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Damaskus

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Selim Fathalla lag auf seinem zerwühlten Bett und sah, wie das Sonnenlicht über den gekachelten Fußboden auf ihn zukroch. Nach einer Liebesnacht mit Emilie war er in angenehme Mattigkeit gefallen, aber sein Kopf war klar und sein Puls regelmäßig. In einer Stunde würde Safreddin ihn besuchen, und er wollte bei dieser Begegnung gelassen und gut gelaunt wirken. Safreddin war wie eine Katze – schmiegsam und zutraulich, wenn man ihn streichelte, argwöhnisch und sogleich aggressiv, wenn man ihm ein wenig das Fell zauste. Ein seltsamer Mann, stolz wie ein Kaiser, ein eiskalter Intrigant, ein mystischer Moslem, seinen Freunden gegenüber absolut ehrlich und zuverlässig, erbarmungslos und grausam gegenüber seinen Feinden.

Während er über Safreddin nachdachte, erinnerte er sich an Eli Cohen, den Spion, dessen Platz in Damaskus er übernommen hatte. Cohens Leiche hatte als Warnung für alle Verräter in einem weißen Sack auf dem Morjan-Platz gehangen. Safreddin hatte Cohen zwölf Monate lang gejagt, hatte seine Funksprüche überwacht, sein Verbindungsnetz zerstört und ihn im Bett verhaftet. Hundert Tage lang hatte er ihn gemartert, ehe er ihn vor Gericht stellte. Safreddin hatte ihn bewundert und schwärmte heute noch von der Findigkeit und dem Wagemut dieses Spions; und er lachte, wenn er von der Gerichtsverhandlung erzählte und den moslemischen Richtern, die sich besonders darüber erregten, daß ein Ungläubiger es gewagt hatte, die Moschee zu betreten und mit den wahren Söhnen des Propheten das »Allah Akbar« zu beten. Aber aus dem Lachen klang Haß, denn Eli Cohen war auch sein Freund gewesen, und er hatte sich durch diesen Hund von Juden ganz besonders betrogen gefühlt. Wenn Safreddin jemals von dem Doppelleben Selim Fathallas erfahren sollte, würde seine Rache doppelt schrecklich sein.

Vielleicht hatte er bereits davon erfahren. Fathallas Puls ging schneller, und kalter Schweiß brach ihm aus. Vielleicht war die Begegnung heute morgen nur das Spiel einer Katze mit einer Maus, die bereits zum Tode verurteilt war. Aber so schnell konnte das nicht passiert sein. Irgendwas hätte ihn doch wohl gewarnt, und Dr. Bitar, der überall in der Stadt seine Ohren hatte, wäre es sicher nicht entgangen, wenn wirklich etwas los gewesen wäre. Außerdem wollte Safreddin eine Gefälligkeit von ihm. Eine Gefälligkeit mochte eine Erprobung seiner Loyalität bedeuten, aber sicherlich keine Verurteilung zum Tode. Fathalla war Araber genug, um Safreddins quälenden Denkprozeß zu verstehen. Traue niemandem, stelle ihn auf die Probe, und morgen wieder und übermorgen noch einmal, denn der Mensch ist wie ein Schilfrohr, das sich dem Wind anpaßt und unter dem Druck einer Hand zerbricht.

Die Affäre Eli Cohen hatte das ganze Gebäude der syrischen Gesellschaft zum Einsturz gebracht. Männer von Kabinettsrang, Kaufleute, Bankiers und hohe Armeeoffiziere hatten für Cohen gearbeitet. Einige waren von sich aus bereit gewesen, für die Israelis zu spionieren, andere hatten sich leichtgläubig übertölpeln lassen, und wieder andere waren nichts als gutbezahlte Spitzel. Als Safreddin das Verbindungsnetz schließlich vernichtet hatte, fand er sich in der peinlichen Lage, die Gerichtsverhandlungen zensieren und mit Männern verhandeln zu müssen, die er am liebsten gehängt hätte. Er war verständlicherweise außerordentlich mißtrauisch, und Fathalla war aus ebenso begreiflichen Gründen außerordentlich vorsichtig.

Doch er hatte aus Cohens Fehlern gelernt. Cohen hatte Spürsinn besessen und Wagemut und bei seinen Operationen eine Art verachtungsvolle Offenheit an den Tag gelegt. Aber zum Schluß litt er an einer leichten Paranoia, wie sie bei Menschen auftritt, die sich großen Gefahren aussetzen und die Passionen ihrer Kameraden lenken. Cohen war unvorsichtig geworden. Als man kam, um ihn festzunehmen, saß er auf seinem Bett und sendete Funksprüche. Offensichtlich war es ihm entgangen, daß Safreddins Leute seinen Sender bereits vor zwei Monaten ausgemacht hatten.

Cohen hatte seinen Reichtum nicht verborgen und kein Geheimnis daraus gemacht, daß er Konten bei Banken in Belgien, der Schweiz und Südamerika besaß. Seine Geschäfte waren immer groß und spektakulär, und die Tatsache, daß die Hälfte davon erfunden war, reichte bereits aus,, um Verdacht zu erwecken.

Fathalla, der Mann aus dem Irak, arbeitete ganz anders. Seine Geschäfte waren überschaubar und legitim. Er hatte einflußreiche Freunde, und er hinterließ stets den Eindruck, als fühle er sich ihnen unterlegen und sei dankbar für ihre gönnerhafte Freundlichkeit. Er hatte nur ein ausländisches Bankkonto – bei der Phönizischen Bank in Beirut –, und er war so vorsichtig gewesen, dem Finanzminister davon Mitteilung zu machen. Wenn er Geschenke machte, dann großzügig, aber nie zu großzügig. Eli Cohen hatte den Araber gespielt, aber er hatte die Rolle so übertrieben exotisch angelegt, daß sie Aufmerksamkeit erregte. Selim Fathalla hatte immer noch etwas vom Benehmen eines Bazarhändlers an sich, der sorgsam darauf bedacht ist, weniger reich zu wirken, als er war.

Er ging also von zwei verschiedenen Annahmen aus: Entweder war Safreddins Ersuchen um eine Gefälligkeit echt, oder es war eine schlau ersonnene Erprobung seiner Zuverlässigkeit als Anhänger der Baathisten. Wenn das erste zutraf, dann würde die Gefälligkeit seinen Kredit erhöhen. Wenn er auf die Probe gestellt werden sollte, dann würde er vorsichtig darauf eingehen und alle Fehler machen, die man von einem unwissenden und unschuldigen Mann erwartete.

Die Tür ging auf, und Emilie Ayub betrat das Zimmer. Sie war klein, aber der lange Morgenrock aus Damaszener Brokat ließ sie größer wirken. Ihr Haar war dunkel und glänzte, ihre Haut hatte die Farbe von Honig. Ihre feuchten braunen Augen schienen manchmal zu groß für ihr Gesicht, und man hatte den Eindruck, als betrachte sie die Welt mit fortwährender Verwunderung. Sie sprach Französisch mit arabischem Akzent und Arabisch auf seltsam schleppende Art.

Sie beugte sich über das Bett, küßte Fathalla und sagte: »Das Bad ist gerichtet, Farida bringt das Frühstück, sobald Safreddin da ist. Ich ziehe mich jetzt um und gehe ins Büro.«

Er hielt sie in den Armen und fühlte noch einen Augenblick die Sicherheit und Wärme, die von ihr ausging. Dann setzte er sie auf das Bett neben sich, umfaßte ihre schmalen Hände und stellte ihr die Frage, die ihn die ganze Zeit gequält hatte.

»Als ich krank war, Emilie, hab’ ich eine Menge geredet. Ich weiß es. Doktor Bitar hat es mir erzählt. Habe ich etwas – etwas Seltsames gesagt?«

Er spürte, wie sie steif wurde, und sah, wie ein Schatten von Angst über ihre Augen flog. Aber sie hatte sich gleich darauf wieder in der Gewalt, und nach kurzem Zögern antwortete sie ihm.

»Du hast viele Dinge gesagt, die ich nicht verstanden habe.«

»Was für Dinge?«

»Ich erinnere mich nicht mehr.«

»Oder du willst dich nicht mehr erinnern, Emilie.«

»Richtig. Ich will mich nicht mehr erinnern. Ich will dir etwas sagen, Selim – dich um etwas bitten. Frage mich nichts – erzähl mir nichts –, das nichts mit uns zu tun hat.« Ihre Stimme brach ab, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ich bin nicht – ich bin nicht daran interessiert. Ich bin für so etwas nicht geschaffen. Deshalb will ich es nicht wissen – nie.«

»Hast du Angst vor mir, Emilie?«

»Nein. Ich liebe dich.«

»Du weißt, daß ich dich liebe?«

»Ich weiß es.«

»Vertraust du mir?«

»Ich möchte es, immer.«

»Dann sind wir uns einig. Keine Reden. Keine Fragen.«

Er zog sie wieder an sich, und für einen langen, süßen Augenblick blieben sie beieinander liegen. Dann verließ sie ihn. Er stand auf, ging an das Fenster und blickte hinaus auf den Brunnen und die Tamariske, während eine neue Angst wie eine Eidechse über seine Haut kroch.

Pünktlich um zehn kam Oberst Safreddin zum Frühstück. Er war ein schlanker, tadellos gekleideter Mann mit einem Habichtsgesicht. Er trank drei Tassen Kaffee, rauchte eine Zigarette und erkundigte sich freundlich und besorgt nach der Gesundheit seines Gastgebers. Dann erzählte er weitschweifig von Freunden und Bekannten und gab einen kurzen Kommentar zu den Ereignissen des Tages. Erst nach einer halben Stunde kam er auf den Anlaß seines Besuchs zu sprechen. Sofort änderte sich sein Benehmen, und er wurde kurz angebunden und unpersönlich.

»So, mein Freund, und nun zu der Sache, über die wir bereits sprachen. Wir brauchen Ihre Hilfe.«

»Sie haben sie bereits.«

»Es handelt sich um eine einfache Operation – aber sie muß streng vertraulich bleiben.«

»Selbstverständlich.«

»Ihre nächste Lieferung nach Amman geht am Mittwoch hinaus. Stimmt das?«

»Ja, das stimmt.«

»Wie viele Laster sind es?«

»Zwei.«

»Was transportieren sie?«

»Mehl, Konserven, Stoffe und noch ein paar andere Sachen.«

»Wann verlassen sie Damaskus normalerweise?«

»Um sechs Uhr morgens. Die Waren werden am Tag vorher aufgeladen. Die Laster bleiben die Nacht über im Hof vor dem Lager. Ich gehe kurz vor sechs hin und überwache die Abfahrt.«

»Wer ist während der Nacht dort?«

»Niemand außer dem Wächter.«

»Gut. Es wird also folgendes geschehen: Sie laden die Laster wie üblich am Dienstagnachmittag. Viertel vor neun am Dienstagabend gehen Sie zu dem Lagerhaus und öffnen es. Sie schicken den Wächter für zwei Stunden weg. Um neun werden meine Leute kommen, ein Laster mit einem Offizier und vier Packern. Sie werden einen Teil Ihrer Ladung abladen, unsere Sachen verstauen und dann Ihre Laster wieder volladen.«

»Und Ihre Sachen sind…?«

»Wie ich Ihnen schon sagte: Gewehre, Handgranaten und Plastikbomben. Am nächsten Morgen um sechs werden Ihre Fahrer wie gewöhnlich nach Amman aufbrechen.«

»Sie werden nichts von der zusätzlichen Ladung wissen?«

»Nichts. Wenn sie an die jordanische Grenze kommen, werden sie wie üblich vom Zoll untersucht. Die Untersuchung wird diesmal nur etwas genauer ausfallen. Die Gewehre, Granaten und Plastikbomben werden entdeckt und beschlagnahmt werden. Ihre Fahrer wird man festnehmen und verhören. Dann wird man sie freilassen und ihnen erlauben, mit Ihrer Ladung weiter nach Amman zu fahren.«

»Und das ist alles?«

»Das ist alles. Noch irgendwelche Fragen?«

»Nur eine. Was wird aus unseren zukünftigen Transporten? Ich mache viele und große Geschäfte mit Amman.«

»Das ist kein Problem. Die Grenzkontrollen werden für ein paar Wochen verstärkt, und dann normalisiert sich allmählich alles wieder.«

»Aber schließlich ist es meine Gesellschaft, die die Waffen transportiert.«

»Die syrische Polizei wird in ihrem Bericht die Entdeckung der Waffen festhalten und gleichzeitig Sie und Ihre Gesellschaft von einer Mittäterschaft ausschließen. Die Jordanier werden uns um eine nähere Untersuchung des Falles bitten. Wir tun ihnen den Gefallen und werden Sie in unserem Bericht ebenfalls von jeder Schuld freisprechen. Es wird zu keinerlei Schwierigkeiten für Sie kommen, glauben Sie mir.«

Selim Fathalla lächelte geschmeichelt. »Ich glaube Ihnen. Ich hege die größte Bewunderung für Ihre Tüchtigkeit. Möchten Sie noch eine Tasse Kaffee?«

»Gern, aber dann muß ich gehen.« Safreddin lehnte sich in seinem Stuhl zurück, zog ein goldenes Etui aus der Tasche, entnahm ihm eine Zigarette, zündete sie an und blies eine Reihe von makellosen Rauchkringeln zur Decke. »Ich bewundere Sie, Fathalla«, sagte er schließlich. »Sie sind ein guter Geschäftsmann. Sie haben einen ausgezeichneten Geschmack, und außerdem sind Sie von einmaliger Diskretion.«

Fathalla lachte und breitete die Hände in der jahrhundertealten, unterwürfigen und gleichzeitig humorvoll-wissenden Geste des Bazarhändlers aus. »Ich bin Gast in diesem Land. Ich versuche nur, mich entsprechend zu benehmen.«

»Erzählen Sie mir, was Sie über Doktor Bitar wissen«, sagte Safreddin leise.

»Bitar?« Die Überraschung war echt. »Er ist ein liebenswürdiger Mann. Wenn ich krank war, ist er immer sehr aufmerksam gewesen. Wir spielen gelegentlich Schach miteinander. Darüber hinaus weiß ich sehr wenig von ihm.«

»Ist er ein guter Arzt?«

»Nach meiner begrenzten Erfahrung, ja. Weshalb?«

»Er ist mir als Hausarzt empfohlen worden. Das ist alles.«

So plötzlich, wie er darauf zu sprechen gekommen war, ließ er das Thema wieder fallen und begann von den neuen Maßnahmen zur Bekämpfung der Malaria im Euphrat-Tal zu sprechen. Drei Minuten später stand er auf und verabschiedete sich. Selim Fathalla blieb noch lange Zeit sitzen und starrte in den Bodensatz der Kaffeetassen, als könne er dort den Sinn der seltsamen Schmuggelaktion und der ebenso seltsamen Frage nach Dr. Bitars medizinischen Fähigkeiten ergründen. Dann erhob er sich. Er mußte den längst fälligen Bericht nach Tel Aviv aufgeben und Baratz wissen lassen, daß er noch am Leben war. Er stieg die Treppen zu seinem Schlafzimmer hinauf, verriegelte die Tür hinter sich, drückte die verborgene Feder, die die Fayenceplatte öffnete, und trat in das finstere Gemach, wo er sich in Adom Ronen, den israelischen Agenten, verwandelte.

Der Turm von Babel

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