Читать книгу Die Pferdelords 01 - Der Sturm der Orks - Michael Schenk - Страница 14
Kapitel 12
ОглавлениеDorkemunt war von ungewöhnlich kleiner Statur, und hätte er nicht den
grünen Umhang der Pferdelords getragen, so hätte man ihn von hinten wohl
für einen nicht besonders großen Knaben gehalten. Doch sein Gesicht zeigte
die Falten des Alters, und seine wettergegerbte Haut bewies, dass er sein
Leben überwiegend im Freien und auf dem Rücken von Pferden verbracht
hatte. Dorkemunt war ein Hornviehhirte der Ostmark, in der prachtvolle
Hornviecher und Pferde gediehen. So wie die Pferde der anderen Marken stark
waren, so besaß das Hornvieh hier ein schmackhaftes Fleisch, das gute Preise
erzielte. Dorkemunt hielt sich oft bei seiner Herde auf, und seine Gestalt
wirkte auf dem Rücken seines starken Wallachs wie die eines Zwerges, zumal
Dorkemunt als Waffe auch noch eine Streitaxt nutzte, die ihn an Länge weit
überragte. Als Reittier bevorzugte er wiederum einen Wallach, was ihn von
manch einem anderen Pferdelord unterschied. Er schätzte es nicht besonders,
wenn ein Hengst von einer rossigen Stute abgelenkt wurde, und schon gar
nicht, wenn dies kurz vor einem Kampf geschah. Dorkemunt hatte schon
manchen Kampf gefochten und dabei bewiesen, dass er mit seiner Axt
umzugehen wusste. Sein Körper war von diesen Kämpfen gezeichnet, und in
seinem Gesicht zog sich eine Narbe von der rechten Wange bis hinunter zu
seinem Kinn. Sein Lächeln wirkte daher stets etwas verzerrt und bösartig,
doch Dorkemunts Gutmütigkeit war im Weiler und allerorten bekannt.
In den letzten Tagen hatte Dorkemunt nun fast unentwegt gelächelt, was
daran lag, dass ein besonderes Fest ins Haus stand. Sein Sohn Dormunt würde
schon bald die Tochter von Hellewyn, der Gerberin, heiraten und eine eigene
Familie gründen. Dorkemunt freute sich darauf, seine künftigen Enkel auf den
Knien schaukeln und ihnen von den Taten der Pferdelords berichten zu
können, auch wenn seine Enkel ihn wohl sehr schnell an Statur überragen
würden.
Im Moment jedoch wirkte Dorkemunts Lächeln etwas gequält, denn jeder
Schritt seines braven Wallachs verursachte ihm Unbehagen. Am Abend zuvor
hatten sie in der Schenke des Weilers ausgiebig auf das künftige Paar
angestoßen. Das Volk der Pferdelords mochte zwar nicht viel Zeit für
Festivitäten haben, aber es verstand zu feiern. Am heutigen Tag würde man
die Feier fortsetzen, diesmal gemeinsam mit dem vermählten Paar, und noch
mehr Wein und Gerstensaft würden fließen. Doch schon jetzt am frühen
Morgen war sich der kleinwüchsige Pferdelord nicht sicher, ob sich mehr Blut
als Alkohol in seinen Adern befand. Er war zu den Herden hinausgeritten, um
sie zu kontrollieren.
Auf dem Hügel über der Herde sah Dorkemunt die Silhouette des Hirten
und ritt zu ihm hinüber. »Ihr seht nicht wohl aus, Dorkemunt«, sagte der
Reiter mitfühlend. »Mir scheint, es ist ein wenig spät geworden in der letzten
Nacht.«
Dorkemunt verzog sein Gesicht. »Es mag eher etwas zu früh gewesen sein,
mein Freund, denn es lohnte sich kaum noch, die Bettstatt aufzusuchen, und
der heutige Tag wird wieder lange währen.«
»Es wird aber auch ein Freudentag werden, mein Freund.« Der Hirte
schlug kameradschaftlich auf Dorkemunts Schenkel. »So wollen wir nun
hoffen, dass die beiden recht oft knarrzen und Euch eine reiche Schar an
Enkeln bescheren werden.«
Der kleinwüchsige Pferdelord nickte beifällig, stöhnte dann aber leise auf,
als ihm diese Bewegung erneut eine Welle von Schmerzen durch den Schädel
jagte. »Ich werde Euch gegen Abend ablösen kommen, mein Freund, damit
auch Ihr den einen oder anderen Becher auf das Wohl des Brautpaars leeren
könnt.« Er bemerkte den fragenden Blick des anderen und lachte. »Bis das
Haus meines Sohnes Dormunt bereit ist, habe ich ihm und seiner Braut das
meinige angeboten.«
Der Hirte grinste breit. »Ihr könnt die Enkel wohl kaum erwarten.« Er wies
auf die Herde unten im Tal. »Bei der Herde ist alles wohl, Dorkemunt, mein
Freund. Reitet beruhigt in den Weiler, ich gebe acht. Aber Ihr könntet mir
Eure Wasserflasche überlassen. Meine wurde undicht und befeuchtete nicht
meine Kehle, sondern nur mein Bein.«
Also tauschten sie die Wasserflaschen aus, und Dorkemunt ritt zum Weiler
zurück.
Die Ostmark war, wie das gesamte übrige Land der Pferdelords auch,
überwiegend von weiten Ebenen geprägt. An der östlichen Grenze der Mark
befanden sich ausgedehnte Sumpfflächen, die wiederum an den großen Fluss
grenzten, der von Norden kam und im Süden durch die Länder der alten
Könige führte. Zwischen dem Sumpf und der steppenartigen Ebene des Tals
erhoben sich ausgedehnte Wälder, die das Baumaterial für Dorkemunts
Weiler geliefert hatten, dessen Häuser im traditionellen Stil der Pferdelords
errichtet worden waren.
Die Häuser waren allesamt niedrig und lang gestreckt, um dem Wind
möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Ihre hölzernen Giebel ragten
überkreuzt über die Dächer hinaus, und jeder der Giebelbalken war mit dem
kunstvoll geschnitzten Kopf eines Pferdes geschmückt. Die Hauswände
waren aus Holz, das zum Schutz gegen Feuer mit frischem Tierblut gestrichen
worden war und daher eine typisch rotbraune Färbung aufwies, von der sich
lediglich die andersfarbig bemalten Türen und Fensterrahmen abhoben. Die
Dächer waren mit Grassoden bedeckt, die im Winter die Kälte draußen
hielten und im Sommer Schutz vor der Hitze boten. Alle Häuser bestanden
aus einer Wohnstube und normalerweise jeweils einer eigenen Kammer für
Männer, Frauen und Kinder, lediglich Vermählte erhielten einen
gemeinsamen Raum. So war es nicht selten, dass das Innere eines Hauses
oftmals umgebaut oder aber ein komplett neues Haus errichtet wurde.
Der Weiler war groß und umfasste fast zwei Dutzend Gehöfte.
Die einzelnen Häuser des Weilers formten zwei konzentrische Kreise,
deren Mitte der große Versammlungsplatz mit dem Brunnen bildete. Er stellte
das soziale Zentrum des Weilers dar, denn alle besonderen Ereignisse wurden
hier begangen. Hier nahm der Älteste des Weilers Vermählungen vor oder
sprach in Streitfällen Recht. Hier wurden die Waren für den Handel
gesammelt, und hier wurde auch ihr Erlös an die einzelnen Familien verteilt.
Eine kleine Pferdeherde graste hinter dem Weiler, aber der wahre Reichtum
der Menschen, die hier ihre Heimstätte gefunden hatten, war das Hornvieh.
Es war robust und hatte wohlschmeckendes Fleisch, aber vor allem gab
es Leder. Gutes und starkes Leder für Sattelzeug, Harnisch und Helme. Leder
für Tragetaschen und Feldflaschen, für feste Reithosen und viele andere
Dinge des täglichen Gebrauchs.
Hellewyn, die Gerberin, verstand sich auf die Lederzubereitung. Sie
konnte es stark und fest, aber auch dünn und geschmeidig machen. Ihr Haus
stand zwar innerhalb des Weilers, ihr Handwerk übte sie jedoch in einem
Schuppen abseits der anderen Häuser aus. Dort schabte sie die Häute und
befreite sie von jedem Haar, bevor sie es in große Bottiche gab, die mit dem
Dung der Kratzläufer gefüllt waren. Die Dauer der Behandlung und die
Konzentration des Urins entschieden jeweils über die Weichheit des Leders.
Hellewyn und ihre Tochter Gandoryn waren auch wahre Meisterinnen in der
Anfertigung feinster Lederschnüre, die wiederum hervorragend zur Fertigung
von Kleidung geeignet waren. Die Schnüre wurden aus dünnem Leder
gespalten und geschnitten und dann so lange von ihnen gekaut, bis sie weich
und schmiegsam wie wollenes Garn waren. Gandoryn fertigte zudem
wunderschöne Lederarbeiten und verzierte Kleider und Wämse mit feinsten
Lederstickereien.
Dorkemunt hielt das rotblonde Mädchen nicht nur für außergewöhnlich
liebreizend, sondern erachtete es auch für einen enormen Gewinn des
gesamten Weilers und seines eigenen Hauses, denn Gandoryns Arbeiten
fanden selbst in der Stadt des Pferdekönigs guten Absatz, obwohl es auch dort
gute Handwerkerinnen gab.
Dorkemunt trieb seinen Wallach zum Versammlungsplatz des Weilers
zurück, wo die Vorbereitungen für die Vermählung von Dormunt und
Gandoryn in vollem Gange waren. Der Älteste beäugte sichtlich nervös das
Podium, auf dem er das Brautpaar später miteinander vermählen würde. Er
war nicht mehr der Jüngste, und obwohl er schon viele Vermählungen und
Richtsprüche getätigt hatte, hatte er sich doch nie so recht daran gewöhnen
können, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit aller Bewohner des Weilers zu
stehen. Der Älteste winkte Dorkemunt geistesabwesend zu und schien schon
wieder die Vermählungsformel vor sich hin zu murmeln, während um ihn
herum die Frauen des Weilers damit beschäftigt waren, den Weilerplatz
festlich zu schmücken. Die Männer ihrerseits hatten bereits mehrere junge
Baumstämme kreisförmig angeordnet, welche nun mit bunten Tüchern,
Stoffstreifen und frischen Blumen verziert wurden.
Die beiden ältesten Frauen des Weilers waren währenddessen bei
Gandoryn und bereiteten sie auf ihre neue Rolle als vermählte Frau vor. Sie
würden ihr gut gemeinte Ratschläge über den Umgang zwischen Mann und
Frau geben, Ratschläge, die bereits seit Generationen gegeben und von den
Bräuten wieder verworfen wurden, weil diese ihre eigenen Erfahrungen
sammeln wollten. Gandoryns Mutter Hellewyn befand sich derweil in
Dorkemunts Haus, und dieser begegnete ihr in der Wohnstube, als er nach
Hause zurückkam, um dort nach dem Rechten zu sehen.
»Wie ich sehe, ist fast alles bereit«, stellte Dorkemunt fest.
Hellewyn sah ihn spöttisch an. »Wozu du, mein bester Dorkemunt, nicht
viel beigetragen hast.«
Dorkemunt erwiderte ihr Lachen. Hellewyn war eine gute Seele, die wie er
selbst ihren Partner vor vielen Jahren verloren hatte. Unter anderen
Umständen, wenn er, wie er sich eingestand, noch ein wenig jünger gewesen
wäre, hätte er der Witwe sogar noch das Gehöft gemacht. Doch für hektisches
Geknarrze fühlte er sich schon zu alt. Obwohl ihre Kinder noch nicht offiziell
Zügel und Wasserflasche miteinander teilten, sprachen sie sich doch bereits in
der vertrauten Form an, zumindest immer dann, wenn kein anderer mithörte.
»Das ist Sache der Weibsleute, Hellewyn. Du weißt selbst, dass sie hierfür die
bessere Hand haben. Kann ich die Kammer noch betreten?«
»Wenn du mir die Blüten nicht zertrittst.« Sie musterte seine Stiefel.
»Doch du solltest dein Schuhwerk vorher ablegen. Du hast auf der Südweide
abgesessen.«
Dorkemunt hüstelte verlegen und rieb die Sohlen seiner Stiefel aneinander,
von denen sich kleine Brocken des Weidegrundes lösten. Lächelnd zog er die
Stiefel von den Füßen, und weitere Bröckchen flogen durch die Wohnstube.
Hellewyn schüttelte den Kopf und drohte ihm spielerisch mit den Fingern.
»Ah, ihr Pferdelords habt einfach keinen Sinn für Reinlichkeit.«
»Das ist nicht wahr«, protestierte der kleine Mann. »Das weißt du genau.«
»Ich spreche auch nicht von der Reinlichkeit und Schärfe deiner Waffen,
Pferdelord Dorkemunt.« Hellewyn nahm seine Stiefel und trug sie vor die
Tür, wo sie die Sohlen heftig aneinanderschlug. »Würdest du deine Stube mit
der gleichen Sorgfalt pflegen wie diese, so wäre ich wohl zufrieden.«
Dorkemunt antwortete nicht. Aus langer Erfahrung wusste er, dass ein
Pferdelord einer Frau bei solchen Wortwechseln unterlegen war. Auf seinen
Fußlappen ging er durch die Stube in seine Kammer hinüber, die Hellewyn
schon für das Brautpaar vorbereitet hatte.
Auf der Bettstatt lagen frisches Stroh und frisches Gras, und das Bettzeug
war frisch erneuert worden. Dorkemunt bemerkte anerkennend, dass
Hellewyn es mit feinen Stickereien versehen hatte. Frische Blumen lagen in
der Kammer auf der Bettstatt und dem Boden verstreut. Ihr Duft erfüllte den
Raum, und der alte Pferdelord musste lächeln, denn er fühlte sich an seine
eigene Vermählung erinnert. Er trat an seine Truhe und nahm frische
Kleidung und seine Rüstung hervor, um sie auf Hochglanz zu bringen.
Wieder in der Wohnstube, sah er Hellewyn lächelnd an, die gerade die
Sohlen seiner Stiefel gesäubert und das Leder poliert hatte. »Du hast die
Kammer schön gerichtet, Hellewyn. Vor allem die Stickereien sind dir wohl
gelungen.«
Hellewyn errötete leicht. »Es ging mir gut von der Hand, Dorkemunt.
Schwierig war nur, die Arbeit vor Gandoryn zu verbergen. Zeig mir dein
Wams, Pferdelord. Ich sehe, du hast es ausgebessert, doch meine Stiche
erscheinen mir doch feiner als die deinen zu sein.«
Das konnte Dorkemunt nicht leugnen, und so gab er ihr sein Wams
bereitwillig. Halb entkleidet nahm er dann ein wenig verschämt am Tisch der
Wohnstube Platz. Es war nicht so, dass er sich wirklich genierte, doch er
zeigte sich nur ungern im Unterzeug vor einem Weibsbild, auch wenn dieses
die Mutter seiner zukünftigen Schwiegertochter war. Zudem wusste
Dorkemunt, dass er aufgrund seines geringen Wuchses im Unterzeug kein
sehr stattliches Bild abgab.
Wie alle Pferdelords trug er wollene Beinkleider, die Beine und Unterleib
bedeckten und mit angenähten Schnüren an einem Gürtel befestigt wurden,
den man um den Leib trug. Dazu kam ein weites Hemd mit rundem
Ausschnitt und langen Armen, welches bis fast zu den Knien und bei
Dorkemunt noch etwas weiter hinunter reichte. Die Reithosen aus feinem
braunem Leder wurden über die Beinkleider gezogen und ebenfalls am Gürtel
befestigt. Hierüber zog man nun das Wams. Es reichte bis ans Gesäß und
bestand aus gutem Tuch. Im Sommer war es ohne Arme und ungefüttert, im
Winter hatte es lange Arme und ein ledernes Überfutter. Je nach Neigung und
Stellung seines Besitzers wies das Wams zudem Zierstickereien auf.
Dorkemunts Wams hatte tatsächlich schon ein wenig gelitten, und auch
wenn er es sorgsam auszubessern versucht hatte, so waren seine Augen auf
die kurze Distanz doch nicht mehr die besten. So war er nun dankbar für die
Hilfe, die Hellewyn ihm anbot, und sah zu, wie sie die schadhaften Stellen
flink und sorgsam ausbesserte.
»Hier, guter Pferdelord«, sagte sie schließlich, »so gut wie neu. Nun kannst
du dich wieder bedecken.«
Dankend nahm er das Wams und zog es sich über. Dann wickelte er seine
Fußlappen neu. Die Stiefel eines Pferdelords wurden mit verschiedenen
Fetten eingerieben, sodass sie dem Wetter widerstanden und geschmeidig
blieben. Die Füße wurden zum Schutz erst in lange Tuchstreifen gewickelt,
bevor man das Schuhwerk überzog. Dorkemunt stampfte ein paarmal mit den
Füßen auf, bis die Stiefel richtig saßen, und nickte dann zufrieden.
Hellewyn sah ihn wohlgefällig an. »Du magst wohl klein von Wuchs sein,
Dorkemunt«, sagte sie lächelnd, »aber du bist ein rechter Pferdelord. Es ist
gut, dass meine Tochter deinen Sohn gewählt hat.«
Dorkemunt nahm seinen ledernen Brustharnisch. Er besaß kein
Kettenhemd und keine metallene Rüstung, aber sein lederner Brustharnisch
war aus hartem Leder und passgenau. Sorgsam polierte der alte Pferdelord
das dicke braune Leder und widmete sich danach den Messingteilen, die den
Harnisch verzierten. Er polierte, begutachtete und polierte wieder so lange,
bis er mit dem Ergebnis zufrieden war. Erst dann legte er den Harnisch an und
schloss die Schnallen, die ihn hielten.
Hellewyn seufzte leise. »So will ich mich denn meinem eigenen Kleide
widmen, guter Dorkemunt. Es wird bald losgehen, und du bist ja nun bereit.«
Rasch drückte sie ihm im Gehen einen Kuss auf die Wange, was
Dorkemunt verwirrt erröten ließ, und verschwand dann aus dem Haus. Der
alte Pferdelord grinste verlegen und zugleich erfreut und machte sich nach
dem Harnisch nunmehr daran, auch den lederbezogenen Metallhelm mit den
Messingverzierungen und seine Waffen, Dolch und Axt, zu polieren. Er
schmunzelte, als sein Sohn zu ihm trat und mit den gleichen Vorbereitungen
wie sein Vater begann. Es bedurfte keiner Worte zwischen Vater und Sohn.
Beide freuten sich gleichermaßen auf die heutige Vermählung, auch wenn die
Freude des Sohnes sicher umfassender und gleichzeitig von Nervosität
geprägt war.
»Nervös, mein Sohn?«, fragte Dorkemunt schließlich und sah seinen Sohn
lächelnd an. Er war stolz auf seinen stattlichen Sohn, der im Gegensatz zu
seinem Vater groß und breitschultrig, geradezu ein Hüne von Gestalt war. Die
Schwielen an seinen Händen verrieten außerdem, dass Dormunt zuzupacken
wusste.
Dormunt blickte von seiner Arbeit auf und erwiderte das Lächeln seines
Vaters. »Ein wenig, Vater.«
Dorkemunt beugte sich vor und legte seinem Sohn in einer beruhigenden
Geste die Hand auf die Schulter. »Keine Sorge, mein Sohn, die Natur hat alles
gerichtet. Es ist wie bei den Pferden auch, mein Junge.«
»Ah, ich meine nicht das Geknarrze«, brummte Dormunt errötend. »Ich
weiß schon, wie man ein Weib zum Stöhnen bringt, Vater.«
Der kleinwüchsige Dorkemunt nickte. »Ja, die unverheirateten Weiber
waren kaum sicher vor dir. Wie bei mir, in meinen jungen Jahren.«
Dorkemunt nickte versonnen. »Zu meiner besten Zeit war ich ein rechter
Hengst. Aber was ist es dann, was dich nervös macht?«
Dormunt legte seufzend seinen Harnisch zur Seite und nahm den Helm
auf, um dessen Messingteile mit Spucke und einem weichen Leder zu
polieren. »Ah, es ist einfach, ein richtiges Weib zu haben. Jede Nacht die
Bettstatt mit Gandoryn zu teilen und für ihr Wohl verantwortlich zu sein.«
»Ja, es wird deine Verantwortung sein, dass es ihr wohlergeht.«
Dorkemunt nickte bestätigend. »Und glaube mir, mein Sohn, Gandoryn ist ein
gutes Weib. Sie wird für dich und eure Kinder sorgen. So wie deine Mutter,
sie möge ihren Weg zwischen den Goldenen Wolken finden, immer für dich
und mich gesorgt hat. Auch sie war ein gutes Weib.«
Einer der anderen Männer des Weilers erschien in der offenen Tür. »Alles
ist bereit, ihr Pferdelords. Wo bleibt ihr nur?« Der Mann grinste. »Hat
Dormunt etwa den grünen Umhang abgelegt?«
Dorkemunt grinste. »Nein, sein Mut hat ihn noch nicht verlassen. Er wollte
nur ganz sicher sein, dass alles wohl gerichtet ist. Doch Ihr habt recht, mein
Freund. Es ist an der Zeit.«
Der kleinwüchsige Pferdelord erhob sich, schob den Dolch in seinen
Gürtel und schlang den grünen Umhang des Pferdelords um seine Schultern.
Nachdem er die Spange geschlossen hatte, setzte er sich den Helm auf, nahm
seine Streitaxt zur Hand und sah seinen Sohn auffordernd an. »Nun komm,
Dormunt, mein Sohn, es ist an der Zeit, dein Weib in eure zukünftige
Heimstätte zu holen.«
Gemeinsam traten sie aus dem Haus und schritten zum Versammlungsplatz
hinüber, wo die anderen Bewohner des Weilers sich bereits versammelt
hatten. Es fehlten nur die wenigen Männer, die als Hirten bei den Herden
waren. Alle Bewohner hatten ihre besten Gewänder angelegt, und die
Stimmung war ausgelassen. Spöttische, aber gut gemeinte Rufe galten den
beiden Pferdelords, die sich nun durch die Menge nach vorne schoben.
Dorkemunt bemühte sich um eine besonders aufrechte Haltung neben seinem
stattlichen Sohn, als sie vor den Ältesten und das Podest traten, vor dem
bereits Hellewyn und Gandoryn auf sie warteten. Auch sie trugen ihre besten
Gewänder, und Gandoryn als Braut war in ein zartgrünes Kleid gekleidet, das
mit den Symbolen des Pferdevolkes bestickt war. Dorkemunt und sein Sohn
stellten sich neben sie.
Schweigen senkte sich über die Bewohner des Weilers, als der Älteste sich
räusperte und dann den Blick über die erwartungsvolle Menge schweifen ließ.
»Ihr Männer und Frauen des Pferdevolkes! Ihr seid heute hier versammelt,
um Zeuge zu werden, wie Dormunt, des Dorkemunt Sohn, und Gandoryn, der
Hellewyn Tochter, einander einzige Liebe und Treue schwören. So einer von
euch einen Grund weiß, der gegen diese Verbindung spricht, so möge er ihn
nun kundtun oder für immer schweigen.«
Natürlich wurde kein Einwand vorgebracht, aber Dorkemunt spürte
dennoch, wie sein Sohn sich nervös versteifte, als der Älteste eine kleine
Pause einlegte, bevor er mit der Zeremonie weiter fortfuhr. »Dorkemunt, habt
Ihr Euren Sohn Dormunt in den Traditionen des Volkes der Pferdelords
getreulich erzogen, und schwört Ihr, dass er die Tugenden des Volkes in
Ehren hält?«
»Ja, Ältester«, versicherte Dorkemunt mit fester Stimme. »Dies schwöre
ich.«
»Hellewyn, habt Ihr Eure Tochter Gandoryn in den Traditionen des Volkes
der Pferdelords getreulich erzogen, und schwört Ihr, dass sie die Tugenden
des Volkes in Ehren hält?«
»Ja, Ältester«, versicherte auch Hellewyn. »Dies schwöre ich.«
Der Älteste räusperte sich erneut und nahm dann einen reich verzierten
Zügel und eine ebenso reich verzierte Wasserflasche von einem kleinen Tisch
hinter sich. Er legte den Zügel in Dormunts ausgestreckte Handfläche.
»Dormunt, des Dorkemunts Sohn, schwört Ihr Gandoryn, Hellewyns Tochter,
die Treue, und schwört Ihr, für sie zu sorgen und euer Heim zu schützen?«
»Ja, Ältester«, versicherte Dormunt, und seine Stimme klang nicht ganz so
fest, wie er sich dies eigentlich gewünscht hatte. »Dies schwöre ich.«
»Gandoryn, der Hellewyn Tochter«, der Älteste legte die Wasserflasche in
Gandoryns offene Hand, »schwört Ihr Dormunt, Dorkemunts Sohn, die Treue,
und schwört Ihr, für ihn zu sorgen und euer Heim zu schützen?«
»Ja, Ältester«, sagte Gandoryn, und man hörte ihrer Stimme an, dass sie
dabei lächelte. »Dies schwöre ich.«
»So fasst nun Zügel und Wasserflasche gemeinsam«, sagte der Älteste
salbungsvoll, worauf die beiden jungen Leute beide Gegenstände umfassten
und der Älteste seine Hände auf die Köpfe des frisch vermählten Paares legte.
»Mögen die Hufe eurer Rösser rasch wie der Wind eilen, und möge das
Wasser zu eurer Erquickung nie versiegen. So hüllt Gandoryn nun in Euren
Umhang, Dormunt, und nehmt sie zu Eurem Weibe.«
Dormunt nahm die Zügel in eine Hand, löste seine andere von der
Wasserflasche und hüllte seine Frau und sich selbst in den weiten Umhang
des Pferdelords ein. Der Älteste hob den Blick. »So seid ihr nun vor Volk und
König …«
Er verstummte, und ein merkwürdiges Krächzen drang aus seinem Mund.
Alle hoben irritiert den Kopf und sahen nur, wie sich die Augen des
Ältesten weiteten, seine Hand sich hob und er hinter die Menge deutete, aber
noch bevor überhaupt irgendjemand den Kopf wenden konnte, ragte plötzlich
ein gefiederter Pfeilschaft aus der Kehle des Ältesten. Er stieß ein
merkwürdiges Gurgeln aus und kippte dann schlaff hintenüber. Im ersten
Augenblick war die Menge wie gelähmt. Schreie ertönten, und es waren nicht
nur Schreie der Verwirrung und des Entsetzens, sondern auch Schmerzens-
und Todesschreie.
Dorkemunt konnte aufgrund seines kleinen Wuchses nicht erkennen, was
hinter den Rücken der Menschen vor sich ging, also sprang er ohne zu zögern
auf das Podest, wo er den Ältesten, dessen Körper noch seltsam zuckte,
ignorierte und über die Köpfe der Anwesenden hinwegspähte. Doch da
begann die Menge sich bereits zu zerstreuen und panisch
auseinanderzudrängen. Dorkemunt spürte den Luftzug eines Pfeils, der an
seinem Ohr vorbeizischte.
»Orks«, krächzte er ungläubig. Er wusste sehr wohl, was das für Gestalten
waren, die da vom Rand des Weilers her auf den Platz drängten, auch wenn er
nicht verstand, woher die Ausgeburten der Dunklen Macht so unvermittelt
kommen konnten. Bisher hatten sie ihren Platz in alten Legenden gehabt,
doch nun waren sie leibhaftig hier in ihren finsteren Rüstungen und mit
gierigem Gebrüll. »Orks«, brüllte Dorkemunt. »Zu den Waffen, ihr
Pferdelords! Ein Überfall!«
Aber niemand hatte seine Waffen mit auf den Versammlungsplatz
genommen, mit Ausnahme einiger Pferdelords, die dem Brautpaar später das
Ehrengeleit geben sollten, und natürlich mit Ausnahme von Dormunt und
seinem Vater. Dormunt hatte sich dem Feind bereits zugewandt und stand
schützend vor Gandoryn und ihrer Mutter, während er seine Klinge zog. Auch
die Handvoll bewaffneter Pferdelords stellte sich mit gezückten Waffen dem
Feind, der auf sie vorrückte. Schon lagen Männer, Frauen und Kinder in
ihrem Blut, während die Lebenden panisch versuchten, ihre Häuser zu
erreichen, um dort Schutz zu finden und sich zu bewaffnen. Pfeile zischten
und warfen viele von ihnen zu Boden. Manche versuchten blutend vom Platz
zu kriechen, bis die Bestien an sie herantraten und sie erschlugen.
Dorkemunt sprang vom Podest neben seinen Sohn. »Lauft zum Haus, dort
steht noch mein Pferd. Flieht zur Südweide und nehmt von dort noch andere
Tiere«, schrie er seinen Sohn an. »Ihr müsst fort von hier. Hier können wir
nicht bestehen. Es sind zu viele.«
Das Schlagschwert eines Rundohrs schlitzte den Oberkörper einer alten
Frau auf, und ihr Blut und ihre Eingeweide strömten hervor, während sie
schreiend zusammenbrach. Ein Pferdelord stieß dem triumphierenden Ork
seine Klinge in den Leib, wurde aber fast gleichzeitig vom Spieß eines
anderen Rundohrs getroffen und stürzte rücklings zu Boden. Der Ork hielt
den noch keuchenden Mann mit seinem Spieß auf den Boden gedrückt und
drehte die Klinge im Leib des Hilflosen so lange, bis ein anderer Ork
hinzukam und den Kopf des Pferdelords mit seinem Schlagschwert vom
Rumpf trennte.
Aus einem der Häuser zischte ein Pfeil hervor und traf eines der
Spitzohren, die selbst mit triumphierenden Lauten ihre Bogen immer wieder
auf die Hilflosen auslösten. Das Spitzohr quiekte getroffen auf, aber schon
drangen andere Orks in das Haus ein, und kein weiterer Pfeil wurde mehr von
dort gelöst.
Nur fünf Pferdelords standen noch auf den Beinen, die alle verwundet und
mit dem Blut von Menschen und Orks bespritzt waren. Dorkemunt schwang
seine Axt, und Dormunt stieß und hieb mit seinem Schwert. Seine Klinge glitt
durch den Brustpanzer eines Rundohrs, zerteilte ihn säuberlich, und die Bestie
hielt brüllend ihre hervorquellenden Gedärme fest, bis Dormunts Schwert ihr
in den aufgerissenen Rachen stieß. Inzwischen hatte Dorkemunts Axt bereits
den Schädel eines Spitzohrs gespalten.
»Zum Haus hinüber«, brüllte Dorkemunt. »Zu meinem Haus!«
Da stieß Hellewyn ein leises Seufzen aus, sackte gegen Dorkemunt, und
als er sie instinktiv mit den Armen festhielt, konnte er den Pfeil, der aus ihrem
Rücken ragte und die Nässe ihres Blutes spüren. Der kleinwüchsige
Pferdelord schrie seine Wut gegen den Feind hinaus, musste Hellewyn dann
aber aus seinem Griff lösen, um sich dem nächsten Angreifer zu stellen. Das
Schlagschwert eines Orks traf die am Boden Liegende und schlitzte ihren
Rücken auf, sodass die Wirbelsäule freigelegt war. Hellewyn schrie haltlos in
ihrem Schmerz, und Dorkemunts Axt fällte den Ork.
Aber sie konnten Hellewyn nicht mehr helfen, und es brach Dorkemunt
fast das Herz, als er einen letzten Blick auf sie warf und dann ihre Tochter
ergriff, die sich schützend über die sterbende Mutter werfen wollte. »Du
kannst ihr nicht mehr helfen«, schrie er Gandoryn an. »Denke jetzt an dein
eigenes Leben.«
Er zerrte sie mit sich und war fast dankbar, als der Hieb eines anderen Orks
Hellewyns Leiden endlich ein Ende setzte. Zu viert erreichten sie schließlich
Hellewyns Leiden endlich ein Ende setzte. Zu viert erreichten sie schließlich
Dorkemunts Haus, doch der Pferdelord, der sie begleitete, wurde dort gleich
von mehreren Pfeilen getroffen und sank in sich zusammen. Brüllend näherte
sich eine Anzahl von Orks dem Haus, während andere durch den Weiler
schwärmten und dort jedes Leben auslöschten.
Dormunt saß auf den Wallach seines Vaters auf und streckte gerade die
Hand nach Gandoryn aus, um sie hinter sich aufs Pferd zu ziehen, als ihn ein
Pfeil im Rücken traf und kurz danach der Stoß eines Spießes. Dormunt sackte
schreiend auf den Hals des Pferdes, seine Hand in die seiner Frau verkrampft.
Nun sprang Dorkemunt wie rasend zwischen die Orks, wütete mit seiner
langstieligen Axt unter ihnen und tötete, um die Seinen zu schützen. Doch als
er zurückblickte, sah er den Rücken des Pferdes leer und von Blut bedeckt.
Dorkemunt schlug um sich, löste sich aus der Umklammerung eines Orks und
trieb die Axt von unten zwischen die Beine eines aufschreienden Rundohrs.
Er zog sich zu seinem Pferd zurück, sah dort Sohn und Schwiegertochter in
ihrem Blut liegen und wusste, dass beiden nicht mehr zu helfen war. Tränen
der Wut und der Trauer füllten seine Augen, dennoch gelang es Dorkemunt
irgendwie, sich in den Sattel seines Wallachs zu hieven, und begleitet von
einem Pfeilhagel galoppierte er aus dem Weiler heraus. Keines der Geschosse
traf ihn, und er hörte enttäuschtes Gebrüll hinter sich, als ihn sein Pferd vom
Ort des Grauens forttrug.
In sicherer Entfernung zügelte der kleinwüchsige Pferdelord das Tier und
blickte zurück. Tränen flossen über seine runzligen Wangen.
Der Weiler war ausgelöscht. Kein menschliches Leben rührte sich mehr in
ihm. Tote Bestien und Menschen bedeckten den Versammlungsplatz und
lagen zwischen den Häusern. Zwei der Häuser begannen bereits zu brennen,
und Dorkemunt schrie hasserfüllt, als er sah, wie eines der Spitzohren seine
Zähne in den toten Leib eines Säuglings grub. Blind vor Tränen hob er seine
blutige Axt.
»Ich werde zurückkommen, ihr Bestien«, schrie er zu dem Weiler hinüber.
»Für jedes Leben, das ihr genommen habt, werde ich zwei der euren nehmen.
Das schwöre ich, Dorkemunt, bei meinem Leben und meiner Ehre als
Pferdelord!«
Dann lenkte Dorkemunt, von tiefer Trauer erfüllt, sein Pferd nach Süden.
Er würde mit anderen Pferdelords zurückkehren, und die Bestien würden für
alles bezahlen, was sie ihm genommen hatten. Er würde nicht eher Ruhe
finden, als bis er den Menschen des Weilers die doppelte Anzahl von
Orkschädeln nachgesandt hatte.