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In dieser Nacht

Sie haben mich gefunden. In dieser Nacht, es war Schicksal. Ein Schritt zu viel auf den Abgrund zu, ein Schritt zu viel und du fällst. Hinab in die Schwärze, in dieses kalte, bodenlose Loch. Wo sie warten, all die Zeit haben sie gewartet, geduldig, schweigsam. Weil sie wussten, dass es so kommen würde. Diese schlauen Kreaturen.

Ich wollte, dass es passiert, aber nicht so. Nicht bei Nacht, wenn sie im Vorteil sind, wenn da nichts ist außer den Schatten. Wenn die Grenzen zwischen den Welten verschwimmen und das Tor zur Hölle sperrangelweit offen steht.

Es ist dunkel. Viel dunkler, als ich es in Erinnerung habe. Große Fenster, vergittert und zersprungen. Nackter, kalter Betonboden, ein Fabrikgebäude, eine Ruine, mir gegenüber eine Tür. Ich erkenne bloß die Umrisse, das Licht auf der anderen Seite, das mal stärker und dann wieder schwächer wird. Kein Geräusch, bloß dieses Tropfen. Ein Tropfen irgendwo in der Finsternis.

Sie haben mich mit Klebeband geknebelt. An einen Stuhl gefesselt, das tun sie gern. Aus allen Richtungen haben sie mich umzingelt. Ich kann hören, wie sie kichern. »Befrei dich«, sagen sie. »Du hast drei Versuche.«

Oh, sie sind gnädig. Früher waren es nur zwei. Zwei Versuche, zum Schreien komisch, dieser großzügige Haufen. Du bist ihr Äffchen, wenn du dich wehrst. Eine Unterhaltungsnummer, mit stets der gleichen Pointe: Sie dachte, sie hätte eine Chance! Sie dachte, sie kommt lebend hier raus.

Ich werde nicht tun, was sie sagen. Werde nicht betteln, nicht weinen, nicht schreien. Und wenn sie mich erneut zusammenschlagen. Und wenn sie das tun, was sie am besten können, ich werde nicht nachgeben. Nur warten, das werde ich. Darauf, dass diese Tür sich öffnet. Er soll kommen und es beenden. Nur deswegen bin ich hier.

»Was ist los, kleiner Engel? Drei Versuche. Nutze deine Chance.«

Eine Schraubenmutter trifft mich an der Stirn und fällt klirrend zu Boden.

»Du könntest zumindest versuchen, auszuweichen. Auf ein Neues.«

Die nächste Schraubenmutter, diesmal fester. Genau auf meine linke Schläfe.

»Dir fehlt es eindeutig an Motivation. Drei Versuche. Oder sagen wir zwei.«

Das dritte Geschoss tut richtig weh. Ein Stein oder ein Stück Metall. Sie wollen das Äffchen tanzen sehen, wollen zuschauen, wie es in seinem Käfig randaliert. Wetten wurden geschlossen, Einsätze getätigt, aber das Äffchen spurt nicht. Lieber Würde als Schande. Lieber Schmerz als Gehorsam. Lieber Schmerz.

Das Knarren eines Sessels, Schritte in meine Richtung. Einer von ihnen hat sich hinter mich gestellt. Er legt mir etwas an den Hinterkopf. Etwas Spitzes.

»Soll ich dir ein Loch in den Schädel bohren?«, fragt er.

Ich schüttle den Kopf.

»Dann vielleicht in die Wange? In den Hals? Wo tut es wohl am meisten weh? Wollen wir es herausfinden?«

Gelächter aus allen Ecken, grölende Zurufe, schabende Hufe. Das Pack ist aus dem Häuschen, es will Blut sehen, das Äffchen ist jetzt dran. Wie Stromschläge peitscht der plötzliche Lärm durch meinen Körper. Ich wappne mich für das, was kommt, den Kampf, den Schmerz, das Ende, doch mit einem Mal geht die Tür auf, und ein Streifen Licht fällt in den Raum.

Sofort ist es leise. Wie Ungeziefer zieht sich das Pack in den schützenden Schatten zurück. Wo es bleibt und sich nicht mehr rührt. Der Mann in der Tür betritt langsam den Raum. Eine Silhouette bloß, groß und träge. In der Dunkelheit warte ich auf jene Worte, die mich in meinen Träumen verfolgen. Aber er sieht mir bloß in die Augen, und was bleibt, sind meine Gedanken, die unentwegt die Wirklichkeit verdrängen.

Willkommen zu Hause, Madonna.

Mit mir die Nacht

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