächelnd ein.

»Ach,


Meowyn, Weib, er weiß doch wohl, wie er sich zu benehmen hat.«


»Ja, das tue ich«, bestätigte Nedeam und reckte sich im Sattel.


Balwin grinste beifällig. »Schneller Ritt und scharfer Tod.«


Nedeam sah seinen Vater zustimmend an, doch Meowyn legte ihre Hand

auf Balwins Arm. »Noch ist dein Sohn kein Pferdelord, Balwin.« Sie sah

Nedeam aufmunternd an. »Auch wenn er jetzt fast schon so aussieht.«


Der Zwölfjährige reckte sich stolz und strahlte glücklich. In diesem

Augenblick war es ihm gleichgültig, dass die Farbe seines Umhangs noch

Braun war und nicht das Grün der Pferdelords aufwies. So verabschiedete er

sich von seinen Eltern, zog Stirnfleck herum und trabte von dem kleinen

Gehöft in Richtung auf die große Stadt Eternas und seinem Abenteuer

entgegen.


Balwin legte den Arm um seine Frau Meowyn und zog sie zärtlich an sich.

»Keine Sorge, Weib. Er reitet ins Innere der Mark. Dort ist er sicher.«


Meowyn seufzte leise. »Die toten Wolltiere beunruhigen dich mehr, als du

eingestehst.«


Balwin erwiderte nichts. Aber das brauchte er auch nicht.


Die Pferdelords 01 - Der Sturm der Orks

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