Читать книгу Irma - Michael Tycher - Страница 4
Los Angeles (Kalifornien)
Оглавление„Irma, could we talk …“
„Wir sprechen in diesem Hause Deutsch, wenn wir beide alleine sind, liebe Cathy. Du hast es versprochen und ein wenig Kultur kann nicht schaden. Ich will mich nicht über das amerikanische Wesen äußern, also über was möchtest du mit mir reden?“
Prof. Dr. Irma Mitteldorff ist mit ihren 93 Jahren geistig fit wie kaum jemand in ihrem Alter. Die körperlichen Beschwernisse nimmt sie tapfer hin. Seit einem halben Jahrhundert bewohnt sie dieses Haus, das auffällt, da es mit seinem Landhausstil so gar nicht in das Straßenbild der Coronado Avenue auf Long Beach passen will. Sie und Wilhelm hatten es damals günstig erworben und saniert, heute werden in dieser Lage Schwindel erregende Preise gezahlt.
„Das mit der Reise, hast du dir das gut überlegt?“ Cathy massiert sanft Irmas Rücken, auf dem sich die Spuren eines langen Menschenlebens abbilden. Sie ist nicht Pflegekraft, sie liebt die alte Dame und für ihr Germanistikstudium ist Irma das Beste, was ihr passieren konnte. Es ist eine Win-Win-Situation.
„Meine Liebe, ich sage es heute, ich habe es vor Wochen schon im Kulturverein gesagt, und ein paar Tage vor der Abreise wird sich daran nichts ändern: Ja, ich reise für ein paar Wochen nach Deutschland! Wollt ihr mich alle etwa fesseln und einsperren in dieses Haus hier?“
Noch immer kann Irma emotional hochgehen, sich aufplustern. Wenn sie sich mit ihrer zierlichen Gestalt so ins Zeug legt, dann sollte man den Kopf einziehen, denkt Cathy. Sie legt das Massageöl beiseite und tritt vor Irma.
„Irma, es ist eine lange Reise, alleine schon der Flug, das Ungewisse, und du warst lange nicht mehr in Deutschland gewesen, dort hat sich auch einiges verändert und …“
„Dass ich bis auf einen kurzen Besuch vor ein paar Jahren zur Beerdigung einer alten Freundin ewig nicht in meiner Heimat gewesen bin, hat andere Gründe, du kennst sie. Aber du willst mir doch nicht weismachen, das Deutschland ein Entwicklungsland ist, nur weil wir hier in den Nachrichten kaum etwas über die deutsche Gesellschaft zu hören bekommen. Kindchen, Baseball und diese Dinge mögen interessant sein, aber die USA sind ein medialer Kokon, der sich vordergründig nur mit sich selbst befasst, das darfst du nicht vergessen. Und dieses tolle Massageöl hier gibt es ganz bestimmt auch in Berlin, frag mal dein Internet ab!“
Cathy gießt den frisch gepressten Orangensaft in die Gläser und versucht beiläufig zu wirken, aber es ist ihre letzte Karte.
„Man darf dein Alter nicht unterschätzen …“
„Was sagst du da?“
Cathy ist es falsch angegangen.
„Ich meine wegen der …“
„Halt, ich habe mit diesem Trottel von Arzt, wie heißt er gleich …“
„Dr. Warner!“
„Ja genau, der immer eine so wichtige Miene aufsetzt, wenn er mir ein homöopathisches Mittel verordnet. Der tut dann so, als ob ein verdammt schwerer chirurgischer Eingriff bevorsteht. Ich habe ihn bis jetzt überlebt und seine üppigen Honorare bezahle ich auch. Der wäre im Theater besser aufgehoben und könnte mit seinem Ausdruck in Strindbergs Totentanz als Edgar auftreten, der seine Frau tyrannisiert hat.“
Irma redet sich in Rage, doch sie merkt, dass Herz und Kreislauf dieses Tempo nicht mehr so richtig mitmachen wollen. Sie holt tief Luft und wischt mit einer Handbewegung Cathys Versuch beiseite, das Wort zu ergreifen.
„Aber genau dieser Heiler, dieser Warner, hat mir attestiert, dass nichts gegen eine Reise spricht. Meine altersbedingten Leiden sind nun mal da und der Tod rückt näher. Jedoch spricht keines dieser Leiden gegen eine Fernreise. Das hat dieser Scharlatan bestätigt und mir die Freigabe erteilt.“
„Was willst du um Gottes Willen alles unternehmen in Deutschland, und wie vor allen Dingen?“ Cathy mustert jetzt eindringlich die Miene der alten Dame.
„Du möchtest doch mitkommen, meine Liebste. Das geht aber nicht, jemand muss auf das Haus aufpassen und die Post überwachen. Ich brauche dich hier. Und in Berlin wartet jemand auf mich, der mich begleiten wird.“
„Was? Wer? Wohin denn begleiten?“
„Cathy, das mit dem Leben ist wie eine Bergbesteigung. Du kommst in den Jahren immer höher und höher. Dadurch erlangst du mehr Überblick, manche nennen es Weisheit. Den Begriff finde ich übertrieben, aber da ist schon was dran. Und ich bin schon fast am Gipfelkreuz angelangt.“ Irma legt eine Pause ein.
Cathy rückt näher ran und beendet endgültig die Massage, versteht aber nicht den Sinn der letzten Worte. Sicher die alte Dame hatte ihr Leben lang mit Kultur, vor allem mit dem Theater zu tun gehabt und neigt manchmal zu theatralischen Ausführungen.
„Ich glaube nicht, dass du schon am Gipfelkreuz angelangt bist, da gibt es noch einiges zu erleben für dich.“
„Mag sein Cathy, aber ich möchte noch zwei Dingen in meinem Leben geklärt sehen. Ich möchte die Orte sehen, an denen Wilhelm und ich unsere intensivste Zeit verbracht haben, wo wir uns kennen gelernt haben und von wo wir vertrieben worden sind, weil man uns nicht wollte. Es ist kein Schlussstrich, nenne es späte visuelle Bestandsaufnahme! Zufrieden Kindchen?“
„Nein, du hast von einer zweiten Sache gesprochen, die du klären möchtest. Um was handelt es sich dabei?“
Irma greift ihren Stock und wackelt in die Küche. Cathy ärgert sich, weil Irma das Gespräch abrupt abgebrochen hat. Sie findet es unverschämt.
„Das ist nicht fair Irma, du hast mir noch nicht alles erzählt, was ist da noch zu klären?“, ruft sie hinterher.
Irma dreht sich langsam um.
„Ein schöner Tag heute, wir gehen ein bisschen an den Strand, mit den Füßen im Wasser, man soll viel mehr barfuß im Leben laufen, das sagen …“
„Professor Mitteldorff!“
Cathy kann ihre Wut über ihre Geringschätzung kaum verbergen und greift zu Irmas offizieller Bezeichnung, sie weiß, dass die alte Dame das gar nicht mag.
„Cathy, ich werde es dir erzählen, nicht heute. Es gibt Dinge im Leben, die erzählt man nicht einfach zwischen Massage und Strandspaziergang. Aber ich muss mich von etwas befreien, was mich mein Leben lang begleitet hat. Noch ist der Zeitpunkt dafür nicht gekommen. Und jetzt ist Schluss mit der Diskussion, ich reise nach Deutschland.“
„Okay ich fange nicht wieder damit an, versprochen, aber wie bewegst du dich dort fort? Eine Triathletin bist du ganz sicher nicht?“
„Brauche ich auch nicht zu sein. Es gibt gewisse Hilfsmittel, die ich mir leisten kann und auf die ich gerne zurückgreife.“
„Ja ???“
„Hatte mir bei meinen Kurzbesuch in Berlin auch schon sehr geholfen.“
„Du kennst den heißen Brei Irma, wie ihr Deutsche immer sagt. Du redest da jetzt aber ganz heftig herum. Wer ist es?“
„Ein Chauffeur!“