Читать книгу Unter Piraten - Miriam Lanz - Страница 13

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10. Juni im Jahre des Herrn 1713:

Kapitän Wilde stand neben dem Steuerrad der ‚Princeps’ und beobachtete das rege Treiben auf dem tiefergelegenem Deck. Die Besatzung war bester Laune und die Wortfetzen, die von den beiden anderen Schiffen zu ihm drangen, verrieten, dass auch die Mannschaft der 'Pride' und der 'Emperor' zufrieden waren.

Vor wenigen Stunden hatte Andrew Wilde mit Erfolg das erste Piratenschiff außer Gefecht gesetzt. Es handelte sich um eine einmastige Sloop. Wilde hatte das Schiff von achtern her angreifen lassen und die Piraten überrascht. Kampflos hatten sie kapituliert. Als die Piraten in Eisen vor ihm standen und der Royal Navy Ihrer Majestät keinerlei Respekt zollten, ließ er das Schiff versenken. Erst vor wenigen Augenblicken war die Sloop in der Tiefe verschwunden und die Piraten in die Brigg, dem Schiffsgefängnis, gesperrt worden.

Piraten! Wie er sie verachtete. Diese gesetzlosen, undisziplinierten, faulen Gauner, die von der Ausbeutung anderer, meist Schwächerer, lebten. Wilde konnte nicht in Worte fassen, wie sehr er ein solches Verhalten missbilligte.

Dachte er darüber nach, schien der Piratenhass die einzige Gemeinsamkeit mit seinem strengen, kalten Vater zu sein. Auch sein Vater, Admiral Daniel Wilde, war gegen die Piraterie vorgegangen - allerdings ohne nennenswerten Erfolg.

Andrew hoffte sehr, dass er seinen Vater wenigsten dieses Mal übertreffen könnte, um nicht nur auf Grund seines Namens und natürlich dem Ruf seines Vaters für Aufmerksamkeit zu sorgen, sondern ob seines Erfolgs.

Der junge Mann litt von je her unter seinem Vater. Nie konnte er sich sicher sein, ob er die hervorragenden Bewertungen während seiner Ausbildung, die schnellen Beförderungen, die Aufträge besonderer Art, wie es der Jetzige war, wegen seinem Vater erhielt, oder, weil er sie ehrlich verdient hatte. Wilde vermutete in den meisten Fällen ersteres.

Bisher hatte er persönlich zwar nur davon profitiert, doch auch die Zahl seiner Feinde wuchs stetig. Dieser Cartwell war lediglich einer von vielen. Hinzu kam, dass Andrew sich ständig Vergleichen mit seinem Vater ausgesetzt sah und stets im Schatten des Admirals stand.

Der Admiral hatte zunächst all seine Hoffnungen auf Andrews älteren Bruder Edward gesetzt, doch der ältere Wildesohn entschied sich für ein Jurastudium - selbstverständlich an der Oxforduniversität. Seit diesem Zeitpunkt übernahm Daniel Wilde die Erziehung seines jüngeren Sohnes, der damals erst sechs Jahre alt war und in der äußerst liebevollen Obhut seiner Mutter gestanden hatte. Eine Soldatenerziehung, die fortan Andrew Wildes Leben prägte und auf die er liebend gerne verzichtet hätte.

Sein Vater scheute nicht vor Schlägen zurück und behandelte ihn schlechter als jeden anderen jungen Matrosen. Jeden Morgen wurde er noch vor Sonnenaufgang geweckt, um Französisch und Spanisch, sowie Mathematik zu lernen. Bei dem kleinsten Protest bekam der Junge die kräftige Hand seines Vaters zu spüren. Der blinde Gehorsam und das sofortige Ausführen von Befehlen wurden Andrew im wahrsten Sinne des Wortes eingeprügelt und gingen dem jungen Mann in Fleisch und Blut über.

Tatsächlich trat er wenige Tage nach seinem sechszehnten Geburtstag der Navy bei; in erster Linie um seinem Vater zu imponieren. Damals hegte Andrew noch die Hoffung, damit den Stolz und die Anerkennung seines Vaters zu erhalten. Allerdings war dies nie eingetreten. Seit seinem Navyeintritt hatte der junge Mann auf eine Gelegenheit gehofft, seinen Vater zu übertreffen und nun schien diese Gelegenheit gekommen zu sein - mit dem Auslöschen der Piraterie; mit dem Vernichten unwürdiger, schmieriger Piraten, die es nicht verdient hatten, am Leben zu sein.

Wilde konnte nicht nachvollziehen, wie man sich freiwillig dazu entscheiden konnte, ein solches Leben zu führen. Es verstieß völlig gegen seine Wertvorstellung, von Moral und Ehre, zum Schaden der Krone zu handeln und doch wechselten immer mehr brave Seefahrer über zur Piraterie.

„Sir?“, William Hard war auf dem Achterdeck erschienen. „Der Nachmittagstee ist aufgetragen und die übrigen Offiziere sind bereits versammelt.“

Andrew nickte nur und folgte dem Leutnant in die große Kabine. Hard öffnete ihm die verglaste Tür zur Achterkajüte und trat mit Verbeugung einen Schritt zurück. Wilde presste seine Lippen zusammen, um nicht zu schmunzeln. Das Verhalten des Leutnants war wirklich vorbildlich, um nicht zu sagen, erstaunlich.

Als der Kapitän eintrat, erhoben sich die Kommandanten der 'Pride' und der 'Emperor', Offizier Murdoch und Offizier Jessop, sowie Leutnant John Potter, ein ausgesprochen junger, sehr gradliniger, fähiger und impulsiver Mann, wie Wilde schnell festgestellt hatte.

"Gentlemen", meinte er mit einem knappen Nicken und ließ sich am Kopf des großen Tisches nieder. Auch die übrigen Männer nahmen Platz.

"Im Namen aller Anwesenden möchte ich Euch zu der erfolgreichen Auslöschung des ersten Piratenschiffes gratulieren", meinte Murdoch, wobei seine hellen, ausdruckslosen Augen auf seinen Kapitän gerichtet waren.

"Nun, Sir, dies war nicht allein mein Verdienst, sondern vielmehr das der gesamten Flotte. Daher halte ich Eure Gratulation für überflüssig", erklärte Andrew langsam und nahm einen Schluck Tee. Das empörte, beinahe verachtende Aufblitzen in den Augen des um Jahre Älteren war ihm nicht entgangen. Ebenso wenig, wie das amüsierte Lächeln Potters.

Nach wenigen Minuten des Schweigens, zog er schließlich einige Seekarten heran und die Offiziere begannen, mögliche Routen zu kalkulieren, bei denen die Wahrscheinlichkeit auf Piraten zu treffen hoch war.

Am späten Nachmittag verkündete Hard, dass ein weiteres flaggenloses Schiff in Sicht gekommen war.

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Kate Wickfort kniete neben dem Bett ihrer jüngsten Tochter und streichelte ihr sanft über die Augenbrauen. Das Kind starrte Dr. Steward wimmernd an, aber seine ruhige Stimme und seine überlegten Bewegungen schienen sie zu beruhigen.

„Anne, ich werde dir jetzt etwas zu trinken geben. Danach wirst du müde und wenn du wieder aufwachst, wirst du dich viel besser fühlen“, erklärte der Arzt. Es war Anne unmöglich, ihm nicht zu glauben.

„Mrs. Wickfort, wenn Ihr Eurer Tochter helfen würdet?", fragte er Annes Mutter, wobei er der Frau einen Becher reichte.

Während der Arzt seine Arzneien in seiner Tasche zu verstauen begann, nahm Kate Wickfort Anne auf den Schoß und führte ihr den Becher an die Lippen. Das Mädchen verzog angewidert das Gesicht, als sie die bittere Flüssigkeit hinunterwürgte.

Steward hielt in seiner Bewegung inne. Seine blauen Augen ruhten auf dem Mädchen. Für einen flüchtigen Augenblick glaubte der Arzt, seine Nichte in dem Bett zu sehen. Auch Gwyn hatte bittere Medizin gehasst. Steward musste die Tränke stets mit Honig versüßen, da sich seine Nichte vehement geweigert hatte, sie unversüßt zu sich zu nehmen. Bei dem Gedanken an seine quengelnde Nichte, lächelte der Arzt traurig.

„Sir?“ Kate Wickfort musterte ihn besorgt. “Sir, ist alles in Ordnung?“

„Mrs. Wickfort wenn ich Euch wohl kurz sprechen könnte?“, fragte Steward, ohne weiter auf die Frage einzugehen.

„Selbstverständlich, Sir". Mrs. Wickfort öffnete die Tür und bedeutete dem Arzt ihr zu folgen.

„Wo gehst du hin, Mami?“, piepste Anne schläfrig.

„Ich möchte ganz kurz etwas mit deiner Mutter bereden und dann wird sie sofort wieder zu dir kommen“, meinte Steward schlicht ohne das Mädchen anzusehen; er verspürte den Wunsch einfach aus dem Haus zu stürzen. Diese Anne, in ihrem ganzen Verhalten, erinnerte ihn so sehr an Gwyn...

„Ich bin gleich wieder da, Liebling“. Mrs. Wickfort lächelte ihre Tochter an und führte den Arzt über einen schmalen Korridor in einen mager eingerichteten Salon.

„Bitte nehmt Platz, Sir!“ Sie wies auf einen Sessel, dessen Bezug abgewetzt war. Ihre Nervosität war nicht zu übersehen.

„Darf ich Euch etwas zu trinken anbieten, Sir?“, fragte sie, wobei sie begann, sich an den auf einem Tablett aufgereihten Gläsern zu schaffen zu machen.

„Nein, danke. Aber Mrs. Wickfort setzt Euch doch und beruhigt Euch! Eure Tochter hat nur einen leichten grippalen Infekt. Sie schwebt völlig außer Lebensgefahr. Ich habe ihr einen Saft aus Anserine und Eisenkraut verabreicht. Der wird ihr Fieber senken. Ich werde morgen noch einmal nach ihr sehen.“

Kate Wickfort atmete sichtlich erleichtert auf. Sie bezahlte den Arzt und begleitete ihn zur Tür. „Einen guten Tag, wünsche ich Euch, Sir!“, verabschiedete sich die Frau.

„Den wünsche ich ebenfalls“, entgegnete der Arzt und verließ das alte Haus, um zu Fuß den Weg zurück zu seiner Villa anzutreten.

Der heutige Tag war ungewöhnlich anstrengend gewesen. Er war heute Morgen noch vor Sonnenaufgang von Witherby geweckt worden wegen eines Schlaganfallpatienten. Sofort danach wurde er zur Festung gerufen, um sich um einige Soldaten zu kümmern, die sich von einem spanischen Schiff Fieber geholt hatten - Steward hatte ihnen strikte Bettruhe verordnet. Am frühen Nachmittag wurde er zum Goldschmied gerufen, der sich einen unkomplizierten Armbruch zugezogen hatte und unmittelbar danach zu Anne Wickfort.

Doch, um ehrlich zu sein, kam ihm die ungewohnt hohe Zahl seiner Patienten sehr gelegen, da ihn so keine Zeit blieb, um an das Ereignis zu denken, das sich am heutigen Tag zum zehnten Mal jährte.

Tatsächlich war es wohl einer der schönsten Tage seines Lebens, aber den Umständen entsprechend hätte er das Datum lieber vergessen, um sich den erneuten Schmerz zu ersparen.

An jenem Abend war er erst spät nach Hause gekommen. Er hatte eine Visite bei dem Landgrafen, der an einer schleichenden Grippe litt und wurde beim Gehen von dessen altem Gärtner aufgehalten, der ihn um ein Rezept gegen seine Rückenschmerzen gebeten hatte.

Es war zu jener Zeit, als er der Wirkung des Mohnsaftes verfallen war. Als er endlich in der Bibliothek saß und im Begriff war, wieder in die wunderbaren Träume einzutauchen, kündigte Mary ihm den Besuch von Commodore Stevens an, der - wie sie sagte - in einer äußerst wichtigen Angelegenheit mit ihm sprechen wollte.

An das Gespräch konnte sich der Arzt noch gut erinnern. Er hatte die Nachricht vom Tod seines Bruders und dessen Frau völlig gleichgültig hingenommen. Dr. Steward hatte seinen jüngeren Bruder seit Jahren nicht mehr gesehen und seine Schwägerin kannte er im Grunde nicht. Von Gwyn hatte er an diesem Tag das erste Mal gehört.

Auch nach annähernd drei Jahren war er noch immer nicht über den Tod seiner Frau hinweg gekommen und das Letzte, was ihm damals gefehlt hatte, war ein kleines, elternloses Mädchen. Dr. Steward hatte genug mit seinen eigenen Emotionen zu kämpfen. Wie konnte man von ihm verlangen, sich seiner Nichte und deren Sorgen anzunehmen?

Nachdem er Gwyn gesehen hatte, die sich damals an den Commodore geklammert hatte und ihn skeptisch musterte, hatte er Stevens sogar den Vorschlag unterbreitet, das Mädchen mitzunehmen, doch er hatte darauf bestanden, das Kind bei ihm zu lassen.

Rückblickend betrachtet wusste er, dass es das Beste war, das ihm passieren konnte.

Vor zehn Jahren war er jedoch ganz anderer Meinung gewesen: Nachdem sich der Commodore verabschiedet hatte, hatte der Arzt versucht, seine Gedanken zu ordnen. Sein erster Einfall war, Gwyn auf eine Internatsschule zu schicken, doch in Anbetracht ihres Alters konnte er dies erst in einigen Jahren ernsthaft in Erwägung ziehen...

Als Steward am nächsten Morgen das Speisezimmer betrat, saß das Mädchen bereits schüchtern neben ihrer Gouvernante und beobachtete ihren Onkel, der gelegentlich an seinem Tee nippend das Schreiben, das ihm Stevens gegeben hatte, zum wiederholten Mal durchlas. Seiner Nichte schenkte er keinerlei Beachtung.

„Wann kommen Mami und Daddy wieder?“, fragte Gwyn auf einmal.

Steward sah nur kurz von dem Schreiben auf, ging aber nicht auf ihre Frage ein.

Kurz danach verließ er die Villa, um seinem gewohnten Tagesablauf nachzugehen.

In den vier folgenden Tagen sah er seine Nichte kaum. Nur beim Frühstück und beim Abendessen saßen sie gemeinsam am Tisch. Das Mädchen versuchte immer wieder mit ihm zu reden, aber Steward ging auf keinen ihrer Versuche ein. Allerdings stellte er fest, dass er sich langsam an die Anwesenheit des Kindes gewöhnte.

Als er am späten Nachmittag des fünften Tages wieder nach Hause kam, war die Villa so still wie gewöhnlich. Der Arzt stieg die Treppe hinauf in sein Arbeitszimmer.

Als er die Tür öffnete, empfing ihn ein ungewohntes Bild. Auf dem großen Schreibtisch standen verschiedene Fläschchen. Gwyn kniete auf seinem gepolsterten Stuhl und war im Begriff, den Inhalt zweier Flaschen zusammenzuschütten.

„Was in Gottes Namen tust du hier, Kind?“ Steward stürzte auf das Mädchen zu, das ihn unschuldig ansah.

„Was machst du denn mit den ganzen Flaschen?“, fragte sie.

„In ihnen werden wichtige Arzneien aufbewahrt“, erklärte der Arzt, wobei er die Fläschchen verkorkte und wieder in den Schrank zurückräumte.

„Arzneien? Kümmerst du dich um kranke Leute?“, fragte das Mädchen weiter.

„Nun, ich bin Arzt. Aber ich versorge nicht nur Kranke sondern auch Leute, die sich verletzt haben.“ Dr. Steward wandte sich wieder dem Mädchen zu, dessen Aufmerksamkeit bereits auf etwas Neues gerichtet war.

„Was ist das?“ Gwyn deutete auf eine Apparatur, die auf einem kleinen Holztisch neben dem Schreibtisch stand. Das Gerät bestand aus zwei Teilen und war aus Messing. Das Auffälligere hatte Ähnlichkeiten mit einem Fernrohr, das an einem Stativ befestig war. Das Okular war größer, als das eines gewöhnlichen Fernrohrs, während das Objektiv nicht breiter wurde sondern immer schmäler und auf den schweren Messingfuß der Apparatur zeigte. Der andere Teil war ein weiteres Stativ, auf dem eine Flasche mit einer trüben Flüssigkeit befestig war. Daneben ragte ein dünnes Rohr aus dem Gerüst. Zwischen diesem und einem Messingring, der auf die gleiche Stelle ausgerichtet war, wie das sonderbare Objektiv war eine große Linse.

„Das ist ein Mikroskop nach Robert Hooke“, erklärte Steward schlicht. Doch Gwyns fragender Blick ließ ihn fortfahren:

„Mittels eines Mikroskops werden kleine Gegenstände oder Körper, die für das menschliche Auge nicht erkennbar sind, sichtbar. Durch zwei Sammellinsen, eine am Objektiv“, er deutete auf das spitze Ende des Rohres, „die andere am Okular, können die Körper bis auf das 60-fache vergrößert werden - zumindest bei diesem Modell. Allerdings werden die Objekte seitenverkehrt dargestellt. Ich habe aber gehört, dass Antonie van Leeuwenhoek, ein niederländischer Feldmesser, verschiedene Mikroskoptypen konstruiert, die sogar eine 270-fache Vergrößerung schaffen.“ Während er sprach, war er zu einem anderen Schrank getreten.

„Und wozu bracht man ein Mirkrokop?“, fragte Gwyn, die inzwischen auf den Schreibtisch geklettert war, um das hooke'sche Mikroskop genauer zu betrachten.

„Mikroskop“, verbesserte sie Steward, wobei er mit einer kleinen Glasplatte und einer Flasche in den Händen auf dem Schreibtischstuhl Platz nahm.

„Nun, vor gut einem halben Jahrhundert begann man Insekten zu zergliedern und Pflanzenschnitte anzufertigen. Das Mikroskop wurde ein wichtiges Hilfsmittel der Wissenschaft. Einige Jahre später entdeckte man Bakterien, Blutzellen und Spermien. Um das Jahr 1665 verwendete Athanasius Kircher erstmals ein Mikroskop zur Erforschung von Krankheitsursachen. Ein bedeutender Schritt für die moderne Medizin, musst du wissen, denn Kircher fand tatsächlich heraus, dass der ‚contagium animatum’, der lebendige Erreger, für Krankheiten verantwortlich ist. Seit dieser Entdeckung hat sich die Zahl der Heilmittel und Methoden verdreifacht. Allerdings zweifle ich an der Wirksamkeit von einigen. Es übersteigt meine Vorstellungskraft, dass laute Musik, oder gar Kanonendonner Fieber heilen soll, aber ich kenne genug Ärzte und besonders Bader, die auf solch absurde Ideen vertrauen.“ Steward schüttelte belustigt den Kopf und legte die Glasplatte, auf die er einen Tropfen der Flüssigkeit gegeben hatte, unter das Objektiv des Mikroskops. Gwyn hörte ihm mit großen Augen zu. Ihr Interesse war unübersehbar.

„Im selben Jahr machte auch Robert Hooke eine Entdeckung. Er hatte eine Korkplatte unter das Objektiv gelegt und die Struktur, die sich ihm dabei offenbarte, nannte er Kork-Zellen. Sehr schnell wurde klar, dass nicht nur Kork eine solche Struktur besitzt sondern fast alle Körper. Sogar völlig klare Flüssigkeiten besitzen Zellen. Ich zeige es dir!“ Steward zündete die Lichtquelle des Mikroskops an und warf einen kurzen Blick durch das Okular, dann winkte er Gwyn heran. Neugierig blickte das Mädchen durch das Rohr.

„Da bewegt sich wirklich etwas!“, rief sie erstaunt aus. Steward lächelte.

Schnelles Hufgetrappel und laute, gelallte Flüche rissen den Arzt aus seinem Tagtraum. Harold Thayor saß schief auf dem Rücken des Tieres und galoppierte auf den Arzt zu. Steward wich an die Außenwand eines Fachwerkhauses.

"Halt an, verdammtes Mistvieh!", brüllte Thayor. Das Pferd blieb schnaubend neben Dr. Steward stehen. Harold Thayor sprang vom Rücken seines Pferdes und taumelte nach links.

„Verzeiht vielmals, Doktor!", lallte er, wobei er den Hut vom Kopf zog und sich tief verbeugte. Der Arzt musterte ihn mit einem tadelnden Blick. Als ihm der stechende Alkoholgeruch entgegenströmte, trat er angewidert einen Schritt zurück.

'In diesem Zustand wird er sich alle Knochen brechen. Das Klügste wäre es, ihn seinen Rausch ausschlafen zu lassen’

Steward griff nach den Zügeln des Pferdes, das Thayor wieder besteigen wollte, und sah sich um. Tom Hadfield schlenderte die Straße entlang. Als er den Arzt sah, verbeugte er sich kurz. “Guten Tag, Sir!“

„Würdest du einmal herkommen, mein Junge?“, fragte der Arzt und zog seinen Geldbeutel aus der Tasche.

„Weißt du, wo er wohnt?“ Steward deutete auf den Betrunkenen. Tom nickte.

„Ich gebe dir einen Schilling, wenn du ihn nach Hause bringst.“ Toms Augen weiteten sich, als ihm der Arzt die Münze entgegen hielt. „Natürlich, Sir!“

Als Steward wenig später in seinem Arbeitszimmer saß, fiel sein Blick auf das alte Mikroskop. Augenblicklich wanderten seine Gedanken zu Gwyn. Nach diesem Gespräch, bei dem ihm Gwyn so interessiert gelauscht hatte und nachdem Steward ihre vor Begeisterung leuchtenden Augen gesehen hatte, war ihm klar gewesen, dass sie etwas ganz besonderes war. Noch in Laufe der folgenden zwei Woche hatte er sie in sein Herz geschlossen.

Gedankenverloren fuhr er über die eingravierten Muster des Mikroskops. Als er die raue Oberfläche unter seinen Fingern spürte, wurde Steward schlagartig wieder bewusst, wieso er sich nicht an diesen schönen Tag erinnern wollte. Ein flammender Schmerz loderte in seiner Brust auf. Der Schmerz, den er bei Wildes Worten gespürt hatte, als er ihm von Gwyns Tod berichtete...

Tränen brannte dem Arzt in den Augen, als er die Bibliothek betrat und sich ein Glas Brandy eingoss. Zitternd zog er die kleine, runde Flasche aus seiner Rocktasche und träufelte ihren Inhalt in die bräunliche Flüssigkeit.

Unter Piraten

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