Читать книгу Das Sprachverständnis des Paulus im Rahmen des antiken Sprachdiskurses - Nadine Treu - Страница 8
2. Stand der Forschung
ОглавлениеDie Forschungsbereiche bezüglich der Sprache des Neuen Testaments beziehen sich auf das konkrete Sprachsystem (langue), also das hellenistische Griechisch im ersten nachchristlichen Jahrhundert,1 und auf die realisierten Texte (parole).2 Das hellenistische Griechisch als Sprachsystem ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Für den zweiten Bereich, der parole, lassen sich hauptsächlich Analysen zu den Argumentationsstrukturen biblischer Texte,3 zu Rhetorik,4 Semantik5 und Stil6 finden.
Das Sprachverständnis des Paulus hat in der ntl. Forschung bisher keine eigene thematische Bearbeitung gefunden, so dass die Arbeit keine bereits vorliegenden Forschungsdiskurse weiterführen kann, sondern ihre Fragestellung selbst anhand der Textanalysen erarbeiten muss. In Fachlexika wird in den Artikeln zur Sprache regelmäßig auf die Ausgangskapitel dieser Arbeit hingewiesen;7 dies hat im Wesentlichen aber keine Arbeiten zur Sprachthematik nach sich gezogen. Die Kommentarliteratur beschäftigt sich ausführlich mit 1 Kor 14. Dabei gilt für die gesamte Forschungsliteratur, dass sie das Kapitel hauptsächlich unter ‚nichtsprachlichen’ Aspekten behandelt: Sie thematisiert die urchristliche Prophetie,8 die paulinische Vorstellung des Geistes9 sowie das Verständnis und die Entwicklung der Charismenlehre.10 Für die beiden zentralen Charismen, die Prophetie und die Glossolalie, finden sich in der Kommentarliteratur häufig Exkurse, die zeigen, dass hier ein erhöhter Erklärungsbedarf besteht.11 Das Thema Sprache wird also lediglich in Bezug auf die Sprachgaben der Zungenrede und der Prophetie behandelt, die Frage nach einem Sprachverständnis des Paulus oder einer Beziehung zum antiken sprachphilosophischen Denken ist nicht gestellt worden. Dasselbe gilt für die umfangreichen Untersuchungen, die sich vor allem mit Argumentationsanalysen12 und der rhetorischen Analyse13 beschäftigen und in denen 1 Kor 12–14 untersucht wird. Diese Monographien verorten sich im Kontext der Rhetorikforschung und setzen sich nicht mit dem paulinischen Sprachverständnis auseinander.
Gerade die Sätze, in denen Paulus seine Überlegungen zur Sprache präzisiert, 1 Kor 14,6–12, werden in der Forschung vernachlässigt und verkürzt behandelt:
Die Beispiele von den undeutlichen Musikinstrumenten und dem verblasenen Signal zum Kampf (…) sind ohne weiteres in sich einsichtig.14
V. 7–11 bringen eine Reihe von Beispielen (…) für Verständlichkeit und Unverständlichkeit: Melodie (7), Signal (8), mit Anwendung (9); dann Sprache (Verstehen) (10 f) mit Anwendung.15
Die Beispiele sind ohne weiteres verständlich.16
Die Verse sind aber weder nur als Beispiele zu verstehen noch ohne weitere Ausführungen verständlich. Sie führen vielmehr in das Zentrum des paulinischen Zeichenverständnisses, was einzig Wolfgang Schenk in seinem Aufsatz „Die Aufgabe der Exegese und die Mittel der Linguistik“17 wahrgenommen hat. Sein Beitrag ist von der frühen Begeisterung für die neue Disziplin der Linguistik getragen, die vor allem in den Arbeiten von Güttgemanns zum Ausdruck kam. Schenk zeigt, ausgehend von James Barr, die Notwendigkeit der Linguistik für die Exegese auf. Er kommt in diesem Zusammenhang auf 1 Kor 14,7–11 zu sprechen. Schenk sieht in diesem Text „die Berechtigung einer linguistisch bestimmten Arbeitsweise für Verkündigung und Exegese“18. Er bezeichnet 1 Kor 14,6–12 als das „linguistische Manifest des Paulus“19 und benennt die linguistischen Aspekte, die diese Verse kennzeichnen: Das paulinische Zeichenverständnis. Da Schenk mit seinem Aufsatz das Interesse verfolgt, die Notwendigkeit der Linguistik für die Exegese aufzuzeigen, dient ihm 1 Kor 14 als neutestamentliche Begründung hierfür. Er stellt fest, dass es zwei Seiten des Zeichens gibt,20 fragt aber nicht nach den Aspekten, die ein paulinisches Sprachverständnis konkret kennzeichnen. Wann und warum die Inhaltsseite eines Zeichens verständlich ist, ist ebenso wenig Thema wie 1 Kor 14,10; diesen Vers lässt Schenk in seinem Aufsatz unbeachtet. Aber gerade er wird einen entscheidenden Aspekt des paulinischen Zeichenverständnisses liefern. Schenk versucht auch keine Einordnung seines Ergebnisses in den antiken sprachphilosophischen Diskurs. Hier setzt die vorliegende Untersuchung an. Darüber hinaus soll das paulinische Sprachverständnis nicht ausschließlich unter dem Aspekt des sprachlichen Zeichens untersucht werden, sondern unter allen oben genannten Leitfragen.
Einen wichtigen Beitrag leistet auch der Aufsatz „Mit Engelszungen? Vom Charisma der verständlichen Rede in 1 Kor 14“21 von Hans-Joseph Klauck. Er verfolgt das Ziel, „den eigenartigen Gegensatz (…) zwischen Geist (πνεῦμα) und Vernunft (νοῦς) (…) etwas besser zu verstehen“22, und beschreibt zunächst die Glossolalie. Anschließend nimmt er „einen zielgerichteten Durchgang durch 1 Kor 14“ vor, dessen „Schwerpunkt er bei V. 14–19“23 setzt. Auch Klauck beschäftigt sich also im Wesentlichen nicht mit 1 Kor 14,6–12, stellt aber für 1 Kor 14,10 f fest, dass diese Verse „den Ansatz einer Sprachtheorie [enthalten], wenn es [das Gleichnis in 1 Kor 14,10 f, Anm.] die Übermittlung von Sinn und Bedeutung als Aufgabe der Sprache hinstellt“24. Weitere Ausführungen einer solchen Sprachtheorie folgen nicht. Klauck versteht die Verse als Gleichnis, bei dem es um Kommunikation in Fremdsprachen geht; auch hierzu folgt eine kritische Auseinandersetzung. Hilfreich ist der Aufsatz v.a. für das Verständnis und die Rolle des Verstandes.25
Das Sprachverständnis des Paulus wurde also in der Fachliteratur bisher nur unzureichend berücksichtigt. Für die antike Sprachphilosophie und das frühjüdische Sprachverständnis verhält es sich anders. Die Forschung zur griechisch-römischen Sprache liefert zahlreiche Arbeiten zur Rhetorik,26 aber auch eine Vielzahl von Arbeiten, die sich mit der antiken Sprachphilosophie beschäftigen,27 so dass für diese Thematik auf eine breite Grundlage zurückgegriffen werden kann. Auch für den Vergleich mit dem frühjüdischen Autor Philon von Alexandria liegen mit den Untersuchungen von Klaus Otte28 und Gertraut Kweta29 zwei Monographien zum Thema vor. Beide werden, ebenso wie weitere Aufsätze, zu Beginn des Philonkapitels vorgestellt.