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TEIL I

Erez Ysrael

50 n. Chr.

Alles, was Gott tut, ist unabänderlich für alle Zeiten. Der Mensch kann nichts hinzufügen und nichts davon wegnehmen. So hat es Gott eingerichtet, damit wir in Ehrfurcht zu ihm aufschauen. Was in der Vergangenheit geschah und was in der Zukunft geschehen wird, hat Gott schon lange zuvor festgelegt. Und die Zeit, die uns entschwunden ist, ist bei ihm nicht vergangen.

(aus dem Buch Kohelet, 14-15)

*

Jeden Tag staune ich von neuem darüber, solche Liebe zu empfinden. Mein Herz strömt über davon. Meine wunderbare kleine Tochter verwandelt mich. Sie ist ein Geschenk, für das ich immer dankbar sein werde. Ich werde sie aufwachsen sehen und an ihrer Seite sein, wenn sie mich braucht. Ich werde sie mit den Krallen einer Löwin beschützen, wenn die Umstände es verlangen. An jedem neuen Morgen werde ich den Segen des Herrn auf sie herabrufen und sie in der Nacht unter seinen Schutz stellen.

Sie ist einer von drei Sternen, die an meinem Himmel für mich leuchten und durch die alle Nöte des Alltags erträglich werden. Drei Sterne, drei Lieben. Teile meines Lebens, Teile meiner selbst. Das Leben zeigte mir, wie dunkel es wird, wenn ein Stern verblasst und wie sehr es schmerzt, wenn man versucht, eine Liebe festzuhalten. Es ist unmöglich. Zwei meiner Sterne leuchten nur noch in meiner Erinnerung, still, verborgen vor den Augen aller.

Umso heller wurde mein Leben durch das kleine Mädchen, das der Allmächtige mir schenkte. Ich gab ihr den Namen eines Bootes, das mich vor langer Zeit über den Yam Kinneret trug, den großen galiläischen See, an dessen Ufern ich aufwuchs. Damals war ich eine junge Frau, dem Mädchenalter kaum entwachsen. An jenem Tag geriet unser Boot in ein Unwetter. Der Sturm rollte aus dem Westen über den Rücken der Golanberge heran, der Himmel färbte sich dunkelgrau. Die Wolken hingen tief, sodass man glaubte, Himmel und See seien miteinander verschmolzen. Das Boot befand sich mitten auf dem See und an Bord waren über ein Dutzend Menschen. Irgendwann zerfetzte der Sturm das Segel. Die Gischt griff mit wilden, schaumigen Krallen ins Innere des Bootes, die Männer konnten sich kaum auf den Beinen halten und ihre Gesichter waren starr vor Angst. Im Heck des Bootes aber lag einer der Männer und schlief. Es war der, den wir Rabbi Jeschua nannten. Die Schreie der Männer dröhnten in meinen Ohren. Ich begriff, dass das Boot zu kentern drohte, wenn der Sturm sich nicht legte. Ohne darüber nachzudenken, erhob ich mich. In jenem Augenblick, da der Wind mir scharf ins Gesicht schnitt und ich die Gefahr in ihrem ganzen Ausmaß erkannte, wurde ich niedergeschleudert. Jeschua fing meinen Sturz mit seinem schlafenden Körper ab. Mein Kopf kam in seiner Halsgrube zu liegen und im Schlaf schloss sich sein Arm um mich. Ich ruhte dort wie in einer schützenden Hülle und war plötzlich sicher, dass mir in seiner Umarmung nichts geschehen würde. Die Männer schrien um ihr Leben, doch ich verspürte nicht die Spur einer Angst. Irgendwann wachte Jeschua auf. Er erhob sich, blickte über den tosenden See und sogleich legte sich das Unwetter. Es war das erste Mal, dass ich mich vollkommen auf einen anderen Menschen verließ und ich bekam eine Ahnung davon, was es bedeutete, Jeschua mein Leben anzuvertrauen.

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Ostrakon. Die Scherbenhüterin

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