Читать книгу Unter Piraten - Miriam Lanz - Страница 14
Оглавление05. Juli im Jahre des Herrn 1713:
Gwyn knirschte wütend mit den Zähnen, während sie nach einer neuen Kartoffel griff. Nick Jordan saß mit einer Schnapsflasche in der Hand an dem kleinen wackligen Tisch in der Kombüse und beobachtete sie bei der Arbeit.
„Du bis´ sogar zu blöd, Kartoffeln zu schälen!“, stellte er höhnisch grinsend fest.
‚Verfluchter, dreckiger Säufer!’
Die Vorratskammern der ‚Adventure’ waren vor zwei Tagen wieder aufgefüllt worden – sie hatte ein reichbeladenes Handelsschiff kurz vor der Küste Carolinas überfallen. Die Tage zuvor gab es kaum mehr etwas Essbares auf dem Schiff und obgleich sie ihre Arbeit so tief verabscheute wie den Koch, war sie froh, endlich wieder eine richtige Mahlzeit zu bekommen.
„Beeil dich, Nichtsnutz!“, fauchte der Koch und trat Gwyn in den Rücken. Keinen Augenblick später ließ das Mädchen das Messer fallen - sie hatte sich geschnitten.
„Verflucht!“, zischte sie und wischte sich das Blut an ihr Hemd.
„Was is´? Mach weiter!“, bellte der Koch und trat ein weiteres Mal nach ihr. Gwyn hörte ein dumpfes Geräusch, als der Koch sie zwischen den Rippen traf, und ein stechender Schmerz durchfuhr sie. Sie rang schwer nach Atem.
„Mach weiter, Bastard!“, brüllte Jordan und nahm einen Schluck aus seiner Flasche.
Gwyn spürte, wie ihr das warme Blut über die Hand lief. Mit geschlossenen Augen tastete sie nach dem Messer.
In den vergangenen Wochen hatte sie mehr Blut gesehen, als in ihrem ganzen vorherigen Leben, doch beim Anblick ihres eigenen Blutes kämpfte sie gegen aufsteigende Übelkeit an. Endlich hatte sie das Schneideinstrument gefunden. Sie riss ein Stück des groben Stoffes vom unteren Ende des Hemdes ab und wickelte es sich um die Hand.
Als sie sich wieder ihrer Arbeit zuwandte, versuchte sie sich daran zu erinnern, wie lange sie schon so auf ihr Blut reagierte.
Nicht einmal bei dem grauenhaften Blutbad auf der ‚Mercatoris’, war ihr so zu Mute gewesen, obgleich das ganze Deck eine einzige Blutlache gewesen war.
Eine lang vergessene Erinnerung kam Gwyn ins Gedächtnis. Sie hatte einmal im eingeschneiten Garten gespielt und war auf einer Eisplatte ausgerutscht. Als sie sich aufsetzte, bemerkte sie, dass sie aus Mund und Nase blutete. Sie schluckte das metallen schmeckende Blut und begann zu schreien, als ob der Leibhaftige hinter ihr her wäre. Nancy und ihr Onkel kamen herausgestürzt. Während Nancy Hände ringend im Garten umherlief, trug sie ihr Onkel in die Küche, gab ihr ein Glas Wasser, damit sie sich den Mund ausspülen konnte und wischte ihr das Gesicht ab. An diesem Tag hatte Gwyn ihren ersten Milchzahn verloren.
Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie stolz sie gewesen war. Allen Angestellten hatte sie ihre Zahnlücke und den Zahn gezeigt.
Das Mädchen lächelte unwillkürlich und warf einen Blick auf ihre Hand. Der Stoff war bereits blutdurchtränkt. Gwyn seufzte und griff nach der nächsten Kartoffel.
‚Immerhin ist der Eimer fast leer.’
Inzwischen hatte auch Jordan mit seiner Arbeit begonnen. Gwyn hörte das Klappern der Töpfe.
„Fertig“, raunte sie schließlich und streckte sich. Ihre Hand brannte. Der Koch ignorierte sie. Als Gwyn auch auf die Frage, ob es noch etwas anderes zu erledigen gäbe, keine Antwort erhielt, wandte sie sich gleichgültig mit den Schultern zuckend zum Gehen.
Sie wollte gerade die Tür öffnen, als laute, schlürfende Schritte auf dem Gang ertönten. Die Tür flog schwungvoll auf und Howard stand schwerfällig im Türrahmen. Jordan sah überrascht von seiner Arbeit auf.
„Hey, Koch, wo is´ der Kleine? Der Käpt´n will ihn sehen!“ Gwyn schnaubte wütend.
‚Mach die Augen auf, du besoffener Dreckskerl’
„Da is´ er doch.“ Jordan deutete auf sie. Das Messer, mit dem er gerade arbeitete, immer noch in der Hand.
Kurz darauf stand Gwyn vor der Tür zu der Kabine des Kapitäns.
Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was Blackbeard von ihr wollte. Unbehagen befiel sie. Sie klopfe zaghaft.
Als nach einigen Sekunden immer noch kein Geräusch aus der Kabine drang, wandte sie sich - innerlich aufatmend - um.
"Herein!" Bei dem gelallten Befehl, seufzte das Mädchen auf und öffnete vorsichtig die Tür.
Der Pirat saß hinter einem großen Schreibtisch. Aus glasigen Augen starrte er Gwyn an.
„Na endlich!“
Er versuchte sich an seinem Schreibtisch hoch zu drücken, fiel aber immer wieder in den Stuhl zurück.
Gwyn musterte ihn gleichgültig. Zu oft hatte sie in den vergangenen Monaten Betrunkene gesehen.
„Ich brauch´ jemanden, der meine Kabine ordentlich hält!“, erklärte Blackbeard, wobei er auf die Tischplatte gestützt kaum in der Lage war, sich auf den Beinen zu halten.
Gwyn sah ihn ungläubig an. Das war das Lächerlichste, was sie je gehört hatte.
„Los, fang an! Wenn ich wieder komme, ist diese Kabine wieder in einem ordentlichen Zustand!“, säuselte er und wankte langsam zur Tür.
‚Dazu müsste ich ein Wunder geschehen lassen.’
Gwyn sah sich in dem Raum um. Die Wände waren gesäumt von den rötlich-braunen Überresten von Rum - zumindest hoffte Gwyn, dass es sich um Rum handelte.
Überall lagen leere Flaschen herum, ungeladene Waffen und zu Gwyns Überraschung waren auch alte Bücher und lose Blätter auf dem Boden verteilt.
'Blackbeard kann lesen?'
Nach seiner Ausdrucksweise zu urteilen, hätte Gwyn schwören können, dass er ein Analphabet war, so wie der Rest der Besatzung.
Der Piratenkapitän schien im Suff das hohe Regal leergeräumt zu haben. Aber wenn man die Unordnung vernachlässigte, war die Einrichtung des Raumes, im Vergleich zum Rest des Schiffes, sehr komfortabel. In der Kabine war ein richtiges Bett in die Wand eingelassen und der schmucklose Schreibtisch bestand aus massivem Holz.
Langsam kniete sich Gwyn auf den Boden. Sie hatte nicht die Absicht, das Hausmädchen für Blackbeard zu spielen, aber sie wollte wissen, welche Bücher der Pirat besaß. Vorsichtig, so wie sie es gewohnt war, hob sie eines auf.
‚Die sieben Meere’ stand auf der Vorderseite, doch der Autor war nicht angegeben. Gwyn schlug das Buch auf. Auch auf der Innenseite war kein Schriftsteller verzeichnet. Das Mädchen blätterte durch die Seiten. Sie waren von Hand beschrieben. An einigen Stellen, waren Zeichnungen von Schiffen und Windrichtungen. In diesem Buch waren die Grundlagen der Navigation erklärt.
Gwyn bemerkte nicht, wie die Zeit verging, während sie über die Orientierung bei Nacht an Hand der Sterne und die Bestimmung von Kursen las. Sie war so in die Lektüre vertieft, dass sie nicht hörte, wie die Tür geöffnet wurde.
„Was zum Teufel machst du da, du faules Schwein?“ Gwyn zuckte zusammen. Blackbeard stand hinter ihr.
„Du sollst hier aufräumen, hab ich gesagt!“ Der Pirat zog Gwyn am Kragen auf die Beine. Das Mädchen ließ das Buch fallen und wand sich unter dem Griff des Mannes.
„Dieses Zimmer wird so sauber sein wie ein Ballsaal, hast du mich verstanden, Junge“, zischte der Pirat und schüttelte Gwyn bei jedem Wort. Sie nickte heftig und hoffte inständig, dass er sie wieder los lassen würde.
Mit einem Mal löste sich der Griff und Blackbeard taumelte nach hinten. Er hatte beide Hände um seinen Hals gelegt und röchelte. Gwyn sah ihn erschocken an. Sie spürte, wie ihr Herz gegen ihre Brust schlug.
'Die Leute haben Recht, wenn sie Blackbeard einen ‚Teufel in Menschengestalt` nennen! Er muss vom Teufel besessen sein!
Er schleppte sich zu seinem Schreibtisch und ließ sich schwer in den Stuhl fallen. Zwar rang er immer noch nach Luft, aber er schien sich wieder zu erholen.
Gwyn war gewiss kein abergläubischer Mensch, doch nach diesem Vorfall wusste sie, dass es so etwas wie einen Satan gab - und dieser saß ihr direkt gegenüber.
Gwyn wollte ihrem ersten Instinkt folgen und weglaufen, aber sie zweifelte keine Sekunde daran, dass Blackbeard sie dafür töten würde.
Sie sah sich um und seufzte. Gwyn begann die Bücher zurück in die Regale zu stellen; erst als sie das erste Buch in ihren Händen hielt, fiel ihr auf, dass sie unkontrolliert zitterte.
Sie behielt den inzwischen schlafenden Piraten die ganze Zeit im Auge und musste bei jedem Laut, den er von sich gab, den Wunsch unterdrücken, aus der Kabine zu flüchten.
Nachdem sie die leeren Flaschen zusammengetragen hatte, versuchte sie ihre Gedanken wandern zu lassen.
'Wie kann es Mary nur Tag ein Tag aus ertragen, sich um das Haus zu kümmern?'
Gwyn hatte dem Hausmädchen einige Male geholfen, ihr Zimmer aufzuräumen, ohne dass sie es bemerkt hatte. Mary hatte ihr erzählt, dass ihre Puppen müde wären und ins Bett wollten und das Mädchen hatte jede einzelne aufgeräumt.
Gwyn sah sich zufrieden in der Kajüte um. Nur noch das Bett war zu machen. Als sie das Kissen aufschüttelte, fiel ein zusammengefaltetes Blatt auf den Boden. Neugierig griff das Mädchen danach und drehte es in ihrer Hand. Es war ein versiegelter Brief.
Das Wachssiegel war bereits aufgebrochen worden.
Ein dumpfes Geräusch ließ Gwyn zusammenfahren. Blackbeard war von seinem Stuhl gefallen. Als er auf den Boden auftraf, stöhnte er und rappelte sich mühsam auf. Gwyn war herumgewirbelt und hatte den Umschlag unter ihr Hemd gesteckt. Blackbeard starrte sie verwirrt an. Hektisch strich das Mädchen die Decke glatt. Noch bevor der Pirat richtig zu sich gekommen war, war sie aus der Tür geschlüpft und in die Mannschaftsunterkunft geeilt.
Als sie sich in Sicherheit wusste, zog sie den Brief hervor. Vorsichtig öffnete sie ihn.
‚ Freitag, der 23. November 1711
In diesem Schreiben übertrage ich, Benjamin Hornigold, Edward Teach, allgemein bekannt als Quartenmeister Teach oder Blackbeard, alle Rechte auf die ‚ Adventure` und die Mannschaft, sofern er nicht gegen mich rebelliert, oder mich in irgendeiner Weise übergeht.
E. Teach ist verpflichtet, am Ende jeden Jahres die Summe von 100 Pfund zu zahlen, unabhängig des jährlichen Einkommens. Sollte dies nicht der Fall sein, tritt der Vertrag außer Kraft.
Des Weiteren verpflichtet sich E. Teach, bei drohender Gefahr mir bedingungslos und umgehend zu Hilfe zu kommen.
Vertragsbruch droht ebenfalls, sollte der Quartenmaster die Hilfeleistung unterlassen.
Benjamin Hornigold ’
Gwyn las den Brief wieder und wieder. Blackbeards Name war also Edward Teach und er handelte auch nicht so willkürlich, wie sich vermuten ließ. Teach musste also seinem Kapitän, der die ‚Adventure’ nur in seine Obhut gegeben hatte, zu Hilfe kommen, wenn Gefahr drohte. Diese Gefahr war die Royal Navy. Ein beklemmendes Gefühl breitet sich in ihr aus.
„Geht´s dir gut?“ Gwyn hatte nicht gehört, dass Ben gekommen war. Sie sah ihn verwirrt an. Nach einer Weile nickte sie.
„Hast du gewusst, dass Blackbeard eigentlich Edward Teach heißt?“
Ben schüttelte den Kopf und setzte sich neben sie auf den Boden.
„Das hab´ ich in seiner Kajüte gefunden.“ Sie hielt Ben den Brief entgegen.
„Bis´ du völlig verrückt geworden? Du kannst dem doch nichts stehlen. Der bringt dich um!“, stieß Ben entsetzt aus. Gwyn ging nicht weiter auf ihn ein.
„Er is´ gar kein freier Pirat, oder zumindest kein unabhängiger. Er dient einem gewissen Benjamin Hornigold.“
Ben sah sie ungläubig an.
„Ich glaub´ ich hab den Namen schon mal gehört. Dieser Hornigold war mal Kaper im Krieg der Königin. Aber es wurde gemunkelt, dass er zur Piraterie übergelaufen sei. Als ich noch bei der Handelsmarine war, haben sie ständig darüber gesprochen“, erklärte Ben.
Gwyn nickte nur, wobei sie versuchte, die neuen Informationen zu verarbeiten. Beim letzten Abendessen auf der ‚Ventus’ hatten ihr Onkel und Kapitän Wilde über die Piraterie gesprochen. Wilde hatte sich über die steigende Zahl der Piraten aufgeregt und ihrem Onkel erzählt, dass die Royal Navy nun immer konsequenter gegen diesen ‚Abschaum’ - wie Wilde die Piraten nannte- vorgehen werde, um sie zu vernichten.
„Das is´ gar nich´ gut“, stammelte Ben, als Gwyn mit ihrem Bericht geendet hatte.
„Das kannst du laut sagen. Hoffen wir, dass es nich´ so weit kommt!“