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Beim Lord-Admiral

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Das Verteidigungsministerium Ihrer britannischen Majestät, Königin Victoria II., befand sich in Whitehall, einer Straße im Londoner Regierungsviertel Westminster, die ihrem Namen dem kastenförmigen Bau des Ministeriums verdankte. Ein plumper und weiß getünchter Bau, dessen Mauern und Fensteröffnungen eine Gitterartige Struktur zeigten und eher einem Gefängnis glichen. Hier wurde, im Namen ihrer Majestät, die Verteidigung Englands organisiert. Ein Teil dieser, durchaus offensiven, Verteidigung, war die Royal Navy, deren Oberkommando, die Lord-Admiralität, sich hier befand.

In der Nähe des Gebäudes erhob sich der Kenotaph, ein Denkmal, welches an die Opfer vergangener Kriege erinnerte. England verehrte seine Helden, auch wenn es sich ihnen gegenüber nicht immer dankbar zeigte, wie das Schicksal von Lord Nelson, einem Seehelden der ersten napoleonischen Kriege und der Seeschlacht von Trafalgar, wohl bewies.

Im Augenblick befasste man sich im Oberkommando jedoch nicht mit vergangenen Zeiten, sondern den Dingen, welche über die Zukunft Britanniens entscheiden mochten.

Sir John Prewitt hatte die Ehre der Lord-Admiral der Flotte zu sein, und seine vielfältigen Aufgaben hatten ihm schon zahlreiche schlaflose Nächte und ein Magengeschwür beschert. Die Ärzte rieten dringend zu mehr Ruhe, doch es sah nicht so aus, als würde Sir John diese so bald finden.

Der Lord-Admiral war kein politischer Beamter, oder doch wenigstens nicht ausschließlich, denn er hatte seine Laufbahn als Seekadett bei der Flotte begonnen und sich hochgedient. Es war zweifellos eine außergewöhnliche Karriere, die er hinter sich gebracht hatte, und immer, wenn er aus den Fenstern seines Büros hinaus blickte und der Nebel den Ausblick trübte, erschienen in den grauen Schwaden die sturmgepeitschten Wellen des Atlantiks vor seinen Augen. Er vermisste die See, vor allem wenn sich Papiere und Probleme auf seinem Schreibtisch stapelten. Im Augenblick vermisste er sie ganz besonders.

Sir John Prewitt war hochgewachsen und trug die eng sitzende formelle Uniform. Zu seinem Leidwesen spannte sie ein wenig über seinem Bauch. Folge zu häufiger sitzender Tätigkeit und zu guten und reichlichen Essens, wie er sich eingestehen musste. Der Tradition verbunden trug er einen mächtigen Backenbart, der, natürlich nur hinter seinem Rücken, gelegentlich für gutmütigen Spott sorgte, denn allgemein war Sir John eine hoch geachtete Person.

Im Augenblick hatte er die Hände auf dem Rücken ineinander gelegt und marschierte unruhig in seinem Büro auf und ab. Er tat dies, weil es ihm half, seine Gedanken zu sortieren, und die Erbauer des Gebäudes hatten alles getan, um ihn dabei zu unterstützen. Sir John hasste sein Büro, welches eher einem Saal ähnelte, auch wenn es seine „Gedankengänge“ erleichterte. Er schätzte moderne Zweckmäßigkeit, und die verschnörkelten und vergoldeten Möbel aus alten Tagen widerten ihn an. Hinzu kamen die Portraits berühmter Seehelden, von Drake bis Cummings, in massigen und ebenfalls vergoldeten Rahmen. Lediglich die hervorragend detaillierten Schiffmodelle gefielen ihm. Die Golden Hind von Drake, die Victory von Nelson und sein erstes Schiff, die Serpent.

Sir John unterbrach seine Schritte und starrte auf das Telefon, das an der Wand montiert war. Zögernd trat er an das Sprachrohr, das sich daneben befand, zog den Korken heraus und blies kurz hinein. „Sally? Verbinden Sie mich mit der Downingstreet Nummer Zehn. Ich muss den Premierminister sprechen.“

„Downingstreet? Sofort, Sir John.“

Zwei Stockwerke unter dem Büro des Lord-Admirals wandte sich die junge Telefonistin einem Steuerpult mit zahlreichen Hebeln und Reglern zu. Sie vergewisserte sich, dass genug Dampfdruck in der Hauptkammer der Telefonanlage vorhanden war, öffnete ein Ventil und beobachtete, wie die Anzeige für den Sitz des Premierministers nach oben glitt. Auch wenn es noch ein paar funktionierende elektrische Telefone gab, so verließ man sich lieber auf die zuverlässigeren Dampftelefone, die von Elektrostürmen nicht beeinflussbar waren. Sallys Ventileinstellung leitete Dampf aus dem Hauptkessel in eine Nebenleitung. Im Keller der Admiralität beobachtete ein Mann den ansteigenden Druck in einer bestimmten Leitung und wusste somit, welche Verbindung gewünscht war. Ein Nebenkessel diente als Druckverstärker, weitere Ventile wurden geöffnet oder geschlossen und der Dampf strömte in die Rohre zur Downingstreet. Dort traf er auf ein geschlossenes Ventil, und als der Druck immer stärker anstieg, begann dieses zu pfeifen. Ein Bediensteter legte einen Hebel um, der Druck stieg einen Abzweig hinauf und erreichte den gewünschten Apparat. Auch hier pfiff ein Sicherheitsventil und wenig später hob Premierminister Gordon die Abdeckung des Sprechtrichters ab. Durch die Schutzmembrane drang seine Stimme ein wenig verzerrt, als er sich meldete.

Sir John sprach nur kurz mit seinem Freund und als er die Membrane seines eigenen Telefons schloss, begann er erneut seinen unruhigen Gang. Er war froh, dass er und Gordon ein so enges freundschaftliches Verhältnis hatten. So konnten sie manches Problem ohne Kompetenzstreitigkeiten und politischen Kleinkrieg lösen.

Nur kurze Zeit später klopfte es an der Doppeltür des Büros und ein Wachgardist meldete die Ankunft des Premiers. Die beiden Freunde begrüßten sich und kamen sofort zur Sache.

„Es gibt drei Dinge, die mich im Augenblick außerordentlich beschäftigen, Gordon“, gestand Sir John ein. „Die neue Spezialmunition, die leidige Sache mit der Thunderer und ein paar Franzosen, die noch in dieser Stunde bei mir vorstellig werden.“

„Die Thunderer?“ Sir Gordon runzelte die Stirn. „Ja, das ist wirklich eine sehr üble Sache, alter Freund. Ich vermute, die Angelegenheit bezüglich der Spezialmunition ist das kleinere Problem. Das sollten wir zuerst lösen.“ Der Premier nahm ein Glas Sherry aus der Hand des Freundes entgegen und prostete ihm zu. „Also, worum geht es?“

„Wie du weißt, sind unsere mit Thermionit betriebenen englischen Dampfkanonen ausgezeichnet. Dennoch haben wir Probleme, die Seitenpanzerung gegnerischer Schiffe zu durchdringen. Es hängt mit der extremen Schräge der Panzer zusammen und …“

„John, nimm es mir nicht übel, wenn ich dich unterbreche, aber auch wenn ich kein Militär bin, so bin ich darüber doch ausreichend informiert. Ich weiß auch, dass die Waffenversuchsanstalt in Portland nach einer Lösung sucht.“

„Entschuldige.“ Sir John nippte an seinem eigenen Glas. „Nun, man scheint dort eine Lösung für unser Problem gefunden zu haben.“

„Ah, und welche?“

„Eigentlich ist es ganz einfach, man muss nur darauf kommen.“ Der Lord-Admiral leerte sein Glas und nutzte es als Demonstrationsobjekt. Ein letzter Tropfen Sherry fiel auf edle Teppiche, während Sir John seine Finger am Glas entlang führte. „Man umgibt das Geschoss mit einer Lage Blei.“

„Blei?“

„Blei, alter Freund. Es ist ein sehr weiches Metall“, dozierte Sir John. Er trat an das Modell seiner alten Serpent und tat, als flöge das Glas auf den Rumpf zu. „Ein Geschoss trifft normalerweise auf die Schräge und wird von dieser abgelenkt. Bei dem mit Blei ummantelten Geschoss ist das anders. Das Blei trifft die Schrägpanzerung, verformt sich und passt sich an. Man könnte vereinfacht sagen, dass es wie ein Kaugummi daran klebt.“

„Nett von dir, dass du an schlichte Beschreibungen für Zivilisten denkst“, meinte der Premier und das Lächeln nahm seinen Worten die Schärfe. „Aber was soll dieser „Kaugummi“ nutzen?“

„Nun, natürlich haftet das Blei nicht wirklich und nur für Augenblicke, aber es führt sozusagen das darin befindliche Geschoss gegen die Panzerplatte. Das eigentliche Projektil schießt sozusagen aus dem Blei heraus und in den Panzer hinein.“

„Und das funktioniert wirklich?“

„Portland behauptet es, und ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln. Man bezeichnet die neue Munition als Quetschbleigeschoss.“

Der Premierminister räusperte sich. „Nun, wenn es denn funktioniert, dann ist das doch eine sehr gute Nachricht.“

„Hm, ja, im Prinzip schon.“ Der Lord-Admiral zuckte die Schultern und füllte die Gläser nach. „Das Problem liegt darin, dass wir eine Menge dieser Munition herstellen müssen.“

„Verstehe. Das kostet eine Menge Blei und eine Menge Goldvictorias.“

„Du sagst es.“

Premierminister Gordon überlegte kurz. „Das dürfte kein Problem sein. Wenn die Häuser des Parlaments von der Nützlichkeit dieser Quetschdingsgeschosse erfahren, werden sie den erforderlichen Ausgaben auch zustimmen.“

„Genau das möchte ich vermeiden.“

Gordon sah seinen Freund überrascht an. „Du willst keine Zustimmung des Parlaments?“

„Nein“, bestätigte Sir John Prewitt mit harter Stimme. „Denn ich möchte nicht, dass Napoleon von der neuen Munition erfährt.“

„Was du da andeutest, missfällt mir“, knurrte Gordon. „Im Parlament sitzen nur wahre Patrioten. Keiner von ihnen würde England verraten.“

„Wahre Patrioten, ja“, bestätigte Sir John und lächelte sanft. „Doch sind es englische Patrioten oder französische Patrioten?“

„Du glaubst doch nicht …?“

Sir John machte eine heftige Bewegung und etwas Sherry schwappte aus dem Glas. „Seien wir doch keine Narren. Die Goldeuros des Kaisers sind auch für englische Parlamentarier eine Verlockung. Das Leben in London ist teuer und die Ansprüche unserer Volksvertreter sind hoch. Zudem hat Napoleon durchaus Sympathisanten im Königreich. Auch im Parlament, dessen bin ich mir sicher.“

Premierminister Gordon gab einen undefinierbaren Laut von sich. „Die Möglichkeit besteht“, gab er widerwillig zu. „Andererseits könnte es von Vorteil sein, wenn der Franzose von der neuen Munition erfährt. Es könnte ihn von seinen Eroberungsgelüsten abhalten.“

„Wohl eher nicht“, widersprach Sir John. „Im Gegenteil, es gäbe ihm die Gelegenheit Gegenmaßnahmen vorzunehmen. Wenn seine Schiffe stärker gepanzert würden, so könnten die neuen Geschosse vielleicht nicht durchschlagen. Ich will wahrhaftig nicht hoffen, dass der Kerl kommt, doch wenn das der Fall ist, wäre es besser, ihn mit der neuen Munition zu überraschen.“

„Dem stimme ich zu.“ Gordon leckte sich über die Lippen. „Dennoch besteht natürlich das Risiko, dass es andere undichte Stellen geben könnte. Die Ohren des Franzosenkaisers sind verdammt lang und seine Augen verdammt scharf, wenn du verstehst.“

„Ich werde einen Plan entwickeln, die Herstellung der neuen Geschosse zu verschleiern“, versicherte der Lord-Admiral. „Lass das nur meine Sorge sein. Deine Sorge ist es, das erforderliche Geld zu beschaffen.“

„Dann bleibt nur die Privatschatulle Ihrer Majestät.“

„Nun, du hast einen guten Einfluss auf die Königin, alter Freund.“

„Niemand hat Einfluss auf Königin Victoria“, entgegnete Gordon. „Aber sie ist eine überaus fähige Monarchin und guten Argumenten zugänglich. Schön, ich werde mich der Sache annehmen. Über welche Summe reden wir hier eigentlich?“ Seine Augen weiteten sich ein wenig, als Sir John ihm die Zahlen nannte. „Nun, da werde ich verdammt gute Argumente benötigen.“

„Wenn der Franzosenkaiser über den Kanal kommt, dann wird er das mit sehr vielen Schiffen tun. Weit mehr, als wir ihm entgegenstellen können. Die neuen Quetschbleigeschosse könnten das Verhältnis ausgleichen und Englands Freiheit bewahren.“

„Nun, ich schätze, das ist ein verdammt gutes Argument“, räumte der Premier ein. „Gut, ich werde in diesem Sinne mit Ihrer Majestät sprechen.“ Gordon schenkte sich selber nach. „Damit hätten wir das wohl abgeklärt und können uns den anderen Problemen zuwenden. Du sagtest, es gehe um die Thunderer?“

„Und den verdammten Schotten McDenglot“, knurrte Sir John Prewitt.

Bevor er fortfahren konnte, klopfte es erneut an der Tür.

„Der Comte de Genaud und General Strunk sind eingetroffen“, meldete der Gardist.

Sir John seufzte. „Schon? Welchen Eindruck machen sie?“

„Haben sich herausgeputzt und wirken ziemlich verärgert“, antwortete der Soldat.

„Führen Sie die Herrschaften in fünf Minuten herein“, entschied der Lord-Admiral.

Als der Mann gegangen war, winkte Sir John seinen Freund zu einem Gemälde, welches neben der Tür hing. Überrascht registrierte der Premier, wie der Lord-Admiral ein Stück Leinwand zur Seite schob. Dahinter wurde ein Türspion sichtbar.

„Das ist ziemlich hinterhältig“, meinte Gordon.

„Aber auch hilfreich.“ Sir John spähte hindurch. „Ja, ein Franzose in der Ausgehuniform der kaiserlichen Marine und ein Bayer in der Uniform der „Krachledernen“. Der Gamsbart gefällt mir nicht.“

„Was hast du gegen den Gamsbart?“

„Er ist reichlich groß und auf besondere Weise geschnitten. Zeigt zwei kleine und eine tiefe Kerbe.“ Sir John seufzte. „Der Mann wurde zweimal auf dem Schlachtfeld verwundet und trägt den goldenen Löwen, die höchste bayerische Tapferkeitsauszeichnung. Das ist kein Politiker, sondern ein Veteran, ein echter Soldat.“

„Nun, dann wirst du ihn wohl mögen. Du bist ja ebenfalls ein echter Soldat.“

„In diesem Fall wären mir zwei politische Diplomaten lieber.“ Der Lord-Admiral verschloss die Abdeckung wieder und trat mit seinem Freund an den Schreibtisch. „Diplomaten neigen zu Kompromissen und sind nicht auf Konflikte aus. Die beiden Soldaten da draußen werden wohl eher das offene Wort schätzen und sich nicht mit Phrasen abspeisen lassen.“

„Dann überlass mir das Reden. Ich möchte nicht, dass ihr hier mit euren Paradedegen übereinander herfallt und Blut fließt.“

„Nett, dass du mir noch so viel Tatkraft zutraust.“ Sir John lächelte und legte dem Premier kurz die Hand auf die Schulter. „Aber ich weiß sehr wohl, dass es gilt Zurückhaltung zu üben. Da du als Premier der Vertreter Ihrer Majestät bist, steht es dir ohnehin zu, die Herren zu empfangen. Ich werde mich, als Gastgeber, im Hintergrund halten.“

Erneut klopfte es und diesmal traten die beiden Gäste sofort ein, als der Gardist öffnete.

Der Mann in der blauweißen Galauniform der französischen Marine deutete eine Verbeugung an. „Comte Jean de Genaud, Kommandant Ihrer kaiserlichen Majestät, Napoleon III., Fregatte Undine. In meiner Begleitung befindet sich General Bruno Strunk, der die Ehre hat, die kaiserliche Garde der „Krachledernen“ zu befehligen.“

Auch der Bayer war formell gekleidet. Er trug die Paradeuniform seiner Eliteeinheit. Krachlederne kurze Hosen, weiße Stutzen an den Waden und den grauen Hut mit Gamsbart. An den Schuhen und den Hosenträgern waren Hirschhornschnitzereien befestigt. Die kurze graue Jacke war blau eingefasst, an den Schulterklappen waren das bayerische Rautenwappen und die drei goldenen Löwen eines Befehlshabenden Generals zu sehen. Der Mann schlug die Hacken zusammen und deutete ebenfalls eine Verbeugung an. Es war eine Geste der Höflichkeit, die von Sir John und Premier Gordon erwidert wurde.

Der Comte tauschte ein paar höfliche Floskeln aus, kam jedoch sehr schnell auf den Grund des Besuches zu sprechen. „Ihre Majestät, Kaiser Napoleon III., ist äußerst echauffiert über den unprovozierten Angriff eines englischen Kriegsschiffes auf Ihrer kaiserlichen Majestät Schiff Undine. Das Schiff wurde, wie allgemein bekannt ist, vor der schottischen Küste attackiert und dabei schwer beschädigt. Mehrere Besatzungsmitglieder fanden bei diesem barbarischen Akt den Tod oder erlitten entsetzliche Wunden. Ihre Majestät, Kaiser Napoleon III., erwartet eine offizielle Entschuldigung ihrer britannischen Majestät, Victoria II. von England, sowie die exemplarische Bestrafung der Verbrecher, ferner Wiedergutmachung des erlittenen Schadens. Fürderhin eine Leibrente für die Hinterbliebenen der geschädigten Seeleute.“

„Ich erfahre mit Bedauern, dass es sich offensichtlich um Ihr eigenes Schiff handelte, Comte“, stellte Premier Gordon fest und sah den Marineoffizier mitfühlend an. „Ich versichere Ihnen, auch im Namen Ihrer britannischen Majestät, Königin Victorias II., meiner aufrichtigen Anteilnahme.“

Der Comte deutete erneut eine leichte Verbeugung an, während das Gesicht des bayerischen Generals unbewegt blieb.

„Allerdings“, schränkte Gordon mit freundlicher Stimme ein, „allerdings erfüllen mich die Wünsche Ihres Kaiser mit einem gewissen Befremden.“

„Die Undine liegt noch immer im Hafen von Ramsey und bessert ihre Schäden aus, damit sie die Überfahrt nach Calais übersteht“, erwiderte der Comte ebenso freundlich. „Sie können sich jederzeit von ihrem beklagenswerten Zustand überzeugen. Die Forderungen des Kaisers sind durchaus angemessen. Ja, sie sind sogar, genauer betrachtet, sehr zurückhaltend formuliert. Ihrer Majestät, Kaiser Napoleon III., liegt nichts daran, hinter dieser ungeheuerlichen Provokation einen Akt der Marine ihrer britannischen Majestät, Königin Victorias II., zu sehen. Vielmehr sieht Ihre Majestät, Kaiser …“

„Sparen wir uns diese Umständlichkeiten“, warf Sir John Prewitt ein. „Wir wissen, wer Frankreich beherrscht und auch, wer unsere Königin ist.“

Ein unmerkliches Lächeln erschien auf den Lippen des Bayern, der ansonsten keine Regung zeigte.

Premier Gordon machte eine entschuldigende Geste, doch der Comte nickte. „Gut, sprechen wir, wie es unter Männern üblich sein sollte. Frankreich erachtet dieses Verbrechen als Akt eines Einzelnen. Sagen wir, eines, äh, übermotivierten Kapitäns, der sich zu diesem barbarischen Verbrechen verstiegen hat.“

Der Lord-Admiral schüttelte den Kopf. „Mir liegen die Berichte der Thunderer vor, Comte de Genaud. Ihr Schiff lag ohne Beleuchtung und ohne Hoheitsfahne vor der Küste, und setzte ein Beiboot aus, um mehrere Personen heimlich an Land zu bringen. Man könnte dies durchaus als feindselige Handlung definieren.“

„Weil mein Erster Offizier falsch navigierte und sich an Land nach seiner Position erkundigen wollte?“ Der Comte lächelte spöttisch.

„Warum waren dann keine Lichter und Flaggen gesetzt?“

„Es gab ein paar Missverständnisse“, räumte der Offizier ein.

„Sie selbst waren nicht an Bord der Undine, obwohl es Ihr Schiff ist?“

Der französische Adlige errötete ein wenig. „Ich hatte Erlaubnis Ihrer Majestät, und die Ehre, in Ihrem Namen am Rennen auf der Isle of Man teilzunehmen. Mein Schiff fuhr nach Norden, um sich in der, äh, Seemannschaft zu üben, wie es wohl bei Ihnen heißt.“ Er lächelte zuvorkommend. „Hätte es eine geheime Absicht gegeben, wäre das Schiff wohl kaum ohne seinen Kapitän gefahren, Monsieurs.“

„Mag sein. Aber Sie müssen einräumen, dass es sich verdächtig verhalten hat“, meinte Premier Gordon. „Oder doch zumindest sehr leichtfertig.“

„England und Frankreich sind seit Jahrhunderten durch viele Bande verbunden“, meinte der Comte. „Es gibt traditionelle und verwandtschaftliche Beziehungen und mein Erster Offizier hatte keinerlei Anlass, irgendeine Gefahr zu befürchten, zumal sich die Undine in internationalen Gewässern bewegte.“

„Ihr verdammtes Kriegsschiff hat die Fregatte aus dem Hinterhalt angegriffen“, meldete sich nun der Bayer mit grimmiger Stimme zu Wort. „Das können Sie nicht leugnen, meine Herren. Selbst Ihre eigenen Zeitungen schreiben darüber.“

Der bayerische General fungierte als Stichwortgeber des Comte, davon war der Lord-Admiral überzeugt. Der Mann war viel zu erfahren und beherrscht, um in dieser Situation Zorn zu empfinden.

„Zeitungen schreiben sehr viel“, seufzte der Premier, „und nicht alles davon muss zutreffen.“

„Der unwiderlegbare Beweis liegt im Hafen von Ramsey.“ Der Comte lächelte erneut.

Lord-Admiral Sir John Prewitt wippte leicht auf seinen Fersen und zeigte damit seinen Unmut. „Ich denke, man sollte diese leidige Angelegenheit nicht unnötig aufbauschen.“

„Leidige Angelegenheit?“ Das Lächeln des Franzosen gefror. „Sie bezeichnen den unprovozierten Angriff auf eine Fregatte Ihrer Majestät als leidige Angelegenheit?“

„Ihre Fregatte erwiderte das Feuer?“

„Selbstverständlich“, erwiderte de Genaud empört. „Aber erst, nachdem Ihre Thunderer unprovoziert das Feuer eröffnete. Aus dem Hinterhalt, Monsieurs, aus dem Hinterhalt.“

„Sie erwähnten dies schon, verehrter Comte“, bestätigte Sir John. „Also handelte es sich wohl um ein Seegefecht, welches von unserem Schiff eröffnet wurde.“

„Unprovoziert eröffnet wurde“, sagte der Franzose eisig. „Und aus dem Hinterhalt.“

„Und Ihre Fregatte erlitt schwerste Schäden, während unser Schiff unversehrt blieb?“

De Genauds Augen verengten sich ein wenig. „In der Tat.“

„Obwohl unser Schiff dicht an Ihrer Undine vorbei fuhr?“

„Worauf wollen Sie hinaus?“, warf der Bayer fragend ein.

„Nun, ein kleines britisches Kanonenboot mit einer einzelnen Kanone bleibt unversehrt, während eine mächtige 6-Kanonen-Fregatte des Kaisers schwerste Schäden erleidet …“ Sir John ließ die Worte einen Moment einsickern. „Das wirft ein etwas unglückliches Bild auf die Fähigkeiten von Napoleons Marine, nicht wahr?“

Dem Comte lag offensichtlich eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, doch er beherrschte sich und atmete einige Male tief durch.

Premierminister Gordon nutzte die Sekunden des Schweigens. „Wir sollten sehen, ob wir diese Sache nicht zu beiderseitiger Zufriedenheit lösen können. Auf eine Weise, bei der alle ihr, äh, Gesicht wahren können.“

Sir John räusperte sich. „Zur Zeit dieses unglückseligen Vorfalls herrschte Nebel. Ein Schiff kann sich leicht im Nebel verirren. Vor allem in fremden Gewässern und vor einer fremden Küste. Könnte es nicht sein, dass Ihre Fregatte vorsichtshalber im Nebel Anker warf und ein paar Kanonenschüsse löste, um auf sich aufmerksam zu machen? Zum Beispiel, um eine Kollision mit einem anderen Schiff zu vermeiden? Und dass die Thunderer diese Schüsse hörte und als Angriff missverstand, woraufhin sie selber angriff?“

„Das ist eine Lüge“, stellte der Bayer fest.

Der Comte hob beschwichtigend die Hand. „Es ist Diplomatie, mon Generale, und es ist eine Lösung, die alle Seiten zufrieden stellt.“ Er leckte sich über die Lippen. „Eine Lösung, die auch den Kaiser zufrieden stellen könnte. Allerdings nur, wenn man den leichtfertigen englischen Kapitän zur Verantwortung ziehen würde.“ Er lächelte. „Immerhin hätte er mit der möglichen Notlage der Undine rechnen müssen. Zumal so dichter Nebel herrschte.“

Premier Gordon sah den Lord-Admiral eindringlich an. „Dem kann ich nur beipflichten, verehrter Comte. Selbstverständlich wird die Marine Ihrer Majestät Konsequenzen ziehen und den verantwortlichen Kapitän seines Kommandos entheben. Sofern der Kaiser auf seine weiteren Wünsche verzichtet, wäre dies sicher eine angemessene Lösung, nicht wahr?“

„Ein unglückseliges Missverständnis“, räumte Jean de Genaud lächelnd ein. „Ihre Majestät, Napoleon III., wird es sicher wohlgefällig beachten, dass der englische Kapitän zur Verantwortung gezogen wird.“

„Darauf können Sie sich verlassen“, sagte Gordon und deutete eine Verbeugung an.

Lord-Admiral Sir John Prewitt verneigte sich steif und stieß einen erbitterten Fluch aus, als die beiden Gäste gegangen waren. „Es ist ein verdammtes Bauernopfer, Gordon. Captain McDenglot hat nichts Unrechtes getan. Ich hoffe, ich hätte an seiner Stelle denselben Mut bewiesen.“

„Ich hoffe nicht.“ Gordon schenkte nach und nippte an seinem Glas. „Ich würde es sehr bedauern, dich des Amtes entheben zu müssen.“

„Es ist dennoch ungerecht“, empörte sich Sir John.

„Mag sein. Aber es ist eine diplomatische Lösung, John. Lieber einen Kapitän weniger, als einen Krieg mehr.“

„Captain McDenglot wird da wohl anderer Meinung sein.“

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