Читать книгу Die Jägerin - Vergangenheit und Gegenwart (Band 3) - Nadja Losbohm - Страница 6
3. Kontrollfreak
Оглавление„Als du vor mir standst, dachte ich, du wärst außerhalb des sicheren Kreises der Kirche. Ich wollte dich zurückdrängen, dich anschreien, dass du wieder hineingehen sollst. Aber ich konnte mich weder bewegen noch etwas sagen. Und dann bist du zusammengebrochen, und ich wusste, dass es vorbei war,” erklärte ich Pater Michael, während wir uns auf eine Kirchenbank setzten.
Das Atmen fiel ihm mittlerweile etwas leichter, und er musste nicht mehr so viel husten. Das Schwitzen hatte nachgelassen, und auch seine Gesichtsfarbe kehrte allmählich wieder zurück. Es war eine Erleichterung mit anzusehen, dass er sich erholte.
„Ich hatte keine Ahnung, dass so etwas möglich ist. Ich wusste nicht, dass der Vampir diese Gabe besitzt, einen Menschen derart zu kontrollieren. Es tat mir weh, dich so zu sehen, und ich konnte nichts dagegen tun. Ich konnte dich nicht einmal zurückziehen. Er hatte dich an einer unsichtbaren Leine festgebunden. Als ich mich vor dich stellte, wusste ich ganz genau, was ich tat, Ada,” offenbarte er mir. Er wandte seinen Kopf zu mir und sah mich an. Ungläubig starrte ich zurück. „Was meinst du damit?”, fragte ich ihn.
„Für die Kreaturen der Nacht war es nur wichtig, dass ich mich außerhalb der Kirche befand, sodass sie mich irgendwie erwischen konnten. Sie dachten, sobald ich auch nur einen Fuß zur Tür hinausstrecke, wäre es mit meiner Sicherheit vorbei. Doch wir beide wissen es besser, nicht wahr, Ada?”, fragte er und sah mich mit einem wissenden Grinsen an. Meine Augen wurden vor Verwunderung größer. „Du erinnerst dich bestimmt daran, wie ich dir davon erzählt habe,” sagte er. Ich nickte stumm. „Solange ich mit dem heiligen Boden verbunden bin, kann mir nichts geschehen,” sprach Pater Michael meinen Gedanken aus.
Ich zog scharf den Atem ein, als mir die Wahrheit bewusst wurde. „Du warst mit dem heiligen Boden verbunden,” hauchte ich und schlug die Hand vor den Mund.
Der Pater nickte und lächelte. „Du konntest es nicht sehen, aber mein Fuß stand immer noch auf dem heiligen Boden der Kirche. Genaugenommen stand er auf der letzten Stufe. Aber wer achtet schon auf so eine Kleinigkeit,” meinte er mit einem Augenzwinkern.
Ich lachte gequält, aber eigentlich war mir eher nach Heulen zumute. Die ganze Zeit über hatte ich gedacht, dass sie ihn getötet hatten. Doch er hatte sie mit dieser Winzigkeit hinters Licht geführt und mir somit dabei geholfen, mich aus meiner Starre zu befreien.
Offensichtlich konnte er mir meine Gedanken vom Gesicht ablesen. Denn Pater Michael nickte und lächelte mich an. „Vor nicht allzu langer Zeit hast du mir gesagt, dass ich alles unter Kontrolle haben möchte und dass dies nicht möglich sei. Du hattest Recht, Ada. Ich mag es, die Kontrolle zu haben. Das gibt mir das Gefühl von Sicherheit. In dem Moment, als ich erkannte, was der Vampir mit deinem Willen tat, verlor ich die Kontrolle. Ich wusste nicht mehr weiter und dachte, du wärst verloren. Aber dann fiel mir ein, wie ich wieder die Kontrolle zurückerlangen konnte. Ich sprang vor dich, ließ die Kreaturen der Nacht glauben, sie hätten einen Triumph gelandet, was dich wiederum aus der Gefangenschaft befreite. Doch die sichere Verbindung war stets da. Ich hatte immer die Kontrolle, Ada,” erklärte er und lehnte sich zu mir. Ein zufriedenes Lächeln lag auf seinem Gesicht.
„Es war also alles genau durchdacht?”, fragte ich ihn.
Pater Michael nickte und setzte sich wieder zurück. Er wollte sich gegen die Rückenlehne stützen. Doch er rutschte sofort wieder auf der Bank nach vorn. Die Wunde, durch den Pfeil verursacht, tat doch zu sehr weh.
„Du hast gewusst, was passieren würde,” stellte ich fest und beobachtete sein Gesicht von der Seite.
Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe es nicht gewusst,” begann er zu sagen, horchte aber bei meinem ungläubigen „Wie bitte????“ auf. „Ich gebe zu, dass ich es vielleicht zu dreißig Prozent gewusst und zu siebzig Prozent gehofft habe,” meinte er und blickte nachdenklich zum Altar. Doch dann verzog sich sein Mund zu einem breiten Lächeln, und er drehte den Kopf zu mir herum.
„Tss! Also wirklich! Das ist doch nicht zu fassen!”, empörte ich mich und verschränkte wütend die Arme vor der Brust. Ich wusste nicht, wieso ich sauer war. Vielleicht weil ich nicht in seinen Plan eingeweiht gewesen war und stattdessen geglaubt hatte, dass er wegen einem beherzten Sprung für mich gestorben war?
„Ada?” Seine Stimme klang unschuldig und entschuldigend zugleich. Nachdenklich kaute ich auf der Innenseite meiner Wange herum und warf ihm aus dem Augenwinkel einen finsteren Blick zu. „Um ehrlich zu sein, waren es wohl doch eher siebzig Prozent Wissen und nur dreißig Prozent Hoffnung. Als ich den Entschluss gefasst hatte, setzte ich voll und ganz auf deine Liebe zu mir. Das war das Einzige, was helfen konnte, Ada,” versuchte er es mir zu erklären. Ich verstand es allerdings immer noch nicht. „Ich wusste, dass du mich liebst. Und ich wusste, dass deine Liebe zu mir stark ist. Ich war mir sicher, wenn du siehst, wie mir etwas zustößt, würde es dich wütend machen, und du würdest für mich kämpfen, mich rächen. Denn genau so würde ich auch handeln. Ich musste dich in dem Glauben lassen, dass es vorbei war. Hätte ich dir etwas gesagt, wäre es vielleicht schiefgegangen. Verstehst du, Ada?”
Ich blinzelte ihn ein paar Mal an und blickte dann auf die Kirchenbank vor uns. Schweigend begutachtete ich das Holz und verfolgte mit den Augen den Verlauf der Maserung. Ich dachte über seine Worte nach und ja, sie waren verwirrend. Aber dann begriff ich, wieso er es getan hatte. Er hatte sichergehen müssen, dass seine List aufgeht. Und hätte er es mir auf der Stufe vor der Kirche, als wir dicht beisammen gestanden hatten, zugeflüstert, wäre ich vielleicht so arg nervös geworden, wodurch meine Gefühle, ihn zu rächen, eventuell abgeschwächt worden wären. Aber so, wie er es gemacht hatte, war es viel… mhh…spontaner gewesen? Wie auch immer. Er konnte jedenfalls verdammt glücklich sein, dass 1.) ich ihn so sehr liebte, dass ich zu einer Schwert schwingenden Rachegöttin wurde und 2.) Gott die Regeln für seinen Schutz so ausgelegt hatte.