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Seifensieder im Bohnenviertel

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Aber nicht nur verzweifelte Literaten lebten im Bohnenviertel, sondern natürlich auch Handwerker. Die älteste noch heute existierende Firma im Bohnenviertel ist der Seifen Lenz, auch wenn der Betrieb heute nicht mehr in Familienbesitz ist. Er wurde am 2. Juli 1785 gegründet und besteht bis heute. Um als Seifensieder im 18. Jahrhundert wirken zu können, musste man Mitglied der Seifensieder-Zunft sein und ihren Ansprüchen genügen. Dies war damals eine Art Qualitätssicherung.

Unter Seife darf man sich nun weniger Feinseifen vorstellen, das war etwas für die Leute in der „Reichen Vorstadt“, sondern früher war vor allem der Bedarf an einer Gebrauchsseife, einem universellen Reinigungsmittel groß, das sich für alles gut eignete: also zum Reinigen, Putzen und zum Sich-Waschen.

Für die Seifenherstellung wurde Talg mit Ätznatron verkocht. Die so hergestellte Seife wurde im Block getrocknet und danach in Scheiben, diese wiederum in Riegel und dann in Stücke geschnitten, die nach Gewicht verkauft wurden. Verseifte man den Talg mit Kalilauge, erhielt man die flüssigere Schmierseife, die sich allerdings nicht so gut bevorraten ließ wie die härteren Seifenstücke.31 Manche Hausfrau lagerte bis in die 1950er-Jahre in ihrer Vorratskammer mehrere Stücke Seife, da gut abgelagerte Seife schaumiger und ergiebiger war.

Talg, vor allem Rindertalg war auch die Grundsubstanz für die Kerzenherstellung, weshalb Seifensieder oft auch Kerzen herstellten. Dies galt insbesondere für den Winter, wo weniger Seife verkauft wurde. Die Arbeit in der Landwirtschaft ruhte, man wurde dadurch weniger schmutzig, und wer wäscht sich schon gerne in der Kälte?

Kerzen waren ein sinnvolles Zweitprodukt der Seifensieder, da in der dunklen Jahreszeit der Bedarf an künstlichem Licht stieg und das Ausgangsprodukt für Kerzen ja ebenfalls Talg war. Dabei dienten sie schlicht zur Beleuchtung, nicht als Zierkerzen. Letztere waren etwas für die Kirche und die reichen Leute.

Noch 1883 gab es in Stuttgart mindestens vier Seifensiedereien, die teilweise noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts existierten (Seifen-Haag, ehemals in der Kanzleistraße). Außer der Firma Seifen-Lenz gab es in der Esslinger Vorstadt noch die Firma Wagner am Leonhardsplatz, dem alten Marktplatz.

Aber die Seifensieder verkauften im Winter bis in die Osterzeit hinein noch etwas ganz anderes, nämlich Stockfisch. Bevor man ihn zubereiten konnte, musste er ca. zwei Wochen unter Zusatz von Lauge gewässert werden. Wer einmal selbst Stockfisch zubereitet hat, weiß, wie das riecht. Heute ist der Stockfisch, der so heißt, weil er wirklich so hart wie ein Stock ist, bei uns kaum noch auf dem Speiseplan, vermutlich wegen des Geruchs beim Wässern. In südlichen Ländern jedoch lässt man sich davon nicht abschrecken und genießt noch heute „Baccalà“ als Delikatesse. Auch vor dem Haus des Seifensieders Lenz in der Esslinger Straße 29 stand vor Ostern ein Fass mit Stockfischen vor der Türe.32

Die Händler in der Esslinger Vorstadt hatten den kleinen Wettbewerbsvorteil, dass der Marktplatz an der Leonhardskirche ganz nah war. Es gab also keine langen Transportwege oder Ähnliches.

Mit dem Aufkommen von Gasbeleuchtung und später der Elektrifizierung nahm der Bedarf an Gebrauchskerzen ab, und gleichzeitig nahm die Produktion von Feinseifen zu. Deren Herstellung war etwas aufwendiger: Die bereits getrocknete Seife wurde gemahlen (pilliert), häufig sogar mehrfach, und mit Duft- und Farbstoffen versetzt. Schließlich wurde die Masse in Form gepresst, u.U. mit Modeln auch Muster in die Seife gedrückt. Anschließend wurde sie getrocknet. Je länger man die Feinseife trocknete, umso feiner wurde sie und vor allem umso härter. Und je härter eine Seife ist, umso langsamer verbraucht sie sich. Die Firma Roger & Gallet trocknete ihre Seifen früher rund sechs Monate. Erst danach wurden sie verkauft.

Die Seifensiederei Lenz schaffte den Wandel von der handwerklichen Produktion über die aufstrebenden Gründerzeitjahre ins 20. Jahrhundert. Bis zum Tod von Wilhelm Friedrich Lenz 1928 wurde die Firma von männlichen Familienmitgliedern geführt, dann übernahm die Ehefrau Berta Lenz, geborene Häcker, die Firma. Der Name Lenz blieb aber als Firmenname bis heute erhalten, auch wenn die Firma zwischenzeitlich an die befreundete Familie Rittberger übergeben wurde. Heinz Rittberger, gelernter Drogist, trat 1957 in die Firma Seifen-Lenz ein und blieb ihr treu. Als sich die erbenlose Firmeninhaberin zurückziehen wollte, kauften die Rittbergers 1969 die Firma Lenz. Es wurden spannende Jahre, da lange Zeit das Damokles-Schwert eines drohenden Abbruchs über dem Bohnenviertel schwebte, weil dort das Technische Rathaus der Stadt Stuttgart angesiedelt werden sollte. Aber es wurde rechtzeitig vorgesorgt: 1970 übernahmen Rittbergers die Weißenburg-Drogerie, um eine Ausweichmöglichkeit zu haben, falls es zur Kündigung durch die Stadt im Bohnenviertel kommen sollte. Das ursprüngliche Firmengebäude (es stand auf der Seite des heutigen Breuninger-Parkhauses) wurde bereits 1962 abgerissen. Das Plattmachen des Bohnenviertels, das viele in den 1970er-Jahren gerne gesehen hätten, konnte dank einer Bürgerinitiative, die viele Sympathien gewann, verhindert werden. Die Firma Lenz konnte 1975 in der Esslinger Straße das heutige Ladengeschäft beziehen. Die Zeiten hatten sich jedoch geändert: Inzwischen gab es große Drogeriemärkte (Ironie der Geschichte: Schlecker gibt es nun nicht mehr, Seifen-Lenz hingegen schon), die scheinbar viel mehr anbieten konnten und dazu noch viel billiger. Durch die Rückbesinnung auf Bewährtes und eine Sortimentsbereinigung, verbunden mit einer Spezifizierung, über lebte aber die Firma Seifen-Lenz bis heute. So wurde auch der Weihrauch aufgenommen, der zunächst eigentlich für die Räuchermännlein aus dem Erzgebirge in der Adventszeit gedacht war, dann aber zum Ganzjahres-Artikel mutierte.


Abb. 3 Seifen Lenz, der heutige Laden in der Esslinger Straße

Heinz Rittberger brachte sich selbst auch das Kerzenziehen bei – vor allem das Verzieren der Kerzen. Tauf-, Hochzeits-, Konfirmationskerzen und viele andere Arten findet man bei ihm. Sie dienen natürlich nicht mehr – wie in vergangenen Zeiten – der Beleuchtung, sondern stellen ein Stück Erinnerung an das betreffende Ereignis dar, das man am entsprechenden Jahrestag anzünden kann. Nirgends findet man heute eine reichhaltigere Auswahl unterschiedlichster Kerzen, und man kann sich sogar nach seinen eigenen Vorstellungen eine Kerze anfertigen lassen, z.B. eine Hochzeitskerze.

Noch etwas Besonderes findet man heute beim „Seifen-Lenz“: offenen Weihrauch unterschiedlicher Herkunft. Im Bohnenviertel selbst ist der Seifen-Lenz eine Selbstverständlichkeit, die eigentlich nicht besonders beachtet wird. Seine Kunden kommen auch eher von außerhalb: Sie schätzen den Laden, in dem man nichts von Mainstream hält, sondern Bewährtes bewahrt, ohne antiquiert zu sein. Außerdem: Wo wird man heute noch umfassend beraten? Hier kann der Kunde noch etwas über „seine“ Seife erfahren und, wenn es ihn interessiert, kann er sich auch eine Tafel zur Seifenherstellung anschauen und erklären lassen. Übrigens ist der Laden trotz der Innenstadtlage noch über Mittag geschlossen, und das funktioniert!

Darin liegt eine der Stärken des Bohnenviertels: Obwohl es in Bezug auf die ansässigen Geschäfte auch viel Fluktuation gibt, existieren ebenso viele alteingesessene Betriebe: Wandel und Kontinuität vereinen sich zu etwas Ganzem.

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