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Ein dunkles, enges Zimmerlein, tief versteckt im Herzen des Gebäudes. Ein rostiger Klapptisch, eine Leselampe und die langsamste Internetverbindung der Welt. Aber der Laptop ist Spitzenklasse. Soll ja schließlich was hermachen, die hauseigene Killertruppe. Kosten zu scheuen ist was für Stümper. Ein Mann ist immer nur so gut wie sein Werkzeug.

Vorbereitung ist wichtig. Ohne gründliche Recherche läuft bei Jaxx gar nichts. Die Frau aus Zelle 13. Er kann sich an sie erinnern. Im Institut kennt sie jeder. Was ihre Vorgeschichte angeht, so hat er verschiedene Varianten gehört, doch eines ist klar: Diese Frau ist Gold wert.

Jaxx arbeitet bis tief in die Nacht. Stets griffbereit ein Becher Kaffee und eine Packung starke Kopfschmerztabletten aus seinem gut sortierten Medizinschrank. Opiate, Aufputschmittel, Tranquilizer, alles da, was das Junkie-Herz begehrt. Wobei er sich nicht als süchtig bezeichnen würde. Höchstens als schwer zu behandeln. Bei einem Mann seiner Körpergröße entfalten die meisten Substanzen erst ab einer gewissen Mindestdosis ihre Wirkung. Das Los der Hünen, wie sein Vater zu sagen pflegte. Von ihm hat Jaxx zweifellos nicht nur den strammen Körperbau, sondern auch den Fleiß, den gewitzten Verstand und die Vorliebe für Schusswaffen geerbt. War ein furchteinflößender Zeitgenosse, der gute Mann. Leider viel zu früh gestorben. Mama hat ihn abgeknallt.

War seine erste Leiche. Acht Jahre war er da. Der Anblick von Toten konnte ihn bereits damals nicht schockieren, und heute hat er für Schusswunden höchstens ein müdes Lächeln übrig. Interessant wird es bei den wirklich haarsträubenden Sachen, Verbrennungen, abgerissene Gliedmaßen, herausquellende Gedärme. Nichts, was Jaxx hinter dem Ofen hervorlocken könnte, aber zumindest ansatzweise schockierend.

Manchmal fragt er sich, ob das überhaupt möglich ist – ihn mit irgendetwas zu schockieren. Abgestumpft ist er. Geschliffen wie ein scharfes Messer mit nur einem Zweck: zu funktionieren, zu töten, zu gehorchen. Seit Jahren hat er nicht mehr richtig Angst gehabt. Doch jetzt fürchtet er sich. Vor dem Schmerz, der unwiderruflich kommen wird, wenn er versagt. Floras Leben liegt in seinen Händen. Er darf nicht zulassen, dass sie ihm genommen wird, nicht zulassen, dass sie als lebloser Körper in einem eisigen Loch endet, die toten Augen anprangernd auf ihn gerichtet. Keine vergessene Tote darf aus ihr werden. Es gibt genug dieser Toten auf der Welt.

Konzentration. Die Tochter des Direktors. Er hat diese Frau studiert. Er hat digitale Akten gewälzt und Fotos untersucht, ihre Zeit im anderen Institut nach Strich und Faden unter die Lupe genommen. Nie war sie auffällig, nie gab es Stress. Eine richtige kleine Musterschülerin. Top Gesundheitszustand, zäh wie Leder. Papas kleiner Liebling. Dann die Flucht, üble Sache. Bruder tot, Ferienhütte ade. Sie hätte zur Polizei gehen können, aber stattdessen tauchte sie unter. Jaxx versucht herauszufinden, was sie will, was sie antreibt. Keine Spur gleicht der anderen. Hunderte kleine Fußabdrücke über eine riesige Karte verteilt. Nennt ihn Fährtenleser. Menschen auf der Flucht sind seine Spezialität.

Ihre erste Station war Shark. Der übrigens immer noch verschwunden ist. Im Funkhaus machte sie den ersten folgenschweren Fehler: Sie ließ sich hinreißen. Die Schlagzeile ist nicht zu übersehen: Bordell niedergebrannt, Verdacht auf Brandstiftung. Das warst du, nicht wahr, kleiner Engel? Du konntest das Zündeln nicht lassen.

Nächste Station: Sharks Vater. Grim und Reaper hatten den alten Mann bereits im Vorfeld aufgesucht und ein bisschen eingeschüchtert, leider umsonst. Madonna haben sie verpasst. Ein kurzer Aufenthalt bei Beck. Dann Sendepause. Ein Meer aus Nebel. Bis der Anruf kam. Jaxx kann sich daran erinnern. Madonna wollte zurück nach Hause. Er hatte vermutet, dass es eine Falle war, aber Mistress und der Direktor wollten es riskieren. Zwei gute Männer sinnlos verloren.

Schließlich wurden Drag und King losgeschickt. Ein Informant hatte ihnen eine Spur zukommen lassen, die Spur führte nach Norden. Der Rest ist Geschichte.

Auftritt Jaxx. Sonderbeauftragter im Dienste Ihrer schaurigen Majestät. Er wird die Fährte nicht dort aufnehmen, wo seine Vorgänger sie verloren haben, oh nein. Er wird das Feld entspannt von hinten aufräumen. Er wird sich dorthin begeben, wo alles seinen Anfang nahm. Ins dreckige Herz dieser widerwärtigen Metropole. Wo das kriminelle Netzwerk so dicht mit der Normalität verwoben ist, dass sie seit jeher ungesehen ihre Drecksarbeit erledigen können. Erste Station: Ex-Funkhaus.

Shark mag verschwunden sein, aber es gibt noch jemand anderen, den er fragen kann. Und das wird er tun. Er wird Beck fragen.

Er will nicht weg. Es wird ihm in dem Moment klar, als er ihr Krankenzimmer betritt. Wie schön hier alles ist. Keine Zelle, sondern ein richtiges Zimmer. Mit Bett, Fenstern, WC und Blumen auf dem Tisch. Mistress, die Schlampe. Sie war hier, er riecht es, ihr herbes Rühr-mich-nicht-an-Parfüm liegt in der Luft. Wahrscheinlich wollte sie sichergehen, dass ihr kleiner Deal auch tatsächlich zustande kommt. Hat hier überall ihr Gift versprüht, um Flora weiter ans Krankenbett zu fesseln. Gefangen an der Schwelle zwischen Leben und Tod.

Flora ist wach. Sie streckt die Hand nach ihm aus, aber er schüttelt den Kopf.

»Du gehst wieder weg, nicht wahr?«, fragt sie. »Wohin?«

»Mistress war vorhin da. Was hat sie gewollt?«

»Nichts. Sie hat nur gefragt, wie es mir geht. Und sie hat mir die Blumen dort gebracht. Ich hasse diese Frau. Ich hasse sie!«

»Ich weiß.«

»Sie werden mich aussortieren, nicht wahr? Ich hab die Pfleger darüber reden hören. Sie werden mich in den Ofen stecken, ist doch so!«

Er versucht sie zu beruhigen, sie festzuhalten, aber sie lässt ihn nicht. Sie stützt sich hoch und sitzt mit einem Mal aufrecht im Bett, schiebt die Beine über die Kante und will aufstehen.

»Den Teufel werden sie tun. Ich bin noch nicht kaputt. Hörst du, was ich sage? Ich kann weitermachen!«

»Nicht, Flora. Bitte leg dich wieder hin, du brauchst Ruhe.«

»Ich brauche keine Ruhe! Ich bin stark, ich schaffe das! Ich will nicht sterben.«

»Und das wirst du auch nicht.« Sanft drückt er sie zurück aufs Bett. Er setzt sich zu ihr, und sie umfasst seine Hand.

»Lass mich nicht allein«, flüstert sie.

»Ich muss.«

»Bitte. Bitte geh nicht. Ich überlebe das nicht ohne dich.«

»Ich habe ein Abkommen mit Mistress getroffen. Sie hat mir versprochen, dich gehen zu lassen. Ich muss dafür bloß einen Auftrag erfüllen.«

»Was für einen Auftrag?«

»Ist nicht wichtig. Ruh dich aus.«

»Was musst du tun, sag es mir! Was könntest du ihnen schon im Austausch gegen mich bieten? Was wäre diesen Scheusalen wichtig genug, um mich dafür gehen zu lassen?« Doch sie scheint es in diesem Moment selbst zu begreifen. In dem einen kurzen Moment, als alles wie durch ein Wunder völlig klar ist. Ihre Augen füllen sich mit Tränen. »Tu das nicht.«

»Vertrau mir«, sagt er leise.

»Bitte, du darfst das nicht tun! Sie ist unschuldig, genau wie ich. Kein Menschenleben ist den Tod eines anderen wert.«

»Doch, Flora. Du bist es wert. Ich werde diese Frau finden. Ich werde sie bis ans Ende der Welt jagen, wenn ich dadurch nur einen Tag mit dir zusammen sein kann. Glaub mir das. Ich hole dich hier raus. Es wird nicht lange dauern.«

Sie springt auf und klammert sich an ihn, zitternd am ganzen Leib. So dürr ist sie. Nie im Leben übersteht sie den Alltag in diesem Irrenhaus. Dass dieses Schwein sie halb tot geprügelt hat, war ihr Glück. Die Pforte in eine bessere Zukunft.

»Sei vorsichtig«, sagt sie.

»Mach dir keine Sorgen um mich. Ich kann auf mich aufpassen.«

Sie lässt ihn los, und er verlässt das Zimmer. Seltsam fühlt es sich an. Wenn sie sich wiedersehen, wird das alles längst vorbei sein. Er wünschte, sie könnte es bereits vor sich sehen, die Freiheit, den Frieden, die Zukunft, so wie er. Er hat das alles vor Augen, und diese Gewissheit macht ihn stark. Er hat noch nie versagt. Er wird auch jetzt nicht versagen.

Was kriecht bei Nacht über Stock und Stein? Was kreucht und fleucht und stinkt nach Moor? Eine Schlange auf der Jagd nach Beute.

»Keinen Abschied für mich?«, fragt Mistress höhnisch.

Hinter der Mauerecke hat sie gewartet, versteckt im Dunkel des Korridors, wie der ekelhafte Schädling, der sie ist. In ihrem schwarzen, unattraktiven Hosenanzug wirkt sie wie eins mit den Schatten, aus denen sie jeden Morgen ihre Garderobe zusammenschneidert. Was tut man mit Schlangen, die beißen? Man reißt ihnen den Kopf ab.

»Ich werde mich jetzt an die Arbeit machen, Mistress. Krümmen Sie ihr nur ein Haar, und Sie werden es bereuen.«

»Aber nicht doch, dieses hübsche Mädchen hat von mir nichts zu befürchten. Du weißt, dass es uns nicht um sie geht.«

»Wenn ich fragen darf: Was hat der Direktor denn mit seiner Tochter vor? Sobald er sie zurückhat.«

»Wer weiß. Vielleicht steckt er sie wieder in eine Zelle. Vielleicht verspeist er sie mit Haut und Haaren. Man weiß nie, was passiert bei Familienzusammentreffen.«

»Darf ich Ihnen etwas sagen? Sie sind ganz schön krank.«

Sie lacht. »Wer säbelt hier die Köpfe ab? Wer mordet im Dienste des Geldes? Hm?«

»Sie finden meine Kündigung auf Ihrem Schreibtisch, wenn das erst vorbei ist.«

»Hut ab vor deiner Entschlossenheit. Dir muss viel an diesem Klappergestell liegen, wenn du dafür eine vielversprechende Karriere opferst.«

»Sehen Sie es als Rückzug aus der Öffentlichkeit auf dem Höhepunkt meines Ruhms.«

»Ist das so? Dann will ich dich nicht aufhalten.« Sie tritt beiseite und faltet die Hände wie eine Priesterin. »Gutes Gelingen. Und nicht vergessen: Die Uhr tickt.«

»Wir sehen uns in ein paar Tagen, Mistress.«

Mit mir die Nacht

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