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Ein neuer Tag

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Der nächste Morgen begann nicht für jeden aus dem Team gleich.

Während Nadja und Wolf übernächtigt aus den Federn gestiegen waren, hatte Peter wie ein Baby geschlafen. Auch Niklas und Nadine konnten auf eine gute Nacht zurückblicken. Sie hatten zwar noch lange über den Fall gerätselt, waren dann aber Arm in Arm in Löffelchenstellung eingeschlafen, aus der sie in den Morgenstunden genauso wieder aufwachten.

Moni schlief in Todenmann derzeit sowieso schlecht. Ohne Wolf an ihrer Seite fühlte sie sich nicht wohl. Die Geborgenheit fehlte. Am meisten jedoch störte sie die Stille. Wenn ihr Verlobter nicht an ihrer Seite schnarchte, schreckte sie oft aus dem Tiefschlaf hoch. Glücklicherweise hatte sie die Hunde Leo und Ole überreden können, rechts und links neben ihrem Bett in komfortablen, viskoelastischen Körbchen zu schlafen. Das sorgte für die notwendige Geräuschkulisse und milderte die Einsamkeit. Wie sehr freute sie sich auf Weihnachten, wenn Wolf endlich wieder nach Hause kommen würde.

In Kleinenbremen stand Peter Kruse unter der Dusche, während sich seine Nadja einen Kaffee eingoss und ein paar Brote schmierte. Sie wusste nicht, wie lang der Tag im Institut werden würde. Aber sie wollte vorbereitet sein, wenn er mehr Zeit in Anspruch nahm.

„Schatz, was gibt’s denn heute Abend zu essen?“, rief Peter von oben, während er sich die Haare abrubbelte.

„Was auch immer du Gesundes kochst“, erwiderte Nadja und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Ich erinnere dich, dass heute unser vegetarischer Tag ist. Bestimmt bin ich länger im Institut als du auf der Dienststelle. Lass dir was Schönes einfallen.“

„Scheiß Körner- und Salatfresserei“, schimpfte Peter oben vor sich hin, aber er musste durchhalten. Er hatte zähneknirschend zugestimmt, als sie sich auf einen fleischfreien Tag geeinigt hatten. Zwei waren überhaupt nicht infrage gekommen.

„Mach doch einen Auflauf“, schlug Nadja vor, der das Fluchen nicht entgangen war.

„Wie soll ich denn Moussaka ohne Fleisch machen?“, stöhnte Peter und kam in die Küche. „Das schmeckt doch nach nix.“

„Doch, lass einfach das Hack weg“, sagte Nadja. „Es hat genug Pfiff durch die Zutaten und dann noch die Käsekruste. Alles perfekt.“

„Das ist wie Sahneheringstopf ohne Heringe“, meckerte Peter weiter. „Isst du da auch nur die Soße und das Gestrüpp aus Zwiebeln und Gurken?“

„Hmm, darauf hätte ich auch mal wieder Appetit, aber bitte mit Kartoffeln“, bat Nadja.

„Ohne Fisch?“, fragte Peter erschrocken.

„Nein, natürlich nicht. Fisch ist immer erlaubt“, erwiderte Nadja. „Ist ja in dem Sinne kein Fleisch.“

Peter tickte sich an die Stirn. „Du legst dir das auch so zurecht, wie es dir passt. Nur weil die Viecher keine Beine haben, ist ihr Fleisch kein Fleisch.“

„Bitte schneid noch zwei frische Äpfel rein“, sagte sie und überhörte sein Geleier, obwohl sie es nur mühsam unterdrücken konnte, ihn darauf hinzuweisen, dass sie auch keine Lungen, sondern Kiemen hatten, dass sie unter Wasser lebten und sich anders als Landtiere ernährten.

„Manchmal kannst du ganz schön penetrant sein“, behauptete Peter. „Ich weiß auch nicht, ob Moussaka mit Äpfeln anstatt Hack schmeckt.“ Er grinste frech.

Aber Nadja schüttelte nur den Kopf, gab ihm einen Kuss und verschwand mit ihrer Brotdose in Richtung Agaplesion.

Im Vehlener Großklinikum war Rechtsmediziner Enno schon bei der Arbeit und runzelte die Stirn, als Nadja durch die Tür kam.

„Ich kapiere immer noch nicht, was es mit dieser Gebärmutter auf sich hat“, sagte er.

„Meinst du, weil der Blutwert eine Schwangerschaft anzeigt, wir aber keinen Embryo gefunden haben?“, hakte Nadja nach.

„Ja“, erwiderte er, „ich habe sogar schon in den Eileitern nachgesehen und im Bauchraum, falls sich was verirrt hat, aber: Fehlanzeige!“

„Ah, da hast du mir echt was abgenommen. Genau diese Idee hatte ich heute Nacht auch. Das war das Erste, womit ich heute Morgen beginnen wollte, mit der Suche nach dem Fötus.“

„Wir haben keinen“, bestätigte Enno noch mal, „umso verwunderlicher, weil es weitere Schwangerschaftsanzeichen gibt.“

„Welche?“, erkundigte sich Nadja verwundert.

„Laktation“, erklärte Enno. „Ich konnte Milch aus den vergrößerten Brustdrüsen drücken. Außerdem erkenne ich eine Dunklerfärbung der Warzen und Höfe. Normalerweise sind die bei diesem Hauttyp heller. Aber Letzteres ist eher eine Theorie. Ich habe es trotzdem schon oft bei Schwangeren gesehen. Ebenso verändert sich der Gesichtsausdruck, aber das ist wissenschaftlich nicht untermauert.“

„Okay, nehmen wir mal an, sie war schwanger. Der Fötus könnte kürzlich abgegangen sein.“

Enno schüttelte den Kopf. „Das müsste ja kurz vor dem Tod geschehen sein. Dann hätten wir das im Inneren des Uterus gesehen. Plazentareste, dickere Schleimhaut, Vergrößerung, zumindest marginal, wenn sie noch am Beginn der Gravidität war.“

Nadja seufzte. „Gut, dann schauen wir erst mal nach, was das Labor herausgefunden hat.“

„Mache ich“, versprach Enno. „Nimm du dir ruhig erst einen Kaffee, ich habe schon welchen gekocht.“

Kurze Zeit später kam er wieder. Nadja fragte sich, was aus seinem Gesicht zu lesen war. Er wirkte betroffen.

„Was ist?“, erkundigte sie sich.

„Ich glaube, ich habe da was höchst Interessantes für dich.“

„Das will ich hoffen.“

„Wir hatten uns doch beide gewundert, warum die Gebärmutter unserer aktuellen Toten herausgetrennt, aber im Bauchraum belassen worden ist. Schöne Naht drüber und fertig. Stimmt’s?“, fragte er rhetorisch.

Nadja nickte.

„Aber auf eine Sache sind wir überhaupt nicht gekommen, nämlich, dass das Organ nicht ihr gehören könnte“, fuhr Enno weiter fort.

„Was? Das gibt’s ja nicht“, staunte Nadja. „Sagt das der Genabgleich? Nee, damit hätte ich wirklich nicht gerechnet. Warum macht denn jemand so was?“

„Keine Ahnung“, kam es von Enno. „Auf diese Weise ist es jedenfalls nicht verwunderlich, wenn sich trotz erhöhter HCG-Werte kein Embryo in der Gebärmutter befand.“

„Okay, lass uns mal fantasieren“, überlegte Nadja laut. „Wir haben eine Frau, die ein Fortpflanzungsorgan in sich trägt, das nicht ihr eigenes ist. Warum? Und wo ist ihr eigenes oder hatte sie nur einfach kein funktionierendes? So etwas gibt es ja auch, aber dann wäre sie nicht schwanger gewesen. Also: Man hat ihren eigenen graviden Uterus entfernt, aber warum lag der einer anderen Frau in ihr?“

„Ein inoffizieller Abort? Vielleicht gegen Geld? Niemand sollte von der Schwangerschaft erfahren? Du denkst, es könnte bei einem heimlichen Eingriff etwas schiefgelaufen sein?“

„Das würde zumindest erklären, warum man sie so liebevoll in den Park gebettet hat“, sagte Nadja.

„Ist romantisch, aber unlogisch“, meinte Enno.

„Inwiefern?“

„Warum sollte man ihr die Gebärmutter mit Fötus entfernen und eine andere ohne Kind einsetzen?“, wollte Enno wissen. „Ein einfacher Schwangerschaftsabbruch hätte es da auch getan.“

„Vielleicht war sie doch schon zu weit“, überlegte Nadja laut, „aber ich muss dir recht geben. Dann wäre immer noch eine illegitime Beendigung der Gravidität möglich gewesen.“

„Denkst du an eine Art Engelmacher oder an einen Trank aus Sadebeeren?“, erkundigte sich Doktor Enno Liebermann.

„So in etwa“, bestätigte Nadja. „Oder sie hat gerade ein Kind verloren, was die Gebärmutter geschädigt hat, weswegen sie eine neue brauchte.“

Enno schüttelte den Kopf. „Dann hätte man das Organ doch wenigstens festgenäht, aber dafür ist trotzdem der Hormonwert zu hoch. Wäre der Fötus abgegangen, hätte es vorab schon einen Abfall der HCG-Konzentration gegeben.“

„Stimmt“, gab Nadja zu, „es ist noch zu früh am Tag. Ich hatte einen Denkfehler. Es würde auf die Art nur einen Sinn machen, wenn wir eine andere Gebärmutter – chirurgisch einwandfrei transplantiert – mit einem Kind in ihr gefunden hätten, aber so etwas ist wiederum völlig unmöglich.“

„So oder so wird kein Schuh daraus“, stöhnte Enno. „Die Intention des Täters liegt vollkommen im Dunklen.“

„Leider“, bedauerte Nadja. „Es ist einfach nur pervers. Wer stiehlt einer Frau das ungeborene Kind und gleichzeitig die Möglichkeit, jemals wieder schwanger zu werden?“

„Einer, dem ihr Weiterleben augenscheinlich so oder so egal war“, vermutete Enno. „Darum liegt sie bei uns auf dem Tisch.“

„Ich war bisher immer von einem unglücklichen Versehen, einem Kunstfehler oder Ähnlichem ausgegangen“, erklärte Nadja. „Verstehe ich dich richtig, dass du pure Absicht vermutest? Jemand wollte TEILE von ihr?“

„Genau!“

„Das glaube ich nicht“, wandte Nadja ein. „Erstens spricht die Auffindesituation dagegen. Als Ersatzteillager hätte man sie irgendwo in einen Container oder auf die Müllkippe schmeißen können. Und, was noch viel entscheidender ist: Derjenige hätte sich garantiert keine Schwangere ausgesucht, wäre es nur darum gegangen, jemandem eine intakte Gebärmutter einzusetzen. Das ist ja überhaupt erst seit Kurzem möglich.“

„Möglicherweise hat der Täter das weder geahnt noch bemerkt, und die Frau konnte es ihm auch nicht mehr sagen, dass sie guter Hoffnung ist“, schlug Enno vor.

„Das wiederum spräche gegen ein Projekt, das aus finanziellen Gründen zustande gekommen ist. Wir haben hier dann keine gut bezahlte Prostituierte oder Lebendspenderin vor uns. Das hätte übrigens auch genetisch passen müssen. Woher sollte der Täter so etwas wissen? Eine Abstoßungsreaktion wäre vorprogrammiert.“

„Also Entführung? Würde dann auch keinen Sinn machen.“

„Trotzdem. Wir spielen es mal durch“, sagte Nadja. „Das Opfer wird gekidnappt. Nehmen wir mal an, es wird sofort betäubt oder gleich narkotisiert und dann geknebelt und gefesselt. Frage: Hat man sie bewusst nach genetischen Gesichtspunkten ausgesucht oder nach Optik?“

„Das ist erst mal nicht relevant“, meinte Enno. „Sprich einfach weiter, wie dir der Schnabel gewachsen ist. Nur so funktioniert Brainstorming.“

„Also gut“, fuhr Doktor Nadja Serafin fort. „Man hat sie für die OP vorbereitet und den Bauchraum eröffnet. Dabei müsste man die Vergrößerung des Organs gesehen haben, den auch eine noch nicht allzu weit fortgeschrittene Schwangerschaft verursacht. Man hätte den Uterus also niemals entfernt. Das würde sonst lebensbedrohliche Blutungen verursacht haben. Wir hätten sie im Park also entweder gar nicht gefunden, weil man sie einfach wieder zugenäht hätte, oder man hätte sie zwar verblutet, aber ohne Gebärmutter dort gefunden.“

„Wie wir es drehen und wenden, für das fremde Organ gibt es keine Erklärung“, stimmte Enno zu.

Nadja seufzte. „Warten wir also die anderen Untersuchungen ab. Vielleicht bringen die uns weiter.“

SchattenSchnee

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