Читать книгу Mit mir die Nacht - Michaela Kastel - Страница 12
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ОглавлениеHier stand einmal eine Hütte. Man erkennt den Grundriss anhand des verkohlten Bodens, der wie ein Schandfleck die makellose Schneelandschaft verunstaltet. Verbrannte Balken, Rußflecken, zwei herrlich verkohlte Leichen im Schutt. Tod durch Feuer, böse Sache. Jaxx schluckt. Sollte der Sensenmann jemals auf einen Sprung bei ihm vorbeischauen, so würde er das hoffentlich aufgrund eines sauberen Schusses in den Kopf oder in die Brust. Wenn schon exekutiert, dann durch eine Kugel. Aber exekutiert. Für eine höhere Sache.
»Packt die Leichen ein«, befiehlt er Jolly und Roger, die ihn auf dieser Mission begleiten. »Und dann nichts wie weg. Keine Spuren, habt ihr verstanden? Das alles hier muss verschwinden.«
»Ja, Boss.«
Während die beiden sich an die Arbeit machen, geht er die unmittelbare Umgebung ab. So weit im Norden hat die Sonne kaum noch Kraft. Ein goldenes Zwielicht durchströmt den Nadelwald und lässt die Bäume lange, dunkle Schatten werfen. Dass sie hier nichts als Leichen vorfinden würden, hatte Jaxx vermutet. Über eine Woche lang hatten sie nichts von Drag und King gehört. Die beiden waren aufgebrochen, um die Tochter des Direktors und den Verräter Shark aufzustöbern, eine saublöde Entscheidung, wie Jaxx findet, dafür zwei Rekruten auszusenden. Doch Mistress geht ungern Risiken ein, was den Verschleiß der Truppen angeht, daraus ergibt sich zwangsläufig eine rückläufige Erfolgsquote.
Sie hatten deswegen bereits ein Gespräch, Mistress und er. Überhaupt lässt sie keine Gelegenheit aus, ihn in ihr prunkvolles, blumenverseuchtes Büro zu zitieren, in dem er so starke Kopfschmerzen bekommt, dass die Diskussionen selten lange andauern.
»Ich weiß deinen Input zu schätzen, Jaxx, aber hier entscheide immer noch ich, wer wofür eingesetzt wird.«
»Wie Sie wünschen, Mistress.«
»Du wirkst in letzter Zeit etwas erschöpft. Kann ich weiterhin auf dich zählen?«
»Ich bin voll einsatzfähig.«
»Was hältst du von einer kleinen Runde Spa? Wir haben hier phantastische Masseure, wie du weißt.«
»Ich brauche keine Massage, Mistress.«
»Dann vielleicht einen guten Kräutertee zur Entspannung? Er stammt aus meinem eigenen Garten. Hier, probier einen Schluck.«
So unverhohlen. Wie sie es versucht, jedes Mal. Jaxx ist kein Rechengenie, aber dass er in diesem Laden längst eine leitende Position innehätte, wenn er nur einmal diesen beschissenen »Tee« mit ihr trinken würde, ist sonnenklar. Seine Kollegen bewundern ihn. Weil er standhält, anstatt nachzugeben. Weil er lieber ein Leben lang die Klos hier schrubben würde, als ein Mal neben dieser Hexe aufzuwachen.
Der Schnee ist hart und tief, etwaige Spuren wurden längst von der Witterung vernichtet. Jaxx stapft dennoch weiter Richtung Norden, immer tiefer in den Wald, bis er in der Dämmerung etwas entdeckt. Eine verdächtige Ausbeulung im Schnee. Er macht diesen Job bereits viel zu lange, um improvisierte Gräber nicht aus einem Kilometer Entfernung zu erkennen. Außerdem wurde es markiert. Eine Axt steckt mit dem Beil voran im Schnee. Wie ein Grabstein.
Sieh an.
Er dreht sich nach der Hütte um. Jolly und Roger sind zwischen den Bäumen nur noch schemenhaft zu erkennen.
»Heda, herkommen! Und bringt Schaufeln mit! Ich hab da was gefunden.«
Keuchend heben Jolly und Roger das Grab aus. Jaxx steht daneben und überwacht die Lage. Boss-Bonus. Bei diesen Temperaturen und Bodenbedingungen macht Graben absolut keinen Spaß. Er weiß nicht, was er zu finden hofft, aber er wird keine Spur außer Acht lassen. Und wenn sie die ganze Nacht graben.
Doch das ist gar nicht nötig. Nach ungefähr einem Meter haben sie den Leichnam gefunden. Ein Junge, die Kälte hat ihn gut konserviert. Schuss in die rechte Schläfe. Exekutiert. Ein guter Tod.
Was für große blaue Augen. Sie starren ihn an.
»Kennen wir den?«, fragt Jolly.
Jaxx schüttelt den Kopf.
»Brauchen wir den?«, fragt Roger.
Schwer zu sagen. Es könnte ein Zufallsfund sein, der nichts mit ihrem Auftrag zu tun hat. Das glaubt er aber nicht. Dieser Junge starb zum gleichen Zeitpunkt wie die verbrannten Männer in der Hütte. Jedoch gab es jemanden, der den Brand überlebt hat. Der dieses Grab ausgehoben und den Jungen bestmöglich bestattet hat. Auch wenn er offenbar nicht die Zeit hatte, ihm die Augen zu schließen.
»Schaufelt das Grab wieder zu.«
»Echt jetzt?«
»Und macht es ordentlich! Es soll alles so aussehen wie zuvor.«
Denn Leichenfledderei wird hier bestimmt nicht betrieben, nicht während seiner Schicht. Außerdem will er diese Augen nicht länger auf sich spüren. Der Junge hat Frieden verdient. Jaxx kennt ihn nicht, aber dessen ist er sich sicher.
Mit grimmigen Gesichtern machen sich die beiden wieder ans Werk. Als sie fertig sind, macht Jaxx Fotos vom Grab für die Akten, wie er es auch bei der verbrannten Hütte getan hat. Wer auch immer dieses Grab ausgehoben hat, läuft noch frei herum. Und dieser Jemand war höchstwahrscheinlich ziemlich sauer auf Drag und King.
Drei Tage später. Mit Bleifuß sind sie ins Institut zurückgefahren, um den Direktor über den Fund im Norden zu informieren. Doch wie so oft in letzter Zeit lässt er sich vertreten. Man munkelt, es gehe ihm immer schlechter. Der Lungenkrebs fordere endgültig seinen Tribut. Während Jolly und Roger dazu abkommandiert wurden, die Leichen loszuwerden, sitzt Jaxx in einem gut gepolsterten antiken Stuhl und erstattet Mistress Bericht. Der Leichenjob wäre ihm lieber.
»Und da war sonst nichts?«, fragt sie, als sie drei Stück Zucker in ihre Teetasse gibt und vorsichtig nippt. »Keine Spuren, keine anderen Leichen?«
»Nur das Grab, von dem ich berichtet habe.«
»Wieso hast du die Leiche des Jungen nicht mitgenommen?«
»Ich habe sie als nicht wichtig eingestuft.«
»Seit wann wirst du fürs Einstufen bezahlt?«
Jaxx antwortet nicht. Diese Frau. Die Hölle muss sie ausgespien haben, weil sie dem Teufel zu radikal war. Zurückgekämmtes blondes Haar, kantiges Gesicht, eiskalte Augen, die sich niemals von ihm abwenden. Eine Schlange, die ihre Beute hypnotisiert. Sie muss irgendwann einmal sehr schön gewesen sein, doch das war lange, bevor sie hier aufgetaucht ist. Jaxx weiß nichts über ihren Werdegang, niemand weiß es. Eines Tages war sie einfach da. Adrett gekleidet, stets professionell, stets an der Seite des Direktors. Ein hübsches Accessoire, das sich erfolgreich zur Teamleiterin hochgearbeitet hat. Anfangs traf man sie nur selten an, wenn sie in den Gärten spazieren ging oder an einem der Fenster stand. Jetzt scheint sie den Laden im Alleingang zu führen. Der Direktor ist wie vom Erdboden verschluckt. Mistress sagt, er erhole sich in seinen Gemächern. Seit Wochen ist sie die Einzige, die ihn besuchen darf. Stille Übernahme nennt sich das.
»Drei Leichen also«, fasst sie zusammen. »Zwei von unseren Leuten, ein unbekannter Junge.«
»Korrekt.«
»Keine Spur von Madonna und Shark?«
»Nein, nichts.«
Sie schlürft sinnierend ihren Tee.
Jaxx beobachtet sie. Er hat sie bereits vor Monaten durchschaut. Die strenge Dame, die denkt, sie hätte Macht über ihn. Weil sie im Büro des Direktors residiert und offenbar keine Feinde hat. Im Laufe der Zeit hat sie diesem Raum ihren Stempel aufgedrückt. Die alten Holzvertäfelungen sind Blumenarrangements gewichen, und wo früher edelste Tropfen lagerten, befinden sich nun Fläschchen und Tiegel mit Kräutersäften. Besuchszeiten wurden angepasst, neue Regeln veranlasst. Überall hat sie ihre Finger im Spiel, nur ihn lässt sie kalt, und er möchte wetten, das gefällt ihr überhaupt nicht.
»Ich frage mich, was der Direktor wohl zu deinem Versäumnis zu sagen hat«, spricht sie weiter.
»Welches Versäumnis?«
»Den toten Jungen nicht herzubringen.«
»Er war nicht von Bedeutung, das habe ich schon gesagt.«
»Ich sehe das anders. Und der Direktor bestimmt auch.«
»Das möchte ich gerne von ihm selbst hören.«
»Dein Tee wird kalt.«
»Ich bin nicht durstig, danke.«
Nahezu geräuschlos stellt sie die Tasse ab. Der garantiert sündhaft teure Stuhl knarrt, als sie sich über den Tisch beugt und ihm direkt in die Augen sieht.
»Ich sehe das so, Jaxx. Du warst schlampig, und das muss ich melden. Aber du bist einer meiner besten Männer. Verzwickte Situation. Was machen wir da nur?«
Sie trinkt weiter ihren Tee, Jaxx verzieht keine Miene.
»Ich könnte ihm natürlich verschweigen, was du da alles versäumt hast. Dieses kleine, aber feine Detail einfach nicht erwähnen.«
»Das könnten Sie.«
»Was kriege ich dafür?«
»Sollte ich nicht weiterarbeiten, Mistress?«
Sie lächelt. »Ganz der emotionslose Soldat, den wir aus dir gemacht haben, nicht wahr? Sag, ist dir niemals kalt in der Nacht? Ist da wirklich nichts, wonach du dich sehnst?«
»Ich denke, ich sollte jetzt weiterarbeiten, Mistress.«
Sie stellt seufzend ihren Tee ab. »Schön, dann verschwinde.«
Nur zu gerne. Jaxx nimmt Reißaus. Aus dem Büro und mit Höchsttempo den langen Korridor entlang. Bis der süßliche Duft ihrer Blumendeko aus seiner Nase verschwunden ist und er endlich wieder frei atmen kann.
Er will nach Flora schauen, er hat sie tagelang nicht gesehen. Doch er muss noch warten. Zu dieser Uhrzeit nehmen die Mädchen gerade ihr Abendessen ein.
Unterwegs zu seinem Zimmer läuft ihm Frost über den Weg. Altbekannte Fratze, neues Sakko, gut gelauntes Grinsen. Er weicht nicht aus, wenn er Jaxx erblickt. Er weiß genau, wie die Machtverhältnisse in diesem Haus geregelt sind. Er ist König, Jaxx ist Leibwächter. Klare Sache. Dieses Grinsen. Jaxx’ Fäuste kribbeln.
»Warum so grimmig, Kollege?«, fragt er Jaxx im Vorbeigehen. »Ihr macht einen tollen Job, nur weiter so!«
Jaxx geht weiter. Stammkunde. Tabu. Er erreicht sein Zimmer, geht duschen und wartet.
Um achtzehn Uhr werden die Mädchen zurück in ihre Zellen gebracht. Jaxx ist pünktlich, aber Flora ist nicht da.
»Wo ist Fairy?«, fragt er einen der Wärter.
»Die ist auf der Krankenstation. Es gab einen Zwischenfall.«
»Was ist passiert?«
»Einer der Kunden war etwas grob. Schade, sie hatte einen so guten Lauf. Jetzt wird sie für einige Wochen ausfallen, falls sie überhaupt wieder fit wird.«
Frost. Jaxx hat es glasklar vor Augen: das Blut, das an die Wände spritzt, die Gliedmaßen, die zerbersten. Ein Schlachtfest mit Beil und Haken. Und er darf nicht.
»Wer war es?«, fragt er zur Sicherheit.
Der Wächter zögert. »Ich hab nur Gerüchte gehört –«
»Wer war es?«
»Ich glaub, Frost.«
»Aber ich hab ihn gesehen. Er läuft gemütlich im Haus herum.«
»Du weißt ja, wie das ist, Mann. Treuebonus und so.«
Richtig. Treuebonus. Kommt für gewöhnlich mit der Rechnung. Und die bekommt das Dreckschwein jetzt serviert.
Er findet ihn auf einem der Aussichtsbalkone. Die Nacht ist mittlerweile hereingebrochen, am Himmel regieren die Sterne. Im Anzug steht Frost an der Balustrade und hält ein Sektglas in der Hand. Feiert sein Dasein.
Stammkunde. Tabu. Nicht mehr länger. Auch Stammkunden haben sich an die Regeln zu halten.
Jaxx ist lautlos, ein Phantom ist er, Waffen braucht er nicht. Bloß seine Hände und seine unbeschreibliche Wut.
Am Hals gepackt und gegen die Wand geschleudert. Zack. Den Kopf gegen den harten Stein. Einmal, zweimal, Blut spritzt, und schon ist es vorbei. Mit einem Knacken platzt die Schädeldecke auf, und erschlafft sinkt der Körper zu Boden.
Jaxx atmet tief durch. Einer weniger. Ein Dreckschwein weniger auf dieser Welt.
Aber was nun? Die Leiche muss verschwinden. In den Verbrennungsofen, rasch. Seit Jolly und Roger die beiden Brandopfer abtransportiert haben, sind nur wenige Stunden vergangen. Mit etwas Glück ist der Ofen noch in Betrieb. Jaxx hebt den blutüberströmten Mistkerl hoch und wirft ihn über das Geländer. Die Leiche landet in den Büschen unter dem Gebäude, gut versteckt, niemand hat es bemerkt. Jaxx nimmt die Treppe ins Erdgeschoss, durch die doppelte Terrassentür geht er raus in den Garten.
Es ist dunkel. Die Leiche hat er dennoch schnell gefunden. Über die Schulter damit und los geht’s. Die Verbrennungsöfen liegen in den Katakomben unterhalb des Gebäudes. Es ist ein richtiges Höhlensystem da unten, ein unterirdischer See liegt glatt wie ein Spiegel zwischen den Felsen, über einen Grotteneingang gelangt man mit dem Boot nach draußen. Die Öfen befinden sich in einem isolierten Raum, wo auch die Leichen tiefgekühlt werden. Jaxx kennt den Geheimgang nach unten, den man über das Mausoleum erreicht. Er kennt die enge Steintreppe, die hinab in die Dunkelheit führt, er kennt die Kombination des Schlosses, und er kennt auch den Wachmann, der gelangweilt vor einem PC sitzt und ihn nicht mal ansieht.
»Noch einer?«, fragt der Mann.
»Es waren drei Leichen, fragen Sie Mistress. Die dritte musste erst noch untersucht werden.«
»Schon gut, einfach rein mit dem Knaben.«
Völlig richtig. Rein mit dem Arschloch. In den Ofen, der das Fleisch zerfrisst, bis auf die Knochen. Man wird Fragen stellen. Antworten suchen. Und eher als erwartet wird man Frost vergessen haben. Eine geschlossene Akte. So läuft das hier. Ist ein hartes Geschäft. Betreten auf eigene Gefahr.
Zurück an der Oberfläche, muss er erst einmal zur Ruhe kommen. Er sieht sich um, alles nimmt seinen gewohnten Lauf. Die ersten Abendkunden kommen mit ihren protzigen Wagen an. Eine gut gelaunte Truppe, sie kennen sich, haben gemeinsam bloß ein bisschen Spaß. Nicht zum ersten Mal verspürt Jaxx diesen ganz gewissen Abscheu zwischen den Rippen, einen Schmerz, der fast schon unerträglich ist, doch zum allerersten Mal wünscht er, er könnte etwas dagegen unternehmen. Sie ausrotten, das Pack, einen nach dem anderen. Und danach dieses Haus bis auf die Grundfesten niederbrennen. Damit nichts mehr übrig bleibt. Nichts als all die Knochen tief unter der Erde.
Nun muss er putzen gehen. Das Blut am Balkon und an der Fassade beseitigen. Bis alles wieder aussieht wie neu. Was für ein Glück, dass er weiß, wie das geht.
Sie liegt in einem Krankenbett, festgeschnallt, obwohl sie sich ohnehin nicht bewegen kann. Ihre Lippen und ihr linkes Auge sind geschwollen. Laut dem hiesigen Arzt sind drei ihrer Rippen geprellt. Außerdem hat sie eine Gehirnerschütterung und Verstümmelungen an den Schamlippen, die vermutlich von einem Teppichmesser stammen.
Offiziell ist es verboten, die Mädchen so zuzurichten. Sie müssen schließlich noch einige Zeit halten. Allerdings gibt es immer wieder Kunden, die diese Regeln eher als unverbindliche Richtlinien sehen. Sie bekommen dann für eine bestimmte Zeit Hausverbot oder müssen die medizinischen Kosten tragen. Mehr nicht. So war es immer. Der Kunde ist König.
Jaxx berührt sanft ihre Stirn. Man hat ihr Beruhigungsmittel gegeben, sie schläft tief und fest. Selbst so ist sie noch wunderschön. Schlafend, geschunden, allen Lebenswillens beraubt. Wie kann man nur? Wie kann man mutwillig etwas so Zartes, Schönes zerstören? Als wäre sie nichts wert.
Jetzt wird es nicht mehr lange dauern. Sie ist aus dem Rennen, ein Spielzeug außer Betrieb. Bloß noch eine Last für das Unternehmen. Ein paar Tage noch wird man warten, und wenn sich ihr Zustand nicht verbessert, wird man sie entsorgen. In den Katakomben, wo auch ihr Schlächter schmort. Das muss Jaxx um jeden Preis verhindern.
Frosts Verschwinden hat schnell die Runde gemacht. Es kursiert das Gerücht, er sei unangekündigt abgereist. Andere tippen auf einen »Unfall«. Beliebt war der Mann bei keinem so wirklich, jeder hätte einen Grund, ihn kaltzumachen. Aber sie sind hier nicht in einem Rechtsstaat. Keine Ermittlungen, keine Recherche. Bloß die engsten Vertrauten Frosts machen Probleme, weil sie Fragen stellen, die niemand beantworten kann. Gepriesen sei der Vertrag, den jeder Kunde unterschreibt. Darin wird die Haftung des Instituts für alle Eventualitäten ausgeschlossen.
Dennoch. Intern macht sich miese Stimmung breit. Noch nie zuvor hat es einen derartigen Vorfall gegeben. Noch nie ist ein Kunde zu Schaden gekommen oder gar verschwunden. Man hat hier einen Ruf zu verlieren.
Anfangs hält Jaxx es für Routine, als Mistress ihn in ihr Büro bittet. Doch sehr bald wendet sich das Blatt.
»Arbeitest du gern für uns, Jaxx? Gehst du mit unserer Philosophie konform?«
»Ich tue, was mir aufgetragen wird.«
»Das war nicht meine Frage.«
»Wie genau lautet denn Ihre Frage, Mistress?«
Sie hat wieder dieses Lächeln im Gesicht. Das Grinsen einer Schlange, kurz bevor sie zubeißt.
»Man hört Gerüchte über dich, Jaxx. Über dich und die Nummer 28. Ist da was Wahres dran?«
»Ist das Ihre richtige Frage, Mistress?«
»Es ist kein Geheimnis, dass du Frost nicht ausstehen konntest. Welch Zufall, dass er verschwunden ist, kurz nachdem er Fairy so zugerichtet hat.«
»Ich warte immer noch auf Ihre Frage, Mistress.«
»Du hast recht. Ich sollte dich bloß das fragen, was ich tatsächlich noch nicht weiß. Also: Was wärst du bereit zu tun, um deine kleine Fee vor dem sicheren Tod zu bewahren?«
Jaxx sieht der Schlange reglos in die Augen. Beinahe ist er fasziniert. Wie lange sie auf diesen Moment gewartet haben muss. Wie viel sie wusste, all die Zeit, um es zum richtigen Zeitpunkt gegen ihn einzusetzen.
»Alles«, antwortet er.
»Das dachte ich mir. Und es freut mich zu hören, dass ich richtiglag, denn es gibt tatsächlich etwas, das du für uns tun kannst. Für mich, den Direktor und diese Institution, der du doch so lange treu gedient hast.« Sie schiebt eine Mappe über den Tisch. »Bring uns diese Person lebendig und unversehrt, und du und Fairy habt freies Geleit. Ihr könnt gehen. Gemeinsam.«
»Habe ich Ihr Wort? Und das des Direktors?«
»Bei meiner Seele.«
Jaxx öffnet die Mappe. Das müsste er nicht, denn die Zahl auf dem Umschlag hat ihm bereits alles verraten. Die Frau aus Zelle 13. Nach der jeder in diesem Gebäude seit Wochen auf der Suche ist. Die Tochter des Direktors.
»Wie viel Zeit habe ich?«, fragt Jaxx.
»So lange, bis der Direktor an seinem Leiden verstirbt.« Sie lehnt sich in ihrem Stuhl zurück und schwenkt zufrieden ihre Teetasse. »Du solltest also nicht trödeln. Denn wie du siehst, habe ich es mir hier schon sehr gemütlich gemacht.«