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Kapitel 10

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Bluthand stieß einen grunzenden Laut aus und beschattete seine Augen mit

der Hand. Das grelle Sonnenlicht wurde teilweise von den Felsen reflektiert

und blendete ihn. »Ich hasse dieses widerliche Licht«, knurrte er. »Und ich

hasse diese widerlichen Menschen, und ich hasse diese widerlichen Wolltiere.«

Bluthand war ein groß und kräftig gebautes Rundohr. Er schlug sich ärgerlich

auf die Brust. »Und ich hasse es, unbedeckt zu sein.«


Keiner in der kleinen Gruppe der Orks trug eine Rüstung. Man hatte es

ihnen verboten, denn sie sollten die Menschlinge ausspähen und sich

unbemerkt in deren Land bewegen. Doch Rüstungen konnten Licht

reflektieren oder klappernd gegen Steine stoßen, und so hatte man dem

Spähtrupp verboten, sie zu tragen.


Neben Bluthand duckte sich ein Spitzohr in die Deckung der Steine und

spähte in das Tal hinein, das sich im vollen Sonnenlicht unter ihnen

ausbreitete. Es war ein kleines, lang gestrecktes Tal, wie es für die

Gebirgsregion hier typisch war. Sein Talgrund war grün und würde den auf

ihm weidenden Wolltieren noch eine ganze Weile Futter bieten.


»Wolltiere«, beschwerte sich Bluthand. »Widerliche Wolltiere. Ich will

wieder etwas Ordentliches zwischen die Zähne bekommen. Wolltiere sind

widerlich. Sie schmecken nach nichts. Nach überhaupt nichts. Und ihr Fleisch

ist zudem widerlich weich.«


In der Mitte des Tals erhob sich ein kleines Gehöft. Das Haupthaus war

relativ klein und aus behauenen Felsen errichtet. Sein Dach war mit

Grassoden abgedeckt, und aus einer Öffnung im Dach kräuselte sich eine

dünne Rauchfahne. Neben dem Haus befand sich eine kleine Koppel mit

einigen Pferden, und jetzt war auch ein Mann zu sehen, der gerade aus dem

Haus getreten war. Instinktiv duckte sich die Gruppe tiefer in die Felsen.


Einer der Spitzohren sah Bluthand an und bleckte dabei nervös sein

Gebiss. »Ich mag auch keine Wolltiere.«


»Wir sollten endlich wieder richtiges Fleisch zu essen bekommen«, knurrte

Bluthand. »Wir sind Krieger, also steht es uns zu, dass wir gutes Fleisch

bekommen.«


Ein anderes Rundohr spähte über seine Deckung. »Blauauge will aber

nicht, dass die Menschlinge uns sehen. Wir werden warten müssen, bis der

Menschling fort ist. Dann können wir uns ein Wolltier mit der Kralle holen.«


Bluthand starrte auf die eiserne Kralle, die er über seiner Hand trug und die

der Tatze einer Raubkralle nachempfunden war, um mit ihr die gleichen

Wunden zu verursachen, wie sie auch ein solcher Räuber hervorrief. Schon

einige Male hatte Bluthand mit ihr ein Wolltier erlegt, damit sich der Trupp

von ihm ernähren konnte. Bluthand war geschickt darin, sich anzuschleichen,

und er hatte immer darauf geachtet, dass der Wind seinen Geruch nicht an

sein Opfer herangetragen hatte, bevor er zugeschlagen hatte. So waren sie

immer ahnungslos geblieben, bis es zu spät gewesen war.


»Wir hätten den Menschling fressen sollen, nachdem wir ihn am Pass

getötet haben«, murrte Bluthand. »Menschenfleisch schmeckt besser als

widerliches Wolltierfleisch.«


»Du weißt genau, dass Blauauge das nicht gewollt hätte.«


»Blauauge kann mich mal«, brüllte Bluthand.


Die Gruppe fuhr erschrocken zusammen und duckte sich nochmals tiefer

in den Schutz der Steine. Bluthands Gesichtsfarbe wurde ein wenig dunkler,

als ihm bewusst wurde, dass er die Gruppe durch sein Geschrei

möglicherweise verraten hatte.


»Blauauge wird dir die Zunge herausreißen und sie einem Reitbiest

vorwerfen«, zischte das Spitzohr neben Bluthand.


Blitzschnell schloss Bluthand eine Hand um den Hals des anderen Orks.

Das Spitzohr stieß ein leises Quieken aus, und seine roten Augen schienen

ihm aus den Höhlen zu quellen. Seine langen spitzen Ohren begannen zu

zucken, bis sie schließlich, in einer Geste der Unterwerfung, nach unten

knickten. Bluthand ließ den anderen jedoch noch eine Weile zappeln, bevor er

seinen Griff wieder löste. Das Spitzohr sackte keuchend an den Felsen und

rang nach Luft.


»Der Menschling kommt herüber«, flüsterte ein anderes Spitzohr.


»Gut, dann wird es bald richtiges Fleisch geben.« Bluthand wandte sich

wieder dem Spitzohr zu, das sich erst mühsam von seinem Würgegriff

erholte. »Und wenn du deine Zunge nicht im Gebiss hältst, dann wird es dich

danach noch als Dreingabe geben, du Made.«


Das Spitzohr sah ihn angstvoll an und nickte, und die anderen der Gruppe

wagten nicht mehr, ihrem Führer zu widersprechen. Zwar hatte Blauauge

verlangt, dass keiner der Menschlinge zu Schaden kommen durfte, um so die

anderen nicht vorzeitig zu warnen, aber Blauauge war nicht hier, und

Bluthand war ebenso skrupellos wie stark. Sollten die beiden Führer doch

später selbst untereinander ausmachen, wer hier das letzte Sagen hatte.


Der Mensch unten im Tal hatte sein Pferd gesattelt und war bei dem

wütenden Aufschrei Bluthands erschrocken aufgefahren. Misstrauisch hatte er

über die Kruppe des Pferdes hinweg zum Hang hinübergesehen, wo die neun

Orks des Spähtrupps in Deckung kauerten.


»Ist ein Brauner«, nuschelte ein Rundohr. »Kein Grüner.«


Tatsächlich trug der Mann nicht den Umhang eines Pferdelords. Er mochte

also ein passabler Jäger und guter Wolltierhirte sein, aber sicher kein

gefährlicher Kämpfer. Doch Bluthand wusste nicht, wer sich sonst noch in

dem Haus befand. Es war besser, kein Risiko einzugehen und den Menschling

rasch und lautlos zu töten.


»Pfeile«, knurrte er nach rechts und links.


Die vier Spitzohren der Gruppe legten daraufhin ihre dunkel gefiederten

Pfeile auf die Sehnen der Bögen und warteten auf das Zeichen von Bluthand,

der vorsichtig über seine Deckung spähte. Im selben Moment sah Bluthand,

wie der Mensch zusammenzuckte, und wusste, dass der Mann etwas gesehen

haben musste, was ihn misstrauisch machte. »Schießt«, brüllte Bluthand auf.

»Tötet ihn.«


Die Spitzohren richteten sich auf und ließen ihre Pfeile von den Sehnen

schnellen, während Bluthand und die anderen Rundohren sich hinter ihren

Deckungen erhoben und laut aufbrüllend ins Tal hinunterstürmten. Bluthand

hatte den Menschling zunächst lautlos töten wollen, aber nun riss sein

Jagdeifer ihn und die anderen einfach mit.


Der Mensch duckte sich hinter sein Pferd, und keiner der Pfeile traf ihn.

Dafür wurde jedoch das Pferd von zwei der Geschosse getroffen und stieg

schrill wiehernd auf die Hinterhand, bevor es zusammenbrach. Der Mann

konnte sich gerade noch vor den auskeilenden Hufen in Sicherheit bringen

und sich dann hinter den Pferdekadaver werfen, als schon die nächsten Pfeile

in der Luft waren. Einer von ihnen traf das Bein des Mannes, und er schrie

auf. Bluthand sah das angstverzerrte Gesicht des Menschlings und schrie

triumphierend auf, während der Mann, umschwirrt von weiteren Pfeilen der

Spitzohren, nun den kurzen Jagdbogen und den Pfeilköcher vom Sattel des

Pferdes zerrte.


»Geht näher heran, ihr feigen Maden«, brüllte Bluthand zu den Spitzohren

zurück, während er weiterrannte, was ihm gleichermaßen zum Verhängnis

wie zum Glücksfall wurde, denn er knallte in vollem Lauf gegen einen

Felsen, brüllte schmerzerfüllt auf und wurde dadurch aus der Bahn geworfen,

was ihm jedoch das Leben rettete, denn im gleichen Moment zischte der erste

Pfeil des Menschen bedenklich nahe an ihm vorbei. Bluthand verstärkte seine

Bemühungen, um den Mann nochmals schneller zu erreichen. »Schlachtet

ihn«, schrie er auffordernd. »Tötet den Menschling.«


Die Spitzohren hatten aus einer zu großen Entfernung geschossen, um

wirklich zielsicher treffen zu können. Auf Bluthands wütenden Schrei hin

verließen sie nun ihre Deckung und hasteten tiefer ins Tal. Die dadurch

eintretende Schießpause gab dem verletzten Mann hinter dem Pferdekadaver

Gelegenheit, unbehelligt auf die heranstürmenden Rundohren zu schießen.

Vielleicht war er wirklich kein guter Krieger, aber er war ein guter Jäger.


Direkt neben Bluthand warf es eines der Rundohren nach hinten, und aus

seiner Kehle spritzte dunkles Blut über die Steine; ein anderer Ork krallte

plötzlich seine Hände in den Unterleib und sackte dann zur Seite. Sein

Schreien hallte durch das ganze Tal, so lange, bis Bluthand einem der anderen

einen Wink gab, der dem Verwundeten daraufhin mit einer raschen

Bewegung den Schädel einschlug. Mit dem dumpfen Knacken des

zerbrechenden Schädels erstarben auch die Schreie. Ein weiterer Pfeil streifte

Bluthand, doch dann begannen die Spitzohren erneut zu schießen. Der Mann

schrie auf, als er an der Schulter getroffen wurde, und es war offensichtlich,

dass er seinen Bogen nun nicht mehr spannen konnte. Bluthand brüllte auf,

denn jetzt konnte er den Wehrlosen mit nur wenigen Sätzen erreichen.


Eine Bewegung lenkte Bluthand ab, und er sah ein junges Mädchen aus der

offenen Tür des Hauses treten. Der Mann am Boden sah es ebenfalls und

schrie ihm etwas zu, doch das Kind blieb wie gelähmt stehen. Zwei

Rundohren drehten daraufhin sofort in Richtung des Hauses ab, wo sie

weiteres Fleisch lockte. Bluthand dagegen hetzte nach wie vor auf den

Pferdekadaver und den dahinter liegenden Mann zu. Er wollte es rasch zu

Ende bringen. Das junge Mädchen würde zwar weit schmackhafter sein als

der Mann, aber Bluthand würde sowieso seinen Anteil als Anführer des

Trupps an ihr erhalten.


Bluthand sprang über den Pferdekadaver und grunzte überrascht, als er

einen stechenden Schmerz im Bein verspürte. Der scheinbar wehrlose Mann

hatte seinen Dolch gezückt, mit dem er nun verzweifelt nach Bluthand stach.

Schwung von unten gegen den Kopf des Mannes. Er spürte, wie die langen

Eisenfinger der Kralle in Gewebe und Knochen eindrangen, und riss so lange

daran, bis sich der Unterkiefer des Mannes loslöste. Doch der Schwerverletzte

lebte noch lange genug, um Bluthand mit schmerzerfüllten Augen anzusehen,

bevor der große Ork ihm schließlich die Kralle ins Schädeldach hineintrieb.

Hirnmasse tropfte von den Krallen, während Bluthand sich dem Haus

zuwandte.


Das blonde Mädchen stand noch immer wie gelähmt in der offenen Tür

des Hauses und starrte auf die beiden Rundohren, die sich aber gegenseitig

behinderten, weil sie gleichzeitig nach der Kleinen greifen wollten. Da schrie

einer der Orks plötzlich auf und taumelte zurück. Für einen Moment sah

Bluthand eine blonde Menschenfrau, die das Mädchen ergriff und ins Haus zu

zerren versuchte, während sich das verletzte Rundohr den aufgeschlitzten

Leib hielt und versuchte, seine Gedärme am Herausquellen zu hindern. Aber

das andere Rundohr warf sich gegen die schließende Tür und drückte sie

wieder auf. Sofort verschwand es im Inneren, und Bluthand sprang über den

verwundeten Ork hinweg und stürzte ebenfalls ins Haus.


Die Frau, die er gerade noch schemenhaft gesehen hatte, war durch den

Schwung der Tür zurückgeworfen worden und außerdem in doppelter Weise

behindert. Es war offensichtlich, dass sie hochschwanger war, und die

stattliche Rundung des Leibes behinderte sie ebenso wie das entsetzt

kreischende Mädchen, das die Mutter zu schützen versuchte.


»Sie kalbt«, brüllte das andere Rundohr auf.


Das Rundohr war schneller als Bluthand und schlug die Hand der Frau

einfach zur Seite, sodass das lange Messer aus ihrer Hand flog und klirrend

gegen die Wand prallte. Der Ork legte eine Klaue um die Kehle der entsetzten

Frau, drückte sie rücklings auf den Boden und erwürgte sie.

Das blonde Mädchen stand wie erstarrt, vollkommen reglos, und

stierte mit geweiteten Augen auf das schreckliche Bild.


Plötzlich vernahm Bluthand einen dumpfen Schlag und sah aus den

Augenwinkeln, wie das kleine Mädchen rotes Menschenblut verspritzte. Dann

gab es einen erneuten Schlag und weitere Blutspritzer. Doch diesmal war es

dunkles Blut. Orkblut.


Verwirrt sah Bluthand von der Leiche auf und blickte zur Tür. Dort stand

ein Spitzohr, das nun quiekte und rücklings ins Haus taumelte. Ein weiß

gefiederter Pfeil steckte tief in seinem Körper, trat durch die Wirbelsäule

wieder aus und verriet dadurch, dass der Pfeil aus großer Nähe und mit hoher

Wucht abgeschossen worden sein musste.


»Menschlinge«, brüllte Bluthand alarmiert, der nun erst richtig registrierte,

dass zwei seiner Spitzohren tot in der Hütte lagen und ihr Blut sich mit dem

der beiden Menschen mischte. Der große Ork zögerte nicht länger und warf

sich genau in dem Moment gegen die Tür, als gerade ein stämmiger Mann mit

langen schwarzen Haaren eindringen wollte. Beide prallten in der Türöffnung

zusammen, und Bluthands Eisenkralle traf das Schwert des Mannes. Die

beiden Waffen verhakten sich ineinander, und für einen Moment lang starrten

Mensch und Ork einander in unversöhnlichem Hass an.


»Bestie«, keuchte der Mann und versuchte, gegen Bluthands Stärke

anzukommen.


»Eure Zeit ist vorüber, Menschling«, brüllte Bluthand triumphierend

zurück. Er spürte, dass er stärker als der Feind war und dass er dessen

Schwertarm immer mehr nach unten drücken konnte. Schließlich gelang es

ihm, seine Hand nach oben, bis zur Kehle des Mannes, zu schieben. Ein

Pferdelord, wie der grüne Umhang ihm verriet. Und sehr bald schon ein toter

Pferdelord!


Da machte der Mann eine Bewegung, die Bluthand nicht nachvollziehen

konnte. Etwas traf sein verletztes Bein, und der Ork wich schmerzerfüllt

zurück, sodass sich ihre Körper voneinander lösten. Das Schwert des

Pferdelords kam wieder frei, und für einen Moment schoss dem Ork der

unfassbare Gedanke durch den Kopf, dass er im Kampf unterliegen könne.

Instinktiv trieb er die eiserne Krallenhand nach oben, während ihm das andere

Rundohr von der Seite zu Hilfe eilte. Bluthand fühlte, wie seine Kralle wieder

auf menschliches Leben traf, doch das Rundohr neben ihm schrie, aufgespießt

vom Schwert des Pferdelords, auf. Auch der Pferdelord schrie auf, taumelte

zurück, und Bluthand spürte, dass er das Körpergewebe des Mannes an einer

Stelle zerrissen haben musste. Schon wollte er nachsetzen und dem Kampf

ein Ende bereiten, doch das tote Rundohr stürzte gegen ihn und riss Bluthand

mit sich zu Boden.


Als Bluthand den Kadaver von sich heruntergeschoben und sich wieder

erhoben hatte, hörte er vor dem Haus bereits den Hufschlag eines Pferdes. Er

hastete vor das Gebäude, rutschte fast auf einer Blutlache aus und brüllte

zornig, als er erkannte, dass der Mann entkommen würde. Zwar saß dieser

verkrümmt auf seinem Pferd und war sichtlich schwer verletzt, doch sein

Pferd trug ihn rasch vom Hof. Der große Ork sah sich um. Nur eines der

Spitzohren lebte noch, war aber am Bein verletzt. »Töte den Menschling«,

brüllte Bluthand das Spitzohr an. »Schieß.«


Doch das Spitzohr reagierte viel zu spät, und der Pfeil fiel weit hinter dem

Reiter kraftlos zu Boden. Der verletzte Ork ließ den Bogen fallen und hielt

sich wimmernd das Bein. Von Zorn erfüllt sah Bluthand sich auf dem Hof der

Menschlinge um. Was so gut und vielversprechend begonnen hatte, war für

seinen Spähtrupp zum Desaster geworden. Eine tote Menschlingfamilie und

ein verwundeter Pferdelord, zudem war Bluthands Gruppe praktisch

ausgelöscht, und die Menschlinge würden nun erfahren, dass die Orks wieder

in ihr Land eingedrungen waren.


»Das wird Blauauge nicht gefallen«, wimmerte das verletzte Spitzohr. »Es

wird ihm nicht gefallen. Blauauge wird wütend sein.«


»Ja«, stimmte Bluthand zu. Blauauge würde von dem, was vorgefallen

war, nicht begeistert sein. Und er würde auch nicht von der Rolle begeistert

sein, die Bluthand dabei gespielt hatte. Es war besser, wenn Blauauge

annahm, die Menschen hätten den Spähtrupp zufällig entdeckt. Viel besser.

Bluthand ging zu dem verletzten Spitzohr und brach ihm kurzerhand das

Genick. Nun würde Blauauge nur noch eine Meinung zu hören bekommen.

Missmutig machte Bluthand sich auf den Weg, dem Anführer der Horde zu

berichten, was sich zugetragen hatte. Seiner Meinung nach.


Der verletzte Pferdelord wurde inzwischen von seinem Pferd durch das Tal

getragen. Das Tier war erfahren und kannte seinen Weg, auch ohne dass der

Reiter es dirigierte. Der Geruch des Blutes und die Art, wie sein Reiter im

Sattel hing, zeigten dem Hengst außerdem, dass sein Herr in Gefahr war, und

so trug er ihn dorthin, wo es Hilfe für ihn geben würde.


Balwin spürte, wie sein Blut durch die Kleidung sickerte und wie er

zunehmend schwächer wurde. Allein der grelle Schmerz hielt ihn bei

Bewusstsein, und er wusste, dass es mit ihm vorbei sein würde, sobald der

Schmerz verschwinden würde. So konzentrierte er sich auf das Wühlen in

seinen Därmen, während das Leben immer mehr aus ihm wich und jeder

Schritt des Pferdes, jede Erschütterung neue Schmerzwellen durch seinen

Körper sendete. Er wusste nicht mehr, wie lange sein treues Pferd ihn bereits

trug. Er hatte auch keine Kraft mehr, um den Kopf zu wenden und zu sehen,

ob er verfolgt wurde. All sein Denken konzentrierte sich allein auf den

Schmerz, der ihn wach hielt, und auf den Gedanken, Meowyn warnen zu

müssen. Orks waren in der Hochmark, sie hatten gerade Halfar und seine

Familie abgeschlachtet, und Meowyn würde die Nächste sein. Seine geliebte

Meowyn. Er musste einfach durchhalten, durfte sie nicht ahnungslos den Orks

ausliefern.


Er konnte kaum noch etwas sehen, und die Schmerzen in seinem Körper

machten bereits einer zunehmenden Kälte Platz. Balwin wusste, dass es nicht

mehr lange dauern würde. Er glaubte zu schweben und stöhnte dumpf, als er

plötzlich auf die Seite rutschte und stürzte. Nein, nicht stürzte. Etwas fing ihn

auf und dämpfte seinen Fall. Balwin hörte eine Stimme und spürte undeutlich,

wie etwas gegen seinen Leib gepresst wurde. Der Schmerz verstärkte sich

wieder und riss ihn noch einmal ins Leben zurück.


»Meo…wyn«, flüsterte er kaum verständlich. Er spürte warme Nässe an

seinen Lippen, hörte ihr Schluchzen und wusste, dass es sein Blut war, das

ihm aus dem Mund sickerte, ihm blieb nicht mehr viel Zeit. »Orks sind im

Tal«, keuchte er. »Sie haben … Halfar und seine Familie … geschlachtet.

Warne Eternas und … die … Mark …«


»Sei still«, schluchzte Meowyn und bemühte sich verzweifelt, seine

Wunde zu bedecken. Aber Baldwins Bauchdecke war aufgerissen, seine

Innereien entblößt und verletzt, und Meowyn besaß weder die Fertigkeit noch

die Mittel, diese Verletzung zu versorgen. Dennoch wollte sie nicht

akzeptieren, dass sie Balwin verlor. »Rühr dich nicht, Balwin. Die Wunde ist

schwer, aber…«


»Sie schmerzt kaum noch«, sagte Balwin mühsam. »Warne die Mark.« Er

schaffte es, seine Hand auf die ihre zu legen, und spürte unmerklich den

Gegendruck ihrer Finger. »Ich liebe … dich …«


»Ich weiß«, erwiderte Meowyn. »Ich weiß es. Du hast es mir immer

gezeigt, du …«


Meowyn versagte die Stimme, aber sie hielt Balwins Hand so fest, als

könne sie ihn damit am Leben erhalten, bis schließlich ein letztes Zucken über

seinen Körper glitt und er sich streckte. Für einen Moment sank die blonde

Frau über den reglosen Körper, und Tränen liefen über ihre Wangen. Doch

dann richtete sie sich auf und starrte auf den Toten. Sie fühlte sich leer und

ausgebrannt, aber sie wusste, welche Verantwortung nun auf ihr ruhte.


Balwins Schwertscheide war leer. Er musste die Waffe im Kampf oder

während des Ritts verloren haben. Meowyn bückte sich, zog den Dolch ihres

toten Mannes aus seinem Gürtel und drückte ihn in seine erschlaffte Hand.

Gerne hätte sie ihn jetzt mit allen Ehren bestattet, doch das musste warten.

Nun galt es zuallererst, die Hochmark zu warnen und dafür zu sorgen, dass

ihrem Sohn Nedeam nichts zustoßen würde. Sie entschloss sich darum, den

Weg zu wählen, auf dem Nedeam aus Eternas zurückkehren würde.


Meowyn saß auf ihr Pferd auf und nahm die Zügel von Balwins Pferd in

ihre Hand. Für einen Moment verweilte ihr Blick nochmals auf dem Toten.

»Reite nun in den Goldenen Wolken, mein Geliebter.«


Dann ritt sie mit beiden Pferden aus dem Tal und warf keinen einzigen

Blick mehr zurück. Die Zeit der Erinnerung würde kommen, doch erst galt es,

die Zukunft zu sichern.


Die Pferdelords 01 - Der Sturm der Orks

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