Читать книгу Die Pferdelords 01 - Der Sturm der Orks - Michael Schenk - Страница 4
Kapitel 2
ОглавлениеZunächst sah es danach aus, als habe sich einer der zahllosen Gesteinsbrocken
von den steilen Hängen des Pfades gelöst. Aus der Ferne war jedenfalls nur
das typische ungleichmäßige Grau eines großen Steines mit seinen grünen
Stellen zu erkennen, die vom Moosbewuchs herrührten. Aber als die fünf
Reiter langsam näher kamen, wurden zusätzlich auch bräunliche Flecken
sichtbar, und die Pferde spürten noch vor den Männern, dass dies kein
gewöhnlicher Felsen war. Kormunds grauer Hengst schnaubte leise, und der
stämmige Mann beugte sich ein wenig vor, um den Hals seines Tieres
beruhigend zu tätscheln. Reiter und Pferd nahmen jetzt beide den leichten
Geruch von Kupfer wahr. Den Geruch von vergossenem Blut.
»Ganz ruhig, mein Alter«, sagte Kormund leise. »Ich weiß ja, was du
meinst.«
Der kräftige Reiter hielt den Blick aufmerksam auf den zweifelhaften
Felsen und die umgebenden Hänge gerichtet und hob dann seine rechte Hand
leicht an. Er hörte das leise Pochen der Hufe, als die anderen vier Reiter
rechts und links von ihm zur Kampfformation ausschwärmten. Wobei Parem,
der noch unerfahren war, sein Pferd zu weit vortrieb, doch ein missbilligender
Blick seines benachbarten Reiters ließ ihn errötend seine Position korrigieren.
Nichts war zu hören, außer dem steten Wind, der hier über die Hänge der
Hochmark strich, und dem gelegentlichen Knarren des ledernen Sattelzeugs.
Der Wind der Hochmark ließ auch die langen grünen Umhänge der Reiter
unruhig auswehen, als seien sie eigenständige Lebewesen. Sie alle trugen die
grünen Umhänge der Pferdelords, und vor ihren rechten Schenkeln hingen die
typischen Rundschilde ihres Volkes vom Sattelknauf. Grüne Schilde mit dem
Wappen der Hochmark des Königs, einem doppelten Pferdekopf mit einem
Schmiedehammer, und diese gekreuzten Symbole wiederholten sich auch auf
den Brustharnischen der Männer. Blaue Rosshaarschweife waren an den
Kämmen ihrer runden Helme befestigt. Die Reiter trugen Lanze und Schwert
der Wache des Pferdefürsten Garodem. Schwertmänner nannte man sie, und
sie waren stolz auf diesen Ehrentitel. Von Kormunds erhobener Lanzenspitze
wehte der lange dreieckige Wimpel der Pferdelords aus und zeigte an, dass er
der Führer eines Beritts war. Der Wimpel bildete ein weißes Pferd auf grünem
Grund ab, wobei der Kopf des Tieres stets nach vorne, dem Feind entgegen,
wies, und er war rundherum mit einer schmalen dunkelblauen Borte
eingefasst. Dem dunklen Blau der Hochmark.
Kormund ließ sein Pferd im Schritt auf den vermeintlichen Felsbrocken,
der vor der Patrouille auf dem Weg lag, zugehen, und als die Gruppe näher
kam, wurde der faulige und süßliche Geruch der Verwesung, der von dem
Klumpen ausging, zunehmend für alle riechbar. Insekten begannen sich von
dem Gegenstand zu erheben, und nun wussten sie, dass hier wohl ein
menschliches Lebewesen den Tod gefunden haben musste, denn der Klumpen
vor ihnen war zu klein für ein Pferd und zu groß für ein Wolltier, aber genau
richtig für einen Menschen.
Die Gruppe hielt neben dem Toten an, und Kormund und sein Freund und
Stellvertreter Lukan schwangen sich aus den Sätteln. Sie stießen die
Lanzenenden in den Boden und gingen nebeneinander zu den menschlichen
Überresten hinüber.
»Einer der Unseren«, brummte Lukan und rümpfte wegen des Gestanks die
Nase, als er den Toten herumzog. Jetzt wurden die Konturen der Gestalt
deutlicher, ebenso wie die Verletzungen, die der Mann erlitten hatte. Auch
der vom Wind herangewehte feine Staub löste sich teilweise und entblößte
nun die Kleidung und die Wunden des Toten. Lukan zupfte an dem grünen
Umhang der Leiche. »Ein Pferdelord.«
Kormund nickte. »Einer der Unseren. Aber nicht aus der Hochmark. Habt
Ihr den Saum gesehen?«
»Natürlich.« Der Umhang war mit einem goldenen Saum eingefasst, was
ihnen zeigte, dass es sich bei dem Reiter, der vor ihnen lag, um einen Mann
aus der Mark des Königs gehandelt haben musste. Sein Gesicht war
unkenntlich. »Ich denke, er dürfte fünf oder sechs Tage hier liegen. Jedenfalls
noch keinen Zehntag.« Er sah sich um. »Kein Helm. Er hat seinen Helm
verloren. Seltsam.«
Der Helm hätte ihnen verraten können, ob der Mann direkt vom Hofe des
Königs gekommen war, denn alle Schwertmänner der königlichen Wache
trugen keine blauen, sondern helle Rosshaarschweife an ihren Helmkämmen.
Die Augen und größere Gewebeteile des Toten waren bereits von Aasfressern
und Insekten weggefressen worden. Lukan knurrte missmutig und starrte in
den halb offenen Mund der Leiche. »Die Zähne sind noch in Ordnung. Es
muss ein junger Mann gewesen sein. Was, beim Dunklen Turm, hat ein
Pferdelord des Königs hier bei uns verloren?«
»Ja, das würde mich auch interessieren.« Kormund bückte sich neben
seinem Freund und begann die Leiche zu untersuchen. »Aber zunächst
interessiert mich, was ihn getötet hat. Seht Ihr diese parallelen Risse in seiner
Kleidung? Sieht ganz nach den Krallen eines Pelzbeißers aus.«
Lukan wiegte den Kopf. »Ein Pelzbeißer? Hier bei uns? Ich weiß nicht, die
Mark liegt ziemlich hoch im Gebirge. Ein Pelzbeißer findet hier nicht viel,
was er fressen kann, und würde wohl ziemlich hungrig bleiben. Oder aber in
seinem Hunger eine der Herden anfallen und danach ein rasches Ende finden,
denn die Herdenwächter sind nicht zimperlich.«
»Vielleicht ein alter Einzelgänger, der aus den tiefen Marken zu uns
hochkam und hungrig genug war, um einen Mann anzufallen.«
Lukan grinste. »Stellt den jungen Parem auf die Probe und nicht mich,
mein alter Freund. Ihr seht selbst, dass hier nur kleine Aasfresser ihr Werk
verrichtet haben. Ein hungriger Pelzbeißer hätte sich einen ordentlichen
Happen genommen.«
Lukan sah seinen stämmigen Freund kopfschüttelnd an und zupfte dann an
den Überresten der Kleidung des Toten. Der faulige Gestank verstärkte sich
noch, als er dessen Bekleidung schließlich mit dem Dolch zerschnitt und
auseinanderzog. Unter Harnisch und Wams war der Körper bereits
aufgedunsen und sichtlich in Verwesung übergegangen. Aber die vielen tiefen
Schlitze im Leib waren dennoch gut zu erkennen. Es gab jeweils vier tiefe
Furchen, die bis zu den Organen vorgedrungen waren.
Lukan hielt eine Hand mit gespreizten Fingern über die Wunden und
nickte dann. »Sieht wirklich nach einem Pelzbeißer aus. Ein sehr großes
Exemplar. Jedenfalls sehe ich nichts, was auf Schwert, Pfeil oder Lanze
hindeutet. Nein, ich denke, es muss wohl doch ein Raubtier gewesen sein.«
»Jedenfalls werden wir nun wohl schwerlich erfahren, was der arme Kerl
bei uns wollte.« Kormund erhob sich und trat mit seinem Freund zur Seite,
um dem Gestank etwas auszuweichen. »Ein Pferdelord des Königs. Seit über
dreißig Jahren ist kein Mann des Königs mehr in der Hochmark gewesen.«
»Mit Sicherheit kam er nicht ohne Grund. Doch darüber mag sich der
Pferdefürst den Kopf zerbrechen.« Lukan stieß seinen Dolch einige Male in
den Boden, um ihn zu säubern, und steckte ihn danach wieder in die Scheide
an seinem Gürtel zurück. »Was meint Ihr, Kormund, mein Freund, soll die
Schar weiter an der Grenze entlangreiten, oder sollen wir vorzeitig nach
Eternas zurückkehren?«
»Wir suchen nach Raubzeug und Eindringlingen, Lukan. In der letzten Zeit
sind zu viele Wolltiere gerissen worden. Die Menschen in den Gehöften
und Weilern sind unruhig. Vielleicht ist es dieser Pelzbeißer, der all das
verursacht hat, und wir sind ihm nun endlich auf der Spur.«
»Fünf oder sechs Tage. Eine recht kalte Spur, alter Freund.«
Kormund zuckte die Achseln. Er sah die anderen Reiter an. »Wir sehen
uns erst einmal hier um, ob wir in der Nähe noch andere Spuren finden.
Achtet auf den Krallenabdruck eines Pelzbeißers.« Er blickte zu der Leiche
hinüber. »Und begrabt den Mann in Ehren.«
Natürlich war es Parem, der noch unerfahrene Pferdelord, dem die
undankbare Aufgabe zufiel, ein Grab vorzubereiten. Er saß mit den anderen
Männern ab und zog seinen Dolch, um am Rand des Pfades eine flache Grube
auszuheben, die man danach mit Steinen bedecken würde. Der Rest der Schar
schwärmte aus und suchte nach Spuren. Aber der Boden war hart und steinig,
sodass es nicht leicht war, etwas zu finden. Doch das waren die Männer der
Hochmark gewohnt, und sie brauchten nicht viel, um Hinweise zu finden. Ein
Stein, der umgedreht worden war und dessen mit Moos bewachsene Seite
nach oben zeigte, ein paar helle Kratzer auf den Felsen, vielleicht sogar ein
Abdruck an den wenigen weichen Stellen im Boden … Wenn es etwas gab,
würden es die erfahrenen Männer auch finden. Es war ihre Aufgabe, denn die
Wolltiere stellten den Reichtum der Hochmark dar. Die Wolltiere und das Erz, das man hier reichlich fand. Aber Erz konnte man nicht essen, und der Verlust
von Wolltieren bedeutete eine große Gefahr. Nein, die Männer nahmen ihre
Aufgabe ernst.
Der schlaksige junge Parem, dessen rotblonde Haare unter dem Rand
seines Helmes herausschauten, hatte mittlerweile eine flache Grube fertig
ausgehoben und blickte angewidert, als ihm nun auch noch die unangenehme
Aufgabe zufiel, die Leiche dorthin zu schaffen. Kormund sah zu ihm hinüber
und verzog das Gesicht. Doch er konnte dem jungen Mann keinen ernsthaften
Vorwurf machen. Also ging er zu Parem hinüber, um ihm zu helfen.
»Ich weiß, es ist keine angenehme Pflicht«, knurrte er und packte mit an.
»Aber ein Pferdelord verdient auch im Tode eine ehrenvolle Behandlung.
Keiner der Unseren bleibt für das Raubzeug liegen. Atme stärker durch den
Mund ein, das macht es etwas leichter.«
Sie legten die Leiche in die flache Grube, und Kormund war erleichtert, als
ihnen dies auf Anhieb gelang. Er hatte schon anderes erlebt. Damals, als es
noch Kämpfe und große Schlachten gegen den Feind gegeben hatte, hatte
man für manchen Toten mehrere Handreichungen machen müssen. Sie
hüllten die Leiche notdürftig in den zerfetzten grünen Umhang mit dem
goldenen Saum der königlichen Wache ein. Der Scharführer sah Parem
zögern. »Was ist?«
»Seine Waffe«, murmelte der junge Pferdelord verwirrt. »Ich kann keine
Waffe finden. Wir müssen ihm doch seine Waffe in die Hand geben, nicht
wahr? So will es doch die Tradition.«
Kormund fluchte unterdrückt. Warum war ihm das nicht aufgefallen? Ihm
als altem Krieger und erfahrenem Pferdelord hätte dies sofort auffallen
müssen. Wo waren die Waffen des Toten? Kein Pferdelord ging ohne Waffen
durchs Leben, und kein Pferdelord ging ohne Waffen zu den Goldenen
Wolken. Wo waren die Waffen?
Kormund richtete sich auf und erhob seine Stimme. »Seine Waffen fehlen!
Lukan, wie weit kann einem Mann im Kampf ein Schwert aus der Hand
geschleudert werden?«
»Vier, vielleicht auch fünf Längen«, kam Lukans Antwort.
»Dann sucht auf zehn Längen um die Fundstelle herum«, rief Kormund.
»Seine Waffen müssen zu finden sein. Zumindest eine Waffe.«
Denn wenigstens eine Waffe mussten sie dem Toten in die Hand geben,
damit er als Pferdelord ehrenvoll zwischen den Goldenen Wolken
voranstürmen konnte. Also begannen die Männer nach dem Schwert, der
Lanze oder dem Bogen des Mannes zu suchen. Doch sie fanden nicht einmal
seinen Dolch. Nach einer Weile erfolglosen Suchens rief Kormund die
Männer zu sich zurück.
»Kein Raubtier entwendet Waffen«, knurrte Lukan grimmig. »Also muss
jemand vorbeigekommen sein und sie dem Toten abgenommen haben.«
»Und wer es auch war, dieser Jemand war kein Pferdelord, denn kein
Pferdelord würde einem Toten jemals die Waffe nehmen«, bestätigte
Kormund mit finsterem Gesicht. »Ein Dieb ist in der Hochmark. Vielleicht
ein Geächteter oder Plünderer aus den fernen Ländern.«
»Oder Orks«, wandte Parem ein.
Lukan musterte den jungen Reiter auflachend. »Orks. Seit einem
Menschenalter sind keine Orks mehr in die Marken des Königs eingedrungen.
Wer von euch, außer Kormund und mir, hat denn überhaupt schon einmal
einen Ork zu Gesicht bekommen?« Lukan spuckte aus. »Orks. Vor vielen
Jahren haben wir sie niedergeritten, und wir taten es ruhmreich. Nie wieder
werden Orks das Land der Pferdelords beschmutzen. Sie gehören ins Land
der Sage.«
»Wie die Elfen«, knurrte ein anderer Reiter.
»Das ist etwas anderes«, erwiderte Lukan. »Elfen gibt es noch.« Er zuckte
die Achseln. »Sagt man jedenfalls«, schränkte er ein. »Irgendwo in den
westlichen Landen und im Norden. Der Pferdefürst selbst hat einst einige von
ihnen am Hofe des Pferdekönigs gesehen. Nein, Elfen gibt es noch. Aber
Orks? Unsere Klingen haben sie in die Flucht geschlagen, und die Hufe
unserer Pferde haben sie in den Boden gestampft.«
»Das ist wohl wahr«, sagte Kormund leise. »Dennoch mag es noch welche
geben. Aber sie würden es nicht wagen, jemals wieder unser Land zu
betreten. Doch es gibt mehr als genug Söldner, Plünderer und Barbaren, die
auf dem Raubzug sein könnten. Hinter dem Tod des Mannes vom Hofe des
Königs scheint mir mehr zu stecken, als ich zunächst gedacht habe.« Der
Scharführer reckte sich nachdenklich. »Auch wenn es nur eine kleine
Handvoll Eindringlinge sein mag, so bilden sie doch für die abgelegenen
Gehöfte eine Gefahr. Der Pferdefürst muss davon erfahren.«
»Also kehren wir nach Eternas zurück«, stellte Lukan fest.
Kormund nickte. »Das tun wir.« Er blickte auf das unvollendete Grab.
»Zunächst erweisen wir jedoch dem Toten unsere Ehre.«
Sie traten an das offene Grab heran und blickten sich dann zögernd an. Sie
wussten, was zu tun war, doch kein Pferdelord gab gerne seine Waffe aus der
Hand. Schließlich stieß Kormund ein leises Knurren aus. Er konnte von
seinen Männern nicht erwarten, was er selbst nicht zu vollbringen bereit war.
Mit einem leisen Zischen fuhr die Klinge seines Schwertes aus der Scheide,
und er bückte sich, um die Hand des Toten um den Griff der Waffe drücken
zu können.
Lukan legte seinem Freund die Hand auf die Schulter. »Wohl getan, mein
alter Freund.«
Kormund seufzte leise. »Es gibt noch viele andere gute Klingen. Die
Hochmark ist reich an Erzen, und dieser Mann muss Ehre haben.«
Sie sprachen die rituellen Worte, zu denen sie ihre Toten in die Goldenen
Wolken entließen, und schichteten im Anschluss daran sofort mehrere Steine
über die Leiche, damit kein Raubtier sie schänden konnte. Danach standen sie
in Linie an dem einsamen Grab und schlugen ihre Waffen im Takt eines
galoppierenden Pferdes an die Rundschilde. So begleitete der symbolische
Hufschlag den Ritt des Toten zu den Goldenen Wolken.
Kormund zog seine Lanze mit dem flatternden dreieckigen Wimpel aus
dem Boden, trat an die linke Seite seines Pferdes und saß auf. Routiniert
schob er den rechten Schenkel hinter den grünen Rundschild und stellte die
Lanze in den eisernen Köcher am Steigbügel. Er wandte sich den anderen
Männern zu.
»Nach Eternas.«
Kormund ritt an, und die anderen folgten dem flatternden Wimpel. Hinter
ihnen blieb das einsame Grab zurück, das den Scharführer zunehmend
beschäftigte. Es ging etwas vor sich in der Hochmark, und dieses Etwas gefiel
ihm nicht.