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Zürich
ОглавлениеIn der nüchternen Stadt Zürich saß Mark Matheson im Büro von Simon Lewisohn und unterhielt sich mit ihm über Bankgeschäfte. Lewisohn war ein untersetzter Mann mit roten Backen, zwinkernden Augen und einer weißen Mähne, die ihm das Aussehen eines pensionierten Opernsängers gab. Er war Direktor einer Schweizer Bankgesellschaft und liebte Kaffee und süßes Gebäck, das er mit kindlicher Begeisterung knabberte, während Mark Matheson seine Unterlagen auf den Tisch breitete und die Sorgen und Nöte der Phönizischen Bank schilderte. Seine Ausführungen waren lang und detailliert, und Lewisohn hörte bis zum Ende schweigend zu. Dann wischte er die Gebäckkrümel weg, faltete die Hände über seinem Bauch und sah seinen Besucher wohlwollend lächelnd an.
»Sie haben einen guten Ruf, und ich glaube, Sie verdienen ihn. Wenn Sie jemals daran denken sollten, Ihre Stellung zu wechseln, wäre ich glücklich, wenn Sie zuerst mit mir reden würden.«
»Vielen Dank, Herr Lewisohn, aber ich habe noch nicht daran gedacht, mich zu verändern.«
»Ich wollte Ihnen auch nur den Gedanken nahelegen. Lassen Sie mich jetzt ein paar Fragen an Sie stellen. Die Phönizische Bank ist nach Ihrer Darlegung im Augenblick etwa zu dreieinhalb Prozent liquid. Halten Sie das für eine gute Position?«
»Selbstverständlich nicht.«
»Aber Sie sind Chakrys persönlicher Stellvertreter. Weshalb haben Sie es soweit kommen lassen?«
»Ich entscheide die Politik der Bank nicht, Herr Lewisohn. Ich gebe nur Ratschläge, sofern ich darum gebeten werde.«
»Haben Sie Herrn Chakry jemals von der derzeitigen Politik seiner Bank abgeraten?«
»Manchmal, ja.«
»Aber er ist trotzdem dabeigeblieben?«
»Aus guten Gründen, glaube ich. Im Nahen Osten wird das Geld jeden Tag aus der Erde gepumpt. Das Ende ist nicht abzusehen. Es gab keinen vernünftigen Grund, anzunehmen, daß sich daran etwas ändern würde.«
»Aber jetzt hat es sich geändert – und es ändert sich weiterhin.«
»Ja, das britische Pfund steht unter Druck. Die amerikanischen Goldreserven ebenfalls. Und der Libanon steht unter dem politischen Druck der übrigen Liga-Mitglieder. Wir glauben aber, daß wir alldem gewachsen sind, wenn man uns Zeit läßt, unsere Kräfte neu zu ordnen – «
»Sie brauchen so schnell wie möglich fünfzig Millionen Dollar.«
»Richtig.«
»Und der Druck wird bestehen bleiben?«
»Natürlich.«
»Das ist aber noch nicht alles. Einiges haben Sie vergessen zu erwähnen.«
»Ich bin mir nicht bewußt, Ihnen irgendwelche Informationen vorenthalten zu haben, die diese Angelegenheit betreffen, Herr Lewisohn.«
Lewisohn lächelte auf seine freundlich sanfte Art, beugte sich vor und stützte die Ellenbogen auf die polierte Schreibtischplatte.
»Seien Sie mir nicht böse, Herr Matheson. Ich meinte nicht, daß Sie mir absichtlich etwas verschwiegen haben. Ich wollte damit nur sagen, daß die Phönizische Bank noch andere Schwierigkeiten hat, von denen bis jetzt nicht die Rede war.«
»Und die wären?«
Lewisohn zählte sie eine nach der anderen an seinen Fingern ab. »Erstens: Auch wenn Sie ausländische Hilfe von uns oder irgend jemanden sonst bekämen, würden Sie immer noch die libanesische Zentralbank brauchen, um aus dem Schlamassel herauszukommen. In der Zentralbank und im Finanzministerium sitzen aber einflußreiche Leute, die eine tiefe Abneigung gegen Nuri Chakry hegen. Sie würden einiges dafür geben, ihn ruiniert zu sehen. Zweitens: Es gibt in Zürich, New York, Paris und London Leute, die Herrn Chakrys Ehrlichkeit bezweifeln. Sie wären nicht abgeneigt, ihre Zweifel öffentlich zu bekunden. Drittens: Die Darstellung, die Sie mir von den Vermögensverhältnissen der Bank gaben, enthielt einige, nun, sagen wir, kleine Übertreibungen.«
»Wenn das zutrifft«, sagte Mark Matheson wütend, »so war mir das nicht bewußt.«
Lewisohn streckte die Hand aus, griff nach einem der Blätter, die Matheson vor sich Hegen hatte, und fuhr mit dem Zeigefinger die Liste entlang. »Hier zum Beispiel. Das Hotel Vista del Lago in Lugano. Es erscheint in dieser Aufstellung mit einem Wert von vierzehn Millionen Dollar. Zu meiner persönlichen Erbauung habe ich es kürzlich taxieren lassen. Es wurde für acht Millionen gekauft. Jetzt ist es im Höchstfall elf Millionen wert, aber bei der derzeitigen Geldknappheit müßten Sie froh sein, zehn Millionen zu bekommen. Also ist es um mindestens drei Millionen Dollar zu hoch veranschlagt. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Doch, ja; aber ich habe natürlich nicht die Möglichkeit zu sagen, ob Sie recht haben oder nicht.«
»Wenn Sie wollen, kann ich noch etwas weitergehen. Ihre Liste enthält mindestens vier andere Übertreibungen – und ich habe den Verdacht, daß das noch nicht alles ist.«
»Der wirkliche Wert wird sich immer erst beweisen lassen, wenn wir verkaufen.«
»Und wann wird das sein?« fragte Simon Lewisohn leise und abwartend.
»Noch lange nicht, hoffe ich. Alles, was wir brauchen, ist ein wenig Hilfe von unseren Freunden. Dann sind wir in Kürze wieder die stärkste Bank im Nahen Osten.«
»Chakry hat keine Freunde!« Der kleine Mann lächelte plötzlich nicht mehr. »Chakry ist eine Ratte, die Ratten frißt. Wenn er Bargeld will, soll er Mortimer seine Fluglinie verkaufen, und ich biete ihm acht Millionen Dollar auf die Hand für das Hotel Vista del Lago. Aber ihm Geld leihen? Nicht in tausend Jahren. Soll er nur in die Grube fallen, die er selbst gegraben hat.«
»Sie sind sehr heftig, Herr Lewisohn.« Einen Augenblick lang hatte Matheson das Gefühl, der Situation nicht gewachsen zu sein. »Hätten Sie etwas dagegen, mir zu sagen, weshalb?«
Lewisohn war sofort wieder munter. »Ja, ich habe etwas dagegen, weiß Gott! Wir haben alle unsere kleinen Geheimnisse. Aber eins will ich Ihnen sagen: Ich bin mein Lebtag Bankier gewesen. Und vor mir waren mein Vater, mein Großvater und mein Urgroßvater Bankiers. Wissen Sie, was Männer wie Chakry und das Imperium, das sie sich aufbauen, zu Fall bringt? Ein kleiner Mann, der in der Ecke sitzt und schmollt, weil sein Stolz verletzt oder ihm seine Frau weggenommen wurde. Er wartet und wartet und wartet. Und dann sieht er eine ganze Reihe von Männern, die reicher und mächtiger sind als er und viel mehr Grund zu Klagen hätten, und er kommt aus seiner Ecke und . reicht ihnen den Schlüssel zu den Schleusentoren. Die Überschwemmung ist danach unausbleiblich.«
»Haben Sie einen Namen für diesen kleinen Mann?« fragte Mark Matheson.
»Habe ich«, antwortete Simon Lewisohn, »aber es ist zu spät, ihn Ihnen zu nennen. Überlegen Sie sich mein Angebot. Und wenn Sie zu mir kommen sollten, würde es mich brennend interessieren, zu erfahren, weshalb Sie überhaupt für Chakry gearbeitet haben.«
Als Mark Matheson in die milde Herbstsonne von Zürich trat, dachte er sarkastisch, daß das die einzige Frage war, die er sich selbst nie ehrlich hatte beantworten können.