Читать книгу Der Turm von Babel - Morris L. West - Страница 13
Beirut
ОглавлениеNuri Chakry zeichnete den Scheck und reichte ihn Idris Jarrah über den Tisch.
»Siebenundfünfzigtausend Dollar, abzüglich der Bankspesen. Damit ist das Konto der Palästinensischen Befreiungsorganisation bei der Phönizischen Bank erloschen. Schade. Wir verlieren nie gern einen guten Kunden.«
Idris Jarrah faltete den Scheck und steckte ihn in die Brusttasche. Mit leisem Bedauern sagte er: »Ich finde es ebenso schade. Ich hatte nie über unsere Geschäfte mit Ihrer Bank zu klagen, aber Sie wissen, daß ich nur ein Angestellter der Organisation bin. Ich habe keinerlei Kontrolle über die Anlage und Verwendung ihrer Gelder. Ich führe nur die Beschlüsse des Vorstands aus.«
»Natürlich, ich verstehe«, sagte Nuri Chakry. Er nahm die kleine Plastikschachtel mit der Goldmünze und drehte sie in seinen weichen Händen. »Ich verstehe vollkommen. Nur ist die Beziehung zwischen einem Bankier und seinem Kunden eine sehr spezielle. Ich war der Ansicht – und bin es immer noch –, daß man uns etwas näher mit den Absichten der Organisation hätte vertraut machen sollen. Ein persönliches Gespräch hätte für beide nützlich sein können.«
Es entstand ein kurzes frostiges Schweigen. Dann sagte Idris Jarrah: »Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten – das heißt, wenn Sie Zeit haben.«
»Natürlich. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich hätte gern ein Darlehen. Ein persönliches Darlehen.«
»In welcher Höhe?«
Hunderttausend Dollar.«
Nuri Chakry legte seinen Talisman auf den Tisch und blickte auf. Seine Augen waren groß und starr, wie bei einem Vogel. »Das ist ein sehr großes Darlehen, Mr. Jarrah. Sie haben gewiß Sicherheiten: Grundbesitz, Aktien, Pfandbriefe?«
»Grundbesitz nicht. Ich bin ein unsteter Mensch. Aktien und Pfandbriefe? Auch nicht. Aber ich handele mit Waren. Mit verkäuflichen Waren.«
»Als da wären?«
»Informationen«, sagte Idris Jarrah.
»Informationen sind nur von Wert, wenn sie exklusiv sind.«
»Sie sind es.«
»Auch dann ist es noch ein Risiko.«
»Ich setze mich Gefahren aus, um sie zu bekommen, und weit größeren Gefahren, wenn ich sie weitergebe.«
»Sie haben mich falsch verstanden.« Nuri Chakry war sehr höflich. »Das Risiko, das ich meinte, besteht darin, daß die Informationen falsch sein können.«
»Ich habe gelernt, sehr sorgsam auf die Echtheit meiner Informationen zu achten, Mr. Chakry. Schließlich hängt mein Leben davon ab.«
»Ganz richtig, Mr. Jarrah. Bitte erzählen Sie weiter.«
»Sind Sie bereit, einen Test zu machen?«
»Für wieviel?«
»Den bekommen Sie kostenlos.«
»Sehr gut.«
Idris Jarrah überlegte einen Augenblick. Dann beugte er sich vor und legte mit dem unbeweglichen Gesicht eines Pokerspielers seine Karten eine nach der anderen auf den Tisch.
»Sie sind in Schwierigkeiten, Mr. Chakry. Ihre Bank meine ich. Ihre Verbindlichkeiten belaufen sich auf etwa hundertsiebzig Millionen Dollar. Der Nennwert Ihres Vermögens hier und anderswo beträgt etwa zweihundertfünfzig Millionen, aber ein großer Teil dieses Vermögens liegt in langfristigen Investitionen fest, die nicht schnell flüssig gemacht werden können. Sie sind höchstenfalls zu fünf Prozent liquid, wenn nicht weniger, und das trotz der Tatsache, daß Sie mehr als vierzig Prozent aller Einlagen bei libanesischen Banken haben. Die Saudis tragen sich mit dem Gedanken, ihre Gelder aus politischen Gründen zurückzuziehen. Die Kuwaitis werden von britischen Interessengruppen unter Druck gesetzt, ihr Kapital abzuheben, um das Pfund zu stützen. Ihre Guthaben in Amerika belaufen sich auf über drei Millionen Dollar, aber sie können über Nacht eingefroren werden, weil Sie bei den gleichen amerikanischen Banken in der Schweiz und anderswo Schulden haben. Die Krise wird in dreißig Tagen kommen. Sie müssen sich vorher Deckung verschaffen. Sie sind morgen mit dem Finanzministerium verabredet, und Sie hoffen, daß man über die Zentralbank Bürgschaft für Sie leistet. Vielleicht verspricht man es Ihnen. Andererseits haben Sie eine ganze Reihe sehr einflußreicher Feinde. Aziz erklärten Sie die Hypothek für verfallen und übernahmen sein Appartementhaus. Taleb verweigerten Sie ein Darlehen, als er wegen einer Frau, die Sie einmal kannten, in Schwierigkeiten war. Ich könnte noch ein halbes Dutzend andere Namen nennen. Mortimer, der Sie mit einem Telefonanruf aus allen Schwierigkeiten herausreißen könnte, fällt aus, da Sie ihm die Fluglinie nicht verkaufen wollen. Sie können alle diese Informationen überprüfen, Mr. Chakry, und Sie wissen auch, daß Sie in achtundvierzig Stunden Ihre Bank schließen könnten, wenn das alles bekannt würde. Der Grund, weshalb meine Leute das Konto bei Ihnen gelöscht haben, ist ganz einfach: Sie können und wollen es nicht riskieren, ihr Geld noch länger in einem derart wackeligen Unternehmen zu lassen.«
Idris Jarrah schwieg und lehnte sich abwartend zurück. Er bewunderte die kühle Gelassenheit des Mannes ihm gegenüber.
»Angenommen – «, sagte Nuri Chakry, »angenommen, daß diese Informationen stimmen, dann hätten Sie mir nichts erzählt, was ich nicht selber weiß. Was haben Sie sonst noch zu bieten?«
»Der Test ist beendet. Mr. Chakry. Ehe ich mehr sage, will ich Geld auf dem Tisch sehen.«
Ohne ein Wort zu sagen, stand Nuri Chakry auf und ging aus dem Zimmer. Jarrah erhob sich ebenfalls und trat an das Fenster, das auf das Meer hinausblickte. Der goldgelbe Stand war gesäumt von hohen modernen Bauten, zwischen denen die neue Schnellstraße verlief. Dies war das wahre Land der Kaufleute und Händler. Seit Anbeginn aller Zeiten war diese Stadt der Treffpunkt von Männern gewesen, die im Schatten der alten Götter saßen und ihre Treue gegenüber den Fürsten und Satrapen vergaßen, während sie um den Preis einer Sklavin oder eines Säckchens Weihrauch feilschten. Blutige Schlachten hatten hier stattgefunden, Mord und Verrat waren hier geplant worden, und immer noch berechnete man den Wert eines Mannes – oder einer Frau – in Silbermünzen.
Hier erzählte man sich die Geschichte von dem Skorpion, der am Ufer des Hundeflusses saß und nicht hinüber konnte, weil der Fluß zu tief war. Er sah einen Fisch und sagte: »Bitte, Fisch, nimm mich auf deinen Rücken und trage mich über den Fluß.« Der Fisch war über diese Bitte nicht sehr glücklich. »Wenn ich dich auf meinem Rücken trage, wirst du mich stechen«, sagte er, »und ich werde sterben.« Aber der Skorpion antwortete: »Wenn ich dich steche und du stirbst mitten im Fluß, dann bin ich ebenfalls verloren, denn ich kann nicht schwimmen.« Das leuchtete dem Fisch ein, und er war beruhigt. Er nahm den Skorpion auf seinen Rücken und begann mit ihm über den Fluß zu schwimmen. Auf halber Strecke stach ihn der Skorpion. Mit sterbender Stimme rief der Fisch: »Weshalb hast du das getan? Jetzt werden wir beide sterben.« Worauf der Skorpion antwortete: »Ich wollte, ich wüßte, weshalb ich es getan habe, kleiner Freund – aber wir sind hier im Libanon.«
Fast fünf Minuten waren vergangen, als Nuri Chakry zurückkam.
In der einen Hand hielt er einen Beutel aus Plastik mit neuen Dollarnoten und in der anderen ein zusammengefaltetes Stück Papier. Er legte den Plastikbeutel in die Mitte des Tisches. Idris Jarrah setzte sich, Chakry lächelte.
»Hier sind hunderttausend Dollar, mein Freund. Und nun reden Sie.«
»In etwa zwei Wochen«, sagte Idris Jarrah, »wird eine Gruppe bewaffneter Armeeoffiziere versuchen, den König von Jordanien zu ermorden. Anführer der Offiziere ist ein gewisser Major Khalil. Zuvor wird man den gegenwärtigen Kommandanten der Palastwache in Mißkredit bringen, so daß Major Khalil befördert werden und seinen Posten einnehmen kann. Die ganze Operation wurde von Oberst Safreddin in Damaskus geplant. Ich fliege morgen früh hin, um ihn aufzusuchen.«
»Selbst wenn diese Informationen stimmen – wieso sollen sie mir hunderttausend Dollar wert sein?«
»Erstens haben Sie fast eine Million in neue Entwicklungsprojekte in Amman investiert. Im Falle einer sozialistischen Revolution sind Sie Ihr Geld über Nacht los. Zweitens können Sie diese Informationen für viel mehr verkaufen, als Sie mir leihen.«
»Ich könnte sie auch Oberst Safreddin anbieten. Er ist ein mächtiger Mann. Ich könnte sie ihm sogar umsonst geben: Er wäre ein guter Kunde für meine Bank.«
»Das bezweifle ich«, sagte Idris Jarrah gelassen. »Die Syrer stecken bis zum Hals in Schulden. Sie brauchen kapitalkräftigere Kunden.«
Wieder legte sich Schweigen über das große sonnige Zimmer. Schließlich sagte Chakry: »Ich bedaure es, Mr. Jarrah, daß ich Ihnen das Darlehen nicht über die Bank geben kann. Aber ich bin bereit, Ihnen das Geld persönlich zu leihen, vorausgesetzt natürlich, daß Sie mir die übliche Bestätigung unterschreiben und die Rückzahlungsbedingungen akzeptieren.«
»Und wie lauten die?«
Chakry faltete das Stück Papier auseinander und las vor.
»Ich, der Unterzeichner, Idris Jarrah, staatenlos und derzeit beschäftigt bei der Palästinensischen Befreiungsorganisation, bestätige, daß ich heute ein Bardarlehen von hunderttausend US-Dollar von Nuri Chakry, wohnhaft in Beirut, Libanon, erhalten habe. Ich erkläre mich einverstanden, dieses Darlehen, sobald Nuri Chakry den Zeitpunkt bestimmt, innerhalb von sechzig Tagen zurückzuzahlen. Ich bin bereit, für dieses Darlehen einen jährlichen Zinssatz von fünfzehn Prozent der Gesamtschuld zu zahlen. Ich bestätige, daß ich besagtem Nuri Chakry als Gegenleistung für dieses Darlehen bestimmte Informationen geschäftlicher und politischer Natur gegeben habe, die heute in seinem Büro auf Tonband aufgenommen wurden.«
Chakry drückte einen Knopf, der unter seinem Schreibtisch verborgen war. Eine Schublade öffnete sich, in der ein Tonbandgerät lag. Die beiden Spulen drehten sich immer noch. Chakry schaltete das Gerät aus, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und lächelte seinen Besucher gut gelaunt und selbstzufrieden an.
»Nun, Mr. Jarrah? Sind wir uns einig?«
»Natürlich«, sagte Idris Jarrah liebenswürdig. »Wir verstehen uns vollkommen. Ich hoffe, wir finden bald wieder Gelegenheit zu einem Geschäft.«
»Darüber läßt sich jederzeit reden«, sagte Nuri Chakry.
Als Jarrah gegangen war, griff Chakry zum Telefon und wählte eine Nummer. Nach ein paar Sekunden meldete sich eine Frauenstimme und wiederholte die Nummer, die Chakry gewählt hatte. Chakry sagte: »Hier spricht Mr. Chakry. Sagen Sie Miss Frances, daß ich halb eins kommen und mit ihr essen gehen werde.«
Die Antwort kam stockend und verlegen. »Es tut mir leid, mein Herr, Miss Frances ist heute morgen nach Tripolis geflogen. Mit Mr. Aziz. Möchten Sie Ihr eine Nachricht hinterlassen?«
»Nein, danke.«
Er legte den Hörer auf und zog ein seidenes Taschentuch hervor, um sich den plötzlich aufgetretenen Schweiß von den Händen zu wischen. Frances war eine Hure, eine schöne, intelligente und sehr exklusive Hure. Aber wenn die Huren begannen, die Stadt zu verlassen, dann wurde es für die Bürger höchste Zeit, die Wachtfeuer zu entzünden und die Stadtmauer verteidigungsbereit zu machen. Er führte ein zweites Telefongespräch mit einem Mann, der eine Villa in einem Orangenhain nördlich des Gebirges von Byblos bewohnte. Der Name des Mannes war Heinrich Müller. Er war ein Einsiedler und stand im Ruf, ein bedeutender Historiker und Archäologe zu sein, was aber nicht bewiesen war. Nuri Chakry sprach mit ihm wie immer freundlich und respektvoll.
»Heinrich, hier ist Nuri. Was macht die Arbeit?«
»Ich bin in drei Tagen fertig«, sagte Heinrich Müller.
»Kannst du es in zwei Tagen schaffen?«
»Zur Not, ja.« Müller lachte vergnügt. »Aber danach brauche ich Urlaub.«
»Wir können ihn vielleicht zusammen verbringen«, sagte Chakry. »Einen schönen langen Urlaub. Ruf mich an, sobald du fertig bist.«