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Prolog

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Kriminalhauptkommissar Markus Niemand und Kriminalkommissarin Helga Weilburger hatten sich an ihrem freien Samstag verabredet. Helga hatte ihn gefragt, ob er Lust hätte, sie an diesem Tag beim Shopping in Aurich zu begleiten.

Markus war eigentlich nicht der Typ, der gerne von Boutique zu Drogeriemarkt spazierte und in den Angeboten stöberte. Er überlegte, warum er überhaupt zu-gesagt hatte und kam zu dem Schluss, dass es mehrere Gründe gab. Erstens wohnte er erst seit gut einem Jahr in Ostfriesland und kannte Aurich nicht sonderlich gut, zweitens hatte er sich ohnehin entschlossen, seine Kollegin Helga etwas besser kennenzulernen. Im Dienst hatte er sie als sehr professionelle und kompetente Polizistin erlebt, aber er hätte auch gerne gewusst, wie sie im Privatleben tickte. Dann hatte er auch noch einen dritten Grund gefunden.

Er war alleinstehend, seine Lebensgefährtin Charlie, die eigentlich Charlotte hieß, hatte ihm vor vier Monaten den Laufpass gegeben und jetzt litt er immer noch unter dem Aus der Beziehung.

Kurz vor der Trennung hatte er ein Häuschen in Südbrookmerland erworben und versteckte sich jetzt privat mehr in seinem neuen Heim. Dort fand er genügend Aufgaben, die er erledigte und damit seine Einsamkeit vor sich selbst verbergen konnte.

Markus fand, dass es Zeit war, sein Leben neu zu organisieren und ergriff deshalb auch gerne die Gelegenheit, mit Helga zu shoppen und überwand daher seine Abneigung gegen das, wie er es nannte 'durch die Läden latschen'.

Natürlich hatte Markus, wie alle Menschen auch, seine Macken. Eine davon war seine Leidenschaft für die australischen Hardrocker AC/DC. Als Jugendlicher hörte er auf Partys die Songs der australischen Band und mit 22 besuchte er ein Konzert in London. Inzwischen hatte er AC/DC schon viermal live gesehen und besaß als Erwachsener fast alle Platten bzw. CDs.

Daher war es nicht verwunderlich, dass ihm auch ständig Lieder seiner Lieblingsband in den Kopf kamen und wenn er in guter Stimmung war, sang er auch gerne die Songtexte, die er kannte. Da er behauptete, dass man Musik von AC/DC auf keinen Fall leise summen könne, sang Markus, wenn er denn sang, auch gerne sehr laut. Allerdings waren meistens seine gewollten und auch die ungewollten Zuhörer der Meinung, dass er bei einem Song Contest nicht aufs Treppchen kommen würde.

Er spazierte mit Helga am Rande des Marktplatzes in Aurich und ihm gefiel der Anblick der bunten Stände und das Treiben auf dem Wochenmarkt. Ihm wurde bewusst, dass er bisher erst einmal mit seiner Ex zum Einkaufen hier gewesen war. Die Gedanken an Charlie und die Erinnerung an die Trennung machten ihn nachdenklich und traurig.

Jetzt schlenderte er mit Helga an seiner Seite durch Aurich und genoss den Tag. Es war angenehm warm und er spürte eine sanfte Brise, die er hier im Norden so liebte. Richtig windstill hatte er es in dieser Region noch nicht erlebt. Das laue Windchen trug den typischen Geruch des Meeres mit sich und ließ erahnen, dass die Nordsee nicht sehr weit weg sein konnte.

Markus hatte in seinem ersten Jahr gelernt, dass die Ostfriesen eigene Wetter-regeln entwickelt haben.

 Regen ist erst, wenn der Briefträger mit dem Schlauchboot kommt.

 Schietwetter fängt erst bei Windstärke 12 an.

 Sturm ist erst, wenn die Schafe keine Locken mehr haben.

 Nirgends strahlt der Himmel so schön grau…

Die letzte Regel fand allerdings nicht seine Zustimmung. Es gab hier oben wunderschöne Tage mit Wärme und blauem Himmel, allerdings konnte sich das Wetter schnell ändern, und zwar in jede Richtung.

Helga hatte in einem Modegeschäft ein paar T-Shirts gekauft, die sie in einer Tasche mit dem Werbeaufdruck des Ladens spazieren führte. Ein neues davon hatte sie direkt angezogen. Über ihrer Schulter trug sie eine dunkelblaue Handtasche. Markus vergaß seine Ex und bewunderte seine Kollegin. Tolle Frau, dachte er und spontan sang er sofort los:

» When I see a pretty woman, you know it give me a thrill, and she's tailor made to order, you know I can't stand still, and you won't need a doctor, 'cause it'll cure all ills.«

Als Helga ihn verständnislos anschaute, erklärte er: »Das war 'Can't Stand Still', ein Song von AC/DC.«

»Kennst du den Song, weil du den immer auf einer alten Vinyl-Langspielplatte abspielst?«

»Wie meinst du das?«, Markus war etwas verwirrt.

»Weil du die Kratzer auf der LP alle mitgesungen hast!«, spottete Helga.

Bevor er antworten konnte, klingelte Helgas Handy. Sie nahm es aus ihrer Handtasche und sprach offensichtlich mit einer Freundin. Markus versuchte weg-zuhören, denn er gehörte nicht zu den Menschen, die andere belauschen würden.

In diesem Augenblick war hinter ihnen ein lautes Rufen, das Klingeln und das Bremsen eines Fahrrads zu hören. Markus drehte sich um und bekam nur noch mit, wie ein Mann mit immer noch recht hohem Tempo auf sich und seine Begleiterin zuraste und Helga erfasste. Helga und auch der Radfahrer stürzten zu Boden.

Der Mann fand sich auf dem Straßenpflaster wieder. Sein Drahtesel war mit verbogenem Vorderrad zum größten Teil auf dem Oberkörper des gestürzten Radfahrers gelandet. Helga lag auf dem Pflaster und rührte sich nicht, sie war mit ihrem Kopf offensichtlich auf einen Blumenkübel gestürzt. Aus einer Platzwunde auf der Stirn lief Blut über ihr Gesicht und tropfte zu Boden.

Markus versuchte sie anzusprechen und rief mehrmals laut ihren Namen. Da sie nicht reagierte, sprach er einen Mann aus der inzwischen entstandenen Gruppe von Neugierigen an.

»Ich bin von der Polizei. Bitte rufen sie einen Notarzt!«

Markus nahm wahr, dass inzwischen mehrere Personen mit ihren Handys telefonierten.

Er sah, dass Helga atmete und überprüfte ihren Puls, alles schien so weit ok zu sein und er legte sie in die stabile Seitenlage. Inzwischen hatte sich auch der Radfahrer wieder erhoben und stammelte so etwas wie eine Entschuldigung in die Richtung von Helga.

Über den Marktplatz von Aurich schallte das Martinshorn. Mit eingeschaltetem Blaulicht kamen ein Rettungswagen und direkt dahinter ein Notarzt in seinem Einsatzfahrzeug um die Ecke und hielten am Unfallort.

Markus spürte, dass der Schock immer stärker Besitz von ihm ergriff. Helga erwachte aus ihrer Ohnmacht und wollte sich aufrichten.

»Bleib liegen, bitte!«, Markus sprach nicht sonderlich laut, aber bestimmend und das bewirkte, dass Helga sich gehorsam wieder zurücklegte.

Der Notarzt untersuchte Helga und veranlasste, dass die Sanitäter sie auf eine Trage betteten, um sie danach in den Rettungswagen zu bringen.

Zu Markus gewandt sagte er: »Anscheinend ist es nichts Ernstes, eventuell eine kleine Gehirnerschütterung. Wir nehmen sie vorsichtshalber mit und sie wird dann noch einmal untersucht. Wir bringen sie in die Ubbo-Emmius-Klinik.«

»Ich komme sofort hinterher, ich kenne den Weg.«

Gerade bemühte sich Markus um die Utensilien von Helga, die etwas verstreut am Unfallort lagen. Er wollte nach ihrer Handtasche greifen und sah plötzlich aus den Augenwinkeln, wie ein junger Mann aus der Gruppe der Schaulustigen sich bückte, Helgas Handy schnappte und blitzschnell davonrannte.

Der Adrenalinstoß, der durch Markus Körper fuhr, verhalf ihm zu neuer Aktivität. Blitzschnell nahm er die Einkaufstüte und Helgas Handtasche auf und rannte hinter dem Handy-Dieb her. Der hatte inzwischen einen kleinen Vorsprung und verschwand, ohne sich umzuschauen in der Markthalle. Markus hatte sich gemerkt, dass der Dieb helle Shorts und ein dunkelgrünes T-Shirt trug. Als er den Eingang der Halle erreichte, entdeckte er, dass der Radfahrer, der Verursacher des Unfalls, ihm gefolgt war.

»Ich will ihnen helfen, ich habe gesehen, wie der das Handy geklaut hat.«

Markus sagte: »Das ist nett von Ihnen, aber ich bitte sie, hier stehenzubleiben. Ich weiß nicht, ob der Kerl bewaffnet ist. Ich mache das schon.«

Direkt hinter dem Eingang war eine Imbisstheke, an der Speisen und Getränke angeboten wurden. Markus erkannte unschwer den jungen Mann in hellen Shorts und dem grünen Shirt. Der hatte sich inzwischen mit einem Tablett an der Theke angestellt und wartete, bis er bedient werden würde. Er fühlte sich offenbar sehr sicher. Wahrscheinlich hatte er keinen seiner Verfolger bemerkt.

Markus holte sein eigenes Smartphone aus der Tasche. Natürlich war darin auch die Rufnummer von Helga gespeichert, die er jetzt sofort anrief.

Kurz darauf klingelte ein Handy bei dem jungen Mann an der Theke. Markus musste grinsen, da er natürlich Helgas Klingelton sofort erkannte. Der Dieb war völlig überrascht und wollte sich umdrehen. Da hatte ihn Markus bereits am Arm ergriffen und verkündete ihm die Verhaftung.

»Sie haben das Recht, zu schweigen. Alles, was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht, zu jeder Vernehmung einen Verteidiger hinzuzuziehen. Wenn Sie sich keinen Verteidiger leisten können, wird Ihnen einer gestellt. Haben Sie das verstanden?«

Natürlich bildete sich auch hier sofort eine Traube von Neugierigen und einige filmten die Szene sogar mit ihren Handys.

Irgendjemand hatte die Polizei verständigt. Zwei Polizisten drängten sich durch die Gaffer und kamen auf Markus und den Verhafteten zu.

Da er die Kollegen nicht kannte, wies sich Markus als Polizist aus und erklärte den Sachverhalt. Bevor der Dieb abgeführt wurde, wurde er aufgefordert, seine Taschen zu leeren. Dabei kamen vier weitere Handys zum Vorschein, offenbar alles Diebesgut.

Beim Verlassen der Markthalle entdeckte er den Radfahrer, der vor der Tür gewartet und auch die Verhaftungsaktion beobachtet hatte. Markus ging auf ihn zu und sagte: »Sie haben inzwischen wahrscheinlich mitbekommen, dass ich von der Polizei bin. Sie haben mit ihrem Fahrrad einen Unfall gebaut und sind dabei gestürzt, genau wie meine Kollegin. Ist bei ihnen alles in Ordnung?«

Der Mann nickte. »Ja, ich weiß. Bei mir ist alles in Ordnung, ich bin nicht verletzt, nur mein Fahrrad ist leicht demoliert.«

Markus fuhr fort: »Das beruhigt mich sehr, dass es ihnen gut geht. Normalerweise würde ich jetzt ein Auge zudrücken und sie verwarnen. Aber in diesem Fall kann ich das leider nicht. Meine Kollegin wurde bei dem Unfall verletzt und bei einem Personenschaden muss ich in jedem Fall eine Anzeige erstatten. Bitte geben sie mir ihre Personalien.«

»Ich weiß das«, entgegnete der Radfahrer, »ich bin selbst Anwalt. Deshalb habe ich hier auch auf sie gewartet. Hier ist meine Visitenkarte.«

Markus schaute kurz auf die ihm überreichte Karte mit den Daten. Er prägte sich den Namen und den Wohnort ein und sprach dann wieder zu seinem Gegenüber.

»Herr Dahlmann, ich finde es sehr gut, dass sie gewartet haben. Enttäuschenderweise kommt das sehr selten vor. Ich werde ihr Verhalten in meinem Unfallbericht positiv für sie vermerken. Danke, sie werden demnächst von der Justiz Post bekommen. Alles Gute für sie.«

Die Polizisten nahmen Markus in ihrem Auto mit und setzten ihn an der Ubbo-Emmius-Klinik ab. An der Rezeption erkundigte er sich nach Helga und erfuhr, dass sie noch in der Unfallaufnahme sei.

Dort angekommen, sah er seine Kollegin schon von weitem. Sie saß auf einer Bank und erhob sich, als Markus sie erreichte. Ein stattlicher Verband zierte ihren Kopf und bevor Markus eine Frage stellen oder etwas sagen konnte, ergriff Helga das Wort.

»Ich habe eine Platzwunde an der Stirn, die wurde genäht und eine Gehirnerschütterung liegt wohl nicht vor. Ich kann mich an alles erinnern, habe kein Schwindelgefühl und Übelkeit auch nicht. Also alles gut, wir können gehen, wenn du mich mitnimmst.«

Helga lächelte und Markus hatte das Gefühl, dass sie wieder ganz die Alte war, so voller Tatendrang. Ihre Worte hatten bei ihm ein positives Gefühl ausgelöst. Markus freute sich riesig, dass der Unfall so glimpflich ausgegangen war. Er umarmte sie, benutzte dabei allerdings nur seinen rechten Arm.

»Ich hatte Angst um dich. Jetzt bin ich froh, dass du wieder einsatzfähig bist.«

»Einsatzfähig? Ich?«, Helga strahlte ihn an. »Heute ist Samstag, da kann ich mich für den Rest des Tages und auch für Sonntag noch erholen. Meine Rekonvaleszenz endet also erst am Montagmorgen. Da beginnt auch offiziell mein Dienst wieder. Erst dann bin ich auch wieder voll einsatzfähig.«

»Ach übrigens«, Helga fuhr fort, »weißt du eigentlich, wo meine Handtasche und meine Einkäufe geblieben sind?«

Mit der linken Hand hatte er die Einkaufstüte und Helgas Handtasche hinter seinem Rücken verborgen. Er reichte ihr beides.

Helga untersuchte ihr Eigentum und fragte sofort: »Mein Handy, das Handy ist weg. Weißt du, wo das ist?«

»Ja, das weiß ich«, Markus holte ihr Smartphone aus seiner Tasche, reichte es ihr und erklärte, »während du dich ganz gemütlich durch Aurich kutschieren ließest, habe ich gearbeitet. Du hast dich hier verwöhnen und auf hohem Niveau pflegen lassen. Ich habe in der Zeit sämtliche Verbrecher in Aurich gejagt und verhaftet.«

Helga schaute irritiert zu ihrem Kollegen. »Was hast du? Das verstehe ich jetzt nicht.«

Markus wollte sie nicht länger auf die Folter spannen und erzählte ihr die ganze Geschichte.

»Ist das wirklich wahr? Dass ausgerechnet mir das passiert ist, kaum zu glauben.«

»Ich wollte, das wäre alles nicht passiert. Erst wirst du verletzt, musst leiden und dann beklaut dich auch noch so ein Mistkerl.«

»Weißt du was? Für deinen Einsatz muss ich dich belohnen, was hältst du davon, wenn ich dich für heute zum Abendessen einlade? Übrigens, ein Nein werde ich nicht akzeptieren.«

»Ich überlege, ob das jetzt Beamtenbestechung ist.« Und nach einer kleinen Pause: »Du hast mich überzeugt, ich werde mich von dir bestechen lassen. Aber erzähle es bitte nicht weiter, es könnte meiner Karriere schaden.«

Markus grinste und fand, dass es doch gut war, Helga auf der Shopping-Tour begleitet zu haben.

Auch ein Mörder macht mal Urlaub

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