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Großes Moldawisches Reich Tagebuch – 25.01.2003

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Ich wünschte, es würde endlich etwas passieren, worüber ich schreiben kann. Woraus ich eine Geschichte machen kann. Sonst muss ich mir einfach etwas ausdenken.

Ich hatte mal eine Lehrerin, die ich sehr gern hatte, Frau Viira. Sie kam nicht aus dem Großen Moldawischen Reich, sondern aus irgendeinem fremden Land. Sie hatte ein Buch aus ihrer Heimat mitgebracht, und auf dem Buchdeckel war eine wunderschöne Prinzessin mit langen goldenen Haaren abgebildet, ihr kostbares Kleid war von demselben Grün wie ihre Augen. Weil sie lächelte, sah man ihre weißen Zähne. Sie trug goldenen Schmuck und sah unfassbar glücklich aus. Hinter ihr standen ihre Eltern, König und Königin eines reichen Landes. Beide hatten jeweils eine Hand auf die Schulter der Prinzessin gelegt und schauten lächelnd auf ihre Tochter herunter.

Frau Viira hütete dieses Buch wie ihren Augapfel, und keine von uns durfte darin lesen. Die anderen nahmen das einfach so hin, aber ich fragte mich, warum sie das Buch dann überhaupt mit in die Schule gebracht hatte. Aus Angst, dass ihr Mann es ihr sonst wegnehmen würde? Bis zu dem Tag hatte ich lesen immer langweilig gefunden, aber jetzt wollte ich unbedingt wissen, was in dem geheimnisvollen Buch stand.

Ich wurde die beste Leserin der Klasse und nervte Frau Viira so lange, bis sie nachgab und mir erlaubte, jeden Tag ein wenig unter ihrer Aufsicht in dem Buch zu lesen.

Die Geschichte begann mit der Geburt der Prinzessin. Niemand schämte sich dafür, dass sie nur ein Mädchen war, im Gegenteil, sie war für das Königreich besonders kostbar, weil alle Prinzen und Helden sie heiraten wollten und sich der König somit einen Verbündeten verschaffen konnte. Der Geburtstag der Prinzessin wurde sogar zum landesweiten Feiertag erklärt.

Kein Wunder, dass meine Lehrerin dieses Buch in der Schule versteckt hielt! Allein dass es Menschen gibt, die ein Mädchen als so kostbar ansehen, verschlug mir die Sprache. Nicht, dass ich da vorher groß drüber nachgedacht hätte, aber irgendwie war ich immer davon ausgegangen, dass es überall auf der Welt so wäre wie bei uns. Außer natürlich im finsteren Hexenreich jenseits der Mauer.

Was habe ich dieses Buch geliebt! Jeden Tag sehnte ich die letzte Schulstunde herbei, in der ich, sofern ich mich benommen und alle Aufgaben gewissenhaft erledigt hatte, weiterlesen durfte. Im Nachhinein ist die Geschichte der schönen Prinzessin schnell erzählt, aber damals kam es mir vor wie eine Ewigkeit. Die Prinzessin wuchs heran und lernte nach und nach all die Dinge, die von einer Prinzessin erwartet wurden. Dann kam der Tag, an dem ein böser Zauberer die Königin tötete und das Königreich mit einem furchtbaren Fluch belegte: Keine Frucht und keine Pflanze, keine Beere und keine Wurzel, kein Fleisch und kein Getreide, kein Vogel und kein Fisch im gesamten Königreich sollte fortan die Menschen sättigen können. Der böse Zauberer hatte es natürlich auf den Thron abgesehen, dazu forderte er die Hand der Königstochter. Der König weigerte sich, denn er wollte sein Volk nicht einem grausamen Herrscher überlassen. Genauso wenig aber wollte er es hungern lassen. Also verkündete er, dass derjenige seine Tochter heiraten und das Land erben würde, der den bösen Fluch brechen und den Zauberer besiegen würde.

Angetan von der Schönheit und Tugendhaftigkeit der Prinzessin wagten sich viele Helden in den Kampf, aber alle scheiterten. Dann trat ein Krieger aus einem fernen Land vor den König und seine Tochter. Er sah die Prinzessin, und als er die Farbe ihrer Zähne mit Milch und die ihrer Haare mit Honig verglich, kam ihm der rettende Gedanke: Der böse Zauberer hatte nämlich vergessen, Milch und Honig ebenfalls zu verfluchen. Mithilfe der Kuhbauern, Ziegenhirten und Imker gelang es dem Krieger nicht nur die Menschen vor dem Verhungern zu retten, sondern auch die Soldaten des Königs so weit zu stärken, dass sie mit ihm an der Spitze den bösen Zauberer schließlich in einer großen Schlacht besiegen konnten.

Der Krieger bekam die Prinzessin zur Frau, wurde fortan »der Honigprinz« genannt und sollte nach dem Tod des Königs über das Land herrschen.

Und die Königstochter? Die wurde zur »Milchprinzessin« und hatte nach der Hochzeit nichts weiter zu tun, als Kinder zu bekommen, um die Thronfolge zu sichern. Das tat sie dann auch und das Buch endete damit, dass sie einen Sohn zur Welt brachte.

Am Ende war also auch die hübsche Prinzessin nichts weiter als eine ganz gewöhnliche Frau, die ihrem Gatten gefälligst ein Kind nach dem anderen zu gebären hatte, am besten natürlich Söhne. Dabei hätte sie ihr Leben im Gegensatz zu mir doch so einfach selbst in die Hand nehmen können! Sie hätte weglaufen können. Ihren Schmuck verkaufen und sich woanders ein Leben aufbauen. Oder sie hätte sich selbst etwas einfallen lassen können, um gegen den Zauberer zu kämpfen. All die Jahre, in denen sie Unterricht bekommen hatte – wozu? Wenn ihr dann doch nichts einfiel! Sie hätte sich auch zum Schein dem Zauberer ausliefern und ihn dann in der Hochzeitsnacht umbringen können, so hätte ich es gemacht. Aber nein. Sie saß einfach nur da mit ihrer Schönheit und in ihren kostbaren Kleidern, als wäre sie eine Puppe, sie saß da und lächelte und wartete, bis der König einen Mann fand, der das Königreich rettete und sie bis an ihr Lebensende schwängern würde. Sie würde ein Kind nach dem anderen bekommen, bis ihr alle Zähne und Haare herausgefallen wären und sie alt und verschrumpelt auf den Tod warten würde, wenn sie nicht schon vorher im Kindbett gestorben wäre.

Ich habe das Buch zerrissen. Meine Lehrerin war entsetzt. Es war ihr letztes Erinnerungsstück an ihre Heimat gewesen. Sie hatte Tränen in den Augen, als sie die zerrissenen Seiten an sich drückte, aber schließlich lächelte sie und verzieh mir. Von dem Tag an habe ich sie verachtet, denn sie war genauso wie die Prinzessin in ihrem Buch, sie lächelte und tat nichts.

Hexenherz. Glühender Hass

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