Читать книгу Star-Steamer - Michael Schenk - Страница 5

Das Dampf-Motorrad-Rennen

Оглавление

Das Motorrad erregte ebenso viel Aufsehen, wie der Mann, der es fuhr. Das war keine Selbstverständlichkeit, wenn man bedachte, dass es im Augenblick auf der Isle of Man von Motorradfahrern und Anhängern des Rennsports wimmelte. Es waren die drei Tage der berühmten Touristen-Trophäe, die allgemein auch als Todesrennen bekannt waren. Drei Tage, in denen das Stampfen, Zischen und Heulen der Dampfmotorräder die Insel beherrschen würde. Für die Insel und ihre Bewohner, die sich selbst als Manx bezeichneten, galt der Ausnahmezustand. Zahlreiche Zuschauer waren von den englischen Inseln und dem europäischen Festland herübergekommen, um dem Rennen beizuwohnen. Viele aus Interesse am Sport, viele in der sensationslüsternen Gewissheit, dass es wieder Tote geben musste, und manche, um während des Rennens ihren Geschäften nachzugehen.

Die Maschine war eine schwere BMW, mit dem Hochleistungskessel und der Befeuerung auf dem Beiwagen, einem oben liegenden doppelten Ventilsatz und schweren Blattfedern, auf denen die Achsen des Vorderrades und der hinteren Räder ruhten. Die geschwungene Lenkgabel bestand aus poliertem Messing und die ganze Maschine war in den Farben Schwarz, Rot und Gold lackiert. Auf der Seite des Beiwagens und neben dem Fahrersitz waren emaillierte Schilder angebracht, welche den preußischen Hoheitsadler zeigten. Wer den satten Klang des Auspuffs hörte, der wusste sofort, dass dieses Motorrad auf Höchstleistung getrimmt war und sicher zu den Favoriten gehörte.

Der Fahrer trug eine Hose mit ledernem Reitbesatz, schwere Stiefel und die braune Lederjacke des „Royal Air Corps“, mit passender Fliegerhaube und weißem Seidenschal, der im Fahrwind flatterte. Die Schutzbrille ließ nur wenig vom Gesicht des Mannes erkennen, der seine BMW in gemäßigter Geschwindigkeit fuhr. Die Straßen der Insel waren noch nicht für das Rennen freigegeben und man musste noch damit rechnen, Verkehrsteilnehmern zu begegnen, die nicht zu seinen Teilnehmern gehörten. Die schonungslose Jagd nach der Trophäe würde erst am kommenden Morgen eröffnet werden. Das Ziel des Fahrers war die Stadt Douglas, wo das Rennen beginnen und enden würde.

Werner von Holdenstein fuhr die Strecke nicht zum ersten Mal. Er hatte schon mehrmals an diesem Rennen teilgenommen und es sich, wie die meisten anderen Fahrer auch, zur Angewohnheit gemacht, sie vor dem Start abzufahren und sich ihre Eigenheiten frisch einzuprägen. Es gab zwei Gründe warum er um die Trophäe kämpfte. Als genialer Konstrukteur schraubte er gerne an seinem Motorrad herum und probierte seine Erfindungen dann in der Praxis aus, und das Rennen gab ihm die Möglichkeit, auf legale Weise Franzosen zu töten.

Werner von Holdenstein würde den Franzosen und ihren Verbündeten niemals verzeihen, dass sie Preußen unterworfen und sein schönes Berlin besetzt hatten. Er gehörte zu jenen, denen vor Jahren die Flucht in die nördlichen Nebelländer gelungen war, und obwohl er äußerlich immer korrekt und zuvorkommend wirkte, wurde er vom Hass auf den Franzosenkaiser getrieben. Als Konstrukteur hielt er fiel von Effektivität und so hielt er nicht viel vom „fair Play“ im Umgang mit seinen Feinden. Wie üblich würde er die Siegestrophäe nicht erringen, doch dafür die Gelegenheit haben, den einen oder anderen Franzosen von der Straße zu drängen. Solch ruppiges Verhalten wurde bei dem Rennen erwartet und daher von allen Fahrern praktiziert. Dennoch erwartete man eine zahlreiche Teilnahme. Vielleicht, weil das Rennen auch ein Ventil für Fahrer und Zuschauer war, ihren Sympathien und Antipathien Luft zu verschaffen.

Die „Isle of Man“ lag zwischen Irland und England in den nördlichen Gewässern der irischen See. Sie maß rund zweiundfünfzig mal zweiundzwanzig Kilometer und besaß im Reich von Königin Victoria II. einen Sonderstatus. Sie gehörte nicht zum britischen Empire und war auch keine der Kronkolonien, sondern hatte sich unter den persönlichen Schutz und die Hoheit der Krone gestellt. Ein prinzipiell autarkes Land, im direkten Besitz von Königin Victoria II. Manches englische Gesetz galt hier nicht oder wurde auf eigene Weise ausgelegt. Dies machten sich die Bewohner der Insel, die „Manx“, und auch die englische Krone zunutze. Nur hier konnte das brutale Rennen um die Trophäe abgehalten werden, nur hier konnten sich Angehörige aller Nationen auf neutralem Boden treffen, Geschäfte tätigen und Informationen austauschen. Die Insel war ein Paradies für Geschäftsleute des offiziellen Handels und des Schmuggels, und ebenso für Spione. Die Polizei kümmerte sich nur wenig um diese Vorgänge solange es den Manx gut erging und schritt nur dann ein, wenn die Verhandlungen eines Geschäftes zu brutal verliefen oder ein Inselbewohner in Gefahr geriet. Alles wurde sorgfältig hinter bürgerlichen Fassaden verborgen. Nur während des Rennens änderte sich das. Die Veranstaltung wurde stets vom jeweiligen britischen Monarchen oder seiner Stellvertretung, dem Lord-Gouverneur, eröffnet. Zu dieser Zeit wimmelte es auf Man von Sicherheitskräften der Krone.

Zudem gab es hier den Stützpunkt der QFL, der „Queens Foreign Legion“.

Mancher Soldat der von Napoleon eroberten Länder konnte sich nicht mit der Besetzung seiner Heimat anfreunden und war entschlossen, weiter gegen den Eroberer zu kämpfen. Ein altes englisches Gesetz verbot es, dass „ausländische Soldaten“ den Boden Englands betraten. Die Isle of Man bot einen Ausweg, da sie der Königin unterstand und diese hier die königliche Fremdenlegion ausbilden und stationieren konnte. Vielleicht gab es unter diesen Männern und Frauen Spione Napoleons, doch das war eher unwahrscheinlich, denn die QFL sah im Kampf gegen die Franzosen ihre patriotische Pflicht und galt als fanatisiert.

Werner von Holdenstein folgte den engen Straßen der Insel, die sich dem Verlauf der zahllosen Hügel anpassten. Ein auf und ab, welches bei hohen Geschwindigkeiten und den engen Kurven tückisch werden konnte. Er würde Douglas bald erreichen und dort das „King´s German Legion“ ansteuern, ein altes Pub, welches ein beliebter Treffpunkt für die Rennteilnehmer war.

Das „Kings German Legion“ oder „KGL“ hatte eine alte Tradition, denn es bestand schon vor Zeiten der ersten napoleonischen Kriege. Es war Anno 1782 erbaut worden und schon damals Anlaufstelle jener Deutschen gewesen, die unter König Georg gegen Napoleon I. kämpften. Der Bau war inzwischen mehrfach erweitert und modernisiert worden, doch sein Kernstück war noch immer das uralte Pub in seiner Mitte, in dem die Zeit stehen geblieben schien.

Werner von Holdenstein sah ein halbes Dutzend Dampfmotorräder, als er seine Maschine auf den Parkplatz steuerte. Die meisten trugen Kennungen aus dem englischen Herrschaftsbereich, aber es waren auch eine russische und eine spanische Maschine darunter. Von Holdenstein lächelte unwillkürlich. In das KGL würde sich auch kaum ein Franzose verirren. Das Pub war ein beliebtes Ziel der königlichen Fremdenlegion und deren Feindseligkeit war bei den Franzosen bekannt.

Der Preuße bockte die schwere BMW auf ihren Ständer und bemerkte dabei, wie zwei Legionäre näher kamen.

„Schöne Maschine“, meinte einer von ihnen mit Kennerblick. „BMW?“

„Mit einigen Verbesserungen“, antwortete von Holdenstein.

„Rennteilnehmer?“ Es war eher eine Feststellung, als eine Frage, denn der Legionär grinste breit. „Und zudem ein Preuße, wie man an den Farben und dem Adler sieht. Na, ich hoffe, Sie heizen den Franzmännern ordentlich ein.“ Er deutete zum Eingang des Pubs. „Genehmigen Sie sich ruhig ein schönes Ale, Sir. Wir geben schon Acht, dass sich kein Unbefugter ihrer Maschine nähert.“

Werner von Holdenstein fischte einen Goldvictoria aus seiner Lederjacke und warf sie dem Legionär zu, der die Münze geschickt auffing. „Danach trinkt einen auf das Wohl der Legion.“

„Das werden wir.“

Vor dem Eingang standen mehrere Inselbewohner und ein paar Legionäre. Einer der Männer hatte eine der typischen schwanzlosen Inselkatzen auf dem Arm und kraulte sie, während er dem Preußen freundlich zunickte.

Direkt hinter der massiven Eingangstür schien Werner von Holdenstein in ein anderes Jahrtausend einzutauchen.

Das „KGL“ war ein Fachwerkbau mit zahlreichen kleinen Räumen gewesen. Einige der Zwischenwände hatte man entfernt, um mehr Platz für den Schankraum zu schaffen, und nur die stützenden Holzbalken stehen lassen. Die Wandsegmente waren unlängst frisch getüncht worden, wobei man das Holzwerk ausgespart hatte. Die Hölzer waren fast Schwarz vom Alter und dem Tabakrauch zahlloser Gäste. An den Wänden befanden sich verblichene Fotos und Gemälde. Einige zeigten Berühmtheiten, die hier einmal zu Gast gewesen waren, andere Schlachten aus den ersten napoleonischen Kriegen, an denen die „Kings German Legion“ teilgenommen hatte. Dazwischen hingen Originalwaffen aus verschiedenen Jahrhunderten und diverse Ausrüstungsteile. Von Holdenstein erkannte ein altes Baker-Gewehr, und eine Brown Bess genannte Muskete, aber er war keine Historiker und interessierte sich nicht sonderlich für vergangene Dinge.

Der Raum war jetzt, am späten Nachmittag, schon gut gefüllt und Stimmen schwirrten durcheinander. Zahlreiche Blicke folgten dem Preußen, der in seiner Rennkluft auffiel.

Werner von Holdenstein hatte lange auf seiner BMW gesessen und war froh, sich endlich strecken und ein wenig stehen zu können. Er trat zwischen einige Gäste, die auf ihren Hockern saßen, und stellte sich an den Tresen. Auch hier hatte sich das dicke Holz längst verfärbt und die einst makellose Politur zeigte die Spuren zahlloser Gläser, wo englisches Ale seine Ätzspuren hinterlassen hatte.

Der stämmige Wirt wollte automatisch ein wohltemperiertes Ale zu ihm hinüber schieben, doch von Holdenstein winkte ab. „Vielen Dank, aber ich bevorzuge kaltes Bier.“

Rechts neben dem Preußen saßen zwei Legionäre auf ihren Schemeln und einer von ihnen war schon sichtlich angetrunken. Er sah von Holdenstein mit trunkenem Grinsen an. „Wohl kein Freund von englischem Ale, was? Wohl gar ein Freund von Froschschenkeln und Weißwurst, was?“

Die provozierenden Worte ließen die Gespräche im Schankraum schlagartig verstummen.

„Reg dich ab, Sven“, beschwichtigte sein Kamerad. „Der Mann trägt die Jacke des Royal Air Corps. Der ist einer von den Guten.“

„So eine Jacke kann jeder kaufen“, knurrte der Betrunkene, der offensichtlich auf Streit aus war. „Oder er hat sie einem unserer toten Zeppelinflieger abgenommen.“

Von Holdenstein versteifte sich, denn diese Beleidigung war zu offensichtlich, um sie auf sich beruhen zu lassen. „Ich trage diese Jacke, weil sie mir von den Männern des RAC geschenkt wurde“, sagte er mit klarer Stimme. „Ich bin Konstrukteur und habe ein paar Verbesserungen an den Dampfkesseln vorgenommen. Dadurch fliegen unsere Zeppeline jetzt etwas höher und schneller.“

„Bah, so etwas kann jeder behaupten“, giftete der Betrunkene und machte Anstalten, von seinem Schemel zu rutschen.

Sein Freund hielt ihn am Arm fest. „Es reicht, Sven. Du lässt den Mann in Ruhe. Der ist kein Franzmann.“

Sven schüttelte die Hand ab. „Aber vielleicht ihr Freund. Ich mag keine Freunde der Franzmänner. Mag ich überhaupt gar nicht.“

Werner von Holdenstein seufzte. Der Legionär war gut trainiert und sicherlich auch im Nahkampf ausgebildet. Allerdings würden seine Reflexe unter dem Alkoholeinfluss stark gelitten haben. Der Preuße hatte keinen Zweifel, dass er den Mann besiegen würde, aber er wollte Streit vermeiden. Auch wenn von Holdenstein im Recht war, so würde es kein Legionär gerne sehen, wenn einer der ihren auf die Bodenbretter geschickt wurde.

Ein schmächtiger Mann drängte heran und baute sich zwischen dem Preußen und dem angriffslustigen Legionär auf. Er trug ebenfalls die Uniform der Legion und hatte das Schiffchen in einem verwegenen Winkel nach hinten geschoben. Er war mehr als einen Kopf kleiner als sein Gegenüber und musste zu diesem aufsehen.

„Das hier ist Werner von Holdenstein“, sagte er laut. „Ich habe ihn schon ein paarmal auf der Strecke gesehen. Ein wahrer Preuße, und er hat schon drei verdammte Franzosen und einen Bayern aus dem Rennen geschmissen. Er hat also mehr Kerben im Kolben seines Gewehres, als du verdammtes Großmaul.“

Der Betrunkene runzelte die Stirn, als die Worte allmählich in sein Bewusstsein sickerten. „Drei Froschfresser?“

„Und einen Bayern“, fügte der Schmächtige hinzu.

Sven kratzte sich im Nacken und sein Gesichtsausdruck wurde verlegen, während er von Holdenstein ansah. „Und einen Bayern? Das ist gut“, brummte er. „Das ist wirklich gut.“ Unvermittelt streckte er seine Hand aus. „Nichts für ungut, Sir. Habe ein wenig über den Durst getrunken und wohl das Maß verloren.“

Von Holdenstein nahm die Hand und nickte. „Ist mir auch schon passiert“, erwiderte er freundlich, obwohl er stets darauf achtete, niemals zu viel zu trinken. „Vergessen wir es. Die nächste Runde geht auf mich, meine Damen und Herren.“

Fröhliches Gelächter erklang und im Verlauf des Abends war noch mancher Trinkspruch zu hören, bevor sich von Holdenstein auf sein kleines Zimmer zurückzog. Um die Sicherheit seiner BMW brauchte er nicht zu fürchten. Vier stämmige Legionäre wachten mit Argusaugen darüber, dass sich keiner der Konkurrenten oder deren Sympathisanten an der Maschine zu schaffen machten.

Nachdem der Preuße am folgenden Morgen den Kessel seines Motorrades angeheizt hatte, fuhr er, von den besten Wünschen der anderen begleitet, zum Startpunkt nach Douglas. Das Wetter war ausgezeichnet. Die Sonne schien und man hoffte der Nebel werde sich in den kommenden Tagen kaum bemerkbar machen. Eine Seltenheit in den nördlichen Breitengraden und nicht nur für das Rennen hoch willkommen. Im vergangenen Jahr war es um zwei Wochen verschoben worden, da der Nebel das englische Königreich fest im Griff gehabt hatte.

Die bei den Insulanern „Doolish“ genannte Stadt quoll förmlich über, als von Holdenstein zum Startplatz fuhr. Dutzende von Fahrern und ihre Anhänger und Teams waren hier versammelt, dazu Massen Neugieriger, Funktionsträger und Reporter. Musikkapellen spielten, Schausteller boten ihre Künste feil, um die Wartezeit zu überbrücken, und überall waren Straßenhändler und Sicherheitskräfte unterwegs.

Von Holdenstein erreichte den Startplatz und wurde von einem Offiziellen in seine Position eingewiesen. Abermals trafen ihn neugierige Blicke. Diesmal nicht wegen seiner Maschine oder seiner Aufmachung, sondern weil er, im Gegensatz zu den anderen Fahrern, kein Team dabei hatte, welches sich um ihn und seine Maschine kümmerte. Um ihn herum waren Rennmaschinen aufgebockt, deren Wassertanks frisch aufgefüllt und deren Brennstoffvorräte ergänzt wurden. Fahrer und Mechaniker überprüften Reifen, Fahrwerke, Gestänge, Lenkungen und die zahlreichen anderen Details, die den Sieg bringen sollten.

Viele der Fahrer bewegten sich zwischen den anderen Maschinen, um diese einzuschätzen und sich so darauf einstellen zu können, was sie an Leistung und Gefahr brachten. Verkleidungen waren an den Rennmaschinen strikt verboten, mit Ausnahme der angebrachten Rennplaketten und Hoheitsembleme. Es wäre sonst möglich gewesen, hinter den Schutzblechen verbotene Teile zu verbergen. Kein Fahrer durfte Gegenstände mit sich führen, die sich als Waffe missbrauchen ließen. Außer einem justierbaren Schraubendreher und einem verstellbaren Maulschlüssel war auch kein Bordwerkzeug erlaubt. Selbst einfache Hilfsmittel, wie Rückspiegel, waren verboten. Offizielle achteten argwöhnisch auf die Einhaltung dieser Vorschrift.

Werner von Holdenstein blieb bei seiner BMW damit niemand sie manipulieren konnte. Gelegentlich warf er einen Blick zu den anderen Motorrädern hinüber. Einige besaßen tatsächlich noch hydraulische Stoßdämpfer, die für einen Privatmann kaum erschwinglich waren, doch die meisten hatten Dämpfungssysteme aus einstellbaren Blattfedern.

Die Verwendung von Thermionit war verboten, da England das Monopol hatte, und das effektive Hitzemineral dem Fahrer einen Vorteil verschafft hätte. Sicher gab es auch bei anderen Nationen kleine Mengen, die man durch illegale Kanäle beschafft hatte, doch diese würde man nicht auf einem internationalen Rennen offenbaren. Ein mit Thermionit betriebener Dampfkessel benötigte keine zusätzliche Befeuerung, da das Heizmineral über ein kleines Röhrchen zugeführt wurde. Somit mussten alle Rennteilnehmer die Beiwagen mit Heizkessel und Brennmaterial bepacken, wobei die Befeuerung des Brenners über eine winzige Rutsche erfolgte, damit der Fahrer während des Rennens nachlegen konnte.

Während der Preuße die Einstellungen seiner Maschine überprüfte, hörte er Schritte hinter sich und ein dezentes Hüsteln. Er blickte auf und sah zwei sehr bekannte Gesichter. Sir Jonathan Henlon war wohl der Großindustrielle des britischen Königreiches und der Hauptsponsor des Rennens. Neben ihm stand ein Mann mit fein geschnittenen Gesichtszügen, der eine rot-weiß-blaue Rennmontur trug. Der Comte Jean de Genaud gehörte sicher zu den Favoriten des Rennens und hatte es bereits zweimal gewonnen. Der Adlige gehörte zu einem Team von vier Franzosen, wobei seine Mitstreiter die Aufgabe hatten, ihm den Rücken freizuhalten.

„Ich bin nur gekommen, um Ihnen ebenfalls viel Glück zu wünschen, Herr von Holdenstein“, sagte Sir Jonathan freundlich und reichte dem Preußen die Hand. „Es freut mich, Sie in diesem Jahr wieder beim Trophäenrennen zu sehen. Sie haben zahlreiche Fans, die Ihnen von ganzem Herzen die Daumen drücken.“ Er sah den Franzosen an seiner Seite lächelnd an. „Wobei der Comte de Genaud wohl eher nicht dazu gehört. Aber er ist ein wirklicher Sportsmann und freut sich sicherlich ebenfalls, sich erneut mit Ihnen messen zu können.“

Der Comte deutete eine höfliche Verbeugung an. „Eine der wenigen Gelegenheiten, bei welcher die Diplomatie hinter der persönlichen Leistung zurücksteht.“ Sein Englisch hatte nur den Hauch eines französischen Akzents. „Ihre Fähigkeiten, Monsieur von Holdenstein, sind im Reich des Kaisers wohl bekannt. Ihre Majestät bedauert, dass Sie ihm nicht zur Verfügung stehen.“

Werner von Holdenstein verbeugte sich ebenfalls. „Richten Sie der Majestät aus, dass mich seine Anerkenntnis meiner bescheidenen Fähigkeiten sehr ehrt“, sagte er höflich. „Dennoch weichen die Wünsche des Kaisers doch erheblich von den meinen ab. Ich werde ihm somit auch weiterhin nicht zur Verfügung stehen können.“

„Sehr bedauerlich“, seufzte der Comte und man hatte das Gefühl, dass dies sogar sein ehrliches Empfinden war. „Sie sind wirklich ein überaus fähiger Konstrukteur und könnten manche Verbesserung bewirken.“

„Oh, seien Sie versichert, dass ich das auch tue“, antwortete der Preuße. „Wenn auch vielleicht nicht im Sinne Ihres Kaisers.“

Der Comte deutete nochmals eine Verbeugung an. „Ich bin sicher, es wird ein interessantes Rennen, Monsieur.“

Werner von Holdenstein war ebenfalls davon überzeugt.

Nachdem die beiden Herren gegangen waren, ließ er sich von einem der Offiziellen eine Liste der Rennteilnehmer aushändigen. Zu seinem Bedauern fand er auch zwei preußische Fahrer, die nun für den Franzosenkaiser fuhren. Allerdings waren ja keineswegs alle Fahrer politisch motiviert. Obwohl jegliche internationale Sportveranstaltung natürlich auch patriotische Gefühle weckte, nahmen die meisten Fahrer aus persönlichem Interesse teil. Die Härte des Rennens war weltweit bekannt und schon die Teilnahme daran bedeutete persönliche Anerkennung, vor allem, wenn man zu den Überlebenden gehörte. Dem Sieger winkten dabei nicht nur der Siegerpokal, sondern auch verschiedene Bevorzugungen in seiner Heimat.

Auch von Holdensteins Maschine wurde genauestens auf verbotene Manipulationen untersucht. Daher hatte er von Vornherein auf den Versuch verzichtet, etwas Thermionit zu verstecken. Die Offiziellen waren sehr genau und überaus erfahren und hätten das verbotene Mineral möglicherweise entdeckt. Der Preuße wollte jedoch keinen lebenslangen Ausschluss vom Rennen riskieren. Nachdem seine Maschine freigegeben war, bezog ein Rennhelfer Position bei ihr und wachte darüber, dass keine nachträglichen Veränderungen vorgenommen werden konnten.

Kameramänner und Reporter fingen die Stimmung ein. Die Filme würde man kopieren und an die zahllosen internationalen Wochenschauen senden, die sie dann auf den öffentlichen Plätzen vorführten. Die Reporter hatten es da leichter. Sie konnten bei diesem guten Wetter direkt übertragen. Zwar gab es keinen Langstreckenfunk mehr, und auch keine Möglichkeit zur Bildübertragung, aber unter günstigen Umständen konnte man den Kurzstreckenfunk nutzen, der immerhin knappe vierzig Kilometer überbrückte, bevor die Signale nicht mehr verständlich waren. In jedem Land gab es eine Unzahl von Übertragungsstationen und jeder Haushalt verfügte über ein Radiogerät. Aber oft gab es einen regionalen Elektrosturm, der die Übertragung verhinderte, und bei den größeren Stürmen brach gewöhnlich das gesamte Sendernetz zusammen. Selbst die Nutzung unterirdisch verlegter Kabel brachte nur wenig Abhilfe, und war zudem aufwendig und teuer. Die wertvollen Leitungen wurden daher vorwiegend für die Stromversorgung verwendet.

Nur am Rande nahm von Holdenstein das Spiel der Kapellen und die Reden der Würdenträger wahr. Erst als ein Kanonenschuss die Vorwarnung zum baldigen Rennbeginn gab, schob er seine BMW auf den zugewiesenen Startpunkt. Überall wurden Wasserstände geprüft, letzte Kohlen oder Holzscheite nachgelegt und das Schrillen der Sicherheitsventile begann den Lärm der Zuschauer zu übertönen. Es schien fast, als vereine sich das Pfeifen der Ventile zu einer Melodie, die vom baldigen Start kündete.

In diesem Jahr würde der Lord-Gouverneur das Zeichen geben. Da es eine zivile Veranstaltung war, verzichtete der Würdenträger auf Uniform und trug einen ebenso formellen wie unbequemen Diplomatenanzug, nebst Zweispitz und Schärpe. Alle Blicke waren gebannt auf ihn gerichtet, als er eine altmodische Pulverpistole hob und den ersehnten Schuss löste.

In den peitschenden Knall mischten sich der erregte Aufschrei der Menge und das Aufheulen der Motoren.

Das Rennen hatte begonnen.

Es war Tradition, dass die Fahrer nicht in einem geschlossenen Feld starteten. Im Sekundentakt wurden die Maschinen einzeln freigegeben und von Holdenstein war in der zweiundzwanzigsten Position, als er die Ventile öffnete.

Die BMW ruckte an und der Preuße stieß einen erregten Schrei aus, als die Räder griffen und die Maschine immer schneller über die Straße rollte.

Das Straßennetz auf der Insel hatte eine Länge von achthundert Kilometern. Im Jahr 1911 hatte man erstmals knapp einundsechzig Kilometer für den Rennkurs am Berg Snaefell abgesperrt. Die kurvige und hügelige Strecke musste viermal abgefahren werden, um die Renntrophäe zu gewinnen. Die Anforderungen an die Rennteilnehmer waren immens. Es war schier unmöglich, sich jede Kurve und jeden Bremspunkt einzuprägen, und die Strecke führte über freies Land und mitten durch Ortschaften. Es gab kaum Vorkehrungen um einen Sturz abzumildern, dafür Häuser, Steilwände, Böschungen und Bodenwellen. Es war schon schwierig genug, seine Maschine mit Höchstfahrt über die Strecke zu bringen ohne dass man dabei behindert wurde, doch beim Rennen um die begehrte Trophäe waren Abdrängen und sogar Anstoßen einer anderen Maschine durchaus erlaubt.

Wer sich nun auf dem abgesperrten Rennkurs bewegte war ein Konkurrent und somit ein Gegner, denn kein Inselbewohner oder Zuschauer hätte sich noch dicht an die Straße gewagt. In einigem Abstand zur Strecke waren Tribünen oder Zuschauerbereiche eingerichtet und Ferngläser erwiesen sich als begehrte Objekte. Polizisten und Legionäre achteten darauf, dass sich niemand der Straße näherte. Pferdefuhrwerke und Dampfambulanzen standen bereit, sich um die weniger glücklichen Rennteilnehmer zu kümmern.

Eine normale Rennmaschine brachte es auf fast einhundert Stundenkilometer und einige waren sogar noch schneller. Aber Geschwindigkeit war nicht unbedingt der entscheidende Faktor, um das Rennen zu gewinnen. Von Holdenstein ließ sich und seiner Maschine Zeit. Er wollte ihre wahren Fähigkeiten erst später ausspielen. Erfahrungsgemäß würde sich das Feld der Rennteilnehmer dann schon ein wenig gelichtet haben.

Von Douglas aus ging es, grob gesehen, zunächst westlich in Richtung auf Saint Johns, von dort ungefähr nördlich nach Ramsey und wieder zurück nach Douglas. Vor allem bei Ramsey würden wohl einige Fahrer ausscheiden, denn der dortige Streckenabschnitt war besonders kurvenreich und gefährlich. Insgesamt gab es auf der Strecke über zweihundert Kurven und einige trugen die Namen verunglückter Rennfahrer.

Werner von Holdenstein kontrollierte die bescheidenen Armaturen und den Drehzahlmesser des Antriebsrades. Im Schnitt fuhr er einhundertzehn Stundenkilometer und er konnte noch weit mehr Leistung aus der Maschine holen. Jeder Kolben, jeder Zylinder und jede Dichtung war von ihm selbst nachgearbeitet worden, und die Effizienz der Kohledampfmaschine so weit gesteigert, wie es in seinen Fähigkeiten lag. Er hatte darauf verzichtet am Rahmen Gewicht zu sparen, und die Federung bewusst hart eingestellt. Es mochte unbequem sein, jeden Stoß einer Fahrbahnwelle zu spüren, doch es reduzierte die Gefahr, dass die Maschine bei zu weicher Federung die Bodenhaftung verlor. Manche Fahrer gingen den Gesäßschonenden Weg und mussten teuer dafür bezahlen.

Schon kurz hinter Douglas sah der Preuße den ersten Ausfall. Ein Fahrer hatte die Kurve falsch genommen und war aus der Fahrbahn geschleudert worden. Ein Baum hatte ihn unsanft abgebremst und die Sanitäter machten keinen hoffnungsvollen Eindruck, sein Leben retten zu können. Ein paar Kilometer weiter hatte es eine Rempelei zwischen zwei Teilnehmern gegeben. Der abgedrängte hatte sich im Graben überschlagen und es waren noch keine Helfer eingetroffen, der andere Fahrer schien mit seiner Maschine über die Fahrbahn geschlittert zu sein.

Werner von Holdenstein hatte nur ein verächtliches Lächeln für Letzteren übrig. Wer eine Rempelei anzettelte, musste sich damit auch auskennen, sonst bezahlte man selber. Der Mann war ein Narr gewesen oder hatte einfach Pech gehabt. Jedenfalls waren beide nun ausgeschieden.

Vor und hinter ihm waren andere Fahrer. Die meisten waren noch damit beschäftigt, sich an das zu erinnern, was sie sich bei den Probefahrten auf der Strecke eingeprägt hatten. Von Holdenstein hielt das für eine vergebliche Mühe. Diesen Rennkurs absolvierte man nur mit Instinkt und guten Reflexen, einem gewissen Maß an Wagemut und der erforderlichen Vorsicht. Der Preuße achtete kaum auf die Landschaft, nur auf die Fahrbahn und die Fahrer, die in seiner Nähe waren. Sie alle schätzten sich gegenseitig ab.

Ein Mann mit dem Emblem der panasiatischen Republik erwiderte von Holdensteins Blick. Der Preuße kannte den Ausdruck solcher Augen. Der Asiate wollte es versuchen. Der Konstrukteur schätze Fahrer und Maschine ein. Der Mann hatte keinen Helm und keine Haube aufgesetzt, sondern trug ein weißes Stirnband mit der roten Sonne des alten Japan. Er schien erfahren und das Dampfmotorrad war etwas schwerer als die BMW. Der leichten Rauchfahne nach, die aus dem Brenner aufstieg, heizte der Mann mit Holz und nicht mit Kohle. Es konnte bedeuten, dass Kessel und Motor nicht so leistungsfähig waren, aber darauf wollte sich der Preuße lieber nicht verlassen. Es war sicher besser, den Mann zu täuschen und zu einem voreiligen Angriff zu verleiten.

Da der Panasiate schräg rechts hinter von Holdenstein fuhr, musste der sich zu ihm umsehen und tat dabei so, als verrisse er die Lenkgabel ein wenig. Nur eine Winzigkeit, gerade genug, um dem Asiaten zu suggerieren, dass sein Gegner ein wenig unerfahren oder nervös war. Der Preuße glaubte förmlich, das geringschätzige Lächeln des Mannes zu sehen, als der die Ventilhebel verstellte, um sein Motorrad zu beschleunigen.

Ein Rammversuch von rechts zielte immer auf den schwächsten Punkt eines Dampfmotorrades – Den Beiwagen mit Kessel und Brenner. Auch wenn diese beiden Geräte relativ unempfindlich waren, so befanden sich dort jedoch die Rohrzuleitungen und Gestänge, die den Motor antrieben. Von Holdensteins Gegner würde versuchen, den Beiwagen mit einem kurzen Stoß zu rammen, so dass der Preuße gegensteuern musste. Wenn ein Angreifer es richtig machte, konnte er den Korrekturversuch des Fahrers dazu ausnutzen, erneut zu rammen und die Bewegung des Gegensteuerns derartig zu verstärken, dass der Angegriffene endgültig die Kontrolle verlor.

Werner von Holdenstein warf einen raschen Blick nach vorne. Die Strecke war hier gerade, aber sie näherten sich einer Bodenwelle. Er musste seine Aktion zeitlich genau abpassen und hoffen, dass sein Gegner, wenn auch ohne es zu ahnen, mitspielte.

Sein Angreifer hatte die Bodenwelle ebenfalls erkannt, glaubte aber offensichtlich, sie seinerseits zum eigenen Vorteil nutzen zu können. Er war gut und setzte im genau richtigen Zeitpunkt zum Rammen an. Von Holdenstein konnte das Lächeln des Mannes erkennen, als seine Maschine heran war und fast schon den Beiwagen der BMW berührte. Im letzten Augenblick gab der Asiate zusätzlich Dampf, um die Wirkung des Stoßes zu verstärken. Der Preuße tat dasselbe, allerdings um dem Rammen die Kraft zunehmen.

Der Stoß des Motorrades ging ins Leere und der Schwung trieb die Maschine genau hinter die BMW. Von Holdenstein stützte sich auf die Lenkgabel und drückte seinen Körper hoch, wie es ein Fahrer tat, der im nächsten Augenblick mit beiden Füßen auf die seitlichen Bremspedale sprang, um eine Notbremsung vorzunehmen. Ein Bluff, der den Asiaten dazu veranlasste, den eigenen Lenker instinktiv zur Seite zu reißen, um einem Aufprall auf das Heck der BMW auszuweichen. Ein Zusammenstoß an dieser Stelle hätte Lenkung und Achsfederung des Angreifers in höchstem Maße gefährdet. Das Motorrad zog nun links mit der BMW auf gleiche Höhe und der Preuße hatte jetzt seinerseits Gelegenheit, den Angriff zu erwidern. Das Glück war auf seiner Seite, denn nun erreichten sie die Bodenwelle. Von Holdensteins hart eingestellte Blattfedern bewährten sich, der andere Fahrer hatte weit weniger Glück.

Der Preuße glaubte noch ein lautes „Banzai“ von dem unglücklichen Fahrer zu hören, während dessen Motorrad hinter der Bodenwelle aufsetzte, hochfederte und sofort ins Schleudern kam, als es abermals den Boden berührte. Als die schwere BMW vorbei raste, überschlug sich das andere Motorrad, prallte mit dem Beiwagen auf, und dann hallte der Knall einer Kesselexplosion über das Land.

Wenige Kilometer weiter kam von Holdenstein an den Spuren eines anderen Unfalls vorbei. Dem Fahrer ging es gut. Er stand fluchend neben seiner völlig demolierten Maschine und sah frustriert zu den anderen Maschinen, die an ihm vorbei zogen.

Keiner der Fahrer hatte mehr als einen flüchtigen Blick für die Landschaft übrig. Grasbewachsene Hügel und kleine Baumgruppen zogen vorbei, Schafe zupften eher gleichgültig an ihren Halmen, während die Schafhüter besorgt darüber wachten, dass die lärmenden Rennmaschinen ihre Lieblinge nicht erschreckten. Die Straßen in den kleinen Dörfern waren wie leergefegt, aber in den Fenstern drängten sich die Neugierigen.

Bis Bellacraine versuchten mehrere Fahrer, sich gegenseitig zu überholen, doch keiner unternahm den Versuch, ein anderes Motorrad zu rammen. Das Rennen verlief nun ungefähr nach Norden, auf die Stadt Ramsey zu, und von Holdenstein vermutete, dass insgesamt sieben oder acht Fahrer ausgeschieden waren. Nicht alle waren spektakulären Unfällen zum Opfer gefallen. Der Preuße sah wenigstens einen, der missmutig an seiner defekten Maschine schraubte.

Auf einer langen Geraden setzte ein Fahrer zum Versuch an, von Holdenstein abzudrängen. Der überlegte kurz, ob er die Herausforderung annehmen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Sein Ziel war es, die Franzosen zu erwischen. Sie mussten gut sein und schnelle Maschinen haben, denn bislang war wohl keiner von ihnen ausgefallen und sie mussten sich im vorderen Feld befinden. So gab er seiner BMW die Ventile frei und zog dem überraschten Angreifer mit fast hundertfünfundzwanzig Stundenkilometern davon. Die Straße flog nun förmlich unter ihm dahin und der Konstrukteur war sich des Risikos der schnellen Fahrt durchaus bewusst. Aber wenn er einen oder zwei der Franzosen aus dem Rennen werfen wollte, musste er zu diesen aufschließen.

An einer doppelten Bodenwelle hätte er beinahe die Beherrschung über seine Maschine verloren und konnte sie nur mit größter Mühe wieder abfangen. Statt vorsichtiger zu werden, beugte er sich ein wenig zur Seite und schob zwei Schäufelchen Kohle in den Brenner nach. Der Dampfdruck war hervorragend, aber von Holdenstein wusste, dass er auf den Wasserstand achten musste. Wasser während der Fahrt in einen Kessel nachzufüllen, war eine sehr riskante Angelegenheit, denn man musste zumindest einen Teil des Drucks ablassen, damit einem der Verschluss nicht um die Ohren flog. Zudem bestand die Gefahr, sich eine Verbrühung zuzuziehen. Meist waren die Fahrer gezwungen, das Rennen für eine halbe Stunde zu unterbrechen, bevor sie nachfüllen, aufheizen und weiterfahren konnten.

Von Holdensteins BMW war deutlich schneller als die anderen Rennmaschinen und er grinste glücklich in der Gewissheit, dass sich die vielen Arbeitsstunden gelohnt hatten, die er in seine Maschine gesteckt hatte. Ein paar Kilometer vor Ramsey sah er dann endlich die rot-weiß-blaue Rennbekleidung eines Franzosen vor sich. Seine eigene Maschine hatte noch ein klein wenig Reserve, doch diese wollte der Preuße erst im Notfall offenbaren. Die Geschwindigkeit reichte auch so, sich dem Gegner stetig anzunähern.

Das Rennen war als rau bekannt und ein Fahrer war gut beraten, sich gelegentlich zu vergewissern, was sich in seinem Rücken tat. Der Franzose vor von Holdenstein machte jedoch keinerlei Anstalten, ab und an nach hinten zu sehen. War der Mann ein Neuling oder einfach naiv? Der Preuße konnte sich nicht vorstellen, dass die ehrgeizigen Franzosen mit unerfahrenen Männern antraten. Woher kam also diese Selbstsicherheit?

Werner von Holdenstein verlangsamte ein wenig, um die wahre Leistung seiner BMW zu verbergen. Zudem verschaffte es ihm Zeit zu überlegen, was an dem Franzosen nicht stimmte. Er konnte keinen verbotenen Rückspiegel erkennen, dennoch musste der Fahrer eine Möglichkeit haben, zu erkennen, was hinter ihm geschah. Der Bursche konnte sich schließlich nicht auf sein Gehör verlassen, denn die eigene Maschine machte ja selbst einen Höllenlärm.

Der Konstrukteur kam nicht dahinter, welchen Trick der Gegner vielleicht anwendete. Jedenfalls glaubte er nicht daran, sich dem anderen Fahrer unbemerkt nähern zu können. Er musste also darauf bauen, ihn mit der wahren Leistung der BMW zu überraschen und durfte diese erst im letzten Augenblick ausspielen.

Werner von Holdenstein kam näher, Meter um Meter.

Der Franzose musste erfahren sein und als solcher würde er auch damit rechnen, dass ein Angriff seinem Beiwagen und der Dampfanlage galt. Von Holdenstein gehörte zudem zu den Fahrern, die im französischen Team bekannt waren. Umsonst hatte ihm der Comte de Genaud sicher nicht seine Aufwartung gemacht.

Der beste Schutz war, zu verhindern dass man den Beiwagen rammen konnte, aber das war nicht leicht. Es war keine Spazierfahrt, bei der man mit dem Motorrad immer schön dicht rechts am Straßenrand fuhr. Die hohen Geschwindigkeiten und zahlreichen Kurven zwangen dazu, beide Straßenseiten auszunutzen, und somit gab es immer wieder Phasen, die ein Angreifer zum Rammstoß ausnutzen konnte.

Von Holdenstein versuchte, den Franzosen zu bluffen und zog von der Beiwagenseite heran. Wie er erwartet hatte, bemerkte der Fahrer die Annäherung und reagierte auf jene Weise, mit welcher der Preuße seinen japanischen Widersacher überrascht hatte – Er beschleunigte unerwartet schnell.

Eine andere Maschine hätte er wahrscheinlich abgehängt, nicht jedoch die BMW des Preußen.

Beide Maschinen jagten wohl mit hundertdreißig Stundenkilometern über die Strecke und der Konstrukteur begann sich zu fragen, wie lange seine Maschine oder die des anderen dies wohl durchhalten würden. In das Stampfen der Kolben der BMW mischte sich allmählich ein leises Klingeln, welches darauf hinwies, dass die harten Vibrationen irgendwelche Verbindungen zu lösen begannen. Entweder gelang es ihm, den Gegner nun rasch zu stellen, oder er musste befürchten, dass seine Maschine versagte. Für einen Konstrukteur seines Namens wäre dies eine Erniedrigung welche die Franzosen sicherlich weidlich ausnutzen würden.

Sie jagten dahin und der Abstand betrug kaum noch zehn Meter, als sie in die engen Kurven bei Ramsey einfuhren. Es war nicht von Holdensteins Verdienst, dass der Franzose die Beherrschung über die Maschine verlor. Der Mann schaffte die Kurve nicht und krachte mit brutaler Wucht in eine Leitplanke. Obwohl der Preuße die Franzosen von Herzen hasste, musste er kurz die Augen schließen, als er die Auswirkungen im vorbeifahren sah.

Benommen zog er die Ventilhebel zurück und nahm Dampfdruck aus den Zuleitungen. Das rasende Stampfen der Kolben wurde langsamer.

Werner von Holdenstein atmete mehrmals tief durch. Er hatte schon manchen Unfall gesehen, doch dieser bereitete ihm Übelkeit. Er steuerte an den Straßenrand und hielt an.

Auf seiner Maschine sitzend rang er nach Fassung und ignorierte andere Maschinen, die nun an ihm vorbei fuhren. Sein Blick glitt unruhig umher, um die Bilder des soeben erlebten zu verdrängen. Dabei sah er auch auf die irische See hinaus und eine dünne Rauchsäule fesselte seine Aufmerksamkeit. Es war nicht die typische Rauchsäule des Schornsteins einer Dampfmaschine, sondern fettiger schwarzer Qualm, wie er nur von einem Feuer stammen konnte.

Werner von Holdenstein griff in die Innentasche seiner Lederjacke und zog ein Etui hervor. Diesem entnahm er seine Brille, die er oft bei diffizilen Arbeiten trug. Das Brillengestell wies mehrere voreinander gefasste Gläser auf, die man, ähnlich einem Fernglas, auf verschiedene Distanzen scharf einstellen konnte. Er drehte an den Stellrädern und suchte dabei nach der Rauchfahne, bis er sie erneut im Blickfeld hatte. Seine Augen weiteten sich überrascht.

„Donnerwetter“, murmelte er. „Wenn das mal keine französische Fregatte ist.“

Es war unzweifelhaft eine 6-Kanonen-Fregatte, die unter der Trikolore des Kaisers fuhr. Das Kriegsschiff hatte sichtlich Schlagseite, schien aber nicht in Gefahr zu sein zu sinken, denn die Männer auf dem schrägen Deck bewegten sich ruhig und zeigten keinerlei Panik. Der Rauch stieg aus einem klaffenden Loch in der Bordwand auf. Werner von Holdenstein bemerkte, dass die Metallpanzerung nach außen aufgerissen war. Eine Explosion im Inneren des Schiffes.

Der Preuße lächelte kalt. „Eure Kessel taugen wohl nicht viel.“

Die Seemannschaft des französischen Kapitäns war außergewöhnlich. Der Schaden befand sich aufgrund der Schlagseite eigentlich unterhalb der Wasserlinie, und war zu groß, als das die Lenzpumpen ihn hätten bewältigen können. Der Kapitän hatte wohl einige Kammern und Räume auf der unbeschädigten Seite fluten und die Ladung umtrimmen lassen, so dass sich das Leck über das Wasser hob. Ein gefährliches Manöver, aber es schien das Schiff zu retten, wenn es nicht in einen Sturm geriet.

Die Augen von Holdensteins verengten sich. An der schrägen Panzerung der Fregatte bemerkte er zwei längliche Schrammen. Dort war der schwarze Anstrich beschädigt, auch wenn die Rumpfplatten selbst nicht gelitten hatten. Diese Art von Spuren entstanden nur, wenn Geschosse auf den Seitenschutz aufgeprallt und von diesem abgelenkt worden waren.

„Sieh an“, murmelte er versonnen. „Sieht ganz danach aus, als hätte es ein Gefecht gegeben.“

Von Holdenstein setzte die Brille ab und überlegte. So stark, wie das Schiff beschädigt war, musste es den nächsten schützenden Hafen ansteuern und das war unzweifelhaft Ramsey. Er startete seine BMW. Für ihn war das Rennen um die Trophäe vorbei. Er wollte herausfinden, warum ein Schiff des Franzosenkaisers in Zeiten offiziellen Friedens solche Gefechtsschäden aufwies.

Star-Steamer

Подняться наверх