Читать книгу Verschenke kleine Sonnenstrahlen - Monica Maria Mieck – Herausgeber Jürgen Ruszkowski - Страница 4

Ein treuer Kunde

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Seine Wochenendzeitung faltet er langsam zusammen. Und er nimmt die sensationsgefüllte Lektüre enttäuscht in seine Hände und legt sie auf den Stapel, auf dem er alles bedruckte Papier sammelt. Die letzten warmen Strahlen der Abendsonne genießt der betagte Ruheständler in seinem idyllischen Garten. Am Zaun angebunden leuchtet die gelbbraune große Sonnenblume, obwohl Wind und Regen der letzten Wochen sie etwas zerzaust haben. Roter und weißer Phlox verströmt verschwenderisch seinen süßen Duft. Bedächtig begießt der leidenschaftliche Hobbygärtner alle durstigen Pflanzen. „Ihr seid ja so ausgetrocknet nach diesem langen Sonnentag. Wie schade ist es nur, dass ihr mir nicht antworten könnt. Ich habe heute noch mit keinem Menschen gesprochen.“

Auf der alten Holzbank hinter seinem kleinen Häuschen sitzt er in frühere schöne Erlebnisse versunken, bis ein frischer Abendwind ihn wachrüttelt. „Die rechte Armlehne ist schon länger nicht mehr fest. Ich werde morgen früh gleich einen Tischler anrufen.“ Mit diesem festen Vorsatz geht er schleppenden Schrittes in sein gemütliches Zuhause.

Am nächsten Morgen greift der Alleinlebende schon vor dem Frühstück zum Telefonhörer. Die Stimme der jungen Frau im Büro der Tischlerei drückt eine heitere Freundlichkeit aus. „Ja, Herr Stemmler, wir übernehmen auch gerne kleine Reparaturen. Wann sind Sie denn anzutreffen?

Ich kann ihnen heute Nachmittag einen Gesellen schicken, der ihre Bank wieder in Ordnung bringt.“ – „Das ist ja wunderbar, sagen Sie ihrem Tischler, dass ich mich auf ihn freue.“ Während der alte Mann sich sein warmes Mittagessen zubereitet, formuliert seine frohe Erwartung den Satz: „Ich bekomme heute Besuch.“

Dem Klingelzeichen folgt der Wartende fast hüpfend. Der junge Handwerker begrüßt ihn so: „Herr Stemmler, ich möchte ihre Bank reparieren. Wo steht denn das gute Stück?“ – „Draußen hinterm Haus in meinem Garten wartet mein liebes altes Gesellenstück auf ihre fachmännischen Hände.“


„Habe ich richtig gehört, Herr Stemmler, dass Sie die Bank selber getischlert haben?“ – „Ja, junger Kollege, die hat schon ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel. Aber die längste Zeit davon war sie das wertvollste Schmuckstück meiner lieben verstorbenen Frau und hatte in unserem Häuschen einen Ehrenplatz.“ – „Das verstehe ich, Herr Stemmler, nur deshalb hat das stabile Eichenholz auch so lange gehalten. Ich werde jetzt ganz vorsichtig die gewünschte Reparatur ausführen.“ Mit flinken Handgriffen – und unter den interessierten Augen des alten Mannes – hat der freundliche Geselle die defekte Armlehne schnell wieder mit der wertvollen Bank vereinigt. „So, Herr Stemmler, die Rechnung bekommen sie dann bald mit der Post zugeschickt.“ – „Junger Mann, bleiben Sie doch noch wenigstens auf einen Kaffee bei mir. In meiner Thermoskanne wartet schon der erfrischende Trunk auf uns beide. Ein kühles Bierchen dürfen Sie ja im Dienst nicht trinken, weil Sie mit dem Auto unterwegs sind.“ Der junge beherzte Tischlergeselle schaut in die Augen des bittenden Mannes. „Ja, einen Kaffee trinke ich gerne noch mit ihnen.“ Beim Verabschieden drückt der betagte Mann zufrieden dem jungen Kollegen dankend die Hände. Ein großzügiges Trinkgeld steckt er ihm diskret in die blaue Jackentasche.

Am nächsten Tag schon inspiziert der Einsame alle Möbelstücke in seinem kleinen ockerfarbenen Häuschen. In der Diele wird der Suchende zu seiner Freude fündig. „Diese dunkelbraune schöne Wäschetruhe könnte auch noch eine Reparatur überstehen. Danach wäre sie gewiss ein kostbares Geschenk für die Kirchengemeinde. Die engagierten Mitarbeiter könnten dann auf dem Sommerfest bei der Versteigerung einen Liebhaberpreis erzielen.“ Den Auftrag gibt er unter einer Bedingung telefonisch durch: „Hier, Stemmler, ich habe noch eine stabile alte Truhe, die müsste schnell wieder funktionstüchtig gemacht werden. Bitte schicken sie mir aber auf jeden Fall den freundlichen jungen Gesellen, der mir meine Bank so vorbildlich repariert hat.“ – „Ja, das geht in Ordnung, Herr Stemmler.“

Der begehrte Tischlergeselle steht mit seiner Werkzeugstasche am nächsten Morgen dienstbereit bei seinem Berufskollegen auf der Fußmatte. „Junger Mann, kommen Sie doch herein, ich habe ein kleines Frühstück für uns beide vorbereitet.“ – „Solch einen fürsorglichen Empfang bin ich nicht gewohnt, Herr Stemmler.“ In der Küche duftet es nach Kaffee und frischen Brötchen. „Sie verwöhnen mich wie einen guten Freund. Aber bei allem Genuss darf ich die Arbeit nicht ganz vergessen. Die schwere alte Truhe ist ja noch in gutem Zustand. Ich werde sie mit Verstärkungen stabilisieren. Dann ist das gute Möbelstück wieder brauchbar und wird gewiss einen Käufer finden, der dafür gerne tief in die Tasche greift.“

Der Tischler im Ruhestand überlegt in den nächsten Tagen, womit er den jungen Freund erneut zu sich bitten kann. Auf dem kleinen Dachboden findet er hinter etlichem Gerümpel das schwarzweiß lackierte Schaukelpferd, dem nur ein Griff zum Festhalten fehlt. Der Auftrag ist schnell telefonisch durchgegeben. Der vertraute junge Mann fährt erneut zu seinem treuesten Kunden. „Lieber Herr Stemmler, haben Sie noch eine Arbeit für mich gefunden? Wissen Sie eigentlich, dass sie jedes Mal Fahrtkosten bezahlen müssen?“ – „Ich weiß, ich weiß das, junger Freund, aber so haben Sie mir an drei Tagen die Sonne der Freude in mein Herz scheinen lassen.“


Verschenke kleine Sonnenstrahlen

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