Читать книгу Irma - Michael Tycher - Страница 6
Hamburg
Оглавление„Schatz! Ist das Trägerlose nicht ein wenig mutig?“
Britta sieht darin aus wie ein Traum. Lars weiß gar nicht, warum sich Frauen zum Ausgehen immer so elegant, reizend und toll rausputzen, dass man vor lauter Appetit am liebsten gleich daheim zur Hauptspeise schreiten möchte. Doch leider ist es dann oft so, dass der Abend interessant ist und lang dauert und schließlich fällt die Erotik der Müdigkeit zum Opfer.
„Du sieht damit hinreißend aus, meine Liebste, ich würde es anbehalten und wenn du nur einen Gedanken daran verschwendest, es jetzt wechseln zu wollen, dann hole ich es dir vom Leib, das geht dann schneller und wir sollten sodann beide etwas Aufregendes davon haben.“
Britta schlüpft in ihre Pumps.
„Heute Nacht, mein Süßer, wir müssen los, wir sind spät dran.“
Es geht mir, seit ich von Berlin nach Hamburg in Brittas große Eppendorfer Altbauwohnung gezogen bin, richtig gut, denkt Lars erfreut. Britta kennt er schon seit ihrer gemeinsamen Studienzeit, hat sie aber zwischenzeitlich aus den Augen verloren. Erst als er in Schwierigkeiten gekommen ist, weil quasi vor seinen Augen ein Fahrgast abgeknallt wurde, sind sie sich nähergekommen. Die Erinnerungen an diesen Pharma-Fall kommen Lars immer mal wieder. Wie gut, dass er damals Britta an seiner Seite hatte. Aber auch die Juristen Bert und Johann, die beiden anderen Studienfreunde, halfen mit vollem Einsatz bei der Lösung des Falles.
„Herr Chauffeur! Können wir heute den Polo nehmen oder steht da wieder so eine Angeberkutsche?“
Britta stichelt ganz gerne, wenn es um Lars Arbeitsgerät geht. Oft nimmt Lars die großen schwarzen Limousinen mit zu Britta. Meist, wenn die Aufträge nahtlos ineinander übergehen oder er einen Fahrgast für längere Zeit betreut und dieser den Chauffeur gerade nicht benötigt.
„Da muss sich die Starjournalistin mit ihrem Trägerlosen in den Polo setzen, sorry. Zurzeit herrscht Auftragsflaute in Hamburg. Aber am Horizont rollt schon eine Riesenwelle Arbeit auf mich zu. Deshalb genieße ich die autofreie Zeit. Übrigens, würde es mich in höchste Freude versetzen, wenn du das Vehikel fahren würdest. Nicht, dass du das Fahren gänzlich verlernst.“
„Wie fürsorglich du bist, das kann nicht unwidersprochen bleiben, mein Lieber. An deinem Sakko fehlt ein Knopf, ich würde es wechseln. Okay, ich fahre.“
Lars betastet das braune Sakko.
„Tatsächlich, ich ziehe das graue an, wenn es recht ist?“ Schwarze Anzüge kann Lars in seiner Freizeit nicht mehr sehen, es ist seine Berufskleidung.
„Klar, aber Tempo, wenn ich bitten darf.“
Mit dem Polo geht es zügig in Richtung Hamburger Rathaus. Der prächtige Bau beherbergt die Hamburger Bürgerschaft und den Senat. Britta steuert das Kfz problemlos durch die von Autos geplagte Innenstadt.
„Was steht da heute eigentlich an? Du hast dich ja ziemlich aufgebrezelt.“
Lars kommt öfter mit zu Brittas Presseterminen, er findet es interessant, wie sie ihre Arbeit macht, und beobachtet gerne die Menschen, die sich dort wichtig tun oder sich einfach für Dinge rechtfertigen, die sie verbockt haben. Bei heiklen Terminen darf er nicht mit, dann sind nur akkreditierte Pressevertreter zugelassen, aber oft genug klappt es. Britta hatte Lars schon mal als ihren Assistenten ausgegeben, das funktionierte problemlos. Wenn es Häppchen oder ein Glas Sekt gratis gibt, dann sagt er nicht nein.
„Im Rathaus wird heute eine Ausstellung eröffnet. Wir als großes deutsches Nachrichtenmagazin stehen automatisch auf der Presseliste. Wir werden sicher nicht sofort darüber berichten, aber Anwesenheit, gerade bei diesem sensiblen Thema, ist von der Chefredaktion erwünscht.“
„Was für ein Thema? Das klingt ja geheimnisvoll.“
„Die versteckten Juden in Hamburg“, erklärt Britta.
„Während der NS-Gewaltherrschaft wurden die deutschen Juden in die Vernichtungslager nach Osten deportiert. Das Reich sollte judenfrei sein, so wollten es Hitler und seine Mörderbande. Die meisten hat es dann auch erwischt. Entweder sind sie freiwillig zu den Sammelpunkten gekommen und wollten an einen Arbeitseinsatz im Osten glauben oder die Gestapo hat sie gewaltsam abgeholt.“
„Halt Moment mal, es handelt sich also um ein NS-Thema, richtig?“
„Ja, Herr Chauffeur, sie haben es erkannt. Ich hoffe, das führt weder bei ihnen zu einer intellektuellen Überforderung noch zu dem ‚Ich kann es nicht mehr hören, außerdem war ich nicht dabei.“
Lars fühlt sich ertappt. Genau in diese Richtung wollte er gerade lospoltern. Doch auch er hatte als Chauffeur in Berlin viel mit Juden und Veranstaltungen im Zusammenhang mit dem Holocaust zu tun gehabt. Er erinnert sich an ein altes Pärchen, das er durch die Ausstellung der Wannsee-Villa geführt hatte. Dabei blieb ihm oft fast die Luft weg, als er schwarz auf weiß in den Protokollen der Wannsee-Konferenz nachlesen konnte, wie eiskalt logistisch der Mord an Menschen mit jüdischem Glauben durchgeführt worden ist. Ein paar Tage später ist Lars wieder in die Wannsee-Villa gefahren und hat weitere Dokumente gelesen, diesmal alleine.
Lars legt eine ernste Miene auf.
„Nein, das geht schon in Ordnung, ich war bloß nicht auf dieses Thema vorbereitet, aber jetzt bin ich bereit. Du musst also nichts über diese Ausstellung schreiben, sondern nur Präsenz zeigen? Habe ich das richtig verstanden?“
„Nicht so ganz, ich werde etwas für unseren Recherche-Pool schreiben. Du weißt doch, wir sammeln und sammeln bis endlich eine Geschichte daraus wird. So arbeitet dieses Nachrichtenmagazin schon seit Jahrzehnten. Wichtig ist heute, wer da ist und wer welche Reden hält. Immerhin heißt es, dass der Bundespräsident auch kommen soll.“
„Wow, und ich fahre ihn nicht, da hat er was versäumt. Aber halt, setze mich doch bitte weiter ins Licht. Was heißt: Die versteckten Juden in Hamburg?“
Britta hält die Augen auf, denn ein Parkplatz muss her.
„Nicht alle Juden wurden in die Vernichtungslager deportiert. Es gab mutige Hamburger, die sie bei sich in der Wohnung oder im Garten versteckt haben, und das über Jahre. Sie haben sie verpflegt und ihnen Mut zugesprochen. Einige haben überlebt, andere nicht. Sie sind durch Verrat aufgeflogen oder bei der Bombardierung durch die Amerikaner und Briten getötet worden. Sie konnten ja schließlich nicht mit in den Luftschutzkeller. Aber, es waren nur ganz wenige Deutsche, das muss auch deutlich gesagt werden, die so ein Risiko eingegangen sind.“
„Du meinst, man sollte aufpassen hier nicht den Gutdeutschen zu verkaufen?“
„Genau das ist der Knackpunkt, der politische. Es gibt inzwischen sogar die Vermutung, dass die Menschen, die deutsche Juden, also fast ihre Nachbarn, versteckt haben, miteinander in Verbindung standen. Sie haben sozusagen ein Netzwerk gebildet.“
„Hochinteressant! Warum parkst du nicht einfach hier rechts ein und steckst dein Presseschild hinter die Windschutzscheibe?“ Lars zeigt auf einen freien Parkplatz, der sich allerdings im Halteverbot befindet.
„Du weißt, wie ungern ich die Journalistin raushängen lassen möchte. Ich finde es peinlich, auf diese Privilegien zu pochen. Übrigens das gilt auch für Häppchen auf Pressekonferenzen. Ich vermeide diese Art von Verpflegung. Ich komme mir dabei etwas gekauft vor.“
Britta hat Recht, denkt Lars, er wird sich beim Catering zurückhalten.
„Was hältst du davon, wenn wir hinterher zu unserem Eppendorfer Italiener gehen und uns noch was Gutes antun?“ Britta hat schon die Lösung für die Nahrungsaufnahme gefunden.
„Gute Idee, aber nicht so richtig doll viel essen, den Hauptgang möchte ich lieber bei uns zu uns nehmen.“
Die ‚Trattoria Campo da Franco’ liegt nicht weit von Brittas und Lars’ Wohnung, die sich in der Geschwister-Scholl-Straße befindet, entfernt. Das Restaurant ist in dem Haus, wo einst der Komponist Johannes Brahms wohnte, und glänzt mit apulischer Gastlichkeit. Es ist gemütlich eingerichtet und das Essen schmeckt vorzüglich. Es ist das Stammlokal des Chauffeurs und der Journalistin.
„Ich fand die Reden steif. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass es beim Wettkampf – wer zeigt die größte Betroffenheitsmiene – keine Verlierer gab. Und dass der Bundespräsident nur einen Gruß verlesen ließ, ist enttäuschend. Dann hätte er seine Anwesenheit gar nicht erst ankündigen sollen.“
Lars füllt in beide Gläser den Rest des offenen Rotweins und schaut Britta tief und intensiv in die Augen. Britta erwidert den Blick.
„Ich empfinde es auch so. Man sollte mal, wenn der Wirbel vorbei ist, sich die Zeit nehmen und die Ausstellung in aller Ruhe ansehen. Ich habe leider nicht viel von den Exponaten mitbekommen. Aber jetzt würde mich der Hauptgang interessieren. Du hattest ihn großspurig angepriesen.“
„Dann sollten wir bezahlen und die Lokalität wechseln, hoppla mein Handy vibriert.“
Lars schaut auf das Display.
„Das ist ‚Very first class Limo’ aus Berlin, um diese Uhrzeit. Die wissen doch, dass ich nicht mehr in der Hauptstadt arbeite. Vielleicht haben sie einen Job für mich hier in Hamburg.“
„Geh doch ran, dann weißt du es“, fordert Britta.
„Lars Maibach.“
„Wunderlich vom Limoservice, für die späte Störung entschuldige ich mich, es ist aber schön, dass ich sie noch erreiche.“
„Was kann ich für sie tun, Frau Wunderlich?“
„Ich weiß, sie arbeiten jetzt vornehmlich in Hamburg, aber wir haben da ein kleines Problem.“
„Wenn ich helfen kann, wäre es mir eine große Freude.“ Lars zuckt mit den Schultern, um Britta zu signalisieren, dass er immer noch nicht weiß, um was es geht.
„Sie haben vor Jahren eine Dame aus den USA für ein paar Tage in Berlin betreut, Frau Professor Doktor Mitteldorff. Sie ist eine Deutsche. Können sie sich erinnern?“
Lars versucht sich zu erinnern.
„Nicht wirklich, ich habe mit sehr vielen Menschen in den letzten Jahren zu tun gehabt …“
„Es ist eine ältere Dame gewesen, sie ist wegen einer Beerdigung nach Berlin gekommen und …“
Jetzt fällt bei Lars der Groschen.
„Ja, ich erinnere mich, ein freundliches Wesen, richtig, wir hatten trotz des traurigen Umstandes viel Spaß gehabt.“
„Genau jene Dame kommt wieder nach Berlin und möchte wieder sie als Chauffeur buchen, natürlich nur, wenn sie Zeit haben und den Job auch annehmen würden. Und sie möchte darauf hinweisen, dass sie in den letzten Jahren nicht beweglicher geworden ist. Ich denke, sie bräuchte ein wenig Hilfe bei einigen Dingen“, analysiert Frau Wunderlich.
„Um was für einen Zeitraum handelt es sich“, möchte Lars wissen.
„Ein, maximal zwei Wochen hat sie angegeben. Wir würden gerne ihnen, Herr Maibach, den Auftrag geben. Zu ihrer Bezahlung würden wir einen erhöhten Spesensatz ansetzen und die Fahrt nach Berlin in der zweiten Klasse übernehmen. Würden sie zusagen, vermitteln wir ein kurzes Vorgespräch mit Professorin Mitteldorff, sie hat darauf bestanden, auch wenn es in unserem Geschäft sehr ungewöhnlich ist. Haben sie die Eckpunkte mitbekommen?“
„Ja, soweit ist alles klar, ich muss aber erst hier in Hamburg meine Terminplanung prüfen und absprechen.“ Lars ist sich noch unsicher.
„Geben sie mir morgen im Laufe des Tages Bescheid, das reicht uns völlig.“