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Vorbereitungsschritt 4: Den Mut haben, auch heikle Themen direkt anzusprechen

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Wenn ich mir keine Gesprächsziele überlege, kann es dazu führen, dass wichtige Bereiche überhaupt nicht angesprochen und damit »endlos« aufgeschoben werden. Oder es fehlt mir schlichtweg der Mut dazu, unangenehme Wahrheiten auszusprechen, um die Situation zu lösen oder zumindest zu verbessern. Das Nichtansprechen von heiklen Themen ist ein ausgezeichneter Nährboden für schwierige Gesprächssituationen, in denen unsere Schlagfertigkeit gefordert ist. Das Motto »Nur nicht ansprechen, das wird sich schon von selber lösen« ist eine gefährliche Falle, denn irgendwann wird die Ursache für die Untergriffe so weit zurückliegen – oder überhaupt nicht mehr erkannt –, dass eine Aussprache immer schwieriger wird.

Der Elefant im Raum

Während der Coronakrise im Jahr 2020 drehte die österreichische Bundesregierung gemeinsam mit dem Roten Kreuz einen Werbespot mit der Empfehlung, einen Abstand in »der Größe eines Babyelefanten« zu halten.2 Im Englischen gibt es ein weiteres Sprachbild mit dem besagten Tier: »the elephant in the room.« Diese Metapher vom »Elefanten im Raum« hat auch im deutschen Sprachraum Einzug gehalten. Es bezeichnet die Situation, dass ein völlig offensichtliches Problem im Raum steht, es aber trotzdem von niemandem angesprochen wird.

Gerade im Bereich von Schlagfertigkeit beobachte ich, dass diese zwei Sprachbilder miteinander kombiniert die Schwierigkeit ganz gut beschreiben. Spreche ich etwas Offensichtliches – sei es in der Familie, im Freundeskreis oder in beruflichen Teams – über längere Zeit, oft über Jahre, nicht an, so führt dies immer weiter zu Distanz. Leugnen Menschen auf Dauer den »Elefanten im Raum«, so steht zumindest ein »Babyelefant« zwischen ihnen, und die Beziehung wird irgendwann schon allein deswegen schwieriger, weil dieser kleine Elefant mit der Zeit größer wird. Das ursprünglich vielleicht sogar kleine sowie lösbare Problem wird zugedeckt und über Spannungen, Stellvertreterkonflikte und auch persönliche Angriffe ausgetragen.

Ich selbst kann mit diesem Sprachbild des Elefanten wohl auch deswegen viel anfangen, weil einer meiner Onkel tatsächlich Elefanten aus Porzellan und Holz sammelt. In meiner Familie stehen also oft buchstäblich Elefanten im Raum. Das Problem aber sind freilich nur die unsichtbaren Elefanten, die Familienfeiern, Meetings oder Abendessen im Bekanntenkreis oft so bedrückend machen. Neben unklaren Rollen – das Thema Rollenklarheit werden wir später umfangreicher behandeln – gibt es auch Themen, die allen mehr oder weniger bekannt sind, es aber immer wunderbare Ausreden gibt, darüber nicht zu reden: »Bei einer Feier ist ja wirklich nicht der richtige Zeitpunkt.« »Das würde der Großmutter sehr wehtun, daher besser nichts sagen.« »Wenn ich etwas sage, dann bin ich der Störenfried, und das will ich wirklich nicht.« »Ich bilde mir das ohnehin nur ein, sonst hätte jemand anderes schon mal etwas gesagt.« »Es steht mir nicht zu, die Wahrheit zu sagen und dann vielleicht gar jemanden zu verletzen.« Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen. So bleibt der »Elefant im Raum«.

Aber auch unsichtbare Elefanten bringen Fliegen und Mücken mit, um bei diesem Sprachbild zu bleiben. Fliegen stehen für lästige Provokationen, während Mücken kleine verletzende Angriffe darstellen. Fliegen und Mücken sind daher oft nur das Symptom, warum Familientreffen sich manchmal so »schwer«, »schwermütig« oder »lästig« anfühlen. Wenn aber niemand den wahren Grund – den »Elefanten im Raum«– anspricht, dann können auch die erkennbaren Fliegen und Mücken heruntergespielt werden: »Das war doch nichts.« »Sei nicht so empfindlich.« Oder sehr treffend in diesem Zusammenhang: »Du machst schon wieder aus einer Mücke einen Elefanten.«

Ein konkretes Beispiel aus einem beruflichen Kontext: Ich hatte mit dem Geschäftsführer sowie der Personalchefin eines Unternehmens eine Vorbesprechung für eine Teamklausur und wusste bereits die ungefähre Ausgangslage und das Ziel: Es gibt Spannungen im Team, die Zeit und Geld kosten, und das Ziel sei eine offene Aussprache. In der Besprechung meinten beide meiner Gesprächspartner, dass im Grunde alles ganz gut funktioniere und sich alle gut verstehen. Sie berichteten von kleineren Schwierigkeiten, aber nichts klang nur annähernd nach der Ausgangslage, wegen der ich telefonisch im Vorfeld kontaktiert worden war. Ich stellte daher die Frage nach dem Elefanten: »Was darf auf keinen Fall angesprochen werden in der Klausur?« Und beide sagten blitzschnell und tatsächlich gleichzeitig: »Dass Herr Mustermann das einzige Problem ist, das wir haben.« Ich erfuhr dann weiter, dass er bereits seit über 20 Jahren im Unternehmen sei und dass er »jede Schraube« und »jedes Angebot, sogar jedes Schriftstück« in der Firma kenne. Er besitze unglaubliches Wissen und sei damit eine wesentliche Säule des Unternehmens. »Leider«, so der Geschäftsführer, »geht er mehr als respektlos mit jungen Führungskräften um.« Drei der Nachwuchshoffnungen hätten bereits gekündigt, und es verginge keine Woche, in der es nicht Beschwerden gebe. Auf meine Frage, ob direkt mit ihm schon jemand gesprochen habe, war die Antwort ein klares »Nein« und »das geht auf keinen Fall«. Er solle in der Klausur »selber draufkommen«, dass er das Problem sei. Mein Einwand, beruhend auf ähnlichen Erfahrungen, war sinngemäß, dass, wenn niemand über den »Elefanten im Raum« reden wolle – denn es wussten alle Bescheid, und hinter vorgehaltener Hand wurde sehr viel gesprochen–, dann werde es im besten Fall eine mittelmäßige Klausur. Schließlich durfte ja auf keinen Fall über Herrn Mustermann und die Kritik an seinem Verhalten direkt etwas geäußert werden. Der Geschäftsführer versicherte mir, er werde vor der Klausur ein persönliches Gespräch mit Herrn Mustermann führen. Eine Woche vor der Veranstaltung versicherte er mir noch mal, dass alles gut vorbereitet sei und ich keinerlei Bedenken zu haben brauche. Der Klausurtag kam, und der Geschäftsführer gestand mir 20 Minuten vor dem Start, dass sich das persönliche Gespräch doch nicht ergeben hätte. Und so kam es, wie es kommen musste. Herr Mustermann saß exakt in der Mitte eines Tischhalbkreises. Seine Körpersprache war abweisend, seine Mimik ernst und angespannt. Der Geschäftsführer eröffnete die Sitzung und fügte am Schluss seiner Willkommensworte hinzu: »Heute sind alle Fragen erlaubt. Also, gutes Gelingen.« Noch bevor ich die Moderation übernehmen konnte, meldete sich Herr Mustermann: »Dann hätte ich gleich eine Frage: Warum sind wir heute hier? Nichts gegen Sie, Herr Moderator, ich kenne Sie nicht, aber warum sind wir heute hier?« Schweigen. Beklemmende Stille. Alle Blicke waren zuerst kurz auf den Geschäftsführer gerichtet und dann auf mich, der ich bereits startklar vorne in der Mitte stand. Ich sagte: »Herzlichen willkommen. Herr Mustermann, geben Sie dem Klausurtag, Ihnen als Team und auch mir als Moderator eine Chance, und ich hoffe, Sie können die Frage am Abend selbst beantworten.« So begannen wir. In den Pausen suchte ich bewusst das Gespräch mit Herrn Mustermann. Auch er selbst, ein erfahrener und kluger Mensch, wusste, meinem Eindruck nach, ganz genau über den »Elefanten im Raum« Bescheid. Im weiteren Verlauf der Klausur konnten wir viele Punkte ansprechen und Lösungswege vereinbaren. Das Hauptproblem allerdings wurde den ganzen Tag nicht angesprochen, doch es war bereits ein Erfolg, dass die Körpersprache und der gesamte Ausdruck von Herrn Mustermann sich änderten und er genau zuhörte. Insgesamt wurde es aus meiner Sicht zwar eine nur mittelmäßige Klausur, da mehr erreichbar gewesen wäre, hätte der Geschäftsführer, wie vereinbart, das persönliche Gespräch mit Herrn Mustermann gesucht. Doch war sie auch nicht völlig misslungen, weil Letzterer wohl einerseits froh war, dass es nicht um ihn ging, aber andererseits auch erkannte, dass von allen Beteiligten der Wille bestand, seine wichtige Rolle im Unternehmen zu achten, und das Ziel einer respektvollen Zusammenarbeit von allen geteilt wurde. So verkündete er in der Abschlussrunde der Klausur: »Ich war sehr skeptisch heute Morgen, doch jetzt muss ich ehrlicherweise sagen, dass es gut war, mit meinen Kolleginnen und Kollegen auch außerhalb des Unternehmens sprechen zu können. Ich habe auch über mich ein paar Punkte gelernt. Danke!« Ohne die Offenheit von Herrn Mustermann wäre dieser Tag gescheitert. Das persönliche Gespräch zwischen ihm und dem Geschäftsführer fand ein paar Tage nach unserer Klausur statt und sei, so die Rückmeldung an mich, positiv verlaufen. Für mich ist die zentrale Erfahrung aus dieser Klausur, dass es auf Dauer nicht hilfreich ist, wenn sich alle vor der Wahrheit – dem »Elefanten im Raum« – drücken, und dies gilt besonders für die Führungskräfte. Viele kleine und größere Provokationen, Angriffe und Untergriffe – Fliegen und Mücken – hätte man sich wohl ersparen können, wenn das Problem früher direkt und konstruktiv angesprochen worden wäre.

Um diese Quelle – das Nichtansprechen von heiklen Themen – zum Versickern zu bringen, ist es unerlässlich, die Dinge beim Namen zu nennen und nicht aufzuschieben. Dies gilt ebenso für Teams in Unternehmen, wie im oben beschriebenen Beispiel, wie auch im Familien- oder Freundeskreis, in Parteien und Vereinen. Wie man unangenehme Wahrheiten klar anspricht oder schlechte Nachrichten überbringt, werden wir uns im Rahmen von Regel 1 unter Rollenabgrenzung und dem Enttäuschen von Erwartungen näher ansehen.

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