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Von der Leonhardsvorstadt und der Esslinger Vorstadt zum Bohnenviertel

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Der Name „Bohnenviertel“ für das Quartier ist erst neueren Datums. Ursprünglich (1334) gab es eine kleine Leonhardskapelle, die zwischen Gärten, Äckern und Wiesen lag, also vor der Kernstadt (der heutigen Innenstadt). Um diese Kapelle herum, die bereits 1337 nachgewiesen wurde, wuchs die sogenannte Leonhardsvorstadt, die noch zwischen 1588 und 1594 so bezeichnet wurde, parallel dazu aber auch seit 1475 den Namen „Esslinger Vorstadt“ trug, nach dem Tor und der Straße, die wie der Name sagt, runter zum Neckar und nach Esslingen führte.


Abb. 1 „Die fürstliche Statt Stuetgart“; Stich von Matthias Merian (gedruckt 1643)

Die heutige Landeshauptstadt Stuttgart hat viele Partnerstädte in aller Welt, auch Brno/Brünn in Tschechien gehört dazu. Kaum jemand weiß aber, dass die Beziehungen zwischen Stuttgart und den tschechischen Landen bereits sehr alt sind und der Prager Wenzelsplatz, nach dem Entwurf von Peter Parler, das Vorbild für die ursprüngliche Anlage der Hauptstätter Straße abgab. Natürlich nicht in den originalen Abmessungen, schließlich ist im Schwäbischen alles ein bisschen bescheidener. Rund 50 Jahre nach der Prager Anlage wurde um 1393 mit dem Bau in Stuttgart begonnen. Der Prager Straße „Zum Graben/Na Prikopje“ entsprach zum Beispiel die Esslinger Straße.3 Man orientierte sich auch damals bereits gerne an bedeutenden Vorbildern, schließlich war Prag eines der großen Zentren der Zeit.

Um diese Zeit (15. Jahrhundert) war die Leonhards- oder Esslinger Vorstadt bereits dicht bewohnt, aber trotzdem gab es hier immer noch Äcker und Gärten. Man darf sich das allerdings nicht so idyllisch vorstellen, wie es vielleicht klingt: Bei der Bevölkerung handelte es sich in erster Linie um ärmere Leute, Handwerker vor allem und Lohnwengerter, also Weinbauern, die gegen Bezahlung in anderer Leute Weinberg arbeiteten. Die Wengerter mussten weite Wege zurücklegen, um an ihren Arbeitsplatz, sprich in „ihren“ Weinberg zu gelangen. Mit dem „Kreben“ auf dem Rücken zogen sie frühmorgens hinauf zum Kriegsberg auf der anderen Seite der Stadt, zur Mönchhalde oder auch zum Gähkopf.4 Dass es bei den Bewohnern und Bewohnerinnen der Esslinger oder Leonhardsvorstadt nichts zu holen gab, wusste auch der Magistrat der Stadt, der sich 1563 gegen Herzog Christoph wandte, weil der Herzog eine Steuer für die Finanzierung der Stadtmauer erheben wollte. Der Magistrat wies den Herzog darauf hin, dass die Bevölkerung der Vorstadt durch Frost, Hagel und in Folge davon durch Teuerung so verarmt sei, dass man keine Steuer erheben könne.

Den Unterschied zwischen der „Reichen Vorstadt“ und der „Leonhardsvorstadt“ kann man auch an den Steuerregistern ablesen. Von 304 potenziellen Steuerpflichtigen der Leonhardsvorstadt waren 60 ohne Vermögen, mussten also nur den symbolischen Betrag von einem Batzen bezahlen. Dies waren rund 20 Prozent der Bevölkerung des Quartiers. In der Reichen Vorstadt hingegen (damals die 4. Linea genannt), waren von 134 potenziellen Steuerzahlern nur 13 ohne Vermögen, also rund 10 Prozent. Bei diesen 10 Prozent handelte es sich zudem meist um Knechte oder Mägde.5

Etwas Urschwäbisches, oder zumindest einen Vorläufer davon, gab es bereits im 15. Jahrhundert, nämlich die Kehrwoche, über die sich Nichtschwaben gerne lustig machen. Allerdings hat die Kehrwoche, die gern belächelt wird, einen ernsthaften Hintergrund. So hieß es 1492 in einer Verordnung:

„Damit die Stadt rein erhalten wird, soll jeder seinen Mist alle Woche hinausführen, sonst darf der Spital ihn für sich holen lassen; jeder seinen Winkel alle vierzehn Tage, doch nur bei Nacht, sauber ausräumen lassen und an der Straße nie einen anlegen. Wer kein eigenes Sprechhaus hat, muss den Unrat jede Nacht in den Bach tragen.“6

Zur Erläuterung: Ein Sprechhaus war ein WC-Häuschen, natürlich ohne Wasserspülung. Man hatte bereits im 15. Jahrhundert den Zusammenhang zwischen Unrat und Krankheiten erkannt und versuchte, Abhilfe zu schaffen. Man darf nicht vergessen, es lebten damals nicht nur Menschen in der Stadt, sondern auch jede Menge Nutztiere, die teilweise auch frei herumliefen und überall ihre Spuren hinterließen. Das traf auch zweifellos auf die Esslinger Vorstadt zu.

Die Vorschriften zur Beseitigung des Unrats wurden in den nächsten Jahrhunderten immer exakter: 1714 gab es die erste Gassensäuberungsordnung, die besagte, dass der Unrat aus Kloaken und Winkeln bei Nacht vor das Hauptstätter Tor oder vor das Rothebildthor (Rotebühltor) gekarrt werden solle. Dies war die Arbeit der sogenannten Kärrner, die von der Stadt entlohnt wurden und den Unrat in einem geschlossenen, mit Glöckchen versehenen Karren abtransportierten. Die Glöckchen sollten dafür sorgen, dass zufällig Vorübergehende rechtzeitig dem anrüchigen Gefährt ausweichen konnten.

Dreißig Jahre später wurde die Pflicht zur Reinhaltung der Straßen auf die Hausbesitzer abgewälzt und mindestens zweimaliges Kehren in der Woche vorgeschrieben. Auch die öffentlichen Plätze sollten gesäubert werden, und zwar von den Armen, die die Stadt materiell unterstützte. Klingt ein bisschen wie Hartz IV und die damit verbundenen Ein Euro-Jobber. Da die Stadt ihre Pappenheimer kannte, setzte man natürlich auch eine Aufsicht ein: Es gab einen Gasseninspektor, unter dessen Einfluss die Kehrwoche weiter reglementiert wurde. Nun legte man auch Uhrzeiten fest, an denen gekehrt werden sollte (Mittwoch und Samstag um 5 Uhr, im Winter um 3 Uhr nachmittags). Außerdem wurde festgelegt, dass bei trockenem Wetter die Straßen mit Wasser bespritzt werden mussten. Ab 1811 musste man übrigens einen Gulden Strafe zahlen, wenn man nicht oder nicht häufig genug kehrte. Für die Bewohner und die Bewohnerinnen der Esslinger Vorstadt war dies ein hoher Betrag, der einen lieber zum Besen greifen ließ.7

Die meisten Häuser in der Vorstadt waren am Ende des 15. Jahrhunderts noch aus Holz, zum Teil sogar mit Strohdächern, was die Brandgefahr erhöhte. Steinhäuser konnten sich nur reiche Leute leisten, wie sie z.B. in der „Reichen Vorstadt“ lebten. Um zumindest einen gewissen Feuerschutz zu gewähren, gab es in der Esslinger Vorstadt noch 1498 sieben Feuerpfannen. Es dauerte zwar, bis die Landesverordnung umgesetzt wurde, die besagte, dass in Städten zumindest die unteren Stockwerke aus Stein gebaut werden und die Dächer Ziegel tragen sollten.8 Durch die dichte Bebauung (1589 gab es 352 Häuser im Quartier) war die Feuergefahr natürlich besonders hoch.

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