Читать книгу Verschenke kleine Sonnenstrahlen - Monica Maria Mieck – Herausgeber Jürgen Ruszkowski - Страница 12

Nicht für das Fundbüro geeignet

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In einer Zweimillionenstadt werden tagtäglich unzählige Menschen in den Bahnwaggons des Verkehrsverbundes von einem Stadtteil in den anderen befördert.


Grußlos betreten überwiegend einzelne Personen den Wagen und lassen sich auf einem freien Sitzplatz nieder. Man sitzt oft eng auf Tuchfühlung nebeneinander und bleibt doch anonym. Viele der Fahrgäste verschanzen sich hinter ihrer Zeitungslektüre und nehmen so den Nächsten überhaupt nicht wahr. Vor ein paar Tagen aber war ein blumiger Anlass für eine Frau ein Grund zu einem Gespräch. Und das gestaltete sich so:

In einem U-Bahnwagen saßen ein Mann und zwei Frauen. Als der Mann aussteigen wollte, lag auf der Bank neben seinem Sitzplatz unverkennbar ein eingepackter Blumenstrauß. Die eine der beiden Frauen war sehr aufmerksam, und sie rief noch hinter dem Aussteigenden her: „Sie haben ihre Blumen liegengelassen!“ Und sie bekam zur Antwort: „Nein, das sind nicht meine Blumen, die lagen da schon auf der Bank, als ich eingestiegen bin.“ Der Zug setzte pünktlich seine Fahrt fort. Jetzt saßen nur noch die beiden Frauen im Wagen. In Gedanken versunken, so schien es jedenfalls, schaute die junge Blondine mit auffallend langen Haaren während der Fahrt aus dem Fenster. Schräg gegenüber saß die Frau im besten Mittelalter mit fast schwarzen kurzen Locken und einem freundlichen Gesicht. Unvermittelt schauten sie sich dann aber spontan an. „Also, wenn der schöne Blumenstrauß von jemandem vergessen wurde und nun in den nächsten Stunden ohne Wasser gewiss bald vertrocknet sein wird, schlage ich doch vor, dass Sie den Strauß in Ihre Obhut nehmen, denn ich bin noch länger unterwegs und für das Fundbüro sind die schönen Blumen nicht geeignet“, sagte die wachsame Frau im mittleren Alter zu ihrem Gegenüber. Doch im Gesicht der Angesprochenen spiegelten sich ein Verlegensein und eine spürbare Unentschlossenheit. „Einen Blumenstrauß, den ich nicht käuflich erworben oder geschenkt bekommen habe, möchte ich nicht an mich nehmen“, sagte die junge Frau dann ganz offen und ehrlich. Doch spontan hatte die Frau mit den wachen Sinnen der Mitfahrenden einen gut überlegten Vorschlag zu machen. „Wie wäre es, wenn sie den Blumenstrauß jemandem schenken würden, vielleicht Ihrer Mutter?“ Mit einem Leuchten in ihrem Gesicht antwortete darauf die junge Frau: „Ja, das ist eine prima Idee, denn ich habe meine Mutter schon so lange nicht mehr besucht.“ Und bei der nächsten Bahnstation steigt eine erwachsene Tochter aus und winkt der Weiterfahrenden fröhlich mit dem verpackten Blumenstrauß zu, als wär’s ein Dank an sie.


Eine Rose verschenkt, zwei Umarmungen bekommen. Wenig gegeben, reichlich genommen.

Verschenke kleine Sonnenstrahlen

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