Читать книгу Verschenke kleine Sonnenstrahlen - Monica Maria Mieck – Herausgeber Jürgen Ruszkowski - Страница 15

Heimweh

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Nach einem für mich gut verträglichen Flug von 4.000 Kilometern landet die Maschine erstaunlich sanft auf dem Rollfeld. Ein vereintes unüberhörbares Dankeschön bekommt der versierte Pilot von allen Fluggästen mit einem Applaus. Nachdem ich den Flughafen neugierig verlasse, blendet mich mitten im Januar die nicht gewohnte starke Sonneneinstrahlung. Sommerliche Temperaturen locken die vielen Touristen auf die spanische Insel Gran Canaria. So weit habe ich mich bisher noch nicht von Deutschland fort gewagt.


Meine Augen trinken im Januar den Anblick der bezaubernden, in allen Rottönen blühenden, Bougainvilla-Blüten, die auf zahlreichen Klettersträuchern dicht beieinander sitzen. Auf der Autofahrt ins Hotel begrüßen mich am Straßenrand junge und betagte Palmen in ihrem schönen grünen Fächergewand.

Ein Hotel soll in den kommenden Wochen meine Bleibe sein. Die kahlen fast schmucklosen Wände in dem gemieteten Appartement lassen gleich meine selbst gestalteten farbenfrohen Batikwandbehänge sehnsüchtig vor meinem inneren Auge aufleuchten. Vor allem mein eigenes Bett, in dem ich mich so geborgen und wohl fühle, entbehre ich schon nach der ersten Nacht. Und die harten Holzstühle ohne jegliche Kissenverwöhnung, lassen mich an meine bequemen gepolsterten Sitzmöbel in der Heimat denken. Und zu allem Übel schmeckt der Beuteltee leider nach Chlor. Außerdem funktioniert die Dusche im Bad nicht einwandfrei. In der Küche suche ich vergeblich nach einem Küchenmesser, um mir eine Apfelsine zu schälen. Mit einem tiefen Seufzer, dass ich daheim alles so schön praktisch und griffbereit und auch gemütlich habe, setze ich mich abends auf den harten weißen Küchenstuhl, an den runden Plastiktisch, unter die einzige Lampe, die mir ein Lesen in meinem spannenden Buch ermöglicht.

Weil es für mich in der Mittagssonne draußen zu heiß ist, lese ich im kühlen Hotel meine mitgebrachte Lektüre emsig weiter. Aber mein Lesestoff ist bald verbraucht. Zum Glück rettet mich mein Büchlein mit den Tageslosungen, das ich dann bis Mitte des Jahres im Voraus in vollen Zügen nachdenklich und intensiv studiere. Eine segensreiche Beschäftigung tut sich da für mich auf. Welch ein Geschenk!

Nach einer Woche Aufenthalt besteige ich wieder das Flugzeug, das mich und mein Heimweh nach Hause fliegt. Ich denke, dass ich gut kuriert bin. Lieber bleibe ich in der Heimat, auch im kalten Winter. Hier kann ich den Raureif auf den kahlen Zweigen bewundern und die hungrige Meise beim Körnerpicken beobachten. Plötzlich laufen meine Gedanken ganz weit zurück in meine Kindheit, in der ich beim Rodeln im glitzernden Schnee so viel Freude empfunden habe. – Heute jedoch lugt die Wintersonne zwischen den Wolken hervor. Damit will der unverzichtbare Himmelskörper uns sagen, dass er uns mit seinen wärmenden Strahlen im Frühling wieder großzügig bescheinen wird. Die Vorfreude auf den gewiss kommenden Frühling: Mit seinen frohen Farben, vielfältigen Schönheiten, den ersten Veilchen, die meine Augen küssen, dem bezaubernden Singen der Vögel, dem Grünen und Wachsen von Tag zu Tag, liegt er jetzt schon hoffnungsvoll in meinem Herzen. Von Kindesbeinen an bin ich an ihn gewöhnt, und ich lebe sehr gerne in dem vorgegebenen natürlichen Rhythmus der sich abwechselnden Jahreszeiten. Frühling, Sommer, Herbst und Winter, sie haben alle vier ihren eigenen unverwechselbaren prachtvollen Charakter. Ja, ich würde die bunte Herbstlaubfärbung besonders schmerzlich vermissen. Die milde Wärme in der dritten Jahreszeit bekommt meinem alternden Körper so gut. Das Rascheln des trockenen Laubes unter meinen Wanderschritten ist eine altjunge Musik, die mich wärmend an meine Kindheit erinnert.


Verschenke kleine Sonnenstrahlen

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