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Eine Hexe im Quartier

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Wie nahezu überall kam es in der Frühen Neuzeit auch in Stuttgart immer wieder zu Hexenprozessen. Im Vergleich zu anderen Gegenden war man hier allerdings gemäßigter, sodass es nie zu den großen Hexenverfolgungen kam. Die unsichere wirtschaftliche Lage und die mangelhafte Kenntnis über die Ursachen von Teuerung und Hungersnot förderte den Glauben an Hexen, gerade in Notzeiten: Missernten und damit verbunden Hungersnöte sowie Krankheiten begünstigten den Aberglauben.

Im protestantischen Herzogtum Württemberg gab es – anders als in den katholischen Territorialstaaten – keine zentrale Verfolgungsinstanz für dererlei Vorwürfe. Lokale Anschuldigungen wegen Hexerei wurden zwar vor Ort dokumentiert, aber zur weiteren Klärung und Verfolgung an übergeordnete staatliche Instanzen, in der Regel an herzogliche Juristen übergeben. Diese Juristen entschieden nach Aktenlage, ob ein Verfahren überhaupt eröffnet wurde. Eine Verurteilung fand nur statt, wenn ein Beweis für das Vergehen vorlag. Die Beschuldigten hatten außerdem Anspruch auf einen Rechtsbeistand.

Trotzdem kam es auch in Stuttgart immer wieder zu Anklagen oder besser Denunziationen wegen Hexerei. Heute wissen wir, dass meist Streitereien unter Nachbarn den Ausgangspunkt für die gefährlichen Anschwärzungen bildeten. So war es auch in Stuttgart, wobei die Behörden häufig die Denunziationen als solche erkannten und gar keinen Prozess, der übrigens nach festgelegten juristischen Regeln ablief, eröffneten.

Wenn es zu einem Prozess kam, wurde die Todesstrafe in Württemberg und auch in Stuttgart deutlich seltener verhängt als anderswo. Es ist auch kein Fall bekannt, dass gegen Kinder die Todesstrafe in einem Hexenprozess in Württemberg verhängt worden wäre, wie dies an anderen Orten der Fall war.25

1644 wurde in der Esslinger Vorstadt die Hebamme Martha, des Glasers Endriß Clausers Wittib (Witwe) der Hexerei bezichtigt. Sie wohnte damals in der Esslinger Straße. Hebammen gab es in der Esslinger Vorstadt schon seit 1350. 1498 gab es dort sogar zwei, in der alten Kernstadt jedoch bereits acht.26 Der soziale Status der Hebammen war unterschiedlich, manche Hebammen konnten sich sogar Gehilfinnen leisten.

Wie viele der Hexerei angeklagten Frauen war auch Martha alleinstehend, hatte also niemanden, der ihr den Rücken stärken konnte, und war wohl auch nicht wohlhabend. Der Beruf der Hebamme brachte häufig Anfeindungen mit sich: Durch die damals mangelhafte Hygiene starben öfter als heute Mutter oder Kind bei der Geburt, auch wenn die Hebammen im Allgemeinen ihr Handwerk verstanden. Viele Kinder starben sehr jung, was immer wieder Anlass zu Gerüchten gab. Oft reichte ein strenger Blick, um eine Hebamme in Verruf zu bringen. Auch wenn die Obrigkeit solchen Gerüchten in Württemberg kaum Gehör schenkte, die einfachen Leute glaubten fest daran.

Im Fall der Hebamme Martha wurde von den Behörden unter Leitung des Leonberger Vogts Samuel Schmid im Oktober 1644 ein Verfahren eröffnet und eine ganze Reihe Zeugen gehört, darunter viele Mägde und Gehilfen von Handwerkern, also einfache Leute. Neben den namentlich genannten Zeugen heißt es auch lapidar „samt der gesamten Nachbarschaft“. Man war sich also einig, dass die Hebamme Martha aus der Esslinger Straße eine Hexe wäre. Martha muss auch das Pech gehabt haben von der äußeren Erscheinung her aufzufallen: Sie trug nämlich den Beinamen „die lange Hebamme“. Abweichungen von der Norm konnten damals noch stärker als heute zu Anfeindungen und Ausgrenzung führen.

Nach den schwer entzifferbaren Akten wurde die Hebamme Martha wohl der Kindstötung verdächtigt, ein Vorwurf, dem Hebammen damals leicht ausgesetzt waren. Catharina, eine Zeugin, sagte aus, dass sie am Pfingstmontag ihr Kind noch „richtig empfunden“ habe, dann aber nicht mehr. Für Catharina stand fest, dass Martha das Kind verhext hatte.

Die bedauernswerte Hebamme wurde wohl auch einem verschärften Verhör unterzogen, d.h. sie wurde gefoltert und gab schließlich den Verkehr mit dem „baisen Geist“, eine alte Bezeichnung für „Teufel“, zu. Fast alle Frauen gestanden unter der Folter nahezu alles, was man von ihnen hören wollte, so unsinnig es auch sein mochte, oder legten kurz vor Beginn der angedrohten Folter ein „Geständnis“ ab, um eben der angedrohten Folter zu entgehen.

Leider ist unklar, welches Urteil gesprochen wurde. Da in Stuttgart aber kaum Hexen zum Tode verurteilt wurden, ist zu hoffen, dass sie den Prozess überlebt hat. In diesem Fall konnte ihr Kerkerhaft oder Ausweisung drohen. „Ausweisung“ hört sich harmlos an, war es für die Betroffenen aber nicht, wenn auch im Vergleich zur Todesstrafe die humanere Lösung. Ausgewiesene gehörten zu den Herumziehenden und konnten nirgends mehr sesshaft werden und einem Gewerbe nachgehen. Letztlich waren sie aller Rechte beraubt. Möglich ist allerdings auch, dass die Hebamme Martha aus der Esslinger Straße doch noch freigesprochen wurde. In Stuttgart kam dies durchaus vor. Hoffen wir es im Nachhinein für sie!27

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