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3.2 Das Thema ‚Sprache‘ in De confusione linguarum

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Der Titel des Traktats De confusione linguarum/ Περὶ συγχύσεως διαλέκτων legt nahe, dass das leitende Thema dieser Ausführungen die Sprache sei. Der Leser muss aber feststellen, dass es Philon in seiner Auslegung von Gen 11,1–9 nicht in erster Linie um Sprache geht, sondern dass er eine allegorische, im Wesentlichen ethische Interpretation des atl. Textes vornimmt. Mit Hilfe der allegorischen Methode gelingt es Philon, „Ungereimtheiten in der Bibel“ und „offensichtliche Anthropomorphismen ›richtig‹ erklären zu können“1. Der übergeordnete thematische Zusammenhang, indem Philon seine Exegesen betreibt, findet sich also in der ethischen Erklärung von Anthropomorphismen in der Gottesdarstellung. Philon liefert eine moralische Umwertung dieser Anthropomorphismen, wie dies auch in der alexandrinischen Homerexegese erfolgte. Sein Ziel ist es, Anthropomorphismen also solche herauszustellen und in einem ethischen Sinn zu erläutern, so dass dadurch jegliches negative Bild von Gott ausgeräumt wird.2 Gott wird also nach der Interpretation Philons in Gen 11 nicht vorgeworfen, dass er Unfrieden stifte, etwa indem er die Sprachgemeinschaft der Menschen zerstöre; Gott haften vielmehr überhaupt keine negativen Aspekte an. Dies aufzuzeigen ist Philons übergeordnete Absicht, wenn er Gen 11 interpretiert; zugleich stellt er aber explizit heraus, dass der zentrale Themenkomplex für ihn nicht die Sprache ist. Wie er dies dem Leser vermittelt, wird im Folgenden aufgezeigt.

In Conf § 183, am Ende seiner Ausführungen, beschreibt Philon seine Vorgehensweise: Er will anhand von Ähnlichkeiten verschiedener Begriffe den Terminus σύγχυσις erklären, um anschließend aufzuzeigen, dass er sich nicht auf das Thema Sprache bezieht. Philon sucht nach Begriffen, mit denen sich der Ausdruck σύγχυσις vergleichen lässt, um seine eigentliche Bedeutung erfassen zu können. Mit den physikalischen Begriffen μίξις und κρᾶσις findet er die gesuchten Ähnlichkeiten. Damit greift Philon auf die Lehre der Stoa von den unterschiedlichen Verbindungsarten zurück.3 Unter μίξις ist eine Mengung zu verstehen, die sich durch Conf § 185 als „σωμάτων διαφερόντων ἐστὶν οὐκ ἐν κόσμῳ παράθεσις“ (ein Nebeneinandersetzen verschiedener Körper ohne Ordnung) näher beschreiben lässt. Sie bezieht sich lediglich auf trockene Dinge. Philon illustriert dies mit dem Bild, bei dem Menschen einen Haufen machen, indem sie verschiedene Nahrungsmittel wie Gerste, Weizen oder Kichererbsen neben- oder aufeinanderlegen.4 Die κρᾶσις hingegen bezeichnet eine Mischung flüssiger Dinge. Sie ist nach Conf § 185 nicht als Mengung zu verstehen, „ἀλλὰ τῶν ἀνομοίων μερῶν εἰς ἄλληλα εἰσδυομένων δι’ ὅλων ἀντιπαρέκτασις, ἔτι δυναμένων ἐπιτεχνήσει τινὶ διακρίνεσθαι τῶν ποιοτήτων“ (sondern als ein Ineinanderwirkenlassen ungleicher Teile, die einander vollständig durchdringen, jedoch so, dass die Qualitäten noch durch künstliches Verfahren gesondert werden können). So verhält es sich bei der Mischung von Wein und Wasser. Beide Flüssigkeiten durchdringen einander, können aber durch bestimmte Prozesse wieder getrennt werden. In der Tatsache, dass die Trennung der einzelnen Elemente möglich ist, sieht Philon den Unterschied zur σύγχυσις. Für sie erscheint es unmöglich, die einzelnen Bestandteile erneut aufzulösen, sie verlieren während des Vorganges ihre ursprüngliche Qualität und bilden eine neue:

σύγχυσις δέ ἐστι φθορὰ τῶν ἐξ ἀρχῆς ποιοτήτων πᾶσι τοῖς μέρεσιν ἀντιπαρεκτεινομένων εἰς διαφερούσης μιᾶς γένεσιν (…). συντεθείσης δὲ ἀμήχανον ἔτι τὰς ἐξ ὧν συνετέθη διακριθῆναι δυνάμεις, ἀλλ’ ἑκάστη μὲν αὐτῶν ἠφάνισται, πασῶν δ’ ἡ φθορὰ μίαν ἐξαίρετον ἄλλην ἐγέννησε δύναμιν. (Conf § 187)

Die Synchesis (Zusammengießung) dagegen ist eine Auflösung der ursprünglichen Qualitäten durch Ineinanderwirken aller Teile zur Entstehung einer (von jenen) verschiedenen (Qualität) (…). Ist sie einmal zusammengesetzt, so können die Qualitäten, aus denen sie zusammengesetzt wurde, unmöglich gesondert werden; vielmehr ist eine jede einzelne verschwunden, und die Auflösung aller erzeugte eine andere, vorzügliche Kraft. (Conf § 187)

Nachdem Philon σύγχυσις weitgehend physikalisch erläutert hat, bezieht er seine Argumentation auf die Ethik. Mit der Zusammengießung droht Gott den unfrommen Gedanken an, sie zu vernichten.5 Mit der Gesamtheit der unfrommen Gedanken dürften jene Missetaten gemeint sein, die Philon ab Conf § 15 als „κακῶν ἀμυθήτων καὶ μεγάλων συμφωνίαν“ (Symphonie der unsäglich großen und vielen Verbrechen) bezeichnet. Jedes schlechte Verhalten, wie Ruhmlosigkeit, Armut, Schwäche der Seele, Melancholie, hohes Alter oder der Verlust des Verstandes soll ausgerottet werden.6 Darüber hinaus soll auch das zerstört werden, was aus den einzelnen Gedanken entsteht und was sich gegen die guten Tugenden richtet. Hierbei ist auf Conf § 22 und die Erläuterung des schwersten Übels Bezug zu nehmen: „βαρύτατον γὰρ κακῶν καὶ σχεδὸν ἀνίατον μόνον ἡ πάντων τῶν ψυχῆς μερῶν πρὸς τὸ ἁμαρτάνειν συνεργία“ (δenn das schwerste Übel und beinahe das einzig unheilbare ist die Übereinstimmung sämtlicher Teile der Seele zum Freveln). Es wird auch ersichtlich, dass Philon die ethische Interpretation der Sprachverwirrung durch den gesamten Traktat hinweg aufrechterhält. So kommt er in Conf § 188 noch einmal auf den Beginn seiner Ausführungen bezüglich der Tugenden und Laster aus Conf § 15–22 zurück.

Im Folgenden (Conf § 189 f) bezieht Philon zu Gen 11,7 „συγχέωμεν ἐκεῖ αὐτῶν τὴν γλῶτταν, ἵνα μὴ ἀκούσωσιν ἕκαστος τὴν φωνὴν τοῦ πλησίον“ (wir wollen daselbst ihre Sprache verwirren, damit sie nicht verstehen einer die Sprache des anderen) Stellung. Er interpretiert den Vers unmittelbar auf der ethischen Ebene und reiht sich damit in den frühkaiserzeitlichen Diskurs ein, der eine ethische Komponente für wichtige Texte für unabdingbar hält.7 Philon leitet dies durch „ὅπερ ἴσον ἐστὶ τούτῳ“8 ein. Unter der Sprachverwirrung versteht er Folgendes:

κωφὸν ἕκαστον ἐργασώμεθα τῶν κακίας μερῶν, ὡς μήτε ἰδίαν ἀφιὲν <φωνὴν> μήτε συνηχοῦν ἑτέρῳ βλάβης αἴτιον γίνηται. (Conf § 189)

[W]ir wollen sämtliche Teile der Schlechtigkeit stumm machen, damit sie weder durch das Hervorbringen der eigenen (Stimme), noch durch das Zusammentönen mit anderen Schaden verursache[n]. (Conf § 189)

Im Verlauf der Argumentation geht Philon auf seine Gegner ein, die in der Perikope lediglich den wörtlichen Sinn sehen. Er fordert sie auf, neben dem Literalsinn auch die allegorische Interpretation in den Blick zu nehmen, und stellt heraus, dass mit dem Genesistext gerade nicht die Trennung in griechische und barbarische Sprachen gemeint sein kann.9 Grund hierfür ist, dass die Trennung in unterschiedliche Sprachen mit einem treffenderen Wort als dem der σύγχυσις hätte beschrieben werden können:

ταῦτα μὲν ἡμεῖς, οἱ δὲ τοῖς ἐμφανέσι καὶ προχείροις μόνον ἐπακολουθοῦντες οἴονται νυνὶ γένεσιν. διαλέκτων Ἑλληνικῶν τε καὶ βαρβάων ὑπογράφεσθαι∙ οὓς οὐκ ἂν αἰτιασάμενος – ἴσως γὰρ ἀληθεῖ καὶ αὐτοὶ χρῶνται λόγῳ – παρακαλέσαιμ' ἂν μὴ ἐπὶ τούτων στῆναι, μετελθεῖν δὲ ἐπὶ τὰς τροπικὰς ἀποδόσεις, νομίσαντας τὰ μὲν ῥητà τῶν χρησμῶν σκιάς τινας ὡσανεὶ σωμάτων εἶναι, τὰς δ' ἐμφαινομένας δυνάμεις τὰ ὑφεστῶτα ἀληθείᾳ πράγματα. δίδωσι μέντοι πρòς τοῦτ' ἀφορμὰς τò εἶδος τοῖς μὴ τυφλοῖς διάνοιαν ὁ νομοθέτης αὐτός, ὥσπερ ἀμέλει καὶ ἐφ' ὧν νῦν ἐστιν ὁ λόγος·

τὸ γὰρ γινόμενον σύγχυσιν προσεῖπε. καίτοι γε εἰ διαλέκτων γένεσιν αὐτὸ μόνον ἐδήλου, κἂν ὄνομα εὐθυβολώτερον ἐπεφήμισεν ἀντὶ συγχύσεως διάκρισιν· οὐ γὰρ συγχεῖται τὰ τεμνόμενα, διακρίνεται δ’ ἔμπαλιν, καὶ ἔστιν οὐ μόνον ἐναντίον ὄνομα ὀνόματι, ἀλλ’ ἔργον ἔργῳ. σύγχυσις μὲν γάρ, ὡς ἔφην, ἐστὶ φθορὰ τῶν ἁπλῶν δυνάμεων εἰς συμπεφορημένης μιᾶς γένεσιν, διάκρισις δὲ ἑνὸς εἰς πλείω τομή, καθάπερ ἐπὶ γένους καὶ τῶν κατ’ αὐτὸ εἰδῶν ἔχειν συντέτευχεν. ὥστε εἰ μίαν οὖσαν φωνὴν ἐκέλευσε τέμνειν ὁ σοφὸς εἰς πλειόνων διαλέκτων τμήματα, προσεχεστέροις ἂν καὶ κυριωτέροις ἐχρήσατο τοῖς ὀνόμασι, τομὴν ἢ διανέμησιν ἢ διάκρισιν ἤ τι ὁμοιότροπον εἰπών, οὐ τὸ μαχόμενον αὐτοῖς, σύγχυσιν. ἀλλ’ ἔστιν ἡ σπουδὴ διαλῦσαι τὸ κακίας στῖφος (…). (Conf § 190–193)

Die aber nur das Äußere und Obenaufliegende verfolgen, glauben, daß hiermit die Entstehung der griechischen und barbarischen Sprachen beschrieben sei. Ohne ihnen Vorwürfe zu machen, – vielleicht ist auch ihre Meinung richtig – möchte ich sie auffordern, nicht dabei stehen zu bleiben, sondern zu der figürlichen Auslegung überzugehen in der Überzeugung, daß der Wortlaut der Gottessprüche dem Schatten der Körper gleicht, die (durch den Wortlaut) veranschaulichten Bedeutungen aber den tatsächlich vorhandenen Gegenständen. Die Veranlassung zu dieser Art (der Auslegung) gibt wohl den am Geiste nicht Geblendeten der Gesetzgeber selbst, wie offenbar auch bei der hier besprochenen Erzählung.

Denn das Ereignis nannte er Synchesis, obwohl er es doch, hätte er nur die Entstehung der Sprachen darstellen wollen, mit einem treffenderen Ausdruck als Sonderung statt als Synchesis (Zusammengießung) bezeichnet hätte. Denn was geschieden wird, wird nicht zusammengegossen; im Gegenteil, es wird gesondert; der Gegensatz liegt nicht nur in den Bezeichnungen, sondern auch in der Sache. Denn Synchysis ist, wie gesagt, die Auflösung der einfachen Kräfte zum Zwecke der Entstehung einer zusammengesetzten, Sonderung aber ist die Scheidung des Einen in ein Vieles, wie es sich mit der Gattung und ihren Arten verhält. Hätte somit der Allweise die Scheidung der einen Sprache in mehrere Mundarten geboten, würde er einen näherkommenden, richtigeren Namen gebraucht haben, von einer Scheidung, Teilung, Sonderung oder derartigem sprechend, nicht von der Synchysis, die jenen entgegengesetzt ist. Vielmehr ist sein Streben darauf gerichtet, die Schar der Untugend(en) aufzulösen (…). (Conf § 190–193)

Das Grund, warum für Philon das Thema der Perikope der Sprachverwirrung nicht die Sprache selbst sein kann, sondern warum es sich hier eindeutig um Tugenden und Laster handeln muss, ist ein semantischer: Σύγχυσις ist nämlich nicht in erster Linie als Verwirrung, sondern als Zusammengießung zu verstehen. In ersterem Verständnis gebraucht Philon das Lexem10 bis Conf § 138. Dabei ist zu bedenken, dass Philon zwar von Verwirrung spricht, in seiner Argumentation jedoch darauf abzielt, dass es sich gerade nicht um die Verwirrung der Sprachen handelt, sondern im Wesentlichen um die Abschaffung der Laster. Ab Conf § 183 stellt er das Lexem in der Bedeutung ‚Verwirrung‘ in Frage und zeigt durch seine Argumentation, dass es ungeeignet ist, die Auflösung der menschlichen Sprachgemeinschaft zu beschreiben. Anschließend wird σύγχυσις neu definiert und im Verständnis von Zusammengießung verwendet, was der Semantik des Verbs συγχέω und seiner wörtlichen Bedeutung (σύν: zusammen/mit und χύσις: das Gießen/Ausgießen/Aufschütten) näherkommt.11 Diese semantische Komponente unterstützt Philon dadurch, dass er σύγχυσις in den Zusammenhang mit μίξις und κρᾶσις stellt. Das Lexem ist nach der philonischen Argumentation nicht geeignet, die Entstehung verschiedener Sprachen zu beschreiben. Dafür hätte es Philons Ansicht nach treffendere Begriffe, beispielsweise τομή (Teilung/Schneiden), διανέμησις (Zuteilung/Austeilung) oder διάκρισις (Trennung) gegeben. Auf der physikalischen Ebene kann es sich nicht um eine Verwirrung handeln, sondern muss eine ähnliche Bedeutung haben wie Mengung und Mischung.12 Philon führt also in Conf § 183–195 neben ‚Verwirrung’ die weitere semantische Komponente des Lexems, ‚Zusammengießen‘, ein. Die Bedeutung entspricht nicht der der LXX. Hier kommt das Lexem neben Gen 11,9 noch an drei Stellen in 1 Sam (5,6.11; 14,20) vor und wird ausschließlich in der Bedeutung ‚Verderben/Verwirrung/Schrecken’ verwendet, nicht in der physikalischen und ursprünglichen Bedeutung der Zusammengießung. Philon greift hier vielmehr auf die stoische Lehre von den unterschiedlichen Verbindungsarten zurück.13 Bei den Stoikern wird σύγχυσις in physikalischem Zusammenhang gebraucht und verstanden.14 Philon selbst verwendet σύγχυσις 38mal in 14 unterschiedlichen Traktaten, wovon sich 16 Belege in Conf finden. Er benutzt das Lexem in unterschiedlichen Zusammenhängen und Bedeutungen, so dass keine einheitliche Semantik vorliegt.15 Am häufigsten wird es in ethischen Argumentationen gebraucht.16 Die unterschiedliche Verwendung des Lexems bei Philon zeigt, dass hier keine Begriffsbildung stattgefunden hat.17 Ein Begriff besteht aus „Wissenseinheiten“18, die „komplexe Sachverhalte bündeln“19; er gibt logische Ordnungen und Beziehungen wieder und ist klar und eindeutig.20 Dies trifft für die σύγχυσις bei Philon nicht zu. Das Lexem umfasst mehrere Sachverhalte, die sich auf unterschiedliche Themenbereiche (Mensch, Welt, Städte, Tugenden, Krieg, Gedanken, physikalische Vorgänge) beziehen, so dass mit σύγχυσις keine logische Ordnung wiedergegeben wird. Sie bündelt keine unabdingbar zusammenhängenden Phänomene und sie wird keinesfalls klar und eindeutig gebraucht.21 Entscheidend ist, dass Philon in seiner Argumentation in Conf § 183 ff zu vermitteln versucht, dass σύγχυσις in der Bedeutung ‚Zusammengießung‘ insoweit als Begriff fungiert, um zu verdeutlichen, dass die Sprache nicht das eigentliche Thema ist; tatsächlich definiert Philon σύγχυσις dort, wo eine solche Festlegung seine Argumentation stützen kann, in einer entsprechenden Art. Wenn Philon in Conf § 187 σύγχυσις als „φθορὰ τῶν ἐξ ἀρχῆς ποιοτήτων πᾶσι τοῖς μέρεσιν ἀντιπαρεκτεινομένων εἰς διαφερούσης μιᾶς γένεσιν“ (Auflösung der ursprünglichen Qualitäten durch ein Ineinanderwirken aller Teile zur Entstehung einer von jenen verschiedenen Qualität) beschreibt, definiert er σύγχυσις ad hoc als Begriff, weil dies für seine Argumentation zielführend ist.22 Im Fall von Conf will Philon zeigen, dass es sich bei der σύγχυσις nicht um eine Verwirrung handeln kann und in Gen 11 ‚Sprache’ nicht das eigentliche Thema sein kann. Da Philon selbst in lediglich zwei seiner Schriften – in Conf und in Aet – von der physikalischen Bedeutung von σύγχυσις ausgeht, wird deutlich, dass diese Begründung konstruiert ist; hier zeigt sich nicht die übliche philonische Semantik, sondern die stoische Fassung.

Indem Philon in Conf Laster und Tugenden als das eigentliche Thema des Pentateuchtextes herausgestellt, ordnet er die Sprache der Ethik nach. Dies zeigt sich auch zu Beginn des Traktats. Die philosophische Interpretation, von der Philon in Conf § 1 spricht, konkretisiert sich in einer ethischen: „σκεπτέον δὲ ἑξῆς οὐ παρέργως, ἃ περὶ τῆς τῶν διαλέκτων συγχύσεως φιλοσοφεῖ“ (es soll nunmehr sorgfältig erörtert werden, was er [der Gesetzgeber] durch die Erzählung von der Sprachverwirrung philosophisch zum Ausdruck bringen will). Grund für diese Argumentation Philons ist der Ausgangspunkt des jüdischen Denkens, dass Gott niemals unethisch handelt. Da es sich in Gen 11,1–9 allerdings um ein Strafhandeln Gottes und somit um ein unethisches Verhalten Gottes handeln müsste, kann nach Philon im Zentrum des Genesistextes nicht die Verwirrung/Trennung der menschlichen Sprache stehen. Aus diesem Denken heraus vertritt Philon die Ansicht, dass Sprache figural als Tugenden und Laster zu verstehen ist.23 In Conf finden wir ein Beispiel für einen rationalistisch-theologischen Erklärungsversuch.

Philon begründet also anhand zweier Aspekte seine ethische Auslegung des Textes und stellt dar, dass Sprache keinesfalls das eigentliche Themas des Genesistextes sein kann. Zum einen erfolgt dies durch die Analyse des Lexems σύγχυσις, das er in Conf als unzutreffend für die Trennung der menschlichen Sprachgemeinschaft bestimmt. Zum anderen durch die Aussage, die Argumentation philosophisch angehen zu wollen. Er argumentiert also semantisch und philosophisch.

Da Philon offensichtlich nicht daran interessiert ist, den atl. Text in Bezug auf das Thema ‚Sprache’ auszulegen, stellt sich die Frage, warum dieser Traktat dennoch herangezogen werden kann und soll, um das philonische Sprachverständnis darzustellen. Grund hierfür ist, dass Philon in Conf § 9–13 Aussagen über Sprache trifft, obwohl er diese im weiteren Verlauf nicht zum zentralen Thema seiner Auslegung macht. Die genannten Paragraphen können als eine Vorabinformation vor der eigentlichen allegorischen Auslegung angesehen werden. Sie zeigen die Auseinandersetzung mit den Gegnern, die die Perikope des Turmbaus zu Babel unmittelbar auf Sprache beziehen. Deshalb sieht er sich aufgefordert, sich mit dieser, ihm vordergründig nicht zusagenden, Interpretation wenigstens in einigen Paragraphen auseinanderzusetzen und deutlich zu machen, dass dies für ihn nicht der zentrale Aspekt des Textes ist.

Die Gegner Philons sind also der Grund, weshalb er sich in Conf § 9–13 über Sprache äußert, indem er ihre Argumentation anführt.24 Deshalb soll diese Personengruppe ausführlich in den Blick genommen werden. Für ihre Charakterisierung besonders aufschlussreich sind Conf § 2–3:

οἱ μὲν δυσχεραίνοντες τῇ πατρίῳ πολιτείᾳ, ψόγον καὶ κατηγορίαν αἰεὶ τῶν νόμων μελετῶντες, τούτοις καὶ τοῖς παραπλησίοις ὡς ἂν ἐπιβάθραις τῆς ἀθεότητος αὐτῶν, οἱ δυσσεβεῖς, χρῶνται φάσκοντες· ἔτι νῦν σεμνηγορεῖτε περὶ τῶν διατεταγμένων ὡς τοὺς ἀληθείας κανόνας αὐτῆς περιεχόντων; ἰδοὺ γὰρ αἱ ἱεραὶ λεγόμεναι βίβλοι παρ’ ὑμῖν καὶ μύθους περιέχουσιν, ἐφ’ οἷς εἰώθατε γελᾶν, ὅταν ἄλλων διεξιόντων ἀκούητε. καίτοι τί δεῖ τοὺς πολλαχόθι τῆς νομοθεσίας ἐσπαρμένους ἀναλέγεσθαι ὥσπερ σχολὴν ἄγοντας καὶ ἐνευκαιροῦντας διαβολαῖς, ἀλλ’ οὐ μόνον τῶν ἐν χερσὶ καὶ παρὰ πόδας ὑπομιμνῄσκειν; (Conf § 2–3)

Diejenigen, die Unwillen gegen die väterliche Verfassung bekunden und unablässig Tadel und Klage gegen die Gesetze im Munde führen, finden – die Verworfenen – in dieser Stelle, wie in anderen ähnlichen, einen Anlass zu ihrem gottlosen Treiben, indem sie sagen: Wollt ihr noch jetzt mit Ehrfurcht von den Satzungen sprechen, als hätten sie zur Richtschnur die Wahrheit selbst? Seht, die von euch als heilig bezeichneten Bücher enthalten Fabeln, über dergleichen ihr euch lustig zu machen pflegt, wenn ihr sie von anderen hört. Jedoch wozu – wie im müßigen Suchen nach verleumderischen Einwänden – Fabeln sammeln, die an verschiedenen Stellen der Gesetzgebung zerstreut sind, und nicht vielmehr nur das erwähnen, was man gleich zur Hand hat? (Conf § 2–3)

In Conf § 2 werden die Gegner Philons als „οἱ μὲν δυσχεραίνοντες τῇ πατρίῳ πολιτείᾳ“ bezeichnet. Folglich können die Adressaten, gegen die sich diese Ausführungen richten, ebenfalls als Juden bestimmt werden; genauer als solche, die die väterliche Verfassung, also die jüdische Überlieferung, in Frage stellen. Was aber lässt sich darüber hinaus über diesen Personenkreis aussagen? Alexandria war das Zentrum der Homerforschung. Gebildete Juden hatten somit nicht nur Zugang zu den homerischen Epen, sondern versuchten auch, das Verhältnis von homerischen und mosaischen Texten zu bestimmen. Für die Gegner Philons in Conf kann dieses Verhältnis als kritisch ausgemacht werden. Beiden Werken schreiben sie eine Bedeutung zu, wobei dem mosaischen Text wohl ein höherer Stellenwert einzuräumen ist.25 Der zuletzt genannte Aspekt zeigt erneut auf, dass es sich bei den Exegeten um jüdische Personen handeln muss. Den Griechen, die sich vor dem Kontakt mit dem Christentum nicht mit der Heiligen Schrift an sich, sondern vielmehr mit Bräuchen und Geschichte des Judentums auseinandergesetzt haben, kann wohl kaum eine Höherschätzung dieser Texte gegenüber den homerischen zugesprochen werden.26

Von Conf § 2–3 aus lassen sich auf der einen Seite die Gegner Philons charakterisieren, auf der anderen Seite kann auch dargestellt werden, wie die jüdischen Gelehrten Philon einordnen: „Während er sie der Irreligiosität und der Verachtung der väterlichen Gebräuche beschuldigt, sehen sie ihn als einen Heuchler an, der die frappierende Ähnlichkeit zwischen Bibel und Epos verdrängt“27. Die Gegner hingegen rühmen sich damit, dass sie ähnliche Passagen sowohl in Mose- als auch in Homertexten wahrnehmen und zwischen mythischen und wahren Elementen in beiden Schriften differenzieren können.28 Als Beispiel für eine Parallele zum Turmbau von Babel dient die Erzählung Homers von den Aloaden.29 Hier versuchen die Söhne des Aloeus drei Hügel aufeinanderzutürmen, um den Himmel zu erreichen. Für ihr verwegenes Vorgehen wurden sie von Apollo getötet.30 So wird in Conf § 3 deutlich, dass die jüdischen Apostaten davon ausgehen, dass die Heilige Schrift Fabeln bzw. Mythen enthält. Für Philon hingegen ist die Schrift die Richtschnur der Wahrheit,31 die keine mythischen Elemente enthalten kann. Es geht Philon dabei zwar um den ‚kritischen’ Wortlaut, nie aber um den Literalsinn. Wortlaut und Allegorese gehören für ihn zusammen.

Für den Hörerkreis bzw. für die Adressaten der philonischen Überlegungen ist also ein jüdisches Publikum anzunehmen. Diese legen im Gegensatz zu Philon ein kritisches Toraverständnis zu Grunde und besitzen die Fähigkeit, Literatur, die aus unterschiedlichen Kulturen stammt, zueinander in Beziehung zu setzen.32 Mit seinen Überlegungen in Conf § 2–3 wendet sich Philon gegen diesen Personenkreis, der die jüdische Überlieferung in Frage stellt und der durch den Vergleich der Mosesbücher mit homerischen Epen zu der Feststellung gelangt, dass beide Texte mythologische Elemente enthalten. Für Philon sind gerade literarische Mängel, die nicht den allgemeinen Stilkriterien unterliegen, ein Hinweis auf die göttliche Wahrheit der Texte.33 Dass Philon diese Aspekte in seinen Ausführungen aufgreift, zeigt, dass Sprache in Alexandria ein zentrales Diskussionsthema war und dass unterschiedliche Positionen bezüglich des Verständnisses und des Umgangs mit Sprache vorlagen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Philon die vorherrschenden Ansichten aufgreift, thematisiert, gleichzeitig aber seine eigene Position abgrenzt und sie zu begründen versucht. Philon setzt sich mit den Methoden seiner Gegner auseinander, was im Gegensatz dazu für den Verfasser des Aristeasbriefes nicht zutrifft, der allein auf die Gültigkeit der biblischen Texte verweist.34

Eine weitere Thematisierung der Hörerschaft findet sich in § 142–144:35

τίς γὰρ τά γ’ οὕτως ἐμφανῆ καὶ περίοπτα καὶ τῶν λίαν ἐξεστηκότων ἀγνοεῖ; ἀλλὰ μὴ τὸ πρόχειρον τοῦτο καὶ κατημαξευμένον ἐν τοῖς ἱερωτάτοις χρησμοῖς ἀναγεγράφθαι <νομίσῃς>, ἀλλ’ ὅπερ ἀποκεκρυμμένον ἰχνηλατεῖται διὰ τῶν ἐμφανῶν ὀνομάτων. τί οὖν ἐστι τοῦτο; (Conf § 142–144)

Wer weiß denn nicht, auch von den ganz Verblödeten, was so klar und augenscheinlich ist? Du darfst aber nicht (annehmen), daß in den heiligen Gottessprüchen diese oberflächliche und triviale (Lehre) aufgezeichnet sei, vielmehr (ist es) der verborgene Sinn, auf welchen die deutlichen Worte hinweisen. Was also ist damit gemeint? (Conf § 142–144)

Hier begegnet eine Anspielung auf die Personen, die in dem Text nicht den tieferen Sinn sehen, der Philons Ansicht nach entschlüsselt werden muss. Den verborgenen Sinn will Philon durch seine allegorische Auslegung aufzeigen, was er mit dem Fragesatz in Conf § 144 einleitet. Der Text liefert eine ähnliche hermeneutische Reflexion wie Mk 4,10–13. Auch in Mk zeigt sich die Vorstellung, dass ein Text, in diesem Fall das Gleichnis vom Sämann, nicht allein auf der wörtlichen Ebene verstanden werden kann. Sie reicht nicht aus, um den vollständigen Sinn zu erkennen. Hierfür ist die Auslegung in Mk 4,15 ff notwendig, ebenso wie es für Philon neben dem leichtsinnigen (πρόχειρος) und dem trivialen (κατημαξευμένος) Sinn noch einen verborgenen (ἀποκεκρυμμένως) geben muss.

Abschließend ist festzuhalten, dass Philon anhand zweier Aspekte seine ethische Auslegung des Textes begründet und somit darstellt, dass Sprache keinesfalls das eigentliche Themas des Genesistextes sein kann. Zum einen erfolgt dies durch die Analyse des Begriffs der σύγχυσις, den er in Conf als für die Trennung der menschlichen Sprachgemeinschaft unzutreffend bestimmt. Zum anderen bekräftigt Philon das durch die Aussage, die Argumentation philosophisch angehen zu wollen. Der Traktat Conf eignet sich dennoch dafür, das philonische Sprachverständnis zu charakterisieren, weil Philon in Auseinandersetzung mit seinen Kritikern eine schriftliche Reaktion auf die Sprachvorstellungen seiner Zeit gibt. Damit liegt die Antwort auf die eingangs gestellte Frage, warum sich Philon in Conf über Sprache äußert, also in der Tatsache, dass Philon sich gegenüber seinen Gegnern zur Auseinandersetzung und zur eigenen Positionierung angeregt sieht.

In Conf beschäftigt sich Philon hauptsächlich mit der allegorischen Auslegung der Perikope vom Turmbau zu Babel. Da Philon in Conf § 9–13 Aussagen über Sprache tätigt, soll diese Texteinheit Gegenstand einer ausführlichen Analyse sein. Der Traktat in seiner Ganzheit ist dagegen nicht Bestandteil der Analyse. Die allegorische Interpretation des Genesistextes kann für die Herausarbeitung des philonische Sprachverständnisses weitgehend außer Acht gelassen werden.

Die Analyse beginnt mit einer eigenen Übersetzung der angegebenen Verse, der eine inhaltliche Zusammenfassung folgt. Die Nachzeichnung der Argumentation mündet in die Darstellung des Sprachverständnisses.

Das Sprachverständnis des Paulus im Rahmen des antiken Sprachdiskurses

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