Читать книгу Verschenke kleine Sonnenstrahlen - Monica Maria Mieck – Herausgeber Jürgen Ruszkowski - Страница 16
Ich habe ihn sehr vermisst
ОглавлениеDer türkische Kleinbauer bemüht sich mit viel Fleiß und nach Kräften, die zehnköpfige Familie durch die Erträge, die das Land und das Vieh erbringen zu ernähren. Seine acht Kinder sind im Wachstumsalter und brauchen nicht nur Brot, sondern auch Schuhe und Bücher. Doch die Ernte fällt manchmal sehr spärlich aus, und so leben sie von der Hand in den Mund. Sorgenvoll sitzen die Eltern abends nach der Tagesarbeit zusammen, und sie überlegen, wie es weiter gehen soll. Schweren Herzens entschließt sich der Familienvater, nach Deutschland zu gehen, in das Land, das noch Gastarbeiter sucht.
In einer Baumschule sind seine kräftigen fleißigen Hände sehr willkommen. Viele Überstunden macht der stille Mann mit den wehmütigen großen brauen Augen. Oftmals sehnt er sich nach seiner Frau und seinen Kindern und auch nach der vertrauten Heimat. Bei dem Baumschulenbesitzer hat er eine preiswerte gute Unterkunft gefunden. So schickt er jeden Monat pünktlich den größten Teil seines Verdienstes in die Heimat. Die gestandene Familienmutter kann endlich ihren Söhnen und Töchtern dringend benötigte Schuhe kaufen. Äußerlich geht es der Großfamilie endlich besser. Aber das ganze Jahr über wächst die Sehnsucht nach dem Vater, der nur zu einem recht kurzen Urlaub bei seiner Familie sein kann.
Das Getrenntleben hat erst nach 18 Jahren ein Ende, als Frau und Kinder nach Deutschland dürfen. Hier lernen die Kinder in einer speziellen Ausländerklasse alle schnell und gut die fremde Sprache. Der Vater findet in einem Krankenhaus einen Arbeitsplatz als Betriebshelfer. So ist er mit zunehmendem Alter nicht ständig Wind, Kälte und Regen ausgesetzt.
In meiner Nachbarschaft hat ein junger freundlicher Türke eine günstig gelegene Änderungsschneiderei eröffnet. Mit einem seiner Brüder schafft er es, alle anfallenden Änderungswünsche seiner inzwischen großen Kundschaft zu erfüllen. Der Laden läuft gut. Auch ich bringe gerne Teile meiner Garderobe zu diesen beiden gelernten Schneidern. Und ich freue mich, wenn nach der Bezahlung auch noch ein wenig Zeit für ein Gespräch übrig ist. Mich interessieren die Gedanken dieser Menschen, die ihren Urlaub jedes Jahr in ihrem Herkunftsland verleben. So erfahre ich auch diese Geschichte seines Vaters, die der junge türkische Familienvater mir anvertraut hat. Er beschenkt mich mit seiner Offenheit, und ich danke ihm für sein Vertrauen.
„Am letzten Sonntag habe ich Sie mit ihrer hübschen Tochter und ihrem kleinen Sohn auf Fahrrädern gesehen“, sage ich beim Eintritt in seinen gepflegten Laden. Er lacht, und seine dunkelbraunen großen Augen strahlen. „Ich finde es gut, dass Sie sich in Ihrer knappen Freizeit um Ihre Kinder kümmern.“ - „Ja, das will ich auch sehr gerne, weil ich meinen schon verstorbenen Vater immer so sehr vermisst habe. Da fehlte mir einfach immer etwas. Wenn ich mal in der Schneiderei zu viel Arbeit habe und den Sonntag dafür opfern muss, merke ich das gleich am Verhalten meiner Kinder, die nicht gerne auf ihren Papa verzichten wollen. Ich will jetzt wenigstens versuchen, dass meine Kinder neben der Mutterliebe auch den Vater erfahren können.“ Ich freue mich über diese wertvolle Einstellung dieses jungen Familienvaters. Ein paar Tage später sehe ich, wie der schlanke junge Schneider seine Vaterrolle so richtig auf dem großen Waldspielplatz genießt. Das Töchterchen Asya rutscht schon mutig alleine die lange Rutschbahn mit Genuss herunter. Den jüngeren Sohn Mertol nimmt der Vater noch schützend auf seinen Schoß, damit er sich angstfrei an das Gerät gewöhnen kann. Welch unbezahlbares Geschenk ist es für diese Kinder, dass ihr Vater sie so liebevoll wahrnimmt und betreut.