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3. Die Vorsokratiker Heraklit und Parmenides

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In den Fragmenten Heraklits (ca. 550–480 v. Chr.) finden sich erstmals sprachphilosophische Fragestellungen.1 Eine Sprachphilosophie im eigentlichen Sinn kann nicht rekonstruiert werden, aber sprachphilosophisches Denken, das sich von der mythischen Sprachauffassung abwendet, beginnt.2 Im Zentrum des sprachphilosophischen Denkens Heraklits stehen zwei Aspekte: Erstens der aufgekommene λόγος-Begriff und sein Bezug zur Sprache, zweitens die Frage, wie zuverlässig ein Name die Wirklichkeit wiedergibt.3 Mit dem λόγος-Begriff umfasst Heraklit sowohl den Bereich der Sprache als auch den des Denkens und der Wirklichkeit;4 er ist ein „Titel für den Gesamtbezug von Sein, Denken, Sprechen und Handeln“5. Für Heraklit ist der λόγος „ein Ordnungsprinzip, das die Wirklichkeit strukturiert und analog dazu das Denken und die Sprache“6. Zwischen Wirklichkeit und Sprache besteht also keine Identifikation, sondern eine Analogie. Wird der λόγος in der Heraklit-Forschung unterschiedlich interpretiert, so ist auf jeden Fall der enge Bezug zwischen λόγος und Sprache zu betonen: „Die Frage nach dem Wesen der Sprache (Sprachphilosophie) ist in ihrem historischen Beginn gekoppelt an die Frage nach der Wahrheit des Seins (Ontologie).“7 Diese Wahrheit versucht Heraklit durch den λόγος zu fassen. Deshalb kann für Heraklit nichts gesagt werden, was nicht ist.8 Die Wahrheit alles Seienden hat ihren Grund im λόγος. Dieser hat sowohl eine objektive als auch eine subjektive Seite, d.h. er bezieht sich sowohl auf die ‚echte’ Wirklichkeit, auf das „objektive Weltgesetz“, als auch auf die vom Menschen wahrgenommene Wirklichkeit, die „subjektive Rede des Philosophen“9. „Für die Rede über diese Wirklichkeit bedeutet dies aber, daß sie, wenn sie wahr sein will, nach ebendemselben Verhältnis strukturiert sein muß wie die Wirklichkeit selbst“10. Zwischen Wirklichkeit und Sprache besteht also ein enger Zusammenhang. Die Wirklichkeit kann den Menschen durch die Sprache erschlossen werden, weil der λόγος nach Fragment B1 gehört werden kann. Die Struktur der Wirklichkeit zeigt sich in Gegensätzen. Das gilt also analog auch für die Sprache und den Zusammenhang von Name und Ding; dies wird im Bogenfragment deutlich:11

τῶι οὖν τόξωι ὄνομα βίος, ἔργον δὲ θάνατος. (Heraklit, Fragm. B48, DK I, 161)

Des Bogens Name also ist Leben (…), sein Werk aber Tod. (Heraklit, Fragm. B48, DK I, 161)

Heraklit zeigt einerseits, dass ein Bogen zwei antithetische Aspekte in sich vereint: „[Z]zum einen die todbringende Wirkung, zum anderen seinen Namen, der ‚Leben’ bedeutet.“12 Andererseits expliziert Heraklit einen weiteren Gegensatz: Das Lexem βιός wird in der epischen Literatur für Bogen verwendet; βίος heißt aber auch Leben. Ein Name kann also zwei Dinge bezeichnen und nimmt damit nicht zwingend auf das Bezug, was er aussagt.13 Damit zeichnet sich bei Heraklit bereits ein Problembewusstsein dafür ab, dass Sprache trügerisch sein kann, weil im Namen, d.h. in der Benennung, keine Eindeutigkeit besteht.14 Die meisten Menschen bleiben im Bereich der Meinungen und des Scheins (δόξα), weil sie sich weder auf das rechte Reden noch auf das rechte Hören verstehen.15 Sie verstehen den λόγος nicht und begnügen sich mit dem Schein, statt sich der Wahrheit zu nähern. Nichtsdestotrotz bleibt Heraklit im Wesentlichen der archaischen Auffassung, dass Name und Objekt unmittelbar miteinander korrelieren, treu.16

In der Forschung gibt es unterschiedliche Meinungen darüber, woher die Sprache nach Heraklit ihre Legitimation erhält. Es wurde versucht, ihn einer Position im φύσει-θέσει/νόμῳ-Streit eindeutig zuzuordnen. Demnach beruht die Richtigkeit der Namen einmal auf einer natürlichen Zuordnung von Wort und Sache (φύσει), einmal auf einer vom Menschen gesetzten (θέσει). Lersch17, Di Cesare18 und Leiss19 vertreten die Ansicht, dass die heraklitischen Fragmente mit der φύσει-These einhergehen. Grund für diese Annahme liefert auch der Kratylosdialog Platons, in welchem Kratylos, ein Schüler Heraklits, die These von der natürlichen Sprachentstehung vertritt.20 Heraklit kann aber keiner der beiden Positionen explizit zugeordnet werden,21 weil er die Differenzierung, ob die Richtigkeit von Namen als φύσει oder θέσει zu bestimmen ist, noch nicht in der Form im Blick hat, wie sie sich im weiteren Verlauf des sprachphilosophischen Denkens entwickelt.22

Als Gegenspieler zu Heraklit wird häufig Parmenides (ca. 540–470 v. Chr.) genannt.23 Dies ist vor allem der Fall, wenn man Heraklit der φύσει-Theorie zuordnet. Beide Denker weisen jedoch mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede auf und sind fest im Denken der archaischen Logik verwurzelt. Parmenides nimmt einen untrennbaren Zusammenhang von Denken, Sprechen und Sein an, wonach das Nichtseiende weder gedacht noch gesagt werden kann, „οὔτε γὰρ ἂν γνοίης τό γε μὴ ἐὸν – οὐ γὰρ ἀνυστόν – οὔτε φράσαις“24 (denn weder erkennen könntest du das Nichtseiende – das ist ja unausführbar – noch aussprechen). Er ist der erste, der das Sein mit einem Namen versieht und es als τὸ ὄν bezeichnet.25 Das τὸ ὄν ist der Ort des Denkens. Im Denken ist das Sein bereits ‚als Gesagtes’ vorhanden: „οὐ γὰρ ἄνευ τοῦ ἐόντος, ἐν ὧι πεφατισμένον ἐστιν, εὑρήσεις τὸ νοεῖν“26 (denn nicht ohne das Seiende, in dem es als Ausgesprochenes ist, kannst du das Denken antreffen). Das Gesagte impliziert für Parmenides Wirklichkeit, weil er eine Wesenszusammengehörigkeit von Denken und Wahrheit annimmt, auf die sich der Mensch einlässt, wenn er spricht.27 Für Parmenides besteht in der Tradition des archaischen Denkens ein unanzweifelbarer Zusammenhang zwischen Wort und Sache.28 Dieser entsteht durch Übereinkunft;29 dennoch versteht Parmenides die Namen nicht als willkürliche Setzung; die Namen stammen zwar vom Menschen, sind aber dennoch keine „revidierbare Konvention, wohl aber etwas, was überhaupt zu Lasten des Menschen geht, im Unterschied zu dem, was jeglichem menschlichen Tun vorgegeben ist“30. Auch hier tritt die Unterscheidung zwischen φύσει und θέσει nicht derart deutlich hervor, wie dies in der Folgezeit der Fall ist. Es kann für Parmenides kein Gegensatz zwischen den beiden Theorien ausgemacht werden, da er die Theorie, dass die richtige Zuordnung von Wort und Sache aus einem natürlichen Zusammenhang resultiert, nicht einmal aufgreift.31

Dem engen Zusammenhang von Name und Sache steht der Doxa-Teil des parmenidischen Lehrgedichts gegenüber.32 Der philosophischen Erkenntnis der Wahrheit sind auch bei Parmenides die Meinungen entgegengesetzt.33 Er warnt, ebenso wie Heraklit, davor, sich von den gesprochenen Worten täuschen zu lassen. Da die Namen auf einer Festsetzung beruhen, kommt in ihnen δόξα zum Tragen. In der δόξα ist das Werden manifestiert, dem Parmenides einen großen Stellenwert beimisst. Alle Sterblichen nehmen dieses Werden wahr, beispielsweise wenn der Tag zur Nacht wird. Der Mensch aber macht einen Fehler bei der Benennung von Phänomenen des Werdens: Er hätte nicht zwischen Tag und Nacht unterscheiden und zwei Namen ausmachen dürfen, sondern nur einen, weil es sich um das eine, um τὸ ὄν, handelt. Die Menschen haben aber nicht Sein und Nichtsein – welches sowieso unmöglich zu denken und zu sprechen ist34 – unterschieden, sondern zwischen Licht und Nacht, deshalb entsteht δόξα, während sich in der ἀλήθεια die tatsächliche Unterscheidung zwischen Sein (ὄν) und Nichtsein (μὴ ἐόν) widerspiegelt.35 Indem also der Einheit des Seins als dem Objekt der Erkenntnis eine Vielfalt von Namen entgegenstellt wird, entsteht δόξα36.

Heraklit und Parmenides thematisieren Sprache als Wort, d.h. die eben behandelte Frage nach dem Verhältnis von Wort und Gegenstand. Die Beziehung zwischen einzelnen Wörtern als Satz ist dagegen noch nicht Gegenstand des archaischen Denkens.37 Hauptsächlich thematisieren Heraklit und Parmenides jedoch Sprache im Allgemeinen, d.h. „als eine Form des Universums, die dieselbe Struktur wie die übrigen Formen des Universums (…) aufweist (…) oder nicht aufweist“38. Ein Bewusstsein für diese unterschiedlichen Fragestellungen tritt erst in platonischer Zeit ein.39

Zusammenfassung:

Im Mittelpunkt der Sprachphilosophie von Heraklit und Parmenides steht der λόγος-Begriff. Der von Heraklit und Parmenides angenommene Zusammenhang von Wirklichkeit/Sein, Denken und Sprache bestimmt die weiteren sprachphilosophischen Überlegungen. Er durchbricht das magisch-mythische Einheitsdenken von Wort und Sache, indem durch die Einführung des λόγος-Begriffs Sprache mit Denken und Vernunft verbunden und in Bezug zueinander gesetzt wird. Zwischen Sprache und Wirklichkeit besteht für diese Philosophen ein unmittelbarer Zusammenhang. So ergibt sich für Heraklit und Parmenides zwar keine Einheit von Name und Sache, aber ein unmittelbarer Bezug beider Komponenten. Allerdings weist Heraklit bereits darauf hin, dass der Bezug von Name und Objekt auseinanderfallen kann; auch Parmenides weist auf trügerische Namen hin, die nicht die Einheit des Seins wiedergeben. Ob die Sprache ihre Begründung φύσει oder θέσει erhält, lässt sich bei Heraklit nicht abschließend klären, für Parmenides ist letzteres anzunehmen. Insgesamt werden bei Heraklit und Parmenides sprachphilosophische Überlegungen angestoßen, die im weiteren Verlauf der Philosophiegeschichte eine wichtige Rolle spielen und ausführlich diskutiert werden.

Das Sprachverständnis des Paulus im Rahmen des antiken Sprachdiskurses

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