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5. Der erste Tag in Freiheit

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Zwei Tage später entließ ich Pater Michael aus seiner Gefangenschaft und erlaubte es ihm, aufzustehen. Sie hätten den Mann in diesem Moment mal sehen müssen! Ich glaube, so schnell ist noch nie jemand aus einem Bett aufgesprungen.

Sein Gesicht leuchtete nahezu, während er durch die St. Mary’s Kirche lief und sich alles genauestens ansah, als wäre er zum ersten Mal hier. Er konnte es wohl genauso wenig glauben wie ich, dass er dazu noch in der Lage war. Wie ein kleiner Junge ging er staunend durch die Reihen der Kirchenbänke und ließ seine Finger über das Holz gleiten. Auch das Taufbecken musste er berühren, als konnte er nur glauben, dass es dort stand, indem er es selbst berührte. Ich begleitete ihn auf seiner Wiederentdeckungsreise und beobachtete ihn aufmerksam und sorgenvoll. Ich befürchtete die ganze Zeit, dass er vor Schwäche zusammenbrechen würde. Aber es schien ihm gut zu gehen, und er war kaum zu bremsen, als er in sein Büro stürmte, um sich auch dort umzusehen. Er war etwas verwundert darüber, dass ich den Wandteppich mit dem Antlitz der Heiligen Maria, Mutter Gottes, nach oben gezogen hatte und der Raum durch das einfallende Sonnenlicht hell erleuchtet wurde. Aber vielleicht dachte er sich einfach, dass ich nur etwas Licht und Luft hatte hereinlassen wollen. Schließlich wusste er, dass ich ohne diese simplen Dinge nicht konnte. Also sagte er nichts, sondern setzte sich in seinen Stuhl und betastete zunächst eingehend die Schreibtischplatte. Dann nahm er jeden Stift, jeden Kugelschreiber einzeln in die Hand und befühlte ihn. Es folgten der Locher und Tacker. Selbst die Lampe mit dem bunten Glasschirm war nicht sicher vor ihm. Zuletzt war das Telefon an der Reihe. Entschlossen riss er den Hörer von der Gabel und hielt ihn sich ans Ohr. Für einen Moment lauschte er dem Freizeichen, das sogar ich hören konnte. Seine Fingerkuppen strichen sanft über die Wählscheibe. Er lächelte. Er wirkte glücklich und zufrieden. Es war ein schöner Anblick.

„Willkommen daheim,” sagte ich leise.

Pater Michael blickte zu mir auf, und sein Lächeln wurde breiter. Er legte den Hörer auf und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Ich grinste zurück und lief um den Schreibtisch herum. Elegant wie eine Ballerina hüpfte ich auf den Tisch und rutschte meinen Hintern in eine bequeme Lage. „Und? Was machst du als erstes, jetzt, wo du wieder in Freiheit bist?”, wollte ich mit einem Augenzwinkern von ihm wissen.

Pater Michaels Blick war auf meine Beine gerichtet, die fröhlich in der Luft baumelten. Er lächelte, als er sie bei ihrer Bewegung beobachtete. „Ich denke, ich werde zuerst ein paar Telefonate führen. Es gibt eine Menge Dinge zu erklären, und ich muss mein Wissen wieder auf den neuesten Stand bringen. Ich habe keine Ahnung, was in der Welt los ist,” meinte er.

Für meinen Geschmack klang es ein bisschen zu sehr danach, als wäre er ein Jahr auf Reisen gewesen, fern von jeglicher Zivilisation. Aber ich schob es auf seine Kontrollsucht, dass er so begierig wissen wollte, was um ihn herum geschah. „Und was hast du vor? Wie ich sehe, möchtest du das gute Wetter heute nutzen,” meinte er und deutete auf den freigelegten Zugang zu meinem Garten.

Ich nickte zustimmend. „Aber nicht für das, was du denkst,” erwiderte ich, woraufhin ich einen neugierigen Blick vom Padre erntete. „Es gibt da etwas, was ich unbedingt noch tun muss, bevor ich wieder ruhig schlafen kann,” sagte ich geheimnisvoll und sprang vom Schreibtisch herunter.

Ich spürte die Augen Pater Michaels auf mir, als er mich dabei beobachtete, wie ich zur Ecke des Zimmers lief und mein Schwert hervorzauberte, das dort die ganze Zeit auf seinen Einsatz gewartet hatte. Voller Freude schlossen sich meine Finger um den Griff, und ich hielt es hoch. Das Metall schimmerte, und als ich in den Sonnenstrahl trat, der durch die Tür ins Büro fiel, blendete mich der Glanz so sehr, dass ich die Augen für einen Moment schließen musste.

„Was hast du denn vor, Ada?”, fragte mich Pater Michael. Ein Funke Sorge über mein Vorhaben schwang in seiner Stimme mit.

„Der Busch muss sterben,” murmelte ich vor mich hin und musste dabei irre grinsen. Ich löste meinen Blick von meinem Schmuckstück und sah zum Pater hinüber. Mit großen Augen starrte er mich an. Ich sah einem schizophrenen Mörder wohl ziemlich ähnlich. Es war ganz offensichtlich an der Zeit, mir das verrückte Grinsen aus dem Gesicht zu wischen. „Wie sieht’s aus? Willst du mitmachen?”, fragte ich ihn und entspannte meine Mimik.

Pater Michael warf einen Blick in den Garten und dachte offensichtlich darüber nach, ob es klug war hinauszugehen oder ob er doch lieber in der sicheren Kirche bleiben sollte. Ich wusste, dass er nicht gerade ein Frischluftfanatiker war und bis auf einen Ausflug alle paar Jubeljahre, bei dem er den neuen Jäger bei seiner ersten Patrouille begleitete, ging der Padre fast nie hinaus. Er war es nicht gewöhnt und fühlte sich wohler, wenn er von den mächtigen Mauern seiner Kirche umgeben war, was absolut verständlich ist, schließlich sicherten sie sein Dasein und Überleben. Aber in dem Moment sah es fast so aus, als hätte er Angst. Angst davor hinauszugehen. Vielleicht hatte auch seine ach so kontrollierte Aktion am Abend seines Todes ihn doch mehr mitgenommen, als wir es beide je für möglich gehalten hätten. Und tatsächlich lehnte er mein Angebot ab. „Ich überlasse dir gern diese Aufgabe,” antwortete er mir und lächelte sanft. Aufmerksam musterte ich ihn mit zusammengekniffenen Augen. Dann zuckte ich mit den Schultern und stürzte mit meinem Schwert in der Hand in den Garten.

Die Jägerin - Vergangenheit und Gegenwart (Band 3)

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