Читать книгу Auch ein Mörder macht mal Urlaub - Michael Tosch - Страница 12

Sonntag, 5. Juli, vormittags

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Die, die ihn kannten, nannten ihn Duddkopp. Das war eigentlich ein Schimpfwort, denn in Ostfriesland nannte man so einen Dorftrottel. Mit richtigem Namen hieß er tatsächlich Josip Novak. Er kam als sechsjähriges Kind mit seinen Eltern aus dem damaligen Jugoslawien nach Deutschland. Er wuchs zweisprachig auf, denn seine Mama war eine Deutsche, sein Papa kam aus Serbien. Die Mutter war eine ausgezeichnete Köchin und arbeitete in mehreren Restaurants auf Juist, der Papa arbeitete als Hilfskraft im Hafen und hatte die deutsche Sprache nie richtig erlernt. So kam es dazu, dass Josip bis zum Tod des Vaters, sich mit ihm immer noch in serbischer Sprache unterhielt. Seine Mama wurde einst in Leer geboren und ging dann, der Liebe wegen, zu ihrem Mann nach Belgrad, heiratete und brachte kurz darauf Josip zur Welt.

Den Namen Duddkopp bekam er noch während seiner Schulzeit. Er war auch kein Dummkopf, wie der Spitzname vermuten ließ, allerdings wurde er durch verschrobene Aktionen den Juistern bekannt.

Als Kind hatte er Liebesbriefe seiner Mutter gefunden, Postbote gespielt und die Briefe in diverse Briefkästen in Juist geworfen. Ein paar Jahre später kletterte aus Gründen, die kein Mensch kannte, in einen Gully, von dem er vorher den Deckel entfernt hatte. Er blieb im Gully stecken und musste von der Feuerwehr schließlich befreit werden. Ob auch hier der erste Alkohol im Spiel war, was viele vermuteten, wurde nie bekannt.

Während seines Dienstes bei der Bundeswehr fuhr er mit einem 40-Tonner-LKW durch eine niedrige Brücke und riss dabei das Dach ab. Der Polizei, die ihn kurze Zeit später stoppte, erklärte er, dass er angeblich von dem Unfall nichts gemerkt habe. Die Blutprobe ergab 3,5 Promille. Aber alle diese Geschichten sprachen sich natürlich in Windeseile auf der Insel herum und er hatte seinen Spitznamen weg: Duddkopp.

Sein richtiger Name ist tatsächlich nur Wenigen bekannt, obwohl er seit damals nichts Spektakuläres mehr unternommen hatte. Er wohnte allerdings als 50-Jähriger immer noch bei seiner Mutter, die inzwischen auf Juist eine kleine Pension betrieb. Da er außerdem offensichtlich keinem Beruf nachging, führte das auf der Insel zu diversen Vermutungen und bei geselligen Runden der Einheimischen wurden immer wieder neue Geschichten vom Duddkopp verbreitet, deren Wahrheitsgehalt niemand wirklich überprüfte.

Wie fast jeden Sonntag saß er auch heute wieder in der Inselkirche, um am Gottesdienst teilzunehmen. Er hörte aufmerksam zu, als die Inselpastorin Stefanie Lohmann predigte und dabei über die Geschichte vom ungläubigen Thomas sprach. Sie erzählte, dass Thomas erst an die Auferstehung Jesus glaubt, als er sich überzeugt hat, dass Jesus vor ihm steht. Jesus sagt daraufhin zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.

Als die Besucher am Ende des Gottesdienstes die Inselkirche verließen und sich von der Pastorin verabschiedeten, ging er als Letzter auf sie zu und fragte: »Moin, villicht heff ik dar wat nich korrekt verstahn.«

Da er nicht sicher war, ob die Pastorin sein Platt verstand, versuchte er ein wenig Hochdeutsch einzubauen. »Se hebbt seggt, äh, sie haben gesagt, dat ik glöven mutt, also glauben muss, wenn ik wat nich seh oder föhl, nicht sehen oder fühlen kann. So heff ik dat verstahn. Hab ich dat richtig verstanden?«

Die Pastorin nickte und stimmte zu: »Ja, so ist es, das haben sie richtig verstanden.«

Sie kannte den Josip Novak, da er an jeden Sonntag zur Kirche kam. Ihr waren auch viele Geschichten von ihm bekannt und sie kannte auch seinen Spitznamen. Aber zum ersten Mal sprach er sie an, unterhalten hatte sie sich mit ihm bisher noch nie.

Er fragte weiter: »Dat gellt nu bloot, wat den Glöven oder de Kark mien deit? Ist das nur, was die Kirche angeht oder den Glauben? Und was ist mit dem, was in der Zeitung steht oder was Politiker sagen? Wat de so allens vertellen doon?«

Die Pastorin unterdrückte ihr Schmunzeln, denn sie fand die Frage durchaus berechtigt.

»Jesus meinte den Glauben an ihn, den Glauben an Gott. Es ist aber wichtig, dass du ansonsten zu allen Dingen im Leben, zu dem, was du hörst und liest, dir eine eigene Meinung bildest. Es ist halt ein Unterschied, ob du den Worten von Jesus glaubst, ohne zu zweifeln. Das ist es, was den Glauben ausmacht. Anderen Worten, von Menschen, von Politikern oder Journalisten, an denen darfst du zweifeln. Also nicht alles einfach glauben, oft ist es besser, wenn du die Dinge kritisch überprüfst, falls du es kannst. Das ist besser, als Klatsch und Tratsch zu glauben und weiterzuverbreiten.«

Der Duddkopp bedankte sich und verabschiedete sich von der Pastorin.

Eine Viertelstunde später stand er in der Polizeiwache und fragte Hanke: »Moin. Ik heff höört, dat vör uns Eiland, also vor unserer Insel, en Frachtschipp in Seenoot raaden is. Stimmt das, dass da ein Frachtschiff in Not geraten ist? Is dat wohr?«

Hanke kann das ostfriesische Platt zwar sehr gut verstehen, vermied aber es zu sprechen, nachdem er es in einer Bierrunde mal ausprobierte und dann ein echter Ostfriese meinte, dass er die Ostfriesen auf den Arm nehmen wolle. Daher antwortet er auf Hochdeutsch.

»Der Frachter ist inzwischen stabilisiert. Die Mannschaft ist auch ok. Aktuell behindert aber der starke Wind weitere Maßnahmen. Wieso fragst du das?«

»De Fro Pastoor hett mi dat seggt«, und der Duddkopp erklärt ihm, wie er die Predigt in der Kirche verstanden hat. Er erzählte, dass er durchaus kritisch fragen soll, wenn er etwas nicht genau weiß. Der Duddkopp bedankte sich bei Hanke und ging wieder.

Hanke kannte natürlich auch viele Geschichten, die vom Duddkopp erzählt wurden und schmunzelte. Eigentlich mochte er ihn ganz gern, denn er war immer ein liebenswerter Kerl gewesen.

Auch ein Mörder macht mal Urlaub

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