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Mit dem Dampf-Schlepper im Asteroiden-Gürtel

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Viele Menschen hatten schon einmal vom Asteroidengürtel gehört. Sie wussten, dass man dort einige wichtige Rohstoffe und wertvolle Metalle fand, und diese von dort zur Erde brachte. Dennoch besaßen die meisten eine vollkommen falsche Vorstellung. Sie sahen die Ringe des Saturn vor Augen und dachten, die Asteroiden seien größere und kleinere Objekte, die, dicht an dicht, um einen festen Bezugspunkt kreisten. Dass es schwierig und gefährlich sei, sich zwischen ihnen zu bewegen, weil man ständig dahinrasenden Objekten ausweichen und eine Kollision vermeiden musste. In der Realität bestand das Problem jedoch weniger darin, einem Asteroiden auszuweichen, als vielmehr, das gewünschte Objekt überhaupt ansteuern zu können. Es gab weit über Vierhunderttausend von ihnen und sie waren über einen immensen Raum verteilt.

Im Grunde gab es drei Asteroidengürtel, wenn man sie denn so bezeichnen wollte. Sie wurden als innerer, mittlerer und äußerer Gürtel bezeichnet und bewegten sich hauptsächlich zwischen Mars und Jupiter. Jupiter war der größte Planet des solaren Systems und besaß eine Masse, die rund siebzig Prozent der Gesamtmasse aller anderen Planeten entsprach. Ein Gigant, dessen Anziehungskraft auch die Asteroiden beeinflusste, so dass es zu Bahnstörungen kam. Das bedeutete, dass sich nicht alle Objekte in kreisförmigen oder elliptischen Umläufen befanden.

Die Asteroiden waren nach Größe und Zusammensetzung klassifiziert. Einige waren winzig, andere, wie Ceres, der immerhin fast ein Viertel des Mondes durchmaß, waren von beachtlicher Größe und hatten sogar eigene Trabanten.

Die Entstehungsgeschichte der zahlreichen Objekte war umstritten. Die Vermutung, es handele sich um die Trümmer eines einstigen Großplaneten, schien eher nicht zuzutreffen. Wahrscheinlich waren sie Überbleibsel jener Vorgänge, bei denen das Sonnensystem vor Urzeiten entstanden war und sich die Planeten gebildet hatten. Andere mochten aus den Tiefen des Weltalls stammen und eingefangen worden sein. Manche Asteroiden waren reich an Silikaten, andere an Kohlenstoffen. Einige enthielten Erze oder bestanden aus Eis oder Gestein.

Es gab sicher Forscher und andere Menschen, die sich wünschten, der Mensch wäre aus Neugierde und Wissensdrang in das Sonnensystem vorgestoßen. Niemand wäre in den Anfängen der Raumfahrt auf den Gedanken verfallen, dass sie aus rein kommerziellen Gründen durchgeführt werden könnte.

Nun lockten Rohstoffe und Wertmetalle die Konzerne ins All hinaus, aber es waren die treibenden Brocken aus Eis, welche dieses Unterfangen erst ermöglichten.

Man benötigte Unmengen von Wasser zum Überleben, selbst wenn man viel davon durch Filterung zurückgewinnen konnte. Vor allem brauchte man es zum Betrieb der Dampfmaschinen, welche den Strom erzeugten, andere Maschinen antrieben und die überlebenswichtige Wärme produzierten. Durch Elektrolyse konnte man Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff spalten, und Wasser war Grundlage der hydroponischen Gärten, die ebenfalls für Atemluft sorgten. Schiffe überbrückten die Entfernungen zwischen den Planeten mit dem Hiromata-Antrieb, aber für kurze Strecken und zum Manövrieren benutzte man Dampf.

Für die Menschen auf der Erde galten Metalle und Mineralien als die Kostbarkeiten der Asteroiden, für die Menschen die im Raum arbeiteten und lebten, war es hingegen das Eis, welches das überlebenswichtige Wasser lieferte.

So waren immer wieder Prospektorenteams unterwegs, um nach Rohstoffen oder Eis zu suchen. Sie flogen nicht in komfortablen Langstreckenschiffen, sondern unförmigen Konstruktionen, die mit Transportarmen ausgestattet wurden und zum Abschleppen kleinerer Objekte geeignet waren. Aus diesem Grund bezeichnete man diese Raumfahrzeuge als „Schlepper“. Ihr Bau und Unterhalt war teuer, und um die Kosten zu dämpfen, vermieteten die Firmen, denen sie gehörten, sie an private Prospektoren. So sparte man sich die Personalkosten und auch jene Summen, die bei Unfall oder Tod an Firmenangehörige gezahlt werden mussten. Der Weltraum mochte romantische Gefühle wecken, doch es war ein kalter und lebensfeindlicher Ort. Ein Ort, der satte Gewinne und wichtige Ressourcen versprach, und es fanden sich immer genug Menschen, die ihr Glück versuchen wollten.

Pierre und Iwan waren solche unabhängige Prospektoren, die auf eigene Rechnung und eigenes Risiko arbeiteten.

Sie mussten ihren Schlepper mieten und bestritten ihren Lebensunterhalt von dem, was sie auf ihren Touren fanden. Es war ein einsames und eintöniges Leben, denn oft waren sie Monate unterwegs, bis sie einen Asteroiden fanden der die Ausbeute lohnte. Dann nahmen sie diesen in Schlepp oder markierten ihn, damit er von einem Verhüttungsfrachter angeflogen werden konnte. Der Finderlohn war ansehnlich und entschädigte für die lange und oft erfolglose Suche.

Ihr Schlepper gehörte der Interplanetary Corporation, einem Konsortium asiatischer und europäischer Firmen, und trug die offizielle Bezeichnung „IC–ST 3“. Diese Kennung war in Schablonenschrift und leuchtenroten Buchstaben auf die Flanken gesprüht worden. Pierre und Iwan nannten ihn hingegen Mick Jagger und hatten diesen Namenszug in strahlendem Blau auf den Bug gemalt.

„Der Kerl war hässlich wie die Nacht, aber er hat es voll gebracht“, erläuterte Pierre jedem, der nach dem Grund des Namens fragte, „und das gilt genauso für unseren Schlepper. Das Baby mag keine Schönheit sein, aber es lässt uns nie im Stich und hat uns immer wieder zu einem guten Fund geführt.“

Schönheit lag sicher im Auge des Betrachters, und ein Ästhet hätte sich wahrscheinlich panisch vom Anblick eines Raumschleppers abgewandt, aber sie waren auf Funktionalität, Überleben und ein Minimum an Komfort ausgelegt. Ein amerikanischer Trucker hatte einmal zutreffend behauptet, ein Schlepper gleiche einem Überlandlastwagen, der einem irren Bastler zum Opfer gefallen sei. Das mochte übertrieben sein, wenn auch nicht sehr. Tatsächlich glich das Vorderteil der Mick Jagger der Zugmaschine eines Trucks mit langer Schnauze, an die man ein Kastenförmiges Nutzteil angebaut hatte. Vorne waren Steuerung, Lebenserhaltungssysteme und Aufenthaltsräume untergebracht, der Kasten beinhaltete die Maschinen und die extrem leistungsfähigen Dampftriebwerke. Die Konstruktion wies zahlreiche Antennen, Sensoren und hydraulische Greifer auf.

So groß ein Schlepper auch war, so bot er seinen zwei Besatzungsmitgliedern nur ein absolutes Mindestmaß an Komfort. Die Kanzel verfügte gerade über genug Raum für die Konsolen und die beiden Arbeitsplätze, direkt dahinter befand sich der Aufenthaltsbereich, der Küche, Wohnraum und Schlafkammer in sich vereinigte. Wobei man sich eine Koje teilte und abwechselnd schlief. Der einzige Luxus bestand in einer winzigen Nasszelle, in der man sich mit einem feuchten Schwamm abreiben konnte, und einem Kombitrainer, der zur Erhaltung der körperlichen Fitness diente. Da ein Schiff ohne Hiromata-Kristall nur dann über Schwerkraft verfügte wenn es manövrierte oder das Dampftriebwerk arbeitete, gab es lange Phasen der Schwerelosigkeit und die damit verbundenen Probleme.

Pierre und Iwan kannten die Risiken und waren nun schon seit drei Jahren ein Team. Sie wussten wie schnell Nachlässigkeit zur tödlichen Gefahr werden konnte. Einer von ihnen saß immer hinter den Steuerkonsolen und überwachte die Instrumente. Es gab sehr kleine Objekte im Weltraum, die mit hoher Geschwindigkeit unterwegs sein konnten. Ein Zusammenprall ließ sich nicht immer verhindern und konnte rasch tödlich verlaufen, wenn man nicht augenblicklich auf einen Schaden reagierte. Bislang hatte die Mick Jagger Glück gehabt. Ihre zerschrammte Hülle verriet allerdings, wie oft kosmischer Staub und Mikrometeoriten ihr schon zugesetzt hatten

Sie waren auf dem Rückweg von einem Flug, der fast sieben Monate gedauert hatte, und sehnten das Ende der Reise herbei. Beide waren ein eingespieltes Team und in einer Freundschaft miteinander verbunden, wie sie nur entstand, wenn man aufeinander angewiesen war. Dennoch wurde die Stimmung allmählich gereizt, was kein Wunder war, wenn man so lange Zeit auf engstem Raum miteinander verbrachte. Immerhin würden sie sich einen ausgiebigen Urlaub auf der Erde leisten können, denn sie hatten einen mehrere hundert Meter durchmessenden Brocken Eis im Schlepp.

„Vielleicht sollten wir uns zur Ruhe setzen“, murmelte Iwan, während er die Instrumente überprüfte. „Die Gesellschaft wird uns ein stattliches Sümmchen für unseren Fund zahlen. Selbst abzüglich aller Kosten bleibt da eine Menge übrig.“ Er sah seinen Freund an. „Nichts gegen deine Gesellschaft, Pierre, aber in nächster Zeit will ich ganz viele andere Gesichter um mich haben.“

„Und Frauen“, stimmte der grinsend zu. „Jede Menge davon.“

„Henlon Industries beschäftigt eine Menge Joyboys und Joygirls auf Hauke“, sinnierte der Russe. „Wir werden schon auf unsere Kosten kommen.“ Er betätigte zwei Schalter. Dann zog er das Handbuch mit den Navigationstabellen hervor. „Gib mir die Positionsdaten.“ Pierre rasselte die Zahlen herunter und sein Freund nickte zufrieden. „Noch fünf Tage bis zum Rendezvous. Höchste Zeit für das Bremsmanöver.“

„Ja, die wären nicht erfreut, wenn wir ungebremst hereinkommen“, scherzte Pierre. „Na schön, zieh die Gurte straff, wir fahren ein wenig Achterbahn. Haben wir genug Dampf?“

„Jede Menge“, behauptete der Russe zuversichtlich. „Allerdings haben wir auch einen ganz schönen Brocken an der Leine.“

Die Beute in Schlepp zu nehmen war kein so großes Problem. Die Seilkanonen schossen die Fanghaken tief in das Objekt hinein, die sich dort verkrallten. Dann musste man den Schlepper exakt in die gewünschte Flugrichtung ausrichten und die Seile mit den Winden behutsam straffen. War alles gerichtet, starteten die Dampftriebwerke. Trotz ihrer überdimensionierten Größe mussten sie eine Herkulesaufgabe bewältigen, denn auch wenn ein kleiner Asteroid kein Gewicht zu haben schien, so verfügte er doch über Masse, die bewegt werden musste.

Weit problematischer war es, diese Masse wieder abzubremsen und genau dort abzuliefern, wo sie benötigt wurde. Im Augenblick folgte der Eisbrocken dem Schlepper willig an seinen Leinen. Nun war der Zeitpunkt gekommen, an dem ein anderes Raumschiff einfach den Umkehrschub genutzt oder sein Heck gegen die bisherige Flugrichtung gewandt hätte, um seine Geschwindigkeit entsprechend zu reduzieren. Für einen Schlepper war der Vorgang weitaus komplizierter, da er nicht einfach bremsen konnte. Die gezogene Fracht hätte ihn zertrümmert. Somit mussten Pierre und Iwan ein langwieriges Manöver einleiten, bei dem der Eisbrocken weiter in die alte Richtung flog, ihr Schlepper aber hinter ihn gelangte und ihn entsprechend verlangsamen konnte.

Sie hatten die Schlepptaue bereits ausgeklinkt und die Ankerkanonen nachgeladen, denn sobald sie hinter dem Asteroiden standen, mussten sie ihn erneut „an die Leine“ nehmen.

„Druck auf Maximum, Ventile in Bereitschaft“, meldete Iwan. Er vergewisserte sich, dass seine Sicherheitsgurte straff saßen. „Klar zur Lagekorrektur auf deinen Befehl.“

„Backborddüsen öffnen“, ordnete Pierre an. „Schön langsam herumkommen lassen.“

„Keine Sorge, mache ich nicht zum ersten Mal.“

Pierre übernahm die Steuerung des Haupttriebwerkes und der Manöverdüsen, die sich an verschiedenen Stellen des Schleppers befanden. Iwan hatte auf den richtigen Ausstrom des Dampfes zu achten, während die Mick Jagger langsam die Richtung wechselte. Bei diesem Manöver würde sie praktisch um den Asteroiden herum fliegen, um auf dessen Rückseite zu gelangen.

„Komm, Baby, streng dich an“, flüsterte Pierre angespannt.

Allmählich schwang der Schlepper aus dem alten Kurs und begann die Fracht zu umrunden.

„Gut so“, meinte der Franzose. „Langsam aufkommen lassen.“

„Irgendwann haben wir einen Brocken an der Angel, der den Spieß umdreht“, knurrte Iwan. „Druck konstant. Brennelement Drei heizt nicht richtig auf, ich kann es aber mit der Vier ausgleichen.“

„Wenn jetzt eine der Düsen spuckt oder ausfällt, sind wir im Arsch“, knurrte Pierre.

„Weiß ich“, antwortete sein Freund wortkarg.

Die Sterne verschoben sich vor den dicken Panzerplastscheiben. Pierre blickte immer wieder in die Markierungen des Rückspiegels und achtete akribisch darauf, dass die Fracht im Fadenkreuz blieb.

„Backborddüsen aus“, befahl er. „Gegenschub auf Steuerborddüsen.“

Ventile wurden geschlossen, andere geöffnet. Der Dampfstrom aus den Backborddüsen versiegte. Sofort bildete sich Eis an den Trichtern der Ausströmkammern, während das an den Steuerborddüsen nun durch die Hitze weggeschmolzen wurde.

Pierre hielt den Joystick der Hauptsteuerung mit spitzen Fingern. Jede Bewegung wurde durch elektrische Energie auf die Schaltung der Düsen übertragen, deren Querschnitt sich so beeinflussen ließ. Iwan musste gleichzeitig auf den gleichmäßigen Druck achten. „Etwas mehr Dampf auf Düse Drei“, befahl er. „Recht so. Wir sind fast genau am richtigen Punkt. Bremsschub … Jetzt!“

Ein letztes Ausströmen und die Mick Jagger hatte die richtige Position erreicht. Sie wandte ihrer Beute erneut das Heck zu und dessen mächtiges Triebwerk würde den Schlepper und seine Fracht gleichermaßen abbremsen müssen.

„Anker abfeuern.“

Die Mick Jagger bockte ein wenig, als die Ankerharpunen mit den langen Seilen abgeschossen wurden und sich nun auf der Rückseite des Eisbrockens in dessen Oberfläche bohrten.

„Abgefeuert und im Ziel“, meldete Iwan.

„Langsam anspannen, mein Freund, und achte darauf, dass sie nicht herausreißen, sonst war alles umsonst.“

„Verdammt, ja.“ Der Russe gab behutsam Dampf auf die Winden und die Seile begannen sich langsam zu spannen. Wenn die Anker aus der Oberfläche gerissen wurden, mussten sie dieses Manöver so oft wiederholen, bis es gelang. Das war nicht nur zeitraubend, sondern auch gefährlich, denn die Harpunenkanonen konnten nur vom Weltraum aus nachgeladen werden.

„Spannung okay“, ächzte Iwan erleichtert.

„Klar für Zündung des Haupttriebwerkes!“

Dampf zischte von den Kesseln durch die Leitungen, Diffusoren verwandelten ihn in hauchfeinen Nebel, teilten den Wasserstoff ab und die elektrischen Brenner entzündeten diesen. Gleißende blauweiße Flammkegel traten an den fünf Hauptdüsen aus und begannen die Mick Jagger und ihre Fracht zu verlangsamen.

„Das ging leichter, als ich befürchtet habe“, gestand Pierre. „Jetzt fünf Tage Bremsmanöver, und wir haben es geschafft.“

Diese fünf Tage wurden zu einer Qual, denn je näher sie ihrem Ziel kamen, desto langsamer wurde ihr Flug. Wenn sie alles richtig berechnet hatten, würden sie mit „relativ Null“ ankommen. Was bedeutete, dass ihre Fahrt exakt der Geschwindigkeit des Ziels entsprach, welches sich ja ebenfalls durch den Raum bewegte.

Doch schließlich hatten sie das Ende ihrer Reise erreicht.

„Geschwindigkeit relativ Null und genau am Ziel“, stellte Pierre mit sichtlichem Stolz in seiner Stimme fest. „Du brauchst mich nicht zu loben, ich weiß, dass es eine Meisterleistung war.“

Iwan lächelte. „Das will ich gerne zugeben, mein Freund. Auch wenn es hier oben ein wenig leichter ist, als unten auf der Erde. Hier funktionieren Funk, Radar und elektronische Geräte, die in unserer Heimat höchstens nostalgische Gefühle aufkommen lassen.“

Pierre zuckte die Schultern. „Die werden auch hier im Weltraum oft genug durch kosmische Stürme und Sonnenwinde gestört. Aber ich gebe zu, diesen Elektronensalat wie auf der Erde, den haben wir hier nicht. Trotzdem wirst du ja wohl zugeben, dass ich es auf den Punkt getroffen habe.“

„Hast du, mein Freund, hast du“, versicherte Iwan und beugte sich zur Seite, um dem Freund anerkennend auf die Schulter zu klopfen.

Hinter dem Eis-Asteroiden und im Rücken der Mick Jagger schwebte „Hauke 27“ im All. So war das Objekt einst von seinem Entdecker getauft worden. Der Asteroid war mit knapp sechshundert Kilometern Durchmesser sehr groß und hatte die ungefähre Form einer Kartoffel. Seine Dichte war ungewöhnlich hoch und er bestand fast ausschließlich aus Erz, so dass er tatsächlich den Hauch eines eigenen Schwerfeldes aufwies. Es betrug kaum ein Zwanzigstel der irdischen Schwerkraft, doch für die Menschen, die auf und in dem Objekt lebten, war es eine ungeheuere Erleichterung, dass es überhaupt ein Empfinden von oben und unten gab. Zusätzlich hatte Henlon Industries einen Hiromata-Kristall installiert, um die gewohnte Erdenschwere zu erzeugen. Dies galt nicht der Bequemlichkeit der Arbeiter, sondern steigerte deren Effizienz.

„Ich bin es leid, die Nahrung ständig aus der Tube zu saugen“, spielte Iwan darauf an, das sie die meiste Zeit ihrer Reise in Schwerelosigkeit verbracht hatten. „Du glaubst nicht, wie sehr ich mich danach sehne, endlich wieder einmal eine Suppe löffeln zu können.“

„Nun, hier wird dein Wunsch sicherlich erfüllt. Ich habe keine Ahnung, wie Henlon Industries es geschafft hat, aber die haben hier einen Schweregenerator, der mit einem winzigen Stück Hiromata betreiben wird. So etwas findet man nirgends sonst.“

„He, ich bin nicht zum ersten Mal hier“, knurrte der Russe. „Außerdem hat so ein Riesenkonzern Verbindungen, von denen wir höchstens träumen können.“

Sie vergewisserten sich, dass ihre Beute stationär zum Ziel schwebte und lösten die Verankerungen. Die Mick Jagger umrundete den Eisbrocken und flog langsam auf Hauke 27 zu. Das Objekt war gut zu sehen und hob sich als schwarzer Schatten vor dem Hintergrund der Sterne ab. Zudem stand die Sonne schräg hinter dem Ziel.

Hauke 27 war die einzige Fundstelle von Thermionit im Sonnensystem. Die fieberhafte Suche nach weiteren Vorkommen war bislang erfolglos geblieben. Somit besaß Henlon Industries, und damit die britische Krone, das Monopol auf das wertvolle Mineral. Für die Nationen von Pierre und Iwan war dies ein Nachteil, für sie selbst hingegen ein gewaltiger Vorteil. Henlon Industries war das sicherlich reichste und mächtigste Industrieunternehmen der Welt und es zahlte ausgezeichnet, wenn es darum ging, Hauke 27, seine „goldene Gans“, funktionsfähig und am Leben zu erhalten. Der riesige Wasservorrat, den die beiden Prospektoren nun in Form von Eis herangeschleppt hatten, würde das für lange Zeit gewährleisten, und ihnen eine stattliche Summe einbringen.

An der Oberfläche von Hauke 27 blinkten Positionslampen und die Lichter der Andockstationen wiesen den Freunden den Weg. Langsam kamen sie der Anlegestelle näher. Während Pierre sich darauf konzentrierte, die Ventile der Dampftriebwerke und Korrekturdüsen zu regulieren, sprach Iwan mit der Kontrollmannschaft des Asteroiden.

Die Dockstationen ragten kreisförmig aus einem großen Kuppelbau hervor und ähnelten den Fangarmen eines Polypen. Jeder dieser Fangarme bestand aus starren Metallstreben, zwischen denen ein Weg aus Gitterrosten entlang führte. Die Konstruktion ähnelte Feuerfluchtleitern, wie man sie gelegentlich außen an Gebäuden sah, war allerdings deutlich größer, da hier große Frachtbehälter und Container transportiert wurden. Arbeiter und Schiffsmannschaften mussten die Unbequemlichkeit von Raumanzügen auf sich nehmen, da es zu aufwändig gewesen wäre, die Verbindungen zwischen den Schiffen und der Station mit einer luftdichten Hülle zu umgeben. Es gab immer wieder Kleinstmeteoriten, welche diese durchschlagen und so eine tödliche Gefahr heraufbeschworen hätten. Die äußere Kuppel der Station war hingegen durch eine mehrschichtige Panzerung geschützt.

Fünf große Frachter waren an den Verankerungen ihrer Pylone festgemacht. Sie trugen die Farben verschiedener Gesellschaften. Zwar wurde das Thermionit nur von Schiffen der Henlon Industries befördert, aber auf Hauke 27 schürfte man auch hochwertiges Erz, welches die Gesellschaft mit den anderen Nationen handelte. Alle Schiffe hatten die typische langgestreckte Form von Frachtern, doch an einem anderen Andockarm ankerte ein sehr ungewöhnliches Schiff, welches die Form einer Kugel hatte.

„Dein Franzosenkaiser ist zu Besuch“, kommentierte Iwan den Anblick des Schiffes.

„Nicht der Kaiser“, korrigierte Pierre. „Die Soleil Royale fährt zwar unter der Flagge des Kaiserreiches, gehört aber der wissenschaftlichen Gesellschaft von Paris. Allgemeine Raumforschung, Vermessungsarbeiten … Du weißt selbst, wie viel Forschungsarbeit zu leisten ist.“

„Und sie suchen sicher auch nach Thermionit, nicht wahr?“

„Alle suchen danach.“

Iwan seufzte. „Eine verdammte Schande, dass die Engländer ihre Hand darauf haben. Ist ein hervorragendes Zeugs, um Dampfmaschinen anzutreiben. Schön, ihr Franzosen habt eine Menge Sonne und könnt die Kessel mit Solarkraft heizen, und wir selbst haben in der Tundra noch jede Menge Bäume für denselben Zweck. Aber das verfluchte Öl hat uns ja gezeigt, dass alles irgendwann erschöpft ist. Jetzt kratzt man Ölschlamm aus, damit man wenigstens die Maschinen noch schmieren kann, weil die Tierfette nicht so gut geeignet sind.“ Er sah Pierre abschätzend an. „Und das Wetter in Europa ist auch nicht mehr, was es mal war. Die alten Windparks werden von den tropischen Stürmen fort geblasen und die Sonne scheint auch nicht mehr jeden Tag. Der Pariser Monsun ist ja berüchtigt und in Moskau ist es auch nicht viel anders.“

„Es heißt, ein Frachter von Henlon sei verschwunden“, überlegte Pierre. „Mitsamt der Fracht an Thermionit.“ Inzwischen waren es zwei Frachter, doch die Freunde waren lange „draußen“ gewesen und kannten die jüngsten Nachrichten noch nicht. „Ist für die Engländer sicher ein böser Schlag.“

„Vielleicht hat ja jemand dran gedreht und sich den guten Stoff unter den Nagel gerissen.“

Pierre sah den Freund abschätzend an. „Unsinn. Wir sind hier nicht vor Somalia oder in der alten Karibik, wo Piraten ein Schiff entern.“ Er grinste. „Obwohl … Lohnen würde sich das bei der Fracht sicherlich. Dennoch … Dazu braucht man ein echtes Piratenschiff und so etwas gibt es nicht im Weltraum.“

Iwan leckte sich über die Lippen. „Also, wenn ich mir vorstelle, so ein Thermionit-Frachter hätte irgendeinen blöden Unfall und würde aufgegeben im All treiben … Ist das dann eigentlich wie auf hoher See? Ich meine, mit dem Bergungsrecht und so? Wer ein aufgegebenes Schiff entert, erhält doch das Bergungsrecht und kann über Schiff und Ladung verfügen. Mann, Pierre, stell dir bloß vor, was so eine Ladung Thermionit wert ist …“

„Träum weiter“, lachte der Franzose auf. „Nein, besser nicht. Wir docken gerade ein. Sobald die Klammern der Verankerung sitzen, können wir in unsere Anzüge steigen und endlich raus. Oh, Mann, ein echtes Bad, eine echte Frau und jede Menge Goldstücke, welche die Gesellschaft für unseren Eisbrocken zahlt …“

„Und richtiges Essen und keinen Tubenfraß“, fügte Iwan mit schwärmerischem Lächeln hinzu.

Die Andockklammern schnappten um die Halterungen der Mick Jagger ein und das metallische Geräusch hallte durch das kleine Schiff. Die Männer legten die Raumanzüge an und überprüften gegenseitig, dass alles richtig saß und funktionierte. Auch wenn es nur eine kurze Strecke zur Station war, mussten sie die schweren Tornister mit den Dampfanlagen anlegen. Der Dampf heizte die Anzüge, spaltete Sauerstoff zum Atmen ab und diente auch als Antrieb, falls dieser benötigt wurde.

Der Schlepper verfügte über keine Luftschleuse und sie pumpten die kostbare Atemluft in die Innentanks, bevor sie das Außenschott öffneten. Draußen auf dem Pylon koppelte Pierre das kleine Raumschiff an die externe Versorgung der Station und gab Iwan das Zeichen, dass dieser die Dampfanlage des Schleppers herunterfahren konnte.

Die Station verfügte zwar über eine Hiromata-Schwerkraftanlage, doch deren Wirkung war hier draußen kaum spürbar. Vorsichtig schlurften sie mit den Magnetsohlen den Steg entlang, wobei sie darauf achteten, sich wenigstens mit einer Hand zusätzlichen Halt an einer der Streben zu verschaffen. Eine falsche oder zu starke Bewegung konnte sie in den Raum hinaus treiben lassen. Zwar würde sie der Dampfantrieb des Raumanzugs wieder zuverlässig zurück tragen, doch keiner der beiden wollte sich eine solche Blöße geben. Für die Stationsbesatzung und die Minenarbeiter wäre es ein willkommener Anlass für Spott gewesen.

Nachdem sie die Schleuse von Hauke 27 passiert hatten, standen sie im äußeren Bereich der Station, der Kuppel. Hier waren Unterkünfte, Lager, Werkstätten und die Verwaltung untergebracht sowie das bescheidene Vergnügungszentrum für die Angestellten von Henlon Industries und die Raumschiffbesatzungen. Die der Minenarbeiter und die Lebenserhaltungssysteme waren hingegen tief unter die Oberfläche verlegt worden. Dort befand sich auch die Hiromata-Schwerkraftanlage.

Die beiden Freunde meldeten sich in der Verwaltung, fertigten den Auftrag für die Wartungsmannschaft aus, die sich nun um die Mick Jagger kümmern würde, und verhandelten kurz mit dem Leiter der Mine. Man einigte sich auf eine Summe die beide Parteien zufrieden stellte, dann drängte es die Männer danach, lang entbehrte Sinnlichkeiten zu genießen.

„Ein erfrischendes Bad, ein hervorragendes Essen und ein schönes Joygirl“, sagte Iwan. „Und exakt in dieser Reihenfolge.“

Pierre nickte. „In genau dieser Reihenfolge. Aber ich werde nach dem Bad erst einen Abstecher auf die Soleil Royale machen.“

„Was willst du denn dort?“ Iwan kratzte sich ungeniert.

Pierre lächelte gewinnend. „Ein französisches Schiff hat auch französische Frauen an Bord, mon ami. Möglicherweise kann ich eine der reizenden Damen zum Essen ausführen.“

„Hm, du könntest wohl mehr im Sinn haben, als die Dame nur zum Essen zu geleiten.“

„Da könntest du recht haben“, lachte der Franzose. „Du kannst aber schon ruhig mit deiner Suppe anfangen. Es könnte eine Weile dauern, bis mein Charme wirkt.“

„Erst baden“, spottete Iwan gutmütig, „sonst geht dein französischer Charme im Duft der vergangenen Monate unter.“

Pierre lachte erneut und schlug seinem Freund gutmütig auf die Schultern.

Es gab ein paar Dinge, die er auf der Soleil Royale zu erledigen hatte, und einige davon würden Iwan besser verborgen bleiben.

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