Читать книгу Auch ein Mörder macht mal Urlaub - Michael Tosch - Страница 5
Mittwoch, 1. Juli
ОглавлениеBei einem Spaziergang auf der Insel Juist hatte der Mann die Kneipe in unmittelbarer Nähe des Kurhauses in einer Seitenstraße zum ersten Mal gesehen. Der Stil des alten Bauwerks war typisch für die Insel. Rote Klinker und verwinkelte Steine am Giebel zierten das Gebäude. Diese Kneipe wäre ihm nicht besonders aufgefallen, wenn da nicht über der Eingangstür ein ovales Holzschild mit dem Namen 'Krullerkopp' gestanden hätte. Der Name machte ihn neugierig, denn er war auf der Suche nach einer richtigen Bierkneipe. Schickimicki-Restaurants gab es hier, seiner Meinung nach, genug.
Krullerkopp, komischer Name, dachte er und versuchte, den Sinn des Wortes zu verstehen. Er schaute von außen durch ein Fenster und konnte erkennen, dass das Lokal in einem maritimen Stil gehalten war. Diverse Bilder von Schiffen und ein paar Seemannsknoten zierten die Wände. Im Lokal standen ein paar Tische mit Stühlen und dann war da eine lange Theke mit Barhockern davor. Er las die Speisekarte am Eingang und entdeckte, dass gar keine Speisen, sondern nur Getränke angeboten wurden. Diese Kneipe, war im Prinzip genauso, wie er es sich vorgestellt hatte. Sein Entschluss, abends dort hinzugehen, stand fest.
Seinem Kollegen hatte er erklärt, dass er einen alten Bekannten treffen wolle und mit ihm abgestimmt, dass er ihn an diesem Abend mit den Schülern allein lassen würde.
Nach dem Abendessen schwang er sich auf sein Fahrrad und fuhr ins Dorf, wie man den Ort Juist allgemein nannte. Kurz vor seinem Ziel stellte er sein Stahlross in einen Fahrradständer an der Straße und lief die letzten Meter bis zum Lokal Krullerkopp.
Die Dämmerung nahm langsam Besitz vom Töwerland. Ein leichter Wind strich durch die Dünen und Straßen im Dorf, obwohl die Ostfriesen behaupten würden, dass das dieses Lüftchen kein richtiger Wind sei. Es war ein schöner Tag gewesen, warm war es, richtiges Badewetter, obwohl der Himmel eher grau war.
Als er eintrat, scannte er mit suchendem Blick die Szenerie. Es war nicht sonderlich voll. Trotz der wenigen Gäste war es relativ laut, denn die Musik, die zu hören war, wurde durch die Stimmen der Gäste noch übertönt. Die Luft war schwanger von typischem Duft nach Bier. Richtige Bierkneipen riechen immer so, dachte er.
An ein paar Tischen saßen Pärchen und an einem der Tische eine Vierergruppe. Ein junges Paar hatte an einer Seite der langen Theke Platz genommen und am anderen Ende hockte eine jüngere Frau auf einem Barhocker und nahm gerade einen Schluck aus einem Bierglas. Sie schien offenbar allein zu sein. Er setzte sich auf einen Barhocker am Ende der Theke, ließ aber bewusst einen Platz zwischen sich und der einzelnen jungen Frau frei.
Er schaute zu ihr rüber und als diese zu ihm aufsah, lächelte er und schaute in ihre Augen. Es dauerte einen kurzen Augenblick, dann lächelte sie zurück.
Hinter der Theke zapfte ein Mann mit einer prächtigen Glatze gerade ein Glas Bier, schaute dann zu ihm herüber und fragte nach seinen Wünschen.
»Geben sie mir ein Alt!«, sagte der Mann.
»Altbier habe ich nicht. Da liegt 'ne Getränkekarte.«
Der Wirt wies auf eine in Folie laminierte Karte hin. Der Mann las die Karte und entdeckte darauf mehrere Biersorten, Cocktails, Hochprozentiges, Whiskys und auch Rum. Ich mag keinen Rum, dachte er.
Nach kurzem Nachdenken bestellte er sich dann ein Hefeweizen.
»Ist allerdings nicht so typisch für die Gegend hier«, versuchte er zu kommunizieren, doch sein Gegenüber verzog keine Miene. Unfreundlicher Idiot, dachte der Mann und sah zu, wie der Wirt den Inhalt einer Flasche kunstvoll mit gluckerndem Geräusch in ein Glas zauberte.
Als der Wirt ihm das Hefeweizen auf die Theke stellte, fragte er ihn: »Sagen sie, was bedeutet eigentlich der Name des Lokals? Krullerkopp, das habe ich noch nie gehört.«
»Krullerkopp? Das bin ich«, jetzt schmunzelte der Wirt, »damit bin ich gemeint.«
Nach einer kurzen Pause ergänzte er: »Ich hatte schon in jungen Jahren eine Glatze. Krullerkopp ist plattdeutsch und bedeutet hier bei uns Lockenkopf, so haben mich halt alle auf den Arm genommen. Mein richtiger Name ist Jan Everts, aber das weiß hier kaum noch jemand. Krullerkopp, das wurde dann zu meinem Spitznamen, also mien Ökelnaam, wie es hier auf Platt heißt.«
Die junge Dame neben ihm schaltete sich ein: »Ein Bekannter von mir, der hatte auch eine Glatze. Den haben alle immer Festplatte genannt.«
Keiner lachte über ihren Spruch, sie wirkte deshalb etwas verlegen und nahm wieder einen Schluck aus ihrem Glas. Er trank ebenfalls von seinem Bier und beobachtete sie dabei aus den Augenwinkeln. Sie trug eine blaue Jeans und ein rotes T-Shirt. Ihm gefiel, was er wahrnahm. Dann drehte sich die Frau wieder zu ihm herüber und lächelte erneut.
»Sind sie zum ersten Mal auf Juist?«, fragte er sie und lächelte seinerseits zurück.
»Nein, ich komme schon seit Jahren mit meiner Freundin hier her, aber in diesem Jahr konnte sie nicht. Daher bin ich allein da, ich will mir doch das Töwerland nicht entgehen lassen«, erklärte sie ihm und fragte zurück, »Und sie?«
»Ich bin zum ersten Mal hier, aber nicht allein. Wir sind achtzehn.«
Dabei betonte er das Wort achtzehn. Er schaute sie an und wartete auf ihre Reaktion.
»Da haben sie aber eine große Familie«, meinte sie spöttisch.
»Ich bin Lehrer, ein Kollege, der mich unterstützt und sechzehn Schüler«, klärte er das Rätsel auf.
Sie schaute ihn an. »Ach so, ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass sie so viele eigene Kinder haben.«
»Achtzehn eigene Kinder? Wenn das so wäre, dann ist es mir allerdings nicht bekannt«, grinste er sie an.
Sie rief in Richtung Krullerkopp: »Ich hätte gern noch einen Drink.«
»Noch'n Bier?«
Bevor sie antworten konnte, schaltete sich der Mann ein und fragte seine Nachbarin: »Darf ich sie zu einem Cocktail einladen?«
Sie überlegte einen Augenblick.
»Ja, gern, ich weiß nur noch nicht welchen.« Sie warf einen Blick in die Getränkekarte.
»Ich nehme eine Margarita«, bestellte sie. Der Mann entschied sich für einen Mojito. Als die Getränke kamen, prosteten sie sich zu und stießen an.
»Ich heiße Heike, Heike Wolfram«, stellte sie sich vor, »hier im Urlaub ist es mit dem Vornamen und dem Du doch üblich und ich finde, das ist auch einfacher zum Quatschen.«
Er zögerte einen Augenblick. »Burkhard Waller«, sagt er, »ich heiße Burkhard.«
»Ich bin aus Braunschweig, genaugenommen aus der Nähe von Braunschweig, aus Peine. Und wo kommst du her?«, wollte sie wissen, schaute ihn fragend an und nahm dabei einen Schluck von ihrer Margarita.
»Ja, Braunschweig, da war ich auch schon mal«, kam es von ihm, ohne auf ihre Frage nach seiner Herkunft zu antworten. Ich habe ohnehin schon zu viel von mir verraten, dachte er.
»Was machst du beruflich?«, wollte er wissen.
»Ich arbeite in der Stadtverwaltung. Bin im Einwohnermeldeamt. Und du? Du bist Lehrer, habe ich doch richtig verstanden?«
»Stimmt«, antwortete er einsilbig.
»Und wo bist du Lehrer?«, bohrte Heike nach.
»An einer Gesamtschule in der Nähe von Köln.«
»Nähe von Köln, wo denn genau?«, sie ließ nicht locker.
Ihm fiel der Ortsname von Brühl ein, weil ein Bekannter dort studierte. »Brühl«, sagte er, »der Ort heißt Brühl.«
»Kenne ich nicht, habe ich auch noch nicht gehört«, stellte Heike fest.
Bevor sie weiterfragen konnte, wechselte er das Thema. »Die haben hier auf der Insel ganz schön gepfefferte Preise, findest du nicht auch?«
»Es geht so, ich finde es aber nicht überteuert. Sind halt viele Gäste hier und wenn viele Touristen kommen, nimmt man auch gern etwas mehr Kohle. Außerdem musst du daran denken, da ist noch das logistische Problem. Alles, was es hier zu kaufen gibt, muss man erst einmal hierher auf die Insel transportieren.«
Er nickte und schwieg, weil er sich im Grunde mit dem Thema gar nicht auseinandersetzen wollte.
Heike sagte plötzlich: »Ich bin gleich wieder da.«
Aus den Lautsprechern klang ein Lied von Santiano: »Alle, die mit uns auf Kaperfahrt fahren«.
Sie glitt von ihrem Barhocker herunter und ging beschwingt in Richtung Toilette.
Er schaute sich um, niemand blickte in seine Richtung. Daraufhin holte er ein Fläschchen aus der Hose und schüttete ein paar Tropfen daraus in ihren Cocktail.
Er schaute sich erneut um, aber niemand schien ihn beobachtet zu haben. Danach verschwand das Fläschchen blitzschnell wieder in seiner Tasche.
Das Pärchen am vorderen Teil der Theke tuschelte miteinander. Der Mann hatte aus den Augenwinkeln beobachtet, wie der Kerl am anderen Ende etwas in den Cocktail der Frau geschüttet hatte.
»Ich habe das ganz genau gesehen, das waren bestimmt KO-Tropfen!«, hörte seine Begleiterin ihn flüstern.
»Rolf hör auf, bist du wirklich sicher, vielleicht irrst du dich ja«, versuchte sie ihn zu bremsen.
Rolf antwortete: »Wir werden ja sehen, was passiert, wenn sie von dem Zeug was trinkt. Mensch, schau nicht so auffällig rüber.«
Kurz darauf kam Heike zurück, kletterte wieder auf den Barhocker, nahm ihr Glas, stieß mit dem Spender an und beide tranken.
Zwanzig Minuten später stöhnte Heike leise: »Tut mir leid, mir ist nicht gut. Ich möchte heimgehen.« Sie kam nur mühsam von ihrem Barhocker herunter.
»Das ist sicher nur die schlechte Luft hier in der Kneipe«, meinte er beruhigend, »komm, ich bringe dich vor die Tür.«
Er winkte dem Krullerkopp zu und legte ein paar Scheine auf die Theke. Er fasste Heike unter den Arm und stützte sie beim Verlassen des Lokals. Vor ihren Augen schien sich alles zu drehen. Sie bekam gar nicht mit, was mit ihr geschah.
Er führte die völlig willenlose Frau von der Kneipe aus, am Kurhaus vorbei, in Richtung Strand hinunter. Heike konnte kaum allein laufen, er musste sie stützen. Es war ziemlich dunkel, er schaute sich um, als er feststellte, dass sie nicht beobachtet wurden, zerrte er sie ein Stück hinter der öffentlichen Toilette in die Dünen.
Das andere Paar in der Kneipe hatte inzwischen ebenfalls gezahlt. Rolf und Karin, seine Begleiterin, hatten sich entschlossen, den Beiden zu folgen und der Frau, wenn nötig, zu helfen. Sie verließen ebenfalls den Krullerkopp.
»Lass uns beeilen«, sagte Karin und beschleunigte ihre Schritte.
Auf der Straße versuchten sie vergeblich, die Gesuchten zu finden. Sie liefen die Strandstraße hinunter bis zum Kurplatz, aber sie hatten die Beiden aus den Augen verloren.
Der Mann hatte die wehrlose Heike in eine Mulde geschleppt und sie hingelegt. Er zerrte ihr die Kleider vom Leib, zog sich ein Kondom über und vergewaltigte die junge Frau.
Heike kam ein wenig zu sich und bemerkte, dass er auf ihr lag und offensichtlich mit ihr Sex hatte. Sie wollte ihn von sich stoßen, schaffte es aber nicht. Schreien ging auch nicht und dann verlor sie wieder das Bewusstsein. Nach einiger Zeit kam sie erneut zu sich. Sie spürte, noch völlig benommen, wie der Wind über ihren entblößten Körper strich. Das kühle Gefühl hatte sie geweckt. Sie sah sich um und merkte, dass sie allein war. Es war immer noch ziemlich dunkel. Heike entdeckte, dass ihr Jeanshose und Slip ausgezogen waren, das T-Shirt war fast zerrissen. Die Kleidungsstücke lagen verstreut im Dünengras. Sie suchte ihre Sachen zusammen und zog sich mühsam wieder an.
Heike war immer noch sehr benommen und konnte kaum laufen. Mühsam schleppte sie sich zu ihrer Unterkunft.