Читать книгу Die Pferdelords 01 - Der Sturm der Orks - Michael Schenk - Страница 12
Kapitel 10
ОглавлениеBluthand stieß einen grunzenden Laut aus und beschattete seine Augen mit
der Hand. Das grelle Sonnenlicht wurde teilweise von den Felsen reflektiert
und blendete ihn. »Ich hasse dieses widerliche Licht«, knurrte er. »Und ich
hasse diese widerlichen Menschen, und ich hasse diese widerlichen Wolltiere.«
Bluthand war ein groß und kräftig gebautes Rundohr. Er schlug sich ärgerlich
auf die Brust. »Und ich hasse es, unbedeckt zu sein.«
Keiner in der kleinen Gruppe der Orks trug eine Rüstung. Man hatte es
ihnen verboten, denn sie sollten die Menschlinge ausspähen und sich
unbemerkt in deren Land bewegen. Doch Rüstungen konnten Licht
reflektieren oder klappernd gegen Steine stoßen, und so hatte man dem
Spähtrupp verboten, sie zu tragen.
Neben Bluthand duckte sich ein Spitzohr in die Deckung der Steine und
spähte in das Tal hinein, das sich im vollen Sonnenlicht unter ihnen
ausbreitete. Es war ein kleines, lang gestrecktes Tal, wie es für die
Gebirgsregion hier typisch war. Sein Talgrund war grün und würde den auf
ihm weidenden Wolltieren noch eine ganze Weile Futter bieten.
»Wolltiere«, beschwerte sich Bluthand. »Widerliche Wolltiere. Ich will
wieder etwas Ordentliches zwischen die Zähne bekommen. Wolltiere sind
widerlich. Sie schmecken nach nichts. Nach überhaupt nichts. Und ihr Fleisch
ist zudem widerlich weich.«
In der Mitte des Tals erhob sich ein kleines Gehöft. Das Haupthaus war
relativ klein und aus behauenen Felsen errichtet. Sein Dach war mit
Grassoden abgedeckt, und aus einer Öffnung im Dach kräuselte sich eine
dünne Rauchfahne. Neben dem Haus befand sich eine kleine Koppel mit
einigen Pferden, und jetzt war auch ein Mann zu sehen, der gerade aus dem
Haus getreten war. Instinktiv duckte sich die Gruppe tiefer in die Felsen.
Einer der Spitzohren sah Bluthand an und bleckte dabei nervös sein
Gebiss. »Ich mag auch keine Wolltiere.«
»Wir sollten endlich wieder richtiges Fleisch zu essen bekommen«, knurrte
Bluthand. »Wir sind Krieger, also steht es uns zu, dass wir gutes Fleisch
bekommen.«
Ein anderes Rundohr spähte über seine Deckung. »Blauauge will aber
nicht, dass die Menschlinge uns sehen. Wir werden warten müssen, bis der
Menschling fort ist. Dann können wir uns ein Wolltier mit der Kralle holen.«
Bluthand starrte auf die eiserne Kralle, die er über seiner Hand trug und die
der Tatze einer Raubkralle nachempfunden war, um mit ihr die gleichen
Wunden zu verursachen, wie sie auch ein solcher Räuber hervorrief. Schon
einige Male hatte Bluthand mit ihr ein Wolltier erlegt, damit sich der Trupp
von ihm ernähren konnte. Bluthand war geschickt darin, sich anzuschleichen,
und er hatte immer darauf geachtet, dass der Wind seinen Geruch nicht an
sein Opfer herangetragen hatte, bevor er zugeschlagen hatte. So waren sie
immer ahnungslos geblieben, bis es zu spät gewesen war.
»Wir hätten den Menschling fressen sollen, nachdem wir ihn am Pass
getötet haben«, murrte Bluthand. »Menschenfleisch schmeckt besser als
widerliches Wolltierfleisch.«
»Du weißt genau, dass Blauauge das nicht gewollt hätte.«
»Blauauge kann mich mal«, brüllte Bluthand.
Die Gruppe fuhr erschrocken zusammen und duckte sich nochmals tiefer
in den Schutz der Steine. Bluthands Gesichtsfarbe wurde ein wenig dunkler,
als ihm bewusst wurde, dass er die Gruppe durch sein Geschrei
möglicherweise verraten hatte.
»Blauauge wird dir die Zunge herausreißen und sie einem Reitbiest
vorwerfen«, zischte das Spitzohr neben Bluthand.
Blitzschnell schloss Bluthand eine Hand um den Hals des anderen Orks.
Das Spitzohr stieß ein leises Quieken aus, und seine roten Augen schienen
ihm aus den Höhlen zu quellen. Seine langen spitzen Ohren begannen zu
zucken, bis sie schließlich, in einer Geste der Unterwerfung, nach unten
knickten. Bluthand ließ den anderen jedoch noch eine Weile zappeln, bevor er
seinen Griff wieder löste. Das Spitzohr sackte keuchend an den Felsen und
rang nach Luft.
»Der Menschling kommt herüber«, flüsterte ein anderes Spitzohr.
»Gut, dann wird es bald richtiges Fleisch geben.« Bluthand wandte sich
wieder dem Spitzohr zu, das sich erst mühsam von seinem Würgegriff
erholte. »Und wenn du deine Zunge nicht im Gebiss hältst, dann wird es dich
danach noch als Dreingabe geben, du Made.«
Das Spitzohr sah ihn angstvoll an und nickte, und die anderen der Gruppe
wagten nicht mehr, ihrem Führer zu widersprechen. Zwar hatte Blauauge
verlangt, dass keiner der Menschlinge zu Schaden kommen durfte, um so die
anderen nicht vorzeitig zu warnen, aber Blauauge war nicht hier, und
Bluthand war ebenso skrupellos wie stark. Sollten die beiden Führer doch
später selbst untereinander ausmachen, wer hier das letzte Sagen hatte.
Der Mensch unten im Tal hatte sein Pferd gesattelt und war bei dem
wütenden Aufschrei Bluthands erschrocken aufgefahren. Misstrauisch hatte er
über die Kruppe des Pferdes hinweg zum Hang hinübergesehen, wo die neun
Orks des Spähtrupps in Deckung kauerten.
»Ist ein Brauner«, nuschelte ein Rundohr. »Kein Grüner.«
Tatsächlich trug der Mann nicht den Umhang eines Pferdelords. Er mochte
also ein passabler Jäger und guter Wolltierhirte sein, aber sicher kein
gefährlicher Kämpfer. Doch Bluthand wusste nicht, wer sich sonst noch in
dem Haus befand. Es war besser, kein Risiko einzugehen und den Menschling
rasch und lautlos zu töten.
»Pfeile«, knurrte er nach rechts und links.
Die vier Spitzohren der Gruppe legten daraufhin ihre dunkel gefiederten
Pfeile auf die Sehnen der Bögen und warteten auf das Zeichen von Bluthand,
der vorsichtig über seine Deckung spähte. Im selben Moment sah Bluthand,
wie der Mensch zusammenzuckte, und wusste, dass der Mann etwas gesehen
haben musste, was ihn misstrauisch machte. »Schießt«, brüllte Bluthand auf.
»Tötet ihn.«
Die Spitzohren richteten sich auf und ließen ihre Pfeile von den Sehnen
schnellen, während Bluthand und die anderen Rundohren sich hinter ihren
Deckungen erhoben und laut aufbrüllend ins Tal hinunterstürmten. Bluthand
hatte den Menschling zunächst lautlos töten wollen, aber nun riss sein
Jagdeifer ihn und die anderen einfach mit.
Der Mensch duckte sich hinter sein Pferd, und keiner der Pfeile traf ihn.
Dafür wurde jedoch das Pferd von zwei der Geschosse getroffen und stieg
schrill wiehernd auf die Hinterhand, bevor es zusammenbrach. Der Mann
konnte sich gerade noch vor den auskeilenden Hufen in Sicherheit bringen
und sich dann hinter den Pferdekadaver werfen, als schon die nächsten Pfeile
in der Luft waren. Einer von ihnen traf das Bein des Mannes, und er schrie
auf. Bluthand sah das angstverzerrte Gesicht des Menschlings und schrie
triumphierend auf, während der Mann, umschwirrt von weiteren Pfeilen der
Spitzohren, nun den kurzen Jagdbogen und den Pfeilköcher vom Sattel des
Pferdes zerrte.
»Geht näher heran, ihr feigen Maden«, brüllte Bluthand zu den Spitzohren
zurück, während er weiterrannte, was ihm gleichermaßen zum Verhängnis
wie zum Glücksfall wurde, denn er knallte in vollem Lauf gegen einen
Felsen, brüllte schmerzerfüllt auf und wurde dadurch aus der Bahn geworfen,
was ihm jedoch das Leben rettete, denn im gleichen Moment zischte der erste
Pfeil des Menschen bedenklich nahe an ihm vorbei. Bluthand verstärkte seine
Bemühungen, um den Mann nochmals schneller zu erreichen. »Schlachtet
ihn«, schrie er auffordernd. »Tötet den Menschling.«
Die Spitzohren hatten aus einer zu großen Entfernung geschossen, um
wirklich zielsicher treffen zu können. Auf Bluthands wütenden Schrei hin
verließen sie nun ihre Deckung und hasteten tiefer ins Tal. Die dadurch
eintretende Schießpause gab dem verletzten Mann hinter dem Pferdekadaver
Gelegenheit, unbehelligt auf die heranstürmenden Rundohren zu schießen.
Vielleicht war er wirklich kein guter Krieger, aber er war ein guter Jäger.
Direkt neben Bluthand warf es eines der Rundohren nach hinten, und aus
seiner Kehle spritzte dunkles Blut über die Steine; ein anderer Ork krallte
plötzlich seine Hände in den Unterleib und sackte dann zur Seite. Sein
Schreien hallte durch das ganze Tal, so lange, bis Bluthand einem der anderen
einen Wink gab, der dem Verwundeten daraufhin mit einer raschen
Bewegung den Schädel einschlug. Mit dem dumpfen Knacken des
zerbrechenden Schädels erstarben auch die Schreie. Ein weiterer Pfeil streifte
Bluthand, doch dann begannen die Spitzohren erneut zu schießen. Der Mann
schrie auf, als er an der Schulter getroffen wurde, und es war offensichtlich,
dass er seinen Bogen nun nicht mehr spannen konnte. Bluthand brüllte auf,
denn jetzt konnte er den Wehrlosen mit nur wenigen Sätzen erreichen.
Eine Bewegung lenkte Bluthand ab, und er sah ein junges Mädchen aus der
offenen Tür des Hauses treten. Der Mann am Boden sah es ebenfalls und
schrie ihm etwas zu, doch das Kind blieb wie gelähmt stehen. Zwei
Rundohren drehten daraufhin sofort in Richtung des Hauses ab, wo sie
weiteres Fleisch lockte. Bluthand dagegen hetzte nach wie vor auf den
Pferdekadaver und den dahinter liegenden Mann zu. Er wollte es rasch zu
Ende bringen. Das junge Mädchen würde zwar weit schmackhafter sein als
der Mann, aber Bluthand würde sowieso seinen Anteil als Anführer des
Trupps an ihr erhalten.
Bluthand sprang über den Pferdekadaver und grunzte überrascht, als er
einen stechenden Schmerz im Bein verspürte. Der scheinbar wehrlose Mann
hatte seinen Dolch gezückt, mit dem er nun verzweifelt nach Bluthand stach.
Schwung von unten gegen den Kopf des Mannes. Er spürte, wie die langen
Eisenfinger der Kralle in Gewebe und Knochen eindrangen, und riss so lange
daran, bis sich der Unterkiefer des Mannes loslöste. Doch der Schwerverletzte
lebte noch lange genug, um Bluthand mit schmerzerfüllten Augen anzusehen,
bevor der große Ork ihm schließlich die Kralle ins Schädeldach hineintrieb.
Hirnmasse tropfte von den Krallen, während Bluthand sich dem Haus
zuwandte.
Das blonde Mädchen stand noch immer wie gelähmt in der offenen Tür
des Hauses und starrte auf die beiden Rundohren, die sich aber gegenseitig
behinderten, weil sie gleichzeitig nach der Kleinen greifen wollten. Da schrie
einer der Orks plötzlich auf und taumelte zurück. Für einen Moment sah
Bluthand eine blonde Menschenfrau, die das Mädchen ergriff und ins Haus zu
zerren versuchte, während sich das verletzte Rundohr den aufgeschlitzten
Leib hielt und versuchte, seine Gedärme am Herausquellen zu hindern. Aber
das andere Rundohr warf sich gegen die schließende Tür und drückte sie
wieder auf. Sofort verschwand es im Inneren, und Bluthand sprang über den
verwundeten Ork hinweg und stürzte ebenfalls ins Haus.
Die Frau, die er gerade noch schemenhaft gesehen hatte, war durch den
Schwung der Tür zurückgeworfen worden und außerdem in doppelter Weise
behindert. Es war offensichtlich, dass sie hochschwanger war, und die
stattliche Rundung des Leibes behinderte sie ebenso wie das entsetzt
kreischende Mädchen, das die Mutter zu schützen versuchte.
»Sie kalbt«, brüllte das andere Rundohr auf.
Das Rundohr war schneller als Bluthand und schlug die Hand der Frau
einfach zur Seite, sodass das lange Messer aus ihrer Hand flog und klirrend
gegen die Wand prallte. Der Ork legte eine Klaue um die Kehle der entsetzten
Frau, drückte sie rücklings auf den Boden und erwürgte sie.
Das blonde Mädchen stand wie erstarrt, vollkommen reglos, und
stierte mit geweiteten Augen auf das schreckliche Bild.
Plötzlich vernahm Bluthand einen dumpfen Schlag und sah aus den
Augenwinkeln, wie das kleine Mädchen rotes Menschenblut verspritzte. Dann
gab es einen erneuten Schlag und weitere Blutspritzer. Doch diesmal war es
dunkles Blut. Orkblut.
Verwirrt sah Bluthand von der Leiche auf und blickte zur Tür. Dort stand
ein Spitzohr, das nun quiekte und rücklings ins Haus taumelte. Ein weiß
gefiederter Pfeil steckte tief in seinem Körper, trat durch die Wirbelsäule
wieder aus und verriet dadurch, dass der Pfeil aus großer Nähe und mit hoher
Wucht abgeschossen worden sein musste.
»Menschlinge«, brüllte Bluthand alarmiert, der nun erst richtig registrierte,
dass zwei seiner Spitzohren tot in der Hütte lagen und ihr Blut sich mit dem
der beiden Menschen mischte. Der große Ork zögerte nicht länger und warf
sich genau in dem Moment gegen die Tür, als gerade ein stämmiger Mann mit
langen schwarzen Haaren eindringen wollte. Beide prallten in der Türöffnung
zusammen, und Bluthands Eisenkralle traf das Schwert des Mannes. Die
beiden Waffen verhakten sich ineinander, und für einen Moment lang starrten
Mensch und Ork einander in unversöhnlichem Hass an.
»Bestie«, keuchte der Mann und versuchte, gegen Bluthands Stärke
anzukommen.
»Eure Zeit ist vorüber, Menschling«, brüllte Bluthand triumphierend
zurück. Er spürte, dass er stärker als der Feind war und dass er dessen
Schwertarm immer mehr nach unten drücken konnte. Schließlich gelang es
ihm, seine Hand nach oben, bis zur Kehle des Mannes, zu schieben. Ein
Pferdelord, wie der grüne Umhang ihm verriet. Und sehr bald schon ein toter
Pferdelord!
Da machte der Mann eine Bewegung, die Bluthand nicht nachvollziehen
konnte. Etwas traf sein verletztes Bein, und der Ork wich schmerzerfüllt
zurück, sodass sich ihre Körper voneinander lösten. Das Schwert des
Pferdelords kam wieder frei, und für einen Moment schoss dem Ork der
unfassbare Gedanke durch den Kopf, dass er im Kampf unterliegen könne.
Instinktiv trieb er die eiserne Krallenhand nach oben, während ihm das andere
Rundohr von der Seite zu Hilfe eilte. Bluthand fühlte, wie seine Kralle wieder
auf menschliches Leben traf, doch das Rundohr neben ihm schrie, aufgespießt
vom Schwert des Pferdelords, auf. Auch der Pferdelord schrie auf, taumelte
zurück, und Bluthand spürte, dass er das Körpergewebe des Mannes an einer
Stelle zerrissen haben musste. Schon wollte er nachsetzen und dem Kampf
ein Ende bereiten, doch das tote Rundohr stürzte gegen ihn und riss Bluthand
mit sich zu Boden.
Als Bluthand den Kadaver von sich heruntergeschoben und sich wieder
erhoben hatte, hörte er vor dem Haus bereits den Hufschlag eines Pferdes. Er
hastete vor das Gebäude, rutschte fast auf einer Blutlache aus und brüllte
zornig, als er erkannte, dass der Mann entkommen würde. Zwar saß dieser
verkrümmt auf seinem Pferd und war sichtlich schwer verletzt, doch sein
Pferd trug ihn rasch vom Hof. Der große Ork sah sich um. Nur eines der
Spitzohren lebte noch, war aber am Bein verletzt. »Töte den Menschling«,
brüllte Bluthand das Spitzohr an. »Schieß.«
Doch das Spitzohr reagierte viel zu spät, und der Pfeil fiel weit hinter dem
Reiter kraftlos zu Boden. Der verletzte Ork ließ den Bogen fallen und hielt
sich wimmernd das Bein. Von Zorn erfüllt sah Bluthand sich auf dem Hof der
Menschlinge um. Was so gut und vielversprechend begonnen hatte, war für
seinen Spähtrupp zum Desaster geworden. Eine tote Menschlingfamilie und
ein verwundeter Pferdelord, zudem war Bluthands Gruppe praktisch
ausgelöscht, und die Menschlinge würden nun erfahren, dass die Orks wieder
in ihr Land eingedrungen waren.
»Das wird Blauauge nicht gefallen«, wimmerte das verletzte Spitzohr. »Es
wird ihm nicht gefallen. Blauauge wird wütend sein.«
»Ja«, stimmte Bluthand zu. Blauauge würde von dem, was vorgefallen
war, nicht begeistert sein. Und er würde auch nicht von der Rolle begeistert
sein, die Bluthand dabei gespielt hatte. Es war besser, wenn Blauauge
annahm, die Menschen hätten den Spähtrupp zufällig entdeckt. Viel besser.
Bluthand ging zu dem verletzten Spitzohr und brach ihm kurzerhand das
Genick. Nun würde Blauauge nur noch eine Meinung zu hören bekommen.
Missmutig machte Bluthand sich auf den Weg, dem Anführer der Horde zu
berichten, was sich zugetragen hatte. Seiner Meinung nach.
Der verletzte Pferdelord wurde inzwischen von seinem Pferd durch das Tal
getragen. Das Tier war erfahren und kannte seinen Weg, auch ohne dass der
Reiter es dirigierte. Der Geruch des Blutes und die Art, wie sein Reiter im
Sattel hing, zeigten dem Hengst außerdem, dass sein Herr in Gefahr war, und
so trug er ihn dorthin, wo es Hilfe für ihn geben würde.
Balwin spürte, wie sein Blut durch die Kleidung sickerte und wie er
zunehmend schwächer wurde. Allein der grelle Schmerz hielt ihn bei
Bewusstsein, und er wusste, dass es mit ihm vorbei sein würde, sobald der
Schmerz verschwinden würde. So konzentrierte er sich auf das Wühlen in
seinen Därmen, während das Leben immer mehr aus ihm wich und jeder
Schritt des Pferdes, jede Erschütterung neue Schmerzwellen durch seinen
Körper sendete. Er wusste nicht mehr, wie lange sein treues Pferd ihn bereits
trug. Er hatte auch keine Kraft mehr, um den Kopf zu wenden und zu sehen,
ob er verfolgt wurde. All sein Denken konzentrierte sich allein auf den
Schmerz, der ihn wach hielt, und auf den Gedanken, Meowyn warnen zu
müssen. Orks waren in der Hochmark, sie hatten gerade Halfar und seine
Familie abgeschlachtet, und Meowyn würde die Nächste sein. Seine geliebte
Meowyn. Er musste einfach durchhalten, durfte sie nicht ahnungslos den Orks
ausliefern.
Er konnte kaum noch etwas sehen, und die Schmerzen in seinem Körper
machten bereits einer zunehmenden Kälte Platz. Balwin wusste, dass es nicht
mehr lange dauern würde. Er glaubte zu schweben und stöhnte dumpf, als er
plötzlich auf die Seite rutschte und stürzte. Nein, nicht stürzte. Etwas fing ihn
auf und dämpfte seinen Fall. Balwin hörte eine Stimme und spürte undeutlich,
wie etwas gegen seinen Leib gepresst wurde. Der Schmerz verstärkte sich
wieder und riss ihn noch einmal ins Leben zurück.
»Meo…wyn«, flüsterte er kaum verständlich. Er spürte warme Nässe an
seinen Lippen, hörte ihr Schluchzen und wusste, dass es sein Blut war, das
ihm aus dem Mund sickerte, ihm blieb nicht mehr viel Zeit. »Orks sind im
Tal«, keuchte er. »Sie haben … Halfar und seine Familie … geschlachtet.
Warne Eternas und … die … Mark …«
»Sei still«, schluchzte Meowyn und bemühte sich verzweifelt, seine
Wunde zu bedecken. Aber Baldwins Bauchdecke war aufgerissen, seine
Innereien entblößt und verletzt, und Meowyn besaß weder die Fertigkeit noch
die Mittel, diese Verletzung zu versorgen. Dennoch wollte sie nicht
akzeptieren, dass sie Balwin verlor. »Rühr dich nicht, Balwin. Die Wunde ist
schwer, aber…«
»Sie schmerzt kaum noch«, sagte Balwin mühsam. »Warne die Mark.« Er
schaffte es, seine Hand auf die ihre zu legen, und spürte unmerklich den
Gegendruck ihrer Finger. »Ich liebe … dich …«
»Ich weiß«, erwiderte Meowyn. »Ich weiß es. Du hast es mir immer
gezeigt, du …«
Meowyn versagte die Stimme, aber sie hielt Balwins Hand so fest, als
könne sie ihn damit am Leben erhalten, bis schließlich ein letztes Zucken über
seinen Körper glitt und er sich streckte. Für einen Moment sank die blonde
Frau über den reglosen Körper, und Tränen liefen über ihre Wangen. Doch
dann richtete sie sich auf und starrte auf den Toten. Sie fühlte sich leer und
ausgebrannt, aber sie wusste, welche Verantwortung nun auf ihr ruhte.
Balwins Schwertscheide war leer. Er musste die Waffe im Kampf oder
während des Ritts verloren haben. Meowyn bückte sich, zog den Dolch ihres
toten Mannes aus seinem Gürtel und drückte ihn in seine erschlaffte Hand.
Gerne hätte sie ihn jetzt mit allen Ehren bestattet, doch das musste warten.
Nun galt es zuallererst, die Hochmark zu warnen und dafür zu sorgen, dass
ihrem Sohn Nedeam nichts zustoßen würde. Sie entschloss sich darum, den
Weg zu wählen, auf dem Nedeam aus Eternas zurückkehren würde.
Meowyn saß auf ihr Pferd auf und nahm die Zügel von Balwins Pferd in
ihre Hand. Für einen Moment verweilte ihr Blick nochmals auf dem Toten.
»Reite nun in den Goldenen Wolken, mein Geliebter.«
Dann ritt sie mit beiden Pferden aus dem Tal und warf keinen einzigen
Blick mehr zurück. Die Zeit der Erinnerung würde kommen, doch erst galt es,
die Zukunft zu sichern.