Читать книгу Die Jägerin - Vergangenheit und Gegenwart (Band 3) - Nadja Losbohm - Страница 7
4. Kein einfacher Patient
ОглавлениеPater Michael konnte von meinem Gesicht ablesen, dass ich seine Beweggründe verstand, und als ich endlich wieder ihn ansah, lächelte er erleichtert und dankbar. Und auch ein bisschen Stolz konnte ich entdecken. Er war stolz auf mich, weil seine Hoffnungen, die er in mich und meine Gefühle gesetzt hatte, wahr geworden waren. Tja, was sollte ich machen? Ich liebte ihn nun mal.
Mit einem Seufzen lehnte er sich zurück, doch sobald sein Rücken die Lehne der Bank berührte, schoss er sofort wieder nach vorn. Vor Schmerz verzog er das Gesicht, beugte sich vor, stützte die Ellenbogen auf die Knie und faltete die Hände wie im Gebet. Seine Stirn lehnte an ihnen, und die Daumenspitzen pressten sich gegen sie. Ich hörte, wie er versuchte gegen den Schmerz zu atmen.
„Es wäre wohl besser, wenn wir uns deine Wunde mal ansehen,” meinte ich besorgt. Pater Michael nickte, brauchte allerdings noch einen Moment, um sich zu erheben. Als er soweit war und sich auf die Holzbank vor uns abstützte, stürzte ich mich gleich auf ihn. „Komm, lass mich dir helfen,” bot ich ihm an und packte ihn unter dem Arm.
„Es geht mir gut,” wehrte er meine Hilfe ab und schob sanft, aber bestimmt meine Hände von sich.
„Michael, ein Pfeil steckte gerade eben noch in dir. Du warst bis vor wenigen Minuten noch tot. Es geht dir nicht gut. Jetzt lass mich dir doch helfen!”, fuhr ich ihn an. Als er meinen wütenden Blick sah, begriff er, dass es mir ernst war. Ein resignierter Seufzer verließ seine Lippen, und er reichte mir seinen Arm.
Ich schob uns beide zwischen den Bänken hindurch und hinaus auf den Gang. Pater Michael legte einen Arm um meine Schultern und konnte sich so auf mich stützen, während ich einen Arm um seine Mitte legte und ihn festhielt. Wir waren nur wenige Schritte gegangen, als mir eine gewisse Kleinigkeit wieder ins Gedächtnis kam, die ich schon fast vergessen hatte. Erschrocken blieb ich stehen. „Ähm, Michael. Da wäre noch etwas,” sagte ich und starrte auf den grauen Steinboden der Kirche. Ich spürte die Blicke des Paters deutlich auf mir. Ohne ihm eine Erklärung zu geben, drehte ich uns beide herum und zog ihn mit zum Portal. Dort angekommen, bot sich uns ein Anblick des Grauens. Das pure Chaos. Ein Schlachtfeld, das seines Gleichen suchte.
„Warst du das etwa?”, fragte mich Pater Michael und klang dabei so überrascht wie noch nie.
Ich schaute zu ihm auf und zuckte grinsend mit den Schultern. „Ups,” war meine einsilbige Antwort, als wäre es nur versehentlich passiert. Dabei war mein Rachefeldzug keineswegs ein Versehen gewesen. Nach allem, was sie Pater Michael und somit auch mir angetan hatten, war dies nur die gerechte Strafe.
Pater Michael seufzte neben mir und schüttelte den Kopf. „Das Aufräumkommando wird wohl Überstunden machen müssen,” meinte er, und mein geliebtes schiefes Grinsen tauchte in seinem Gesicht auf, begleitet von einem Zwinkern. Ich grinste nur zurück. Dann drehte ich uns wieder herum, und wir gingen den Gang hinunter, geradewegs auf das Taufbecken zu.
„Es ist wirklich erstaunlich, Ada. Wie hast du es nur geschafft, allein gegen all diese Kreaturen anzukommen?”, wollte der Padre wissen.
Ich hörte seine Fassungslosigkeit, aber auch Stolz für seine Schülerin heraus. „Du hast mir geholfen,” antwortete ich. Pater Michael blieb plötzlich stehen und zwang mich ebenfalls anzuhalten. Verwundert sah er mich an. „Na ja, als sie dich getötet haben, hat mich das rasend gemacht. Meine Wut auf sie hat mich aus der Starre herausgeholt und mir die Kraft und Schnelligkeit verliehen, die ich brauchte, um es mit ihnen allein aufnehmen zu können. Sie wussten erst was passierte, als es schon zu spät war. Ich bewegte mich automatisch, stach und schlug zu, als wäre ich eine Maschine. Das habe ich mir von meinem Lehrer abgeschaut,” gestand ich und grinste ihn an.
Pater Michael strahlte über das ganze Gesicht. Es war voller Stolz und Liebe für mich und erfüllte das Innere der St. Mary’s Kirche mit sonnenhellem Licht. Er zog mich an seine Brust und hielt mich für einen Moment in den Armen. „Danke,” flüsterte er in meine Haare und gab mir einen sanften Kuss auf den Kopf.
Im medizinischen Raum angekommen half ich Pater Michael dabei, sich zu entkleiden, und gemeinsam besahen wir uns seine Verletzung. Sie war tief und blutete immer noch. Es tat mir leid, dass ich ihm noch mehr wehtun musste, als ich die Wunde reinigte. Aber ich tat nur das, was er mir mit seinen Anweisungen befahl. Dann verband ich alles mit einer sterilen Mullbinde und sicherte den Verband mit ein paar Pflastern. Mit Hilfe eines Spiegels begutachtete er mein Werk und nickte anerkennend. Dann bestand ich darauf, dass er sich in sein Bett legte und ausruhte. Der Vorschlag gefiel ihm nicht so gut wie mir. Doch mit mir war diesbezüglich nicht zu verhandeln. Ich hätte ihn notfalls auch k.o. geschlagen. „Viel hätte es dazu wohl nicht gebraucht,” dachte ich bittersüß und brachte ihn in sein Schlafzimmer.
Vor Schmerz zog er scharf den Atem ein, als er sich hinlegte. Auf dem Rücken konnte er nicht liegen, also rollte er sich vorsichtig auf die Seite. Ich legte die wärmende Decke über ihn und setzte mich auf die Bettkante. Pater Michael lächelte mich dankbar an und schloss dann die Augen. Es dauerte nicht lange, bis ihn die Weichheit der Kissen und die Wärme des Bettes ins Traumland hinübertrugen.
Erstaunlicherweise reichten ihm die wenigen Stunden Schlaf, um sich zu erholen. Ich wunderte mich sehr über diese schnelle Genesung. Aber wahrscheinlich ist das so, wenn man Gottes Hilfe hatte. Es ging dem Padre am nächsten Tag bereits wieder so gut, dass er unbedingt aufstehen und seiner Arbeit nachgehen wollte. Wir führten eine unmöglich lange Diskussion darüber, welcher Wochentag war, denn er wollte mir nicht glauben, dass wir erst Mittwoch hatten und noch jede Menge Zeit war, um eine Predigt für den kommenden Sonntag zu schreiben. Weder mein Vorrechnen noch der Kalender, in dem seine sämtlichen Termine standen, reichten aus, um ihn zu überzeugen. Es war ihm unheimlich, dass ihm durch seinen „Scheintod“ Zeit geraubt worden war, und der erholsame Schlaf hatte seine innere Uhr so durcheinander gebracht, sodass er dachte, er müsse mindestens zwei Tage geschlafen haben. Meine Bestätigung, dass er das nicht getan hatte, war ihm nicht genug. Ich konnte es noch so sehr beteuern, dass ich ihm die Wahrheit über die vergangenen Stunden erzählte. Er glaubte mir nicht und wollte mir ausbüchsen. Ich hatte zwar keine Ahnung, wieso er das tat und wie es ihm helfen würde, aber er war felsenfest entschlossen, sich irgendwie einen eigenen Reim darauf zu machen.
„Du bleibst liegen, Michael!”, schimpfte ich, packte ihn an den Schultern und drängte ihn zurück ins Bett. Er wehrte sich gegen mich, und es war wirklich erstaunlich, wie viel Kraft er schon wieder aufbringen konnte. Aber ich war stärker und schubste ihn zurück auf die Matratze. Als sein Rücken auf das Bett traf und er nicht aufschrie oder sonstige Schmerzlaute von sich gab, brachte mich das kurz aus dem Konzept. Mhh, die Wunde schien schon ziemlich gut verheilt zu sein. Aber sein immer noch etwas blasses Gesicht und die fehlende Kraft, mit der er mich sonst einfach zur Seite gestellt hätte wie eine Spielzeugpuppe, sagten mir, dass er noch Erholung brauchte. „Ich sperre dich hier drin ein, wenn du nicht das tust, was ich sage, Michael!”, warnte ich ihn und wedelte mit einem erhobenen Zeigefinger vor ihm herum.
„Das würdest du nicht wagen!”, gab er zurück und sah mich entsetzt an.
„Versuch es doch,” schlug ich vor und sah ihn herausfordernd an. Ich sah, dass er angestrengt über seine Möglichkeiten nachdachte. Nach einer Weile gab er eines seiner „Mhhs“ von sich, legte sich zurück in die Kissen und faltete die Hände über seiner Brust. Mit grimmigem Gesichtsausdruck starrte er an die Decke. „Also, ehrlich. Das ist doch lächerlich,” meckerte er und drehte ungeduldig die Daumen.
„Ja, ja. Blubbere du nur so viel vor dich hin, wie du willst,” kommentierte ich seine Worte und lehnte mich über ihn, um die Bettdecke um ihn herum festzustecken.
„Ich blubbere nicht!”, sagte er beleidigt und richtete sich empört auf.
Mit wenig Aufwand stieß ich ihn wieder zurück in die Kissen und deckte ihn weiter zu. „Doch, du blubberst. Wie ein siedender Kochtopf. Es fehlt nur noch der Dampf, der aus deinen Ohren strömt,” erklärte ich ihm und richtete mich auf. Ich hatte es endlich geschafft, ihn ordentlich einzupacken, und besah mir meine Arbeit. Als ich zu seinem Gesicht kam, verblüffte mich sein Anblick. Ich hatte mich geirrt. Er blubberte nicht nur. Er kochte bereits vor Wut.