Читать книгу Ohne jede Schuld / Vor aller Augen - Molly Katz - Страница 28
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ОглавлениеDonnerstag, 1. Februar 2001
Die Vorladung lag auf meinem Schreibtisch, oben auf all den anderen Papieren, die dadurch unsichtbar waren. »In der Sorgerechtsangelegenheit für das minderjährige Kind Nina Kama Carnow…«
In zwei Wochen würde ich vor einem Familiengericht glaubhaft darlegen müssen, dass ich in der Lage war, mein Sorgerecht weiterhin verantwortungsbewusst wahrzunehmen, während das nicht sorgeberechtigte Elternteil des betroffenen Mädchens alles Mögliche arrangiert hatte, was mich unfähig erscheinen lassen sollte.
Es war relativ warm für die Jahreszeit. Von den Eisresten auf den Dachvorsprüngen über den Bürofenstern fielen Tropfen auf das Glas. Trotzdem klapperte ich mit den Zähnen. Mir würde nie wieder warm werden.
Die Stiche auf der Innenseite meiner geschwollenen Lippe waren hinderlich und bereiteten mir Schmerzen.
Für einen Richter gab es nur eine Möglichkeit, die Fakten in diesem Fall zu betrachten: Kind depressiv, innerlich zerrissen. Berufstätige Mutter mit mehr als vierzig Wochenarbeitsstunden, nimmt regelmäßig Kinderbetreuung in Anspruch, versucht, Besuche bei Vater und Großeltern zu verhindern. Mutter nicht in der Gemeinde verwurzelt. Hat Schulden. Mutter ist aufgrund von Todesfällen und juristischen Streitigkeiten in der Familie selbst depressiv. Mutter Opfer eines Überfalls.
Dagegen Barry: berufstätiger Vater, bestimmt Arbeitszeit selbst, großes Einkommen. Engagiertes, vorausschauend handelndes Elternteil. Nahe Angehörige in unmittelbarer Nähe. Kind genießt höchste Priorität.
Und was würde Nina selbst sagen, wenn sie vom Richter befragt würde? Ich erinnerte mich an Seans Worte, die er in meinem Wohnzimmer ausgesprochen hatte: »Du stärkst seine Position… Du nimmst ihn in Schutz… Was wird sie wohl einem Gutachter erzählen, der die Frage des Sorgerechts zu klären hat?«
Ich musste unbedingt aufstehen. Hinter diesem Tisch saß das größte aller Monster, der gierige Räuber, der tagtäglich gefährlicher wurde, der immer schwerer zu bändigen war.
Mutter eine Mörderin …
»Gib auf, Angela.«
Stundenlang hatte ich nach dem nächtlichen Anruf diese Botschaft in meinem Kopf hin und her gewälzt. Der Anschlag in der Damentoilette musste irgendwie damit zusammenhängen, ganz egal, was Carol dachte.
War ich von dem Anrufer niedergeschlagen worden? Ging es um Nina? Den Mord? Etwas anderes? Vielleicht war es Barry, sein Vater oder seine Mutter gewesen? Vielleicht hatte er mir auch jemanden auf den Hals gehetzt, der mir nachspionieren und im Dreck wühlen sollte?
Hieß das vielleicht, dass jemand meinen Mord an Jim beobachtet hatte? Der Verfolger oder irgendein anderer? Jemand, der mit Barry gar nichts zu tun hatte?
Das Eiswasser von draußen ließ innen auf der Scheibe Nebel entstehen. Ich legte einen Finger darauf. Nina liebte es, im Nebel zu fotografieren.
Während ich meinen Finger auf der Fensterscheibe betrachtete, beschloss ich, dass ich Nina auf jeden Fall psychotherapeutische Unterstützung ermöglichen musste, koste es, was es wolle. Barry spielte sein Spielchen, aber ich konnte mir das nicht leisten. Ich musste Ninas Bedürfnisse stillen, gegen bürokratische Hindernisse kämpfen, unter dem Zaun, den Barry errichtet hatte, hindurchkriechen. Ich war die Erwachsene, ich musste mich den Tatsachen stellen. Und Tatsache war, dass Nina, die sowieso eine empfindliche Psyche hatte, in naher Zukunft noch stärkeren Belastungen ausgesetzt werden würde, selbst dann, wenn alles zu meinen Gunsten ausgehen sollte – aber das war nichts weiter als ein Traum.
Und falls nicht…
Ich drückte meine Hände gegen das kalte Glas.
In der Wartezone der »Westchester Hills Family Services« war es sauber und freundlich, neue Zeitschriften lagen aus, ebenso neues buntes Fisher-Price-Spielzeug. Ich saß in einem weichen, braunen Stuhl und starrte auf die Tür, hinter der Nina mit dem Mann redete, der ihr Therapeut werden würde, falls sie angenommen wurde.
Nach einer halben Stunde ging die Tür auf, und Nina kam zusammen mit dem Therapeuten heraus. »Kannst du vielleicht noch ein paar Minuten hier draußen spielen, während ich mit deiner Mom rede?«, fragte der Mann.
Nina nickte. Ich stand auf und folgte ihm in sein kleines Büro. Wir setzten uns einander gegenüber.
»Ein sehr intelligentes, sensibles Mädchen«, sagte er. Er war breitschultrig, strohblond, ungefähr eins fünfundsiebzig groß und wahrscheinlich noch nicht einmal dreißig Jahre alt. »Am Telefon haben Sie gesagt, dass es sich um eine Art Notfall handelt?«
»Ich mache mir große Sorgen um sie. Zwei ihrer engsten Verwandten sind kürzlich gestorben. Sie zieht sich mehr und mehr in sich zurück. Ihre Lehrerin ist sehr besorgt. Ihr Vater und ich leben getrennt, und das Verhältnis ist… ist nicht besonders freundschaftlich. Sie findet sich zu dick und hört auf zu essen, dann schlägt sie wieder ins andere Extrem. Und, was Nina noch nicht weiß, ihr Vater versucht, bei Gericht das alleinige Sorgerecht zu erkämpfen. Und das wäre… nun ja, eine Tragödie. Mein Ex-Mann ist ein hervorragender Arzt, aber psychisch sehr instabil. Ich wünschte, ich hätte das schon sehr viel früher erkannt.«
Der Therapeut lehnte sich zurück. »Wie ist das Verhältnis zwischen Nina und ihm?«
»Das kommt darauf an, wen Sie fragen.«
Er zuckte mit den Schultern und machte eine einladende Handbewegung.
Ich wusste, was jetzt eigentlich gefordert war: eine höfliche, neutrale, schönfärberische Beschreibung der Beziehung zwischen Nina und Barry, die die Wahrheit durchschimmern ließ und gleichzeitig deutlich machte, welch vernünftiger Mensch ich war.
Aber die Frage war zu verführerisch, und ich fühlte mich zu elend.
Dass mein Gesicht nass war, merkte ich erst, als er mir eine Schachtel mit Papiertüchern hinstellte: Behörden-Standard, weiß und kratzig, nicht das zarte Weich, das ich im Büro hatte.
»Ich weiß nicht einmal, wie Sie heißen«, sagte ich und trocknete mir das Kinn ab.
»Doch, wissen Sie. Ich habe es Ihnen schon zweimal gesagt. Rick Saltonstall.« Er lächelte. »Sagen Sie Rick, und ich nenne Sie Angela, okay? Und jetzt zurück zu dieser Frage, die anscheinend so schwer zu beantworten ist.«
»Deshalb weine ich gar nicht. Na ja, irgendwie schon, aber es steckt noch mehr dahinter. Sie machen einen so netten Eindruck, und Nina benötigt wirklich dringend Hilfe, aber ich habe kein Geld dafür. Ich habe immer wieder in verschiedenen Kliniken versucht, einen Therapieplatz für sie zu bekommen, aber wir werden nie angenommen, weil ihr Vater sich weigert, Angaben zu seinem Einkommen zu machen. Hier wollte ich es eigentlich gar nicht erst versuchen, es schien mir sinnlos zu sein, aber die Dame am Telefon hat gesagt, ich soll auf jeden Fall vorbeikommen.«
»Gelegentlich machen wir auch Ausnahmen.«
Ich starrte ihn an. »Und? Was ist mit Nina?«
Rick beugte sich zu mir. »Ein deprimiertes Mädchen, das Todesfälle in der Familie sowie den Tod der elterlichen Ehe zu betrauern hat, die zudem noch auf einen Sorgerechtsstreit zusteuert, hat meiner Meinung nach unbedingt einen Anspruch auf Hilfe.«
Ich faltete die Hände. »Und wer entscheidet das?«
Er lächelte erneut. »Ich.«
Nina hatte die Hände in den Schoß gelegt und musterte sie eingehend – unförmige Dinger mit abgebissenen Fingernägeln. Sie hasste sie. Sie wollte Finger so schlank wie Bleistifte haben.
Sie fragte sich, wie lange ihre Mutter wohl noch da drin bleiben würde und was über sie gesprochen wurde.
Dann schaute sie die Zeitschriftenstapel auf den Tischen durch, aber es war nichts dabei, was sie lesen wollte. Wenn doch nur Papier und Malstifte da gewesen wären. Ob sie die Frau fragen sollte, die an dem Schreibtisch beim Eingang saß? Aber sie telefonierte gerade, und neben ihr klapperte ein anderes Gerät. Sie war offensichtlich sehr beschäftigt.
Schließlich holte sich Nina ein Spielzeug vom Boden. Es war ein Tintenfisch mit Wimpern und hübschen, rosafarbenen Lippen und einer Schleife um eines seiner Beine oder was das war. Er konnte auf dem Boden herumrutschen, und wenn man ihn aufzog, dann ertönte Musik.
Die Frau am Schreibtisch schaute zu ihr herüber. Nina erwartete eine Bemerkung wegen des Lärms, aber es kam nichts. Ein paar Minuten später schaute die Frau wieder in ihre Richtung. Nina nahm den Tintenfisch und hielt ihn hoch, bis er abgelaufen war. Dann verstaute sie ihn in einem Schränkchen.
Um zehn Uhr abends klingelte es an meiner Haustür. Ich kam gerade aus der Dusche und hatte schon mein Nachthemd angezogen.
»Ich bin’s«, rief Sean von draußen. Ich öffnete die Tür.
Während ich mich für das Sofa entschied, setzte Sean sich auf den Boden, so wie wir es während der Zeit, als Sarah gestorben war, immer gemacht hatten. Er rieb sich den Nacken.
»Ich komme gerade von meinen Eltern«, sagte er. »Sie stehen wirklich kurz vor dem Zusammenbruch. Vielleicht ist das ja gar nicht so schlecht. So ist es wenigstens klar, dass sie Hilfe benötigen, und der Einzige, der außer dir noch übrig ist, das bin ich.«
Er tätschelte mir die Hand, auch das war etwas, was er damals immer gemacht hatte, als wir uns gegenseitig Trost und Stütze waren. Er schaute mich vorsichtig an.
»Du siehst ganz schön beschissen aus«, sagte er.
»Ich weiß. Du auch.«
Dann schaute er noch etwas genauer hin. »Was ist denn mit deinem Mund passiert?«
Ich hielt mir die Hand davor. »Nichts weiter.«
»Nun sag schon.«
Ich schloss die Augen. »Ich bin … gestern überfallen worden. Im Büro, auf der Toilette. Irgendjemand kam aus einer Kabine gesprungen und hat mich niedergeschlagen. Und beim Fallen habe ich mir die Lippe aufgeschlagen.«
»Heilige Mutter Gottes! Lass mal sehen.«
Ich wich zurück. »Es ist alles in Ordnung.«
»Was wollte er von dir? Hat er dir Geld gestohlen?«
»Nein. Es fehlt nichts.«
»Aber warum…«
»Ich weiß es nicht. Genauso wenig wie die Polizei. Meine Krankenhausklientin glaubt, dass der Angriff eigentlich ihr gegolten hat.«
»Und du?«, wollte Sean wissen. »Was glaubst du?«
»Sie könnte Recht haben. Oder …«
»Oder es könnte Barry gewesen sein. Oder jemand, den er beauftragt hat.«
»Vielleicht.«
Sean gab einen ächzenden Laut von sich und nahm mich in die Arme. Er zog meinen nassen Kopf an seine Brust.
»Dieser Hurensohn«, flüsterte er. »Wie sollen wir dich bloß vor ihm beschützen?«
Zögerlich befreite ich mich aus seiner Umarmung. »Ich passe schon auf. Wahrscheinlich war es sowieso nicht Barry. Dieser Krankenhausfall fliegt mir um die Ohren. Es geht um Hunderte von Millionen Dollar.«
Sean sagte: »Dann gib ihn ab. Man hat dich überfallen. Du kannst doch dafür nicht dein Leben aufs Spiel setzen.«
»Ich gebe ihn nicht ab.«
»Übernimm stattdessen meinen Fall.«
Zwischen aufsteigenden Tränen hindurch holte ich Luft. »Du weißt, dass ich das nicht kann.«
Sean nahm meine Hände und hielt sie zwischen seinen fest. »Ange, bei dieser Geschichte brauche ich dich. Ich weiß, du bist überlastet, aber ich brauche dich wirklich so sehr. Mitchell ist ein guter Kerl, aber …«
»Stop!« Ich riss meine Hände weg. »Falls du sagen willst, was ich glaube, dass du sagen willst, dann lass es. Mitchell ist wirklich ein hervorragender Strafverteidiger. Und ich … ich bin im Augenblick kaum in der Lage, meinen eigenen Namen zu schreiben.«
Er holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. Ich spürte den warmen Luftzug auf meiner Stirn.
»Deine Eltern haben mich auch schon gefragt«, sagte ich.
»Ich weiß. Es tut mir Leid, dass wir dich so unter Druck setzen. Aber ich möchte diese Angelegenheit nicht ohne dich durchstehen müssen.«
»Das musst du nicht. Ich werde da sein. Du bekommst jede Unterstützung, die ich dir geben kann.«
Meine Lügen schnitten mir wie Messer ins eigene Fleisch. Nichts von alledem müsste geschehen, wenn ich nicht getan hätte, was ich getan hatte.
Und jetzt verweigerte ich dem Menschen meine Hilfe, der fälschlicherweise meines Verbrechens beschuldigt wurde… diesem leidenschaftlichen, besonderen Mann, der Sarah geliebt und mir so sehr geholfen hatte. Der mich, zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort, vielleicht geliebt hätte, so wie ich ihn. Ganz abgesehen davon, dass die Hilfe, um die er mich jetzt bat, unweigerlich in einem Fiasko geendet hätte.
Sean sagte: »Ich glaube nicht, dass du das nicht könntest. Du bist eine großartige Anwältin. Du kennst uns alle. Ich müsste niemals befürchten, dass du Zweifel an meiner Unschuld hast. Wir sind sehr eng befreundet, seitdem…«
Seine Augen waren feucht geworden. Ich musste den Blick abwenden.
»Ange«, flüsterte er und nahm erneut meine Hände. »Du musst mich da rausholen.«
»Nein, Sean.«
»Sieh mich an.«
Ich wandte mich erneut ihm zu. Er hatte ausgesprochen dunkle Augen; Jims waren blau gewesen. Ich erinnerte mich, wie sie zugefallen waren, das Bild hatte ich immer und immer wieder vor Augen gehabt.
»Kannst du nicht zumindest noch einmal darüber nachdenken?«, fragte Sean.
»Nein.«
Da ertönte ein Geräusch aus Ninas Zimmer, und ich sprang auf. Ich ging zu ihrer Tür, machte sie auf und schaute hinein. Nur ein Kinderschnarchen war zu hören.
Dann ging ich wieder ins Wohnzimmer zurück. »Ich habe so schreckliche Angst davor, sie zu verlieren.«
»Kein Richter der Welt würde sie Barry zusprechen.«
»Richter sind keine Hellseher. Barry und seine Familie können sich sehr gut darstellen. Und du hast selbst gesagt, dass ich ihn praktisch in Schutz nehme.«
»Aber die Tatsachen sind doch für jeden Richter offensichtlich. Nina ist ein tolles Kind, weil du eine tolle Mutter bist. Vertraue den Tatsachen.«
Seans allradgetriebene Limousine durchschnitt die Nacht, allerdings auf einer Strecke, die ihn nicht nach Hause führte.
Er musste es tun.
Er erinnerte sich sehr gut an den Weg zum einst gemeinsamen Heim von Barry und Angela. Er und Sarah waren oft dort zu Besuch gewesen. Damals hatte er gedacht, dass es ein wunderschönes Haus war, dass aber etwas fehlte – Herzlichkeit, Gemütlichkeit, Nestwärme. In dem kleinen Häuschen, das Angela jetzt bewohnte, gab es das.
Als er die Eingangstreppe hinaufstieg, spürte Sean das altbekannte Kribbeln. Er drückte zweimal fest auf den Klingelknopf.
Die Sprechanlage brüllte ihm ins Ohr: »Wer ist da?«
»Sean Fell. Mach die Tür auf.«
»Was willst du?«
»Mach die gottverdammte Tür auf!«
Barry öffnete, ließ aber die Kette vorgelegt. Sean kam mit dem Mund dicht an den Spalt.
»Hast du Angela aufgelauert? Hast du sie niedergeschlagen?«
»Wovon redest du da? Angela ist niedergeschlagen worden?«
Seans Blick fiel auf die Hausnummer aus poliertem Kupfer am Türpfosten neben seiner Hand. Alles in der Umgebung dieses Kerls war perfekt. War er auch ein perfekter Lügner?
»Du solltest jetzt lieber die Wahrheit sagen, Mann. Warst du das, der ihr im Büro eins übergebraten hat? Oder hast du irgendeinen Widerling dafür angeheuert?«
»Falls Angela wirklich angegriffen wurde, dann habe ich damit nichts zu tun. Ich nehme an, sie ist durch ihr übliches, erbärmliches Urteilsvermögen irgendwie in Schwierigkeiten geraten. Wir sind fertig miteinander. Verschwinde hier auf der Stelle oder ich hole die Polizei.« Er machte die Tür zu, ohne sie zuzuknallen. Bloß nichts kaputtmachen, außer vielleicht einem Schädel oder einer Familie.
»Lass ja die Finger von Angela!«, schrie Sean die geschlossene Tür an.
Dann rannte er die Stufen hinunter und fuhr los, bevor er seinem rasenden Bedürfnis nachgeben konnte, die Haustür dieses Arschlochs in Stücke zu zerlegen.
Sehr viel später lag Sean, immer noch angezogen, auf seinem Bett. Er wollte nie wieder versuchen zu schlafen.
Er war immer noch wütend und wünschte sich sehnlichst, den Schweinehund, der Angela solches Leid verursachte, verprügeln zu können.
Und, Gott steh ihm bei, er spürte noch immer Angelas Hand auf seinen Handflächen, wie ein lebendiges Amulett.
Ein bestechender Gedanke, der sich dreizehn Jahre lang nicht in sein Bewusstsein gewagt hatte, nahm nun Gestalt an: Würde es jemals eine zweite Chance für ihn und Angela geben?
Aber damit versuchte er nur der Wirklichkeit zu entfliehen. Er würde des Mordes angeklagt werden. Und was seine Aussichten betraf … es waren furchtbare Dinge vorstellbar.
Ich hatte eigentlich erwartet, dass ich in einen totenähnlichen Schlaf fallen würde. Trotzdem nahm ich eine Valium. Ich musste tagsüber um jeden Preis einen klaren Kopf behalten. Das war meine einzige Waffe. Barry und seine Eltern hatten Geld, Mitarbeiter und ein gemeinsames, wahnwitziges Ziel. Alles, was ich hatte, waren mein Verstand und meine Liebe.
Ich schlief. Als das Telefon klingelte, integrierte ich das Geräusch in meinen Traum, machte daraus ein Warnsignal in einem der Seminarräume während meines Jurastudiums. Ich saß an meinem Holztisch, hörte das Klingelzeichen und versuchte mich zu erinnern, was es bedeutete und was ich jetzt tun musste.
Schließlich begriff ich und war mit einem Mal hellwach. Ich griff nach dem Hörer.
»Hallo?«
»Es ist vorbei, Angela.«
Das gleiche, unspezifische Flüstern, fast schon träge, nahm sich alle Zeit der Welt, um mich zu verhöhnen.
Ich bekam keine Luft mehr. Die Verbindung blieb weiter bestehen. Schließlich sog ich den Atem tief ein und stieß ihn wieder aus.
Ich gab meiner Stimme so viel Kraft, wie ich nur irgend konnte, und sagte: »Was denn? Was ist vorbei?«
Ich hörte die Person am anderen Ende noch ein paar Sekunden lang leise atmen, dann wurde die Leitung unterbrochen.