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Helsinki rocks

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Nachdem wir noch ein weiteres Glas Blut auf seinem Balkon genossen hatten, erfrischten wir uns, schlüpften in bequeme Kleidung und machten uns anschließend auf Helsinki zu erkunden.

Anstatt wieder ein Taxi zu rufen, dirigierte mich Ville ein paar Schritte weiter zu gehen, wo sein Auto stand, mit welchem er ins Zentrum fahren wollte.

Vor einem Mercedes 300 Adenauer Leichenwagenumbau aus den 60ern blieb er stehen. Ville fummelte seinen Schlüssel aus seiner Hosentasche, öffnete die Tür und hielt sie mir dann grinsend auf.

„Ist nicht dein Ernst?! Wirklich so ein Klischee fährst du? Ein Untoter in einem Leichenwagen..., echt jetzt?“, ich schüttelte lachend den Kopf.

„Hey, das Baby ist total heiß. Außerdem…, es ist das Auto, indem ich tot ins Leichenschauhaus gefahren wurde…, vor meiner Verwandlung“, andächtig strich Ville über den Lack.

„Du lagst tot da drin?“

„Ja. Und als ich wieder erwachte, nahm ich dieses Auto und fuhr wieder nach Hause. Erst ein paar Stunden später begriff ich, dass dies nicht die beste Idee gewesen war“, lachte er.

Mir wurde einmal wieder bewusst, dass ich noch kaum etwas über Ville wusste. Ich war so mit mir beschäftigt gewesen, dass ich ihn bisher nur selten etwas über sich gefragt hatte. Ich entschloss den heutigen Tag zu nutzen, um dies zu ändern. Er hatte sein ganzes Leben von einem Moment zum nächsten wegen mir über den Haufen geworfen. Da sollte ich wenigstens wissen, wer dieser Mann war, der so ein Opfer brachte.

Ich nahm in dem Auto Platz. Das Leder fühlte sich kühl an. Das Armaturenbrett war mit Mahagoniholz verziert. Ein Vanilleduftbäumchen baumelte über den Lüftungs-schlitzen.

Ville machte den CD-Player des Autoradios an. Aus den Boxen erklang HIM mit „Pretending“. Ich verdrehte die Augen und lachte wieder.

„Was? Magst du HIM nicht?“

„Hallo? Wie kann man HIM nicht mögen?! Seit 'Join me in death' bin ich fest in ihrem Bann! Aber es ist schon ein bisschen… schräg.“

Ville sah mich mit großen Augen unverständlich an.

„Na ich sitze hier mit einem Ville in Helsinki im Auto und es ertönt finnische Rockmusik von Ville Valo?!“, wieder schüttelte ich lachend den Kopf.

„Also ich finde da gar nichts komisch“, meinte Ville und ließ das Auto an. Ich sah jedoch, wie seine Mundwinkel zuckten. Konnte es sein, dass sich Ville einfach nur einen Spaß mit mir machte?

Langsam wendete ich kritisch dreinblickend mein Augenmerk von ihm ab. In dem Moment hörte ich ihn leise kichern. Mistkerl!

Wir fuhren an der Uspenskin katedraali vorbei über die Brücke der Kanavakatu bishin zum Senatsplatz, in dessen Nähe Ville sein Auto abstellte.

Unsere Tour startete mit dem weißen „Dom zu Helsinki“, bei dem es sich um eine evangelische Kirche aus dem 19. Jahrhundert handelte.

Fast schon andächtig bestiegen wir die Treppen, die zum Eingang hinaufführten. Die Größe des Gebäudes wirkte sehr erhaben und beeindruckend. Der Sockel, auf dem sie stand, betonte dies noch.

Die Kirche war innen ebenfalls fast ausschließlich in Weiß gehalten und mit goldenen Akzenten elegant gestaltet.

Ville erklärte mir einiges geschichtliches zu der Kathedrale. Diese Art von Fremdenführung erinnerte mich an Tristan, wie er mir bei unserem Sizilienurlaub als Zeitzeuge alles erzählte. Jene Zeit schien mir so ewig her, als wäre sie nur ein Traum gewesen. Lediglich der Ring an meinem Finger erinnerte mich, dass diese Erinnerungen einmal real gewesen waren.

Noch bevor ich in Melancholie versinken konnte, führte mich Ville aus dem Dom wieder heraus und wir gingen weiter Richtung Zentrum.

Wir blieben vor einem Felsgebilde stehen. Ein flacher Betonbalken wies den Eingang. Darüber bäumte sich im Hintergrund eine Kuppel. Es sah aus, als wäre ein Ufo gelandet.

„Das ist der Temppeliaukio..., die Felsenkirche. Sie ist direkt in den Felsen geschlagen wurden“, erklärte Ville wissend.

Ich war sehr gespannt, was mich innen erwarten würde. Wie eine Kirche wirkte dieses Bauwerk jedenfalls nicht.

Meine Vorurteile wurden sofort abgestraft. Im inneren der Kirche empfing mich ein wundervoller, außergewöhnlicher Anblick. So hatte ich eine Kirche noch nie gestaltet gesehen.

Die Wände bestanden tatsächlich aus unbehauenem Felsgestein. Gemütliche Holzbänke waren im Halbkreis zu einem Altar ausgerichtet, welcher mehr Ähnlichkeit mit einer Theaterbühne aufwies.

Das raumschiffartige Kuppeldach stand auf vielen Holzpfeilern, zwischen denen Fenster eingebaut waren, sodass trotz der Steinmauern ein sehr offenes und luftiges Raumgefühl entstand. Es war wirklich wunderschön.

Ich ließ mich auf eine der Bänke nieder, um die Kirche in Ruhe zu bewundern.

„Schön, dass wir, entgegen den literarischen Vermutungen, Gotteshäuser betreten können“, flüsterte Ville grinsend.

„Wie wurdest du eigentlich verwandelt?“, fiel mir mein guter Vorsatz für den heutigen Tag ein.

Villes Lächeln verebbte ein wenig. Unbeholfen zuckte er mit den Schultern.

„Es war sozusagen das Aufnahmeritual, um in der Band mitzuspielen, auf die ich damals so stand.“

Ich sah ihn mit großen Augen an. „Bitte, was?“

Ville grinste. „Komm mit, ich zeige dir was.“

Wir verließen die Kirche und gingen zurück zu seinem Auto. Ville fuhr uns zum Südhafen von Helsinki.

Hinter einem alten Fabrikgebäude parkte er sein Auto. Er stieg aus, ging um den Kofferraum herum und holte einen Gitarrenkoffer heraus.

„Ich hoffe du stehst auf illegale Sachen“, grinste er geheimnisvoll.

Fragend schaute ich ihn an. „Wir müssen durch ein paar Türen, die nicht für Besucher geöffnet sind“, erklärte er zwinkernd.

Um uns vor neugierigen Menschenblicken zu schützen, legten wir ein vampirgemäßes Tempo vor, um in das alte Fabrikgelände einzubrechen.

Wir kletterten über einen Maschendrahtzaun, sprangen auf ein Vordach und von dort aus auf das nächstgelegene Flachdach.

Von diesem aus stiegen wir durch ein kaputtes Fenster ein und schlenderten anschließend gemütlich durch die Gänge der alten Fabrik.

In der dritten Etage öffnete Ville eine Tür und wir standen in einem großen, leeren Zimmer.

Ville stellte seine Gitarre ab und durchschritt den Raum. Dann breitete er die Arme aus. „Hier geschah es. Hier wurde ich verwandelt.“

„Was, hier?“, ich schaute mich erneut um. Natürlich war davon nichts mehr sichtbar. Dennoch war es für mich in diesem Raum nicht vorstellbar, dass Ville hier seinen Tod fand.

Ville setzte sich im Schneidersitz auf den Boden. „Es war 1975. Ich war damals 22 Jahre alt. Zu dieser Zeit stand ich total auf Heavy Metal…, Black Sabbath und so. Es gab damals eine finnische Band, die ähnliche Musik machte und die ich vergötterte. Sie hatten eine Bassistin, eine absolute Ausnahme in der Szene zu dieser Zeit. Sie war mega heiß“, Ville grinste über beide Ohren.

„Ich erfuhr, dass sie einen Gitarristen suchten. Natürlich ging ich zum Casting und wurde auch tatsächlich genommen. Nach der ersten Probe meinten sie, dass ich ein Teil von ihnen werden müsste, um wirklich zu der Band zu gehören. Ich verstand erst nicht so recht, was sie meinten. Sie gaben mir Alkohol, redeten etwas von Vampirismus und ewige Bandzugehörigkeit. Ich wurde nicht schlau daraus. Es war damals eine verrückte Zeit, ich war jung und hinterfragte nicht, was ich da hörte.

Ich wollte einfach der Band angehören, kostete es was es wolle. Als mich dann die Bassistin küsste, war es ganz um mich geschehen. Die anderen Bandmitglieder verließen den Raum und ließen uns allein.

Ich dachte, ich hätte den Jackpot geknackt. Gitarrist in der geilsten Band Finnlands, die heißeste Bassistin dazu..., Bingo! Doch während sie mit mir schlief biss sie mich. Danach kann ich mich kaum an etwas erinnern.

Als ich zu mir kam, lag ich auf einer Bahre in einem Kühlfach. Als der Bestatter es öffnete, um mich herauszuholen, überwältigte ich ihn und trank mein erstes Blut. Danach zog ich seine Kleidung an und stürzte verwirrt aus dem Krematorium. Ich stieg in den Leichenwagen und fuhr nach Hause. Ich bemerkte meinen veränderten Zustand nach und nach, verstand jedoch immer noch nicht, was geschehen war. Am nächsten Tag ging ich zur Bandprobe, um sie zu fragen, was sie mit mir gemacht hatten. Die Band grinste mich verschwörerisch an und gratulierten mir dazu, fortan ein ewiges Mitglied zu sein.

Mir war komisch zumute. Ich dachte, sie hätten mir Drogen gegeben. Es dauerte zwei bis drei Tage bis ich verstand, was mit mir geschehen war. Die Bassistin hatte mir ihr Blut zu trinken gegeben. Danach hatten sie mich zum Fenster hinausgeworfen, damit ich starb und mich verwandeln würde. Leider hatte der Wachdienst meinen unfreiwilligen Fenstersturz mitbekommen und den Notarzt gerufen, welcher mich natürlich für tot erklärte. Die Band konnte nichts unternehmen und musste warten, bis ich selbst wieder vor der Tür stand.

Zunächst war ich über diese Unverfrorenheit geschockt. Doch dann war mir auch dies ziemlich egal. Ich kam gut klar mit meinem neuen Zustand, genoss die Gigs und hatte eine sehr intensive Beziehung mit der Bassistin.

Sie zeigte mir alles, was ich als Vampir wissen musste und sie war nicht eifersüchtig.

Die Tourneen waren einfach der Wahnsinn! Wir hatten geniale Konzerte und die Fans drängelten sich darum uns als Nahrung zu dienen.

Doch Anfang der 80er Jahre zerbrach die Band. Der Schlagzeuger verließ uns als erstes, um sich in Frankreich ein neues Dasein aufzubauen.

Der Leadsänger verlor die Freude an Konzerten und ging als nächster.

Die zweite Gitarre folgte ihm, sodass nur noch die Bassistin und ich übrigblieben.

Allein langweilten wir uns schnell gegenseitig. Wir trennten uns und damit sich auch unsere Wege.

Ich begann mich allein durchzuschlagen und zu reisen. Tja... und da sitze ich heute nun hier mit dir.“

Fasziniert betrachtete ich Ville. Obwohl er sich nicht selbst für ein untotes Leben entschieden hatte, kam er mir absolut rein mit seinem Schicksal vor.

Am beeindruckendsten fand ich, dass er noch so jung war. Er war erst vor ungefähr 30 Jahre verwandelt wurden und hatte dennoch die Gelassenheit von Tristan, einem mehrere Jahrhunderte alten Vampir.

„Bereust du es? Würdest du wieder zurücktauschen?“, wollte ich dennoch wissen.

Ville schüttelte ohne zu zögern den Kopf. „Es war die genialste Zeit meines Lebens. Ich würde mich immer wieder für das Banddasein entscheiden mit all den damit verbundenen Konsequenzen.“

„Vermisst du sie?“

Ville atmete tief ein. „Nicht mehr. Am Anfang war es schwer. Aber ich habe mich inzwischen damit abgefunden.“

„Weißt du, wo sie ist?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe sie komplett aus den Augen verloren. Aber dies macht es auch einfacher für mich. Hätten wir noch Kontakt würde es mir wahrscheinlich schwerer fallen, ohne sie existieren zu müssen.“

„Du hast sie geliebt“, stellte ich fest.

Ville zuckte mit den Schultern. „Irgendwie - auf eine verrückte und ungesunde Art und Weise – schon.“

Er nahm seine Gitarre aus dem Koffer und stellte die Saiten nach.

Dann begann er die ersten Takte zu spielen. Ich erkannte es als „Gone with the sin“ von HIM.

Als er die erste Strophe sang, versank ich in seiner Stimme.

Tara

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